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Liebesgötter schwangen ihr Füllhorn über Nohant. Die Luft war rosig vom Blütenwind der Apfelbäume. Lerchen trillerten und Stare sangen.
Am Morgen wurden die Schleusen des Flusses aufgezogen. Das Wasser stürzte glashell hindurch, brauste und schäumte in silbergrünen Wirbeln.
Tausend Vogelstimmen eröffneten den Tag, die Erde flammte unter dem Purpurkuß der Sonne, und von den Kirchtürmen des Berry schwebte wie auf Federwölkchen der Glockenton des Angelus.
Abends aber, wenn die Schatten tiefer wurden und ein goldenes Funkeln über den Gesträuchen anhub, ging die blauäugige Indre in den Wiesen schlafen.
Sie lag dann ruhig, gleich dem Körper eines lustgestillten Weibes. Gräser neigten sich über sie, Bäume zeichneten die Rundung ihrer Glieder. Wer hätte, erschauernd vor so nächtlich gelöster Harmonie, aus ihr nicht Liebe trinken sollen?
Friedrich wandte sich mit einem Seufzer und schlug den Weg nach Nohant ein, dessen unsymmetrische Mansarden er hinter einem Hügel ahnte: das Haus zweistöckig, im Stile Louis Seize, ein niederes Dach, die Türe von Efeu überwuchert und mit drei Langfenstern zu beiden Seiten.
George saß gewiß auf der Terrasse! Das Schreibzeug vor sich, starrte sie über die Lampe weg ins Dunkel. Ein Kampf schien ihren Busen zu drängen, sie atmete laut, preßte die Lippen aufeinander und warf sich keuchend rückwärts, als erliege sie der Umarmung eines unsichtbaren Gottes.
Woran dachte sie?
Türmte auch sie Zweifel ob ihres weiteren Zusammenlebens?
Solange und Maurice wurden größer. Es ging nicht an, sie künftig zu Zeugen einer Liaison zu machen!
Friedrich fühlte, wie sein Herz aussetzte.
Dann also Trennung? Wieder einsam wohnen, lichtscheue Besuche, die der Heimlichkeit entbehrten und Anlaß zum Gerede gaben?
Plötzlich blieb er in lebhafter Erregung stehen. Ein Gedanke, so einfach, ja aller Schwierigkeiten Ausweg, strahlte freundlich durch sein Hirn, daß er lächelnd sich die Schläfen rieb und den Kopf an eine Ulme lehnte.
Weshalb sich quälen, wenn das Gesetz Handhabe lieh, den freien Bund zur Ehe umzuwandeln. Es schien ein dummes Gesetz, denn was taten Buchstaben, wo es sich um Liebe handelte!
Jedoch, die Form war überliefert, und hatten Millionen nicht darauf ihr Glück begründet?
Wie zur Antwort teilte ein warmer Wind die Fliederbüsche des Bosketts. Man sah George jenseits des Rasens, den prachtvollen Körper in den Falten eines Gingankleides, dessen Kragen unter ihren braunen Locken fast verschwand.
Friedrich ging mit raschen Schritten auf sie zu.
»Ich möchte dich um eine Unterredung bitten,« sagte er.
George erschrak, als er so plötzlich vor sie hintrat.
»Eine Unterredung?« fragte sie.
»Du würdest mich zu Dank verpflichten.«
»Also ein Opfer meinerseits.«
»Wie man es nimmt.«
»Ich bin gespannt, zu hören …«
»Wir sind fast zwei Jahre beieinander. Als ich nach Nohant kam, waren Maurice und Solange klein. Niemand glaubte an eine dauernde Verbindung. Jetzt aber, wo wir wissen, daß aus Leidenschaft Liebe ward, wo die Gemeinschaft täglich wächst und unser Leben sich unter reifen Augen abspielt, bedarf es eines verändernden Entschlusses.«
»Was willst du damit sagen?«
»Daß ich dir mehr als je ergeben bin, daß ich dir meinen Namen schenken möchte, kurz und gut, daß wir das Band legitimieren, das wir aus freier Neigung knüpften!«
»Die Ehe ist nützlich für Heilige.«
»Sie ist das Ziel der Liebe.«
»Und wenn diese verflogen ist, ihr Grab.«
»Aber sie wird nicht verfliegen!«
»Du bist grausam.«
»Nein, vorsichtig. Ich kann nicht den Schatten eines Zwangs ertragen. Alles, was Pflicht wird, ist mir verhaßt!«
»Du bist also gesonnen, abzulehnen?«
»Ja.«
»Und die Meinung der Welt?«
»Ist eine Dirne, die man mit Fußtritten zurecht weist.«
»Was sollen die Kinder von uns denken?«
»Daß wir Freunde sind.«
»Ich will aber, daß du mich liebest!«
George tastete beschwichtigend über Friedrichs Körper.
»Wer sagt, daß ich dich nicht mehr lieben will? Gehn wir schlafen, Chop! Du sollst das Gegenteil erfahren …«
Die Nachtlampe verbreitete ein rötlich warmes Licht. Ihr Schirm von Seide, auf dem goldene Delphine zwischen Rankenarabesken schwammen, hob sich gefältelt über einem Fuß von ziseliertem Silber, der gleich dem Stengel einer Blume aus dem orangefarbenen Grund der Bettportieren wuchs.
George lag nackt auf der seitlich herabgeglittenen Decke. Die vollen Arme aufgestützt, betrachtete sie den vom Liebeskampf erschöpften Friedrich, der schlummernd in den zerwühlten Kissen ruhte.
Ihre Augen blickten groß wie die einer Indianerin. Gelbe Reflexe zuckten darin auf. Das bleiche Braun der Hüften wich einer flimmernd emporgejagten Röte, und aus den bläulichen Lidern schoß ein Strahl ungezähmter Wildheit auf den mädchenhaften Schläfer.
Sie wußte sich Mann in diesem Hause!
Was trieb ihn, sich zum Herren aufzuschwingen? Dünkte es ihm nicht genug, daß sie den Kranken pflegte, daß sie ihm Mutter und Geliebte war, um nun auch das Opfer ihrer Freiheit zu verlangen?
Zugegeben, ihr Fühlen dem Künstler gegenüber war stark, dauerhaft und interessiert.
Indes, bedingte diese Zuneigung, die wie die Mutterliebe keusch und zugleich leidenschaftlich, daß ihre Sinne dem Menschen Beständigkeit gelobten?
Nein, jetzt und für immer beanspruchte sie ihre volle Unabhängigkeit! Niemand sollte das Recht haben, sie ihr zu beschränken, und wer es wagte, dem mußten Bedingungen gestellt werden, so hart, so klar, daß kein Mann kühn oder niedrig genug sich fände, sie zu akzeptieren!
Was war ein Leben ohne Leidenschaften, was köstlicher als die Spielarten der Liebe, als jener Wechsel, den die Priester Sünde nannten?
George dachte es, während ein brutales Lächeln in ihren Schlaf hinüberglitt. Und jetzt, wo das Kinn ihr fleischig auf die Brust sank, zeigten sich auf dem schlaffen Antlitz Spuren ermüdeter Sinnlichkeit.
Friedrich lebte mit uneingestandenen Befürchtungen. Wohl gingen die Tage in sommerlichem Glanz, Maurice vertiefte sich in seine Klassiker, Solange war ein wilder Blumenstrauß und Nohant der Garten, den sie mit Duft, Wachstum und Fruchtbarkeit erfüllte. Doch schien ihm dieses bisweilen nur eine trügerische Hülle, unter der die Erde schwärzlich gähnte und Würmer allem Bestehenden mit Fäulnis und Vernichtung drohten.
Es ereignete sich, daß er, wie aus einem Schlaf erwachend, auffuhr und George prüfenden Blickes musterte. Dann fühlte er sich gleichsam in eine fremde Welt versetzt. Seine Augen, mißtrauisch und scharf, entdeckten Dinge, die Liebe ihm bisher verborgen, und Zweifel peinigten ihn ob dessen, was er sah.
Nicht, daß er ihr jene Ablehnung verübelt hätte! Denn er gestand dem schaffenden Künstler das Recht ungewöhnlichen Entschlusses zu.
Aber die Gründe, die sie angeführt, die Form endlich, deren sie sich bedient, öffneten eine Kluft von Gegensätzlichkeiten, die den Keim zu ernsten Differenzen trugen.
Er erinnerte sich plötzlich verstehend seines Vorgängers.
Auch Musset war um vieles jünger, von guten Manieren, ausgesuchter Eleganz, wie er ein Kenner der Mode, Held, ja Bewunderer der Gesellschaft und ihren Normen gleich einem Ritus unterworfen.
George wieder, deren Jahre sich den Vierzigern neigten, fand er brüsk in ihrem Auftreten, salopp gekleidet, erhaben über alles Schickliche und von einer unmäßigen Verachtung für den Ton der guten Welt.
Dazu der Kreis, den sie in ihrem Heim versammelte! Die Gillands, Martins, Cavaignacs verletzten mit ihrer republikanischen Derbheit nicht selten sein ästhetisches Empfinden, und es war ihm nur ein Symbol, wenn George zwischen Politikern und Journalisten saß, die Beine übereinander geschlagen und aus einer riesigen Trabucco qualmend.
Dann aber kamen Stunden wie die heutige, da sie weiblich sich an seine Schulter lehnte und die Nähe ihres Wesens ihn mit brennend süßem Reiz durchdrang.
Im Augenblick schalt er sich einen Narren, bat ihr demütig alles ab und gab seiner Phantasie die Schuld, die gleich der jedes Künstlers sich im Widerspruch mit der realen Welt befinde.
»Wir haben Gäste?« fragte er, den Kopf nach der Terrasse wendend, wo eine Dienerin Stühle und Taburetts gruppierte.
»Gilland und meinen Bruder Hippolyte.«
Friedrich bückte sich in einer plötzlichen Aufwallung von Zärtlichkeit.
»Du bist ja schmutzig,« sagte er und rieb mit seinen weißen Händen die Lehmflecken aus ihrem Kleide.
Das Speisezimmer lag zu ebener Erde. Ein blauer Glaslüster hing über dem runden Mahagonitisch. Die Fenster blinkten aus grün gemusterten Tapeten, Schränke wölbten Kupfer und Porzellan, und in den Pfeilerspiegeln dämmerte der Abend, der die Farbe der Syringen widerstrahlte.
Friedrich saß zwischen George und Hippolyte Châtiron. Den Flügel eines kalten Huhnes vor sich, verglich er, peinlich essend, die gedunsenen Züge seines Nachbarn mit Sillands grobrissigem Proletarierschädel, der ihm gegenüber aus der Höhlung einer Wildpastete sprang.
Die Arbeit der ungeheuren Kinnladen untermalte gleichsam seinen Redestrom, dem Hippolyte, von George fruchtlos verhindert, den Inhalt zahlreicher Karaffen enthusiastisch zutrank.
Es sei Zeit, – donnerte er – einmal mit Louis Philippe abzurechnen, jenem Spitzbuben von König, der den Thron durch einen Diebstahl sich erschlichen!
Gebe es etwas Lächerlicheres als diesen Biedermann, der heut erkläre: »Ich lasse mich lieber in Stücke hauen …,« um morgen die Krone Frankreichs anzunehmen?
»Eine schöne Einrichtung, das juste milieu,« fuhr er gestikulierend fort. »Rückschritt und Revolution in legitimer Ehe, das Königtum unter der Schlafhaube des Bürgers! Und wer regiert? Der wohlhabende Mittelstand!«
Friedrich zerkrümelte ein Weißbrot zwischen seinen Fingern.
»Durch Reden wird man es nicht besser machen.«
»Durch Reden?«
Gilland entgegnete mit scharfer Stimme.
»Wer baute Barrikaden, als Warschau gefallen war? Wer schwieg, da wir die Republik ausriefen?«
George drehte sich umständlich einen Fidibus.
»Gilland hat recht,« entschied sie und brannte die unvermeidliche Zigarre an.
»Auf Polen war nie ein Verlaß, für Taten unsererseits gab es nur Worte!«
Friedrich fühlte, wie ein heißer Zorn in sein [Wort unleserlich] aufstieg.
»Ich [Wort unleserlich] du uns Polen haßt,« sagte er, unfähig sich zu beherrschen.
Châriton brach in ein trunkenes Gelächter aus.
»Das können Sie doch beim besten Willen nicht behaupten …«
Friedrich erhob sich und ging ohne Erwiderung zur Tür.
»Der Rauch belästigt dich?« sagte George, wie um ihn zu versöhnen.
»Du weißt es.«
»Man raucht nicht in den Warschauer Salons?«
»Ich habe in keinem Salon je eine Zigarre rauchen sehen!«
Als Friedrich auf die Terrasse trat, rötete der Mond die Baumreihen der Indre. Die Luft war feucht und von Wohlgeruch gesättigt. Ein leises Rauschen schwirrte durch die Nacht. Das Sternbild des Bären flimmerte auf gelbem Kies, und die Wellen trieben mit der Strömung, schwach gefurcht und in ihrem Spiegel silberblau.
Friedrich folgte den Windungen des Flusses. Er dachte, daß er sich habe hinreißen lassen, wenngleich er sich nicht verschweigen konnte, daß George mit ihren Bemerkungen den Grund gezeugt.
Es war also unmöglich, Liebe zu geben oder zu empfangen, vielmehr sicher, daß mit jedem Glück der Keim zum Unglück aufwachse?
Was war dann Freude, Täuschung oder Narrheit?
Und erschüttert fühlte er in diesem Augenblick, daß hinfort der Frohsinn seiner Melodien schmerzlicher sein werde als ihre Trauer.
Warum auch hatte er sich an Menschen hängen wollen, statt an die Idee, die ewig war? Warum seine Mission vernachlässigt, die er einst auf dem Kahlenberg beschworen?
»Wo du bist, sei Polen …« stammelte er, von Reue übermannt, indem er sich jenes Abschiedsspruchs erinnerte, den man dem Scheidenden aus Wola mitgegeben.
Das Echo, berühmt im Berry, warf seine Worte wie Geisterhauch zurück. Die Indre sang die Klage des gedemütigten Vaterlandes, und Tränen rannen ihm über das erblichene Antlitz.