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V.

In jenen Oktobertagen, da Friedrichs Leben der Vollendung zuglitt, wölbte sich der Himmel ungeheurer über dem nächtlichen Paris. Sterne stürzten aus blauschwarzem Gehäuse, ein bleicher Mond hing gleich der Sichel des Unendlichen im Raum, und die Place Vendôme, wohin Friedrich, nach Art Schwindsüchtiger seine Wohnung binnen eines Sommers zweimal wechselnd, übersiedelt, war ein Quadrat gelb flackernder Laternen, darein der Herbstwind rauschend und mit schweren Stößen fuhr.

Im Schlafzimmer, von der Helle des Salons mit seinen streifigen Tapeten, dem großen Spiegel über dem Kamin, der Stutzuhr und den dreiarmigen Leuchtern durch eine weiße Tür getrennt, ruhte der Meister auf dem Bett, Stuhl und Nachttisch seitlich der Portieren, die, in der Mitte des Plafonds gerafft, den Alkoven in grünes Dunkel hüllten.

Ein banges Keuchen klang gleichmäßig durch die Stille, ein Rasseln aus schleimerstickter Lunge, das jäh durch einen Hustenanfall Friedrichs unterbrochen ward.

»Richtet mich auf,« bat er mit Anstrengung.

Gutmann willfahrte seinem Wunsch, indes der Arzt rührig dazuhalf, und so im Arm des Freundes lehnend, schwieg er, wie es schien, in tiefes Nachdenken verloren.

Plötzlich öffnete er weit die Augen.

»Eben fühle ich, daß Tod mich ankommt!« sagte er langsam und mit klarer Stimme.

Der Arzt umspannte seinen Puls:

»Ein Schwächezustand, machen Sie sich keine Sorge!«

Friedrich wehrte überlegen ab.

» C'est une rare faveur, que Dieu fait à l'homme en lui dévoilant l'instant où commence son agonie; cette grâce il me la fait. Stören Sie mich nicht …«

 

Es dünkte ihn, als wenn er in ein blasses, schönes Licht hinaustrat. Die Sterne waren am Verlöschen, Sonne schob sich über das Gehölz, und eine Ebene breitete sich seinen Füßen, die fern am Horizont von etwas Glänzendem beherrscht ward.

Ein Weg, zu dessen Häupten Ellern und Birken ihr frühlingsschimmerndes Gezweig erhoben, führte in gerader Linie durch das Tal, und diesen Weg ging Friedrich, immer jenes Glänzende im Auge, das seinem Blick entgegenstrahlte.

Die Luft war weich und von fast durchsichtiger Bläue. Zugvögel strichen mit leisem Pfeifen im Gewölk. Noch lag Schnee hier und da. Doch schmolz auch dieser mit dem zunehmenden Tage.

Während Friedrich rasch und mühelos dahinschritt, spürte er plötzlich, daß er nicht allein sei. Ein Kind in einem rosa Perkalkleidchen, mit lachenden Augen und einem großen Strohhut, der wie ein Heiligenschein auf blonden Locken saß, schmiegte sich leicht an seine Seite.

Er dachte, daß dies Moriolka sein müsse, die er als Knabe einst gekannt, Tochter des Oberhofmeisters Grafen de Moriolles und ihm frühreif im Spiel gewogen.

Ja, sie ist es, dachte er bestimmt, sie ist es! und seine Knie sanken in Glückseligkeit.

Ein Strom von Melodien flutete aus seinem Herzen, und deutlich unterschied er das erste Thema eines Rondeaus, mit Oktaven angesetzt, dann überleitend zu einem zarten B-dur das zweite, darin ein blühendes Melos mit silbernen Harfenakkorden sich verband.

Doch wie ihm dieses Gestalt annahm und er zaghaft sich zu der Gefährtin wandte, entschwand sie ihm. Er fühlte etwas wie das Wehen eines bunten Bandes und sah sich einsam. Morgenwind umspielte seine Stirne.

 

Friedrich ging weiter, und die Landschaft änderte sich, da er ausschritt. Das Gras wuchs hörbar auf den Wiesen, Sternblume und Kamille blühten zwischen Thymian, und der Roggen lief in grünen Wogen, aus denen, wie der Dünung eines Meers entsteigend, Kirchtürme ihre blanken Kuppeln reckten.

Es war ein milder Junitag, die Sonne strahlte hell vom Firmament. Linden dufteten und Federnelken, die an den Gräben in die Bläue tänzelten.

Und es geschah, daß ein Mädchen sich ihm zugesellte, nicht regelmäßig schön, aber von einer fast madonnenhaften Sanftheit, mit lichtbraunem Haar, dunklen Augen und einem Mund gleich einer Rose Dubarry. Er wollte sprechen, doch löste sich das Wort: »Constanze« in den Schauern einer jugendlichen Andacht.

»Geliebte,« schwärmte er, »log ich, da ich vorgab, dich nicht zu kennen? Seit Monden träume ich von dir, diene dir fern, atme dein Lächeln. Nun mich der Hauch deines Mundes traf, bin ich ein Gefäß, darin deine Stimme wiederklingt. Nimm mich zum Schemel deiner Wünsche an, laß mich knien vor dir und Kerzen weihen deinem Bilde, das holdselig ist gleich dem der Jungfrau …«

Indem er also redete, klang ihm in weichem As-dur ein Larghetto, und liebend die Hände nach ihr ausstreckend, die er an seiner Seite wähnte, griff er ins Leere und fiel in Trauer als nach einem unwiederbringlichen Verlust.

 

Noch immer zog sich der Weg durch Felder. Doch war Hochsommer jetzt. Mohn flammte zwischen üppig gelbem Weizen, der Roggen hatte abgeblüht und stand in Krinolinen auf den Aeckern, die schachbrettartig das tiefe Grün der Rüben kreuzten.

Ein dunstiges Grau durchflimmerte die Luft, darin als eine glühendweiße Scheibe die Sonne schwamm. Käfer summten um die Glockenblumen. Von den Gehöften läutete es Mittag.

Friedrich warf Rock und Weste ab, und da er, ein wenig matt schon, sich die Stirne trocknete, gewahrte er ein junges Weib, mit einem Haar von bläulichem Schwarz und lang genug, um ihren schlanken, biegsamen Körper wie in einem Mantel zu verhüllen. Der Mund war klein, sinnlich bezaubernd, das Auge von samtenem Glanz, schwärmerisch und voll verhaltenen Feuers.

Sie sagte, daß sie Maria heiße, und Friedrich, von einem nie gekannten Glücksgefühl ergriffen, bat sie, daß sie ihn begleiten möge. Maria aber sah ihn mit einem rätselhaften Lächeln an und schlug, ungeachtet seines Flehens, einen Fußpfad ein, auf dem sie, zwischen wilden Himbeersträuchern wandelnd, sich verlor.

Blind vor Tränen schleppte er sich weiter. Ein Nachtgesang der Liebe erhob sich, in dunklem cis-moll ein Notturno, dessen müde Melodie auf wogenden Bässen sanft gebettet ward. Und wie jene, zu strahlender Helligkeit gesteigert, schluchzend hinabglitt in den Abgrund, sank auch Friedrich in das Leid der Welt, und sein Schritt war der eines gebeugten Mannes.

 

Nun warf Herbst seinen Scharlachmantel über die Natur. Ahorn und Birke loderten in greller Schöne. Das Feld lag brach. Kraniche zogen stillen Flugs nach Süden.

Die gelben Blätter der Kastanien schwebten lautlos, wie Seelen Verstorbener um Friedrich, dergestalt, daß er Zeit und Raum vergaß und betreten, wenn nicht unwillig dem flammenden Auge einer Frau begegnete, deren Antlitz männlich braun gleich dem einer spanischen Gitana, mit schmalen herabgewölbten Schultern, zierlichen Händen und einem Körper, der in der Hülle eines roten Fransenschals Kraft, Phantasie und Leidenschaft vereinigte.

Sie riß ihn an sich, den Hals von wogenden Locken überflutet. Ihre Brüste sprangen aus dem Busentuch, blaßgolden im Schimmer des windbewegten Abends, und so ihn nehmend, halb ihn tragend, führte sie ihn ein Stück Weges, bis er, der atemlos an ihrem Munde hing, seitlich gestoßen in die Knie glitt.

Ein wundes Tier, kroch er am Boden, rief voll Verzweiflung den Namen: »George!« Doch sie, hingeisternd zwischen den gemalten Stämmen, losch wie ein trügerisches Licht, und Ohnmacht umfing wohltätig des Gebrochenen Sinne.

 

Als er erwachte, stand die Sonne tief am Horizont. Nebel stieg von den Wiesen auf, die Aecker ruhten in blauem Violett. Ein feierlicher Marsch ertönte, und eingehüllt in seine dunklen b-moll-Schwingen, schritt Friedrich taumelnd, Luft schöpfend oft, jenem Glänzenden entgegen, das nun zum Greifen nahe seinem Blick sich auftat.

Ein Berg, schwarztürmig von Zypressen, ein goldenes Tor, dahinter Unendlichkeit sich dehnte, und in der Oeffnung dieses Tors ein Wesen, durchsichtig, wie der Schatten eines Schattens, den Vieren ähnlich, die er rückwärts gelassen, doch seltsam groß, pathetisch und erschütternd.

»Wer bist du?« fragte Friedrich in der Sprache seiner Mutter.

Und eine teure Stimme hauchte:

»Ich bin, die du in jenen liebtest! Ich bin die Seele dessen, das du schufst!«

Friedrich hob anbetend die Lände.

»Vaterland …,« stammelte er, und es durchdrang ihn ein so seliges Gefühl, daß Weinen und Lachen sich in einer einzigen Empfindung mischten, gleich einem, der die Klarheit des Sternenhimmels anschaut und erkennt, daß Sterben restlos gelöste Harmonie.

Er hatte nicht umsonst gelebt. Stets würden seine Werke den nationalen Gedanken bis in ferne Tage tragen.

Und aufgerichtet trat er durch die Pforte.


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