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Zehn Wochen weilte Friedrich an der Seine. Seit jenem Tag, da er, die Höhen von Pantin überfahrend, zuerst den Feuerkreis der großen Stadt erblickt, die stumpfen Türme von Notre-Dame, das Meer her Dächer, rauchenden Kamine, und ihn, die Schlagbäume passiert, der Trubel der Boulevards verschlang, hing er trunken am Munde der Buhlerin Paris, vergaß Schmerz, Freundschaft, Liebe und gewann ein neues Leben.
Wenn er zur Dämmerung die Rue de Rivoli durchschlenderte, im Schatten barocker Kugelbäume stehn blieb oder weiße Säulengalerien kreuzte, und von den Bögen des Palais Royal der bunte Glanz farbiger Gasbeleuchtung fiel, dünkte ihm wirrend wie dieser Lampen Zahl die Fülle der Geschehnisse:
Malfattis rühmlicher Empfehlungsbrief, Paër, der ihn Rossini, Cherubini vorgestellt. Auguste Franchomme, ein Meister des Violoncelles, der biedere Hiller und unter den Pianisten Kalkbrenner und Liszt. Dazu der Apparat der Großen Oper: Nourrits verschwenderische Stimme, die Pasta, Malibran-Garcia von der Italienischen und von der Opéra Comique Chollet, der Damenheld und séducteur!
Ein Rausch des Wohllauts lag über dieser Stadt, in der sich drei Orchester klangschimmernd überboten. Die Luft war weich, sinnlich durchhaucht von Küssen. Frauen atmeten süß und geheimnisvoll. Mädchen, fast Kinder noch, verkauften Blumen, aus deren Duft der Wunsch des jugendlichen Leibes stieg.
Friedrich empfand es, als er umweht von Blicken die Rue de Richelieu hinabging. Ein zierliches Geschöpf mit schwarzen Augen unter dem Kapotthut glitt plappernd an seine Seite.
»Veilchen, mein Herr, eine blasse Tulpe …«
Und plötzlich, ein Bündel Broschüren aus dem kaum gewölbten Busen ziehend:
» L'art de faire des amants! Les amours de prêtres!«
Friedrich lächelte.
»Wie heißt du?« fragte er, indem er der Börse ein Fünffrankenstück entnahm.
»Céleste,« antwortete die Kleine und schmiegte sich an ihn. Er fühlte den knabenhaften Körper, sah ihr porzellanweißes Gesicht, aus dem blutrot geschminkte Lippen brannten.
In diesem Augenblick flog ein Geschrei auf, das von der Gegend des Pantheon über die Seinebrücken sich heranwälzte, Zerlumpte Menschen, um eine Trikolore geschart, nach dem Parteibekenntnis blaue, rote oder grüne Westen, dahinter die Säbelklingen der berittenen Polizei, das war es, was Friedrich bemerkte, als er die Straße überschritt.
Ein dicht neben seinen Ohren ausgestoßenes » Vive Ramorino!« brachte ihm in Erinnerung, daß dieser General, der siegreich am Kampf des Vaterlandes teilgenommen hatte, schon tags zuvor Anlaß zu einer politischen Demonstration gegeben.
Er sah Céleste in der Menge untertauchen und hörte sie gleich darauf mit schriller Stimme ein » A bas Louis Philippe!« rufen. Dann trieb er selber mitten im Strom und fand erst bei der Cité Bergère Gelegenheit, zu seiner am Boulevard Poissonière im vierten Stock gemieteten Wohnung sich zu winden.
Atemlos klomm er die Treppen empor, erschloß die Tür und trat auf den kleinen, schmiedeeisernen Balkon. Lichtstrahlen schossen drunten auseinander. In gewaltigem Chor erklang die Marseillaise.
Friedrich griff schwindelnd zum Geländer. Er ward in einen Wirbel gerissen und fühlte brausend den Sturm der Zeit.
Der Winter war milde, Goldlaub hing lange an den Bäumen. Die Invaliden träumten vor den Haustoren, und von den Lippen der Grisetten flatterten die Lieder Bérangers.
Friedrich saß mit Franchomme im Café Hardi, an dessen glänzenden Spiegelscheiben die Welle der Boulevards entlangfloß. Er schob die »Revue musicale« beiseite, äugte hinaus, räusperte sich und sagte, zu Franchomme gewandt, der freundlich aus einer großen Zeitung aufsah:
»Wo bleiben heute Liszt und Hiller?«
» Nous voilà!« entgegneten zwei Stimmen hinter ihm.
Ein junger Mann von schlankem Wuchs, sprühendem Gesicht und hellbraun zurückgestrichenen Haaren, daneben breit, voll Gemüt, mit Flatterschlips und ausgeschnittener Streifenweste der Führer jungdeutscher Musik, so traten die Freunde an den Tisch.
Friedrich zog zwei Fauteuils heran.
»Was macht Paris?«
»Es schmollt, tut schön, putzt und amüsiert sich. Fétis schreibt unausstehliche Kritiken, und Kalkbrenner verdaut sie mit einbalsamiertem Lächeln!«
Liszt nickte lebhaft.
»Ein unangenehmer Bursche,« bestätigte er Hillers Worte.
»So marzipanen, so durchaus geschniegelt, dabei nicht frei von Schäbigkeit … Wie kamen Sie auf den Gedanken, bei ihm Unterricht zu nehmen?«
Friedrich beschrieb einen Oktavenlauf, der flüchtig über die runde Marmorplatte glitt.
»Seine Technik ist wundervoll,« sagte er ruhig, »sein Spiel ausgeglichen und geschmeidig. Er hat das, was ich nicht besitze: Freisein von Stimmung. Auch reizte mich der Hinweis, daß es nach seinem Tode keinen Repräsentanten höheren Klavierspiels geben werde!«
Hiller schlug sich geräuschvoll auf die Schenkel.
»Das sieht ihm ähnlich,« schrie er.
» Le grand Kalkbrenner, wie die Poissarde sagte, als sie ihm den Turbot wohlfeil überließ. Nur sein Erfolg ist ein Erfolg, und wenn schon nicht sein, wenigstens der eines Schülers!«
Doch Friedrich war nicht zu beirren.
»Ich hätte mich in Deutschland keinem Lehrer anvertraut. Man empfand wohl, was mir abging, faßte aber nicht den Grund. Kalkbrenner hat es richtig ausgedrückt: Freisein von Stimmung, Herrschaft über sich selbst und das Publikum, das ist es, was ich anstrebe. Ich lerne nicht, um zu kopieren, sondern weil ich auf eigenen Füßen stehen will, vielleicht … um eine neue Welt zu schaffen!«
Sein Auge hing träumerisch am Rauch, als suche es Zukünftiges zu durchdringen.
»Genug davon,« schloß er ablenkend.
Liszt nestelte an seiner Busennadel, die eine blau emaillierte Erdkugel in goldener Greifenklaue zeigte.
»Und Ihr Konzert?« fragte er leichthin.
»Ist aufgeschoben. Meyerbeer …«
Hiller schlug lachend ein Kreuz.
»Reden wir nicht von Politik!«
Mendelssohn war aus Deutschland gekommen, Fétis, der Schulden halber Pariser Boden mied, aus seinem Schlupfwinkel jenseits des Bois. Die Crème musikalischer Berichterstattung wogte auf den Sitzen. Im Hintergrunde Pleyel, als Eigentümer des nach ihm benannten Saales, vom, in der ersten Reihe: Liszt, Sitter und Franchomme.
Dämmerung füllte den Raum mit purpurviolettem Licht. Kerzen und Pfeilerspiegel verflossen im Sandelholz der Wände. Ein großer Konzertflügel stand geöffnet auf dem Podium, vor seinen Tasten Friedrich, von der Flamme eines Doppelleuchters matt Umrissen, durchsichtig blaß, das schlanke Profil über die Klaviatur geneigt, ein Raffaël des Fortepiano.
Wie er spielte, schien er in Abgründe süßester Melancholie versunken. Sein Anschlag fiel silberzart aus weiblich gelöster Hand.
Dann griff er zu. Gleich einem Boot schwebte die Melodie von Berg zu Tal, in einem leidenschaftlichen Rubato, zögernd, atemlos hingegeben, unstet wie Schilf, der Aehre gleich oder den Zweigen eines Baumes, über die der Wind hinstrich.
Liszt fühlte sich in einen Zauber eingesponnen, den er, der jeder Wirkung Meister, zu ergründen nicht imstande war.
Vergebens argumentierte er, daß so nicht der Weg, die Menge zu bezwingen, »die gleich einem Meer von Blei wie dieses nur durch Feuer schmelzbar und einer athletischen Kraft bedürfe, um sie in eine Form zu gießen, in der das flüssige Metall Idee, Ausdruck und Empfindung werde.«
Berauscht sog er den Duft der Töne. Um ihn war Sternenglanz und Lilienhelle. Er ging durch nächtlich schlummerndes Land, tauchte in Nebel, ersah den Mond, der gleich dem Rand eines geschliffenen Glases aus der Wolkenhöhe trat, und gab, da Friedrich mit einem flüsternden Mord geendet, als erster das Zeichen zu begeistertem Applaus.
Der Saal sprang auf, Kerzen flimmerten, und Prismen schwangen. Kritik schlug haarscharf aneinander.
»Gefühlspianist par excellence!«
»Ein Thema nach Lamartine.«
Mendelssohn: »Grundeigentümlich …«
Darauf Fétis mit heiserer Stimme:
»Zieht wenig Ton aus seinem Instrument!«
Friedrich verbeugte sich gemessen. Wien hatte ihn gelehrt, wie ein Triumph zu nehmen war. Wohin er sah, befreundete Gesichter: Kollegen, Landsleute, die Clique des Hôtel Lambert.
Er hatte einen glänzenden Erfolg errungen!
Wo aber blieb die große Masse?
Es schien, als solle die Folgezeit Friedrichs Bedenken recht geben. Ruhm war vermehrt, Zweifel der Fachkritik endgültig widerlegt. Demgegenüber aber stand drohend die Tatsache, daß Freiplätze den mangelnden Besuch ersetzt, Unkosten zu bestreiten waren, und daß, bei aller Sparsamkeit, die Börse Friedrichs solchem nicht gewachsen war.
Zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, wie Kunst gleichbedeutend mit Entsagung, Glorie mit Kampf, Mühsalen, Elend und Tränen zu bezahlen sei, und da er gern Hindernissen auswich, statt sie zu besiegen, schalt er Paris ein Irrlicht, das Tausende an sich gelockt, um sie gleich ihm nach grausamer Enttäuschung zu verstoßen.
Wie wenn auch er aus Frankreich wandere, dem Beispiel landflüchtiger Polen folgend jenseits des Atlants ein Leben gründe?
Die Freunde dürften nichts davon erfahren! Man würde ihn halten, ihm zur Heimkehr raten.
Und Heimkehren, war das nicht das Unmögliche?
Den Eltern zur Last fallen, sehen, wie Constanze in die Arme eines greisen Eheherrn glitt?
Mit solchen Skrupeln war es, daß er in der Absicht, sich durch den Schellenklang eines der Vaudevilletheater zu zerstreuen, am Boulevard St. Martin der hohen Gestalt Valentin Radziwills begegnete.
Der Fürst, in Pelzrock und Zylinder, grüßte, wie das seine Gewohnheit war, von weitem und nahm so Friedrich die Gelegenheit, durch eine Seitengasse zu entschlüpfen.
An ihn herangetreten, fragte er gütig, was jener mache, und Friedrich entgegnete, daß er nicht zum besten dran sei, überhaupt Paris satt habe und ernstlich damit umgehe, die Grenzen des Stadtbilds zu verlassen.
Radziwill widersprach dem nicht. Kordial schlang er den Arm um Friedrichs Schulter und sagte, indem sie langsam weiterschritten:
»Ich bin heute en famille bei Rothschild! Wie wäre es, wenn ich Sie einführte?«
Friedrich lächelte. Die Aussicht auf die Helle eines kerzenstrahlenden Salons vermochte ihn zu besserer Laune. Er gab seine Zustimmung, und beide setzten den Weg zu dem unfern gelegenen Palais des Börsenkönigs fort.
Ein prunkvolles Portal entzog sie winterlichem Schneetreiben. Diener in sandfarbenen Livreen schälten sie aus Pelz und Mantel. Dann Marmortreppen, auf denen der Fuß spiegelnd dahinglitt, ein großer Saal mit goldblumigen Möbeln.
Hier, an der Spitze einer kleinen Schar von Deputierten, Finanziers und Künstlern, James Rothschild, ein brünetter Vierziger, die Scharlachrosette der Ehrenlegion im Knopfloch des tadellos geschnittenen Fracks, daneben in durchsichtigem Drap d'argent, Granatblüten über dem Stirnband, die Dame des Hauses.
Friedrich ward vorgestellt, sah, daß sein Kommen Aufmerksamkeit erregte. Er hörte Namen murmeln, verbeugte sich, ging durch das Lächeln schöner Frauen, fing einen gedankenschnellen Blick auf oder fühlte beim Kuß das scheue Erbeben einer kleinen, jasminblassen Hand.
Da man ihn bald zu spielen aufforderte, belebte sein Auge sich zu sanftem Feuer. Mit leichter Berechnung wählte er von seinen Nocturnen jenes in Es, das neben dem in H als op. 9 in seiner Mappe ruhte.
Koketterie sprang aus der bunten Schwingung seiner Hände, leiser Parfümduft, ein sammetweiches Atmen wie von Perlen auf der Weiße eines schlanken Halses. Und dann, nach einem letzten glitzernden Kaskadenfall, geschah es, daß eine Wolke von Tüll, Silbergaze, Krepp und Seidenblumen sich um das Instrument erhob und zwei, drei, vier sehr zarte Stimmen zwitscherten:
»In der Tat … Monsieur Chopin, wir sind entzückt! Le Prince sagt, daß Sie Lektionen geben? Man wird erfreut sein, Sie zu diesem Zwecke zu empfangen!«
Selbstzucht, ausgesuchte Höflichkeit und eine etwas affektierte Eleganz machten ihn zum Lehrer der Saison. Man drängte sich, ihm das Geheimnis seines Anschlags zu entreißen. Künstler von Ruf huldigten seiner Meisterschaft, und in den Kreisen des fashionablen Adels war er König.
Er blieb bescheiden, arbeitete weiter. Was er bei Zywny, Elsner und Kalkbrenner gelernt, verband er nun zu Eigenem: um eine anmutige Haltung zu erzielen, gab er der Hand des Schülers eine Lage zwischen e und h.
Dann folgten Skalen, die unter Bevorzugung der schwarzen Tasten mit großem Ton, gebunden und langsam zu erfassen waren.
Clementis » Préludes et Exercices« bildeten den Schluß, wobei er hauptsächlich darauf achtete, daß ein frei herabhängender Ellenbogen in seitlich gleitender Bewegung dem Unterstellen des Daumens Vorschub leiste.
So – meinte er – dürfe man sicher sein, Geschmeidigkeit, facilité zu fördern, vorausgesetzt, daß man nicht geistlos übe, sondern auch dem Technischen Intelligenz und Willen aufzwinge.
Zur Tonbildung selbst empfahl er den Besuch der Oper.
»Sie müssen singen, wenn Sie spielen wollen,« sagte er mehr als einmal, und bezugnehmend auf die blühende Klangfarbe italienischer Stimmen: »Spiele, wie du es fühlst!«
Man protegierte ihn von allen Seiten. Schüler strömten ihm zu, die seinen Ehrgeiz teilten, Schülerinnen, bezaubernd durch den Reiz der grand monde.
Er sah sich bei Botschaftern, auf Bällen der Minister. Spiegel warfen sein Bild zurück, wenn er, den dunklen Rock sorgfältig bis zum Halse zugeknöpft, sich über die Hand der Fürstin Czartoryska beugte oder, am Flügel sitzend, Delphine Potockas ätherisches Profil bewunderte, das aus einer Wolke silberdurchwirkter Schleier in himmlischer Reinheit ihm entgegenstrahlte.
Sein Leben wechselte vom Café zum Salon. Voll Abneigung gegen die derbe Ungeniertheit der Bohème, nachsichtig gegenüber den liebenswürdigen Schwächen der Gesellschaft, war er unter den Künstlern Aristokrat und unter den Aristokraten Künstler.
Bei allem vergaß Friedrich nicht das letzte Ziel pianistischen Ehrgeizes, im großen Raum die Menge zu bezwingen, die er im kleinen zu Aeußerungen des Entzückens hinriß.
Wohltätig spielte er unter dem Protektorat des Fürsten de la Moscowa, verband sich mit Liszt und Hiller zur Wiedergabe einer Komposition von Bach für drei Klaviere und wirkte im Turnus der von Berlioz geleiteten Konservatoriumskonzerte führend mit.
Indessen entging es ihm nicht, daß er hier, erdrückt von der Tonentfaltung eines schier vulkanischen Orchesters, schlecht in Form gewesen, daß er es nicht vermocht, die Zuhörer, da er sie nicht gewann, zu unterwerfen, und daß er mit den Lyrismen seines Larghettos im Schatten gestanden, ja eine kühle Aufnahme gefunden habe.
Wiewohl von einer plötzlichen Furcht erfaßt, es möchte dies weniger an der Zusammensetzung des Publikums als an einem ihm mehrfach vorgeworfenen Mangel an Kraft gelegen haben, schien es ihm dennoch unmöglich, solches zu glauben.
Vielleicht würde Zeit ihm Stärke bringen, Uebung den Meister machen, und da er es nunmehr als Ehrensache ansah, einen Kampf auszutragen, der für sein Fortkommen von einschneidender Wichtigkeit, nahm er die Forderung mutig an, die seine Landsleute ihm übermittelten: zum Besten heimatloser Polen ein Monstrekonzert in der Italienischen Oper zu veranstalten.
Als Friedrich nach wochenlangen Vorbereitungen am Abend des Auftretens zum Umkleiden in seine Wohnung an der Chaussée d'Antin fuhr, spürte er, daß ihm die Knie zitterten.
Er war bereits im Frack, doch tauschte er, die Stufen rasch hinaneilend, bei einem Spiegel des Vorzimmers die Halsbinde, warf Handschuhe ziellos durcheinander, ehe ein Paar durch seinen Sitz befriedigte, und gab den kleinen, eleganten Stiefeln letzten Glanz.
Sein Atem ging kurz und stoßweise. Eine Falte sprang ihm quer durch die Stirn zur Welle kastanienblonden Haares, und da er die Kerzen ausblies, erhaschte er den Blick zweier fahl irisierender Pupillen.
Der Wagen, eine schwarz lackierte Limoniere, trug ihn federnd zur Place des Italiens. Er saß in himmelblauen Atlaskissen, wischte mechanisch den Nachttau von den Scheiben und zählte die Gesichter der Loretten, die blaßrot geschminkt in großen Federhüten zu Seiten des Weges gaukelten. Licht schreckte ihn auf, ein großes Tor, das Ströme vermummter Menschen einschlang, Geschrei, aufbäumende Pferde: das Portal der Oper.
Friedrich stieg aus und schritt, ohne sich aufzuhalten, die Treppe zum Bühnenraum empor. Liszt, den er mit Nourrit im Künstlerzimmer antraf, winkte er abwehrend von ferne zu:
»Ich will allein sein, brauche Sammlung!«
Mit Mühe erwiderte er den Gruß des Dirigenten Labeneck, öffnete die Tür zu der ihm angewiesenen Garderobe und zog den Drücker hinter sich ins Schloß.
Unruhig blieb er am Eingang stehen.
Das Blattmuster der Tapete störte ihn!
Er deckte die Hand über die Augen und repetierte die ersten Sätze seines Konzertes in e-moll: den heroischen Aufschwung des Allegros, die zarte Tönung der E-dur-Romanze, die gleich einer mondbeschienenen Frühlingslandschaft die Brust mit wehmütigem Erinnern ansprach.
Wieder erschreckte ihn der Zweifel, ob dieses Werk, ob nicht er selbst für den intimen Kreis geschaffen.
War Liszt im Recht, wenn er behauptete, man müsse dem Ungeheuer »Publikum« als Bändiger gegenübertreten?
Ein Läuten am Sprachrohr ließ ihn wissen, daß es Zeit sei, sich auf die Bühne zu begeben. Seine Gestalt wuchs, die Muskeln strafften sich. Mit einem Seidentuch rieb er die Fingerspitzen trocken. Dann stieß er die Klinke nieder und trat durch einen von Sofitten überdachten Gang zum Flügel.
Bevor er Platz nahm, maß er die riesige Höhe der Kulissen, in deren grünlichem Zweigicht das Instrument gleich einem schwarzen, winzigen Insekte schwamm. Wenig später ein dumpf anschwellender Lärm, der Vorhang teilte sich und glitt dem Goldkapitäl der Rampensäulen zu.
Paris war vollzählig versammelt. Der feuchte Glanz von Tausenden von Wachslichtern erstrahlte im Feuer edler Steine. Rosige Schultern tauchten aus den Logenringen, im Parterre die Fräcke der Deputierten und Minister, in den Orchestersesseln, nachlässig hingelehnt, die jeunesse dorée.
Als Friedrich das gewaltige Bild umfaßte, zwang ihn der Eindruck einer mit Furchtbarkeit gemischten Schönheit.
Teufelin, dachte er und sah das Antlitz der Menge gleich dem eines verführerischen Weibes, mit grausamem Lächeln über den blendend weißen Zähnen, gefährlich und tückisch gleich einer sprungbereiten Bestie, wie sie Delacroix in seinen Raubtierstudien zeichnete.
Fast ingrimmig begann er das Allegro, dann aber, wider Willen von der Melodik der Romanze fortgetragen, verlor sich sein Spiel im Dämmer zartlaubiger Eichenwaldungen. Erhörte das Rauschen der silberblumigen Wilija, drang durch Brombeer- und Haselstrauch, bis ihm das Murmeln des Flusses lieblich im Ohr verklang.
Dem Echo nachsinnend, empfand er plötzlich die Schauer einer grabähnlichen Ruhe.
»Um Gottes willens murmelte er, stand auf, wurde sehr bleich, zitterte.
Einige schüchterne Bravos der Freunde schlugen ihm entgegen. Das Haus blieb still, abweisend, eisig kühl.
In diesem Augenblick trat ein Bild vor Friedrichs Seele, Liszt, wie er vor wenig Monden an eben dieser Stelle sich gezeigt: das Grollen verhallten Donners auf der olympischen Stirn, nun lächelnd umbraust von ungestümem Beifall, ein Regen von Kränzen, duftenden Buketts, dem der Gefeierte triumphierend sich neigte, indem er eine ihm zugeworfene Camelia auffing und graziös an seinem Frack befestigte.
Mit einer stürmischen Verbeugung ging Friedrich von der Bühne ab.
Ein rasender Zorn befiel sein Herz.
»Du …,« schrie er, »du …!« und schmetterte, in der Garderobe angelangt, den silbernen Armleuchter zu Boden.
Was gab ihm in dieser Stunde die Erwägung, daß seine Kompositionen verlegt, gedruckt, ihn vorteilhaft bekannt gemacht, daß der Ruhm des Schaffenden den des Nachschaffenden überstrahle?
Fort von Paris, alles hinter sich lassen! Natur sehen, Menschen, die nichts mit Kunst gemein hatten!
Von einem Weinkrampf geschüttelt, stand er da, den Nacken gesenkt, als fühle er die Last des Schicksals.