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VII.

Paris hatte einen langen Winter. Schnee fiel mit Regen bis tief in den April. Die Boulevards starrten von Kot und nassem Lehm, ein gelber Nebel verfinsterte den Tag, und in den Vorstädten murrte das Volk, denn es war kalt, die Ernte fern und das Getreide teuer.

Friedrich saß fröstelnd in der Cité d'Orléans, allein, da George frühzeitig nach Nohant aufgebrochen. Ihr Wunsch, dem Berry Hilfe zu bringen, hatte ihn nicht bestimmen können, mitzugehen. Er wollte sein Leben nicht aufs Spiel setzen, und das geschah, wenn er ärztlichem Rat entgegen den wärmenden Lehnstuhl am Kamin verließ.

Von der Flamme trockener Birkenklötze angeloht, schnitt er langsam und matt in der Bewegung die Bogen eines am Morgen eingetroffenen Buches auf.

» Lucrezia Floriani par George Sand,« las er halblaut den Titel und erinnerte sich des geheimnisvollen Manuskripts, das er in Nohant auf Georges Schreibtisch hatte liegen sehen.

Er war nicht sonderlich gespannt, indes schon nach den ersten Seiten, bei dem Portrait des Fürsten Karol angekommen, stieß er plötzlich die Feuerzange in die Glut und wiederholte den Passus, während Funken des Zorns vor seinen Augen tanzten:

» Il était extérieurement si affectueux, par suite de sa bonne éducation et de sa grâce naturelle, qu'il avait le don de plaire, même à ceux qui ne le connaissaient pas. Sa ravissante figure prévenait en sa faveur; la faiblesse de sa Constitution le rendait intéressant aux yeux des femmes …«

Das war doch er! Und sie, Lucrezia?

Mit fliegenden Händen blätterte er weiter.

Da, da und da, aus hundert Zügen zu einem Bilde sich vereinend, Georges Gestalt:

» Elle avait dans la voix un charme particulier. C'était, à la vérité, une voix trop forte pour une femme du monde …

»Avec son profil de camée antique, ses cheveux roulés sans art et sans coquetterie autour de sa tête puissante, sa robe lâche et sans luxe, sous laquelle on avait peine à deviner une statue d'impératrice romaine, sa pâleur calme, marbrée par les baisers violants de ses marmots, ses yeux fatigués, mais sereins, ses beaux bras … elle avait beaucoup d'amis …

»Il n'y eut jamais de personne plus désintéressée, plus sincère, plus modeste et plus liberale … Elle vécut quelques années à Milan (c'est à dire à Paris!) dans un monde d'artistes et de littérateurs … Elle aimait la retraite, le travail, la campagne. Elle se consacrait exclusivement à l'éducation de ses enfants.«

Friedrich glaubte zu ersticken.

Wie Lucrezia dem Fürsten Karol sich hingibt, wie sie, die Frau von Dreißig, den Vierundzwanzigjährigen nur mütterlich zu lieben vermag und wie an diesem Zwiespalt sie elend zugrundegeht, schien bis auf den Altersunterschied genau das Abbild seiner Beziehungen zu George, mit jener einen Ausnahme freilich, daß er das Leben zum Opfer brachte und nicht sie!

War es schon so weit gediehen? Daß die Welt wissen durfte, was ängstlich er bisher verheimlicht?

Sollte er auch hierin Musset gleichen, daß ihre Feder die Chronique scandaleuse bereicherte? Oder war es ein Mittel, ihn zum Bruch zu zwingen?

Friedrichs Hände tasteten ins Leere.

Ein Bruch, jetzt, wo Höheres bald genug Lösung schaffen würde? Durch seinen Fortgang ein Siegel setzen unter das Geschriebene?

»Der Rest ist Schweigen,« murmelte er, und da er steinern im Spiegel sich erschaute, dachte er, daß er zu Ary Scheffer bestellt, und daß sein Antlitz den Nachgeborenen bleiben werde, wie jener es male: hoffnungslos, ernster als der Tod.

 

Es war etwa eine Woche später, und Friedrichs Bildnis nahezu vollendet, als er, von einer Sitzung heimkehrend, unter den Postsachen ein kurzes Schreiben Georges vorfand, die ihn ohne jegliche Erklärung wissen ließ, sie gedenke Ende nächsten Monats nach Paris zu kommen und wünsche, daß man sie dortselbst erwarte.

Friedrich war betroffen und erstaunt. Soeben abgereist, hatte sie keinen Grund, Nohant mit dem Lärm der Hauptstadt zu vertauschen, es sei denn, daß Wichtiges sie dazu treibe, und herzklopfend erinnerte er sich plötzlich der Zwistigkeiten mit Solange:

Wie diese in reiner Neigung einem jungen Mann verbunden, Ferdinand de Préault, aus gutem Hause, von trefflicher Erziehung und einnehmendem Aeußeren.

Wie sie, da man an die Verträge schreiten wollte, überraschend den Entschluß geändert und Jean Baptiste Essinger mit ihrer Huld beglückt, dessen Marmorskulpturen im »Salon« den lüsternsten Effekt gemacht.

War eine Verschiebung im Gange, die den Bildhauer an Stelle des Aristokraten setzen sollte, und wenn dem so, geschah jene im Einverständnis mit Solange oder war es ein Machtwort der brutalen Mutter, der Essinger als Schwiegersohn bequemer?

Friedrich spürte eine nicht zu unterdrückende Empörung.

Solange den groben Begierden dieses Proletariers ausgeliefert, ihr blumenhafter Reiz dem Schenkel eines Unteroffiziers vermählt, ohne Garantien für die Zukunft, ja wenn er recht berichtet, mit der Aussicht, im Gatten zugleich auch dessen Gläubiger befriedigen!

»Ich will Auskunft erholen,« sagte er, das Schreiben in der Faust zerknitternd, »und bestätigt man mir, was ich glaube, soll nichts mich halten, nach Nohant abzureisen und den Eheschluß zu hintertreiben! Es ist genug, daß mein Leben vergiftet ward …«

 

In Georges Arbeitszimmer standen sie einander gegenüber: Friedrich, ein Schatten seiner selbst, bleich, abgezehrt, mit Augen, die Haß dunkel färbte; George, kraftvoll in ihrer Ueppigkeit, die Arme verschränkt, abwartend und überlegen ruhig.

»Die Heirat ist demnach beschlossene Sache?«

»Sie ist es!«

»Und wenn ich dir sage, daß meine Auskünfte die denkbar schlechtesten, daß Clésinger bis zum Hals verschuldet, daß er ein Spieler ist, ein Mann ohne Grundsätze, und daß er die Weiber wechselt wie sein Hemd?«

»Trotz alledem!«

Friedrich griff sich mit den Händen an den Kopf.

»Ich verstehe dich nicht,« rief er fast schreiend. »Gilt mein Wort gar nichts mehr in diesem Hause?«

»Du solltest dich weniger um die Angelegenheiten meiner Kinder kümmern! Clésinger ist in Solange verliebt, ich finde ihn vorwurfsfrei im besten Sinne. Auch Maurice teilt diese Ansicht und ist gleich mir der Meinung, daß deine Einmischungen auf die Dauer unerträglich sind!«

Friedrich fühlte, wie ein Blutstrom ihm die Kehle hochstieg.

»Ah … Maurice,« keuchte er mit heiserer Stimme, »er hat es nötig, Clésingers Ehre zu verteidigen! Wer ist diese Augustine Brault, die du ihm als künftige Gattin zugeführt, die alles besser haben mußte als Solange, und die er zu seiner Maitresse gemacht – mit Ihrer Einwilligung, Madame

Friedrich schrie es, als sprängen die Tore seiner Qual.

»Und jener Borie, den Sie seit Wochen hier beherbergen, er konnte nicht warten, bis ich tot bin? Ist er kräftig, der neue Liebhaber, Madame? Maurice braucht Borie als Paravent für sich und Augustine, Borie braucht Augustine als Paravant für sich und Sie! Solange hat den Handel gesehen, darum die Heirat, und Lüge und Schande alles übrige!«

George tat ein paar rasche Schritte, wie wenn sie willens, sich auf ihn zu stürzen. Dann plötzlich an Friedrichs Schwäche erinnert, grub sie die Finger in das Holzwerk eines Stuhls und sagte, während eine wilde Freude ihr Gesicht verzerrte:

»Wir sind wohl fertig, wir zwei?«

Friedrich war schon bei der Schwelle.

»Ich werde sofort Ihr Haus verlassen …«

In dem Augenblick, da man ihn draußen dem Kutscher rufen hörte, öffnete sich die Tür zu Georges Schlafzimmer, und Borie schob sich athletisch, rot und spitzbärtig hindurch.

»Bist du allein?« fragte er.

George ließ sich auf ein Sofa fallen.

»Komm!« stammelte sie.

Da nahm Borie ihre Handgelenke, und seine Umarmung war, wie sie geträumt: ganz Muskel, ungeheuerlich, schmerzhaft und doch süß.

 

Indessen befand sich Friedrich auf dem Wege nach Paris. Die Bäume, die ihm rhythmisch entlangflogen, das Blau des Abends, der Mond, der silbern über den Ulmen sich erhob, brachten ihm jene Nacht ins Gedächtnis, da er zum ersten Mal nach Nohant kam.

Wie war er voll Hoffnungen hierhergeeilt, wie fuhr er zum Tode reif wieder hinweg! Verdrängt durch die ekle Pose eines Journalisten, er, dem die Welt zu Füßen lag und dem es nicht glücken wollte, die Frau zu halten, die er liebte!

»Hölle, Hölle, Hölle …« murmelte er, den Sinn dieses Wortes ganz erfassend, und er riß sich die Weste von der Brust, daß der Tau ihm jene Qualen kühle.

Irre redend trug man ihn am Square d'Orléans aus seinem Wagen …

Als ihm nach Wochen hitzigsten Fiebers das Bewußtsein wiederkehrte, galt seine erste Frage den eingelaufenen Postsachen. Man reichte sie ihm, und er, bis zur Greisenhaftigkeit geschwächt, schnitt zitternd die Siegel von den Umschlägen.

Was er las, bestätigte seine schlimmsten Erwartungen. Die Hochzeit hatte stattgefunden, ja mehr noch, schon war jene Prophezeiung Tat geworden, die Clésingers Schuldenlast betraf: Gläubiger hetzten das junge Paar. La lune de miel der Kelch bittersten Leidens für Solange und – unbegreiflich, es zu hören – ob dessen allen ein Streit Georges mit ihrem Schwiegersohn, den sie geohrfeigt und eigenhändig aus dem Haus geworfen!

Friedrich zweifelte an seinem Hirn.

War sie ein Wesen, das die Welt in Flammen setzen mußte, um ihr Leben daran zu entfachen?

Solange in Not, krank in La Châtre, und da ein hilfloses Billett von ihrer Hand:

» J'ai quitté Nohant pour toujours après les scènes les plus atroces de la part de ma mère … Senden Sie mir Ihren Wagen, damit ich dem Elend hier entrinne …«

Ein tiefes Mitleid durchbebte Friedrichs Körper.

Sie sollte ihn nicht fruchtlos bitten, um ihretwillen mußte auch Clésinger geholfen werden! Fünfhundert Francs zunächst, das übrige würde sich finden.

Und dem Diener läutend, schrieb er, im Rücken gestützt, kaum der Feder mächtig, diese Zeilen:

»Die Nachricht von Ihrem Unwohlsein hat mich aufs schmerzlichste berührt. Mein Wagen steht Ihnen zur Verfügung … Geben Sie auf sich acht!

Ihr alter Freund Ch.«

 

Wenige Tage nach jenem Vorfall erschien Franchomme im Square, Friedrich zu besuchen. Er fand ihn bis zur Unkenntlichkeit verändert, außer Bett, in einem Sessel am Kamin, der trotz dem warmen Juniabend die Rotglut prasselnder Buchenscheite widerstrahlte.

Auf die Frage, wie es ihm gehe, antwortete Friedrich mit trübem Kopfschütteln und zeigte starr auf einen Brief, den er krampfhaft zwischen seinen Knien festhielt.

»Er kam vor einer halben Stunde,« sagte er, gleichsam zu sich selber redend. »Sie verlangt, daß ich Clésinger und Solange mein Haus verbiete, andernfalls … Als ob sie es nötig hätte, einen Vorwand für den Bruch zu finden!«

»Ja, für den Bruch,« wiederholte er nach einer Weile, »es ist gut, auszusprechen, was man ohnehin erfahren wird … Ein merkwürdiges Geschöpf, bei aller Klugheit! Stiftet Unheil im eignen Leben und dem ihrer Tochter, betäubt und vergißt sich und wird nicht eher erwachen, als bis sie einen Schmerz im Herzen spürt, den ihr Kopf nicht wird verwinden können.«

»Nun, ich verzeihe ihr,« fuhr er leiser werdend fort, »mache ein Kreuz über alles, was sie mir getan hat. Aber daß sie Solange, diese zarte Pflanze, mit dem Recht der Mutter brach, ist eine Leichtfertigkeit, die man wohl einer zwanzig-, niemals, aber einer vierzigjährigen Frau verzeihen kann! Ich werde Clésingers nicht verlassen und habe ihr in diesem Sinn geschrieben!«

Franchomme drückte ihm bewegt die Hand.

»Kann ich irgend etwas für dich tun?«

Friedrich schien ihn nicht zu hören.

»Rufe mir Gutmann,« murmelte er.

Seine Augen blickten in die Ferne.

Einsam leben, noch einsamer. Das Leid der Welt tragen bis zum Tage der Vollendung. Und Demut sein.

 

Da Gutmann ins Zimmer trat, färbte Dämmerung die Scheiben bräunlichrot. Der Meister saß neben dem erloschenen Kamin, kaum sich abzeichnend von dem Plüsch des Sessels, dem Abend gleich, der im Schoß der Nacht sich bettete.

» Jouez moi quelque chose,« klang seine Stimme aus dem Schatten.

Gutmann, seit Friedrichs Erkrankung dessen Pfleger, nahm behutsam vor dem Flügel Platz.

»Was soll ich spielen?« fragte er.

»Die dritte Etude in E-dur, lento ma non troppo.«

Als die ersten Töne durch das Dunkel zogen, voll der unendlichen Sehnsucht eines, der am Ziel des Lebens rückschauend die Pfade seiner Jugend wandelt, richtete sich Friedrich langsam auf.

»Nie ersann ich eine schönere Melodie,« sagte er feierlich.

Es lag etwas darin, das ihn die Hände falten ließ, und er hob diese gefalteten Hände, die mager waren, durchsichtig wie Porzellan, und rief, während ein Schluchzen sich aus seiner Kehle rang:

» Oh ma patrie …«


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