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VII.

Die Straße öffnete sich nach Südwesten, sank talwärts zwischen Fichten und Fels und ließ den Wagen, in dessen Halbverdeck Friedrich ein wenig übernächtig saß, helle, von Grün umschmiegte Häuser sehen, die, am Rande des Bergkessels verstreut, die Grenzen Marienbads bezeichneten.

Es war ein heißer Sommermorgen. Rosenduft mengte sich mit dem Geruch der Linden, Bienen summten in den Vorgärten, und als der Kutscher, Kirche und Kreuzbrunnen passierend, in schlankem Bogen bei der Rampe des Hotels »Zum weißen Schwan« vorfuhr, schmetterte sein Horn, männlich beseelt, in goldenen Wellen durch die blaue, unbewegte Luft.

Friedrich stieg aus, forderte ein Zimmer und ging, nachdem er den dunklen Reiseanzug gegen einen leichten Rock aus chamoisfarbenem Baumwollstoff vertauscht, in den Hotelgarten hinunter, um zu frühstücken.

Während ihm noch das Rollen einer fast siebzigstündigen Wagenfahrt im Ohre lag, der Qualm der Städte, die rote Helle nächtlicher Stationen an seinem Blick vorüberzog, weilte sein Auge mit Behagen auf den Ebereschenbäumen, deren schlanke Federkronen goldgrün in den Himmel wiegten.

Ein böhmisches Mädchen brachte Kaffee und Gebäck. Es kam mit nackten Füßen, breithüftig, den Scheitel schwarz über der kecken, eingedrückten Nase, und sagte, während die blühend runde Brust das Leibchen ihr zu sprengen drohte:

» Pani Wodzinska lassen grüßen und erwarten den Herren im Logis!«

Friedrich setzte die Tasse ab, die er eben zum Munde führen wollte.

»Waren die Damen hier?« fragte er gleichmütig, indes ein Zittern der Seligkeit durch seine Hände flog.

»Die junge Dame,« erwiderte das Mädchen.

Und im Fortgehen fügte es bewundernd hinzu:

»Sie ist schön für den jungen Herrn!«

Friedrich blieb, eine Beute stürmischster Empfindungen.

Maria hatte den Weg nicht gescheut, war dagewesen, um sich zu erkundigen!

Hatte sie vielleicht den Wagen kommen sehen?

Ungeduldig trank er den noch dampfenden Kaffee, mengte Weißbrot mit Butter und herbschmeckender Pflaumenkonfitüre und atmete beinahe erleichtert auf, als das Frühstück beendet war und er, den »Schwan« im Rücken habend, auf gelbem Kies dem Gartenhause der Wodzinskis zuschritt.

Die Straße lief durch einen Park, den Steineichen, Lärchen, Ahorn und Kastanien in grünem Durcheinander schatteten. Dann ward sie lichter, flimmerte ins Freie und strebte einem kleinen zweistöckigen Gebäude zu, dessen hohe Glasveranda in der Krone zweier Linden fast verschwand.

Ehe Friedrich den Glockenzug ergriff, schien er noch einmal nachzudenken. Seine Lippen formten sich zu einem unwiderruflichen Entschluß.

Er läutete und folgte dem Diener in ein Vorzimmer zu ebener Erde, das, mit Rosenstöcken vor den Fenstern, ein Pianino, einen Tisch und etliche Cretonnesessel enthielt.

Allein gelassen, packte ihn plötzlich Bangigkeit.

Es war anmaßend, daß er gefahren war!

Doch hatte sie selbst es nicht gewünscht?

Unsinn, dachte er ärgerlich und wandte sich aufrecht der Türe zu, in deren Rahmen Maria, von Sonne rücklings durchflutet, stand.

Der feine Umriß ihres Körpers leuchtete aus einer Wolke weißen Musselins. Sie trug einen breitrandigen Florentiner, als käme sie von einem Spaziergang durch die Wiesen, und sagte mit dunkler, ein wenig befangener Stimme:

»Also sind Sie gekommen …«

Friedrich tat ein paar rasche Schritte.

»Ich bin gekommen!« antwortete er, und ehe Maria es verhindern konnte, nahm er ihre Rechte und bedeckte sie mit glühenden Küssen.

Maria wehrte ihm nicht. Sie blieb, ohne sich zu rühren, atmete schwer und strich ihm mit der Linken durch das volle, glänzend braune Haar.

»Sie sind ein Tollkopf,« flüsterte sie, »was denken Sie?«

»Ich denke, daß Sie keinen Augenblick zögern würden, mich gehen zu heißen, wenn Ihnen mein Betragen unerwartet käme.«

»Und wenn ich nun in der Tat nicht zögerte?«

»So reiste ich noch in dieser Stunde ab!«

Maria heftete einen langen, rätselhaften Blick auf Friedrich, der männlich, gewachsen vor ihr stand.

»Bleiben Sie …«

Sie stockte und vollendete bezwungen:

»Wir wollen in den Garten gehn.«

In Friedrichs Auge trat der Ausdruck einer beglückenden Gewißheit. Er nahm Marias Arm, und wie sie unter den Obstbäumen dahinschritten, deren goldene Frucht den Himmel blaßblau erscheinen ließ, sank etwas vom Traum des Paradieses über sie, der ersten Menschen, die am Strome Edens wandelten.

 

Nach einer kurzen Promenade, doppelt kurz in der Fülle gärenden Erlebens, machte Friedrich der Gräfin-Mutter seine Aufwartung. Sie empfing ihn, von Maria vorbereitet, herzlicher denn je zuvor und zeigte eine wahrhaft mütterliche Güte.

»Wir werden ihn tüchtig pflegen müssen,« sagte sie mit einem Blick auf seine schmalgewordenen Wangen, deren Blässe, von hektischer Röte abgelöst, dem Auge der Frauen nicht entging.

Friedrich, der an des Vaters Worte dachte, war bemüht, den Eindruck zu verwischen. Die Arbeit fresse ihn auf, erklärte er. Nie habe er so viel zu tun gehabt. Publikum und Verleger überhäuften ihn mit Anträgen, und er sei schwach genug, den Wünschen zu willfahren.

»Sonne«, schloß er, »wird mir die Farbe wiedergeben, und wenn Sie befehlen, kann ich ein wenig Rouge auflegen.«

Die Gräfin-Mutter antwortete mit einem Schlage des Lorgnons.

»Immer der alte,« lachte sie.

»Wissen Sie noch, daß Sie in Warschau ganze Maskeraden aufführten?«

Man verlor sich in Erinnerungen. Der Diener kam und reichte Frühstückswein in bunten, kristallgeschliffenen Gläsern. So blieb man beisammen bis zum Mittag, das man gemeinsam an der Table d'hôte bei Klinger einnahm.

Als die Gräfin-Mutter sich nach Tisch zurückzog, um zu ruhen, standen Friedrich und Maria unschlüssig vor dem stillen Hause.

Ein seltsamer Zwang band ihre Hände ineinander, und unfähig sie zu lösen, so verschlungen, wandten sie dem Ort den Rücken und stiegen eine Wiese hinan, die, zwischen zwei Waldkuppen gelegen, von einem raschfließenden Bach durchschnitten ward.

Maria übernahm die Führung. Sie ging mit feuchten Gliedern, hüllenlos in ihrem leichten Musselinrock durch die Sonnenglut und sagte, bei einer Stelle angekommen, da Gräser und hochstielige Skabiosen ein golden violettes Lager bildeten:

»Mein täglicher Siestaplatz!«

Friedrich sah entzückt umher.

Wie fern die Welt, wie nah alles, was ihm teuer!

Er ließ sich an Marias Seite nieder, und ihm, dem physische Uebelkeit den Genuß käuflicher Liebe versagt, erstand nun, über die Liegende gebeugt, zum erstenmal das Geheimnis des Weibes:

Die hellen Arme, unter dem schwarzen Haupthaar sanft verschränkt, der zierliche Ansatz des Halses, die weiche und doch feste Brust, die Rundung der Hüften, das Knie, das unter dem Rocksaum seidig schimmerte, und endlich der Mund, die köstlich rote, begehrenswerte Frucht, die zu pflücken ihn erbeben machte.

Was waren die Frauen, die er in seinen Kompositionen ersehnt, angebetet, erobert und besessen, neben diesem Bild von Fleisch und Blut?

Was galt ihr schemenhafter Reiz, verglichen mit der unendlichen Lieblichkeit des Mädchens, das mit gelösten Gliedern ins Gras sank und, den Arm um seinen Nacken schlingend, ihn zu sich herniederzog?

»Du …,« murmelte er unter andächtigen Küssen.

Und sie ruhten Brust an Brust.

 

Was siehst du?« fragte Maria einige Tage später, als sie, über ihr Skizzenbuch geneigt mit raschen Strichen Friedrichs Züge festhielt, der, heiter aus einem schmalen Vorhemd blickend, in der Biegung eines Nußbaumstuhles saß.

»Ich sehe«, antwortete er, »eine Hand, die mir mein Denken nimmt, um es für immer zu besitzen.«

»Was siehst du weiter?«

»Ich sehe ein Mädchen sich zu einem jungen Manne kehren, der es bittet, seine Frau zu werden. Es scheint zu zögern, aber seine Wimpern, seine Blicke sprechen: Ja!«

»Und wie der Schluß?«

»Ich sehe einen Wagen, der durch eine herbstliche Landschaft rollt. Dämmerung verhüllt den Horizont. Das Feld liegt brach, Erlenbüsche säumen den Weg, und das Paar, das, engverbunden durch die Scheiben starrend, den feuchten Duft der Ackerkrume einsaugt, flüstert das Wort: ›Heimat!‹

Da schlagen Hunde an, da fällt Licht aus den Fenstern eines Herrenhauses.

Die Räder halten vor einer ausgetretenen Steintreppe, der junge Mann springt heraus und trägt die nicht Widerstrebende zu einem Zimmer, das von einem rot verhangenen Licht erfüllt ist …«

Maria ließ den Bleistift sinken.

»Du solltest mir diese Stimmung in mein Album schreiben,« sagte sie und schob Friedrich ein längliches Notenheft herüber, das auf der Titelseite in Goldschrift ihren Namen trug.

Doch Friedrich ergriff ihren ausgestreckten Arm. »Nicht heute,« bat er, »wir wollen zur Mutter gehen!«

Maria erhob sich seufzend, und sie traten Hand in Hand auf die Veranda, wo die Gräfin über einem Kanevas am Sticktisch saß.

Als sie die beiden kommen sah und Friedrich, von tiefer Bewegung erfaßt, ihre Fingerspitzen an die Lippen zog, quoll ein durchsichtiger Tropfen in ihrem noch immer schönen Auge auf.

»Ich habe Sie stets als meinen Sohn betrachtet«, sagte sie warm, »und lege Ihnen keine Hindernisse in den Weg. Doch mache ich Schweigen zur Bedingung, da die Antwort des Grafen abgewartet werden muß!«

Friedrich war zu benommen, um an dieser Klausel sich zu stoßen. Wohl stand der Graf ihm fern, und er hatte über der Mutter des Vaters ganz vergessen. Doch schien ihm die Fürsprache der Frauen ausschlaggebend, und so nahm er Maria gleich einer kostbar zerbrechlichen Schale behutsam in den Arm und sagte fast ängstlich, in heißem Ueberschwang des Herzens:

» Moje stiasti, mein Glück …«

 

Am folgenden Mittag reiste Friedrich ab. Berauscht von einem Kuß Marias, dessen Wärme er tagelang auf seinen Lippen fühlte, sah er die Grenzpfähle vorüberfliegen und erreichte, nach kurzem Aufenthalt in Leipzig, über Heidelberg Paris.

Die Stadt deuchte ihm von nie gekanntem Reiz: das Bois in der Goldröte fallenden Oktoberlaubes, die Quais mit ihren Gerüsten und Kranen, die Seinebrücken, deren weiße Bogen über dem Silberblau des Flusses hingen, und aus den Boulevards, Avenuen und Plätzen in gotischem Ernst emporstrebend, von einer Flammenkrone umglüht, die Zwillingstürme der Kirche Notre-Dame.

Alles dies machte ihn froh, gab ihm Kraft, ein übermütiges Sichgehenlassen, und als ein Brief der Gräfin-Mutter eintraf, der, aus Dresden datiert, gleichsam zur Bestätigung des Geschehenen ihn ihrer Sympathie versicherte und, um den Erfolg nicht zu gefährden, noch einmal Schweigen anempfahl, verstieg sich seine Laune zu Ausbrüchen eines wahnsinnigen Entzückens.

In solchen Anwandlungen – denn er selber nannte es nicht anders – durchstreifte er die ungeheure Stadt, obwohl eine Lungenreizung, die er sich auf der Reise zugezogen hatte, ihm zu Vorsicht und zu ärztlicher Behandlung riet.

Von einem Aufruhr der Natur ergriffen, mied er die Sphäre der Herrschenden und suchte die der Unterdrückten, trieb sich in Kornspeichern umher, auf Bootswerften, im Zwielicht der Vorstädte und rotem Duft der Blumenmärkte, wo Arbeit und Liebe in wechselseitigem Zeugungstrieb ein neues, mächtiges Leben wirkten. Kam er heim, so stürzte er gierig an den Posttisch, und wenn auch die Briefe selten warm, in der Mehrzahl von der Hand der Gräfin-Mutter, und Maria sich darauf beschränkte, kurze Postskripta mit Bitten um Autogramme aus der Pariser Crème zu verbinden, so genügte doch ein flüchtig hingeworfenes »Adieu bis zum Mai oder Juni spätestens«, um seine Hoffnung zu brennender Sehnsucht zu entzünden.

Dann, wenn ihn nicht die Saison des vorschreitenden Winters zwang, den Abend außer dem Hause zu verleben, öffnete er den Flügel, und unter seinen Fingern erstand in einer schon auf der Reise konzipierten zweiten Etude in f-moll das Porträt Marias, eine Mosaik aus perlenden Triolen, hingehaucht, fließend wie ein Bild im Traum.

Spät ging er schlafen, lag noch Stunden über dem Liederalbum der Geliebten, unvermögend, eine Note zu Papier zu bringen, indes sein Puls fieberisch zu jagen anhub und trockene Hitze ihm Stirn und Hand mit fliegender Röte überschüttete.

 

Eines Morgens, da der Schnee rieselnd hinwegschmolz und ein warmer Wind die Bläue des Frühlings mit sich trug, erwachte Friedrich mit dumpfem Kopf, schweren Gliedern und einem schmerzhaft kurzen Atem, der die Brust gleichsam mit Nadeln stach. Er gestand sich, daß er krank sei, und eine unsägliche Traurigkeit ergriff ihn, so er an die Folgen dachte.

Es war also etwas daran, daß man ihm schon als Kind Schonung gepredigt, daß ihn die Aerzte stets mit warnendem Kopfschütteln entlassen hatten. Sein elender Körper, zu schwach, die Kämpfe des Lebens zu ertragen, verbrannte in der Flamme ruhloser Leidenschaft!

Warum auch schrieb Maria nicht, warum gab sie ihm Tage banger Ungewißheit, warum Nächte voll kaum verhehlter Qual?

War es ein Trost zu wissen, daß aus Leiden die Kraft des Künstlers entspringe, daß Glück satt mache, und daß sein Schaffen niemals fruchtbarer gewesen?

»Ich will nicht mit Gespenstern ringen?' stöhnte er und bohrte die Fäuste in die Augen, wie um das Bild zu töten, das sinnlich durch seine Träume glitt: Maria, die liebend hingegebene Braut, in der Weiße eines Spitzen-Hemdes, die Achselschleife über der Schulter gelöst, daß Hals und Arme in einer einzigen Linie rosiger Nacktheit schimmerten.

Während er ächzend mit trockenen Lippen dalag, gesellte sich ihm in grausamer Helle das Erlebnis bei, das ihn am Vorabend fiebernd auf das Bett geworfen, und führte ihn, der sechs Schüler mechanisch abgefertigt hatte, über den Quai du Louvre zum Pont Neuf, wo er im Schatten der Jahrhunderte bei einer der Bücherbuden verweilte, die gleich Schwalbennestern über dem tiefen Grau des Flusses hingen.

Wie meist, wenn er, ermattet von der Tagesarbeit, Ablenkung, ja Vergessen suchte, wühlte er in den ausgebreiteten Folianten und zog, von einem Antiquar als auf eine Neuheit hingewiesen, ein grün gebundenes Buch hervor, dessen Titelseite einen Stahlstich mit der Unterschrift »Julius Slowacki« zeigte.

Gleichgültig erst, dann betroffen und endlich in furchtbarer Erregung studierte er das Bild. Dabei dachte er in wilden Sätzen:

Meine Augen, das Profil wie meines!

Dieselbe Stirn!

Und hinter dieser?

Schwindelnd wandte er die Blätter, las Vers um Vers mit schier selbstmörderischer Wollust, bis ihm, der schweißgebadet den eisigen Seinenebel einsog, Gestalt und Wesen des unbekannten Doppelgängers in würgender Deutlichkeit erwuchs.

Wie er bezahlt, das Buch an sich gerafft und den Weg in die Chaussée d'Antin gefunden, wußte er zu dieser Stunde nicht. Denn sein Denken, seit der gestrigen Entdeckung stehen geblieben, lohte in roten Kreisen nur noch um den einen Punkt:

Maria hatte jenen gekannt! Wie, wenn sie in ihm, Friedrich, den Widerpart des andern liebte?

Und von dieser Erwägung bis zur Furcht gepeinigt, ahnend, daß ein Geheimnis obwalte, in dessen Abgrund zu blicken ihm der Mut fehlte, drückte er das Haupt in die Kissen und brach in ein rauhes, von Lüsten unterbrochenes Schluchzen aus.

 

Als Friedrich nach Wochen zum ersten Mal das Bett verließ, war es fast Sommer. Sehnsucht schwang in der Luft, die Bäume der Boulevards rauschten mit zärtlich weichem Flügelschlag, und das gelbe Flackern der Laternen leuchtete verschlungenen Gestalten, die in einem unbestimmten Drang nach Liebe ihrer nächtlichen Vereinigung zustrebten.

Friedrich, der matt am Fenster lehnte, sah ihnen voll schmerzlichen Verlangens nach. Ein keuchender Laut quoll aus seiner Brust. Er biß die Zähne zusammen und wandte sich, nachdem er die Vorhänge herabgelassen, mit trübem Blick dem Zimmer zu.

Fremd dünkte ihn, was ihn umgab: das runde Braun der Möbel, die kleine Causeuse, die er von seinen ersten Ersparnissen gekauft, Pastelle, Sèvresdosen und in der Form eines spielerischen Bric-à-Brac der Schreibtisch, auf dessen Nußbaumplatte zwischen verstaubten Manuskripten ein Bündel goldfarbener Briefe mit einem Band umwunden lag.

Waren Jahre vergangen, seit er dies zuletzt gesehn, seit Argwohn ihm die Seele zerfleischt und er, dem Leben fluchend, das Schreiben des Grafen in der Hand gehalten, das ihn mit eisiger Kühle einer Hölle von Verzweiflung überantwortet?

Es sei ihm leid, hatte jener versichert, daß die Frauen in Friedrich falsche Hoffnungen erweckt! Nichts liege ihm ferner, als einen Namen zu mißachten, der in der europäischen Welt Ansehen, ja Ruhm zu gewinnen im Begriff stehe. Doch sei dies ein ungewisser Faktor und biete – auch bei robusteren Naturen – nicht die für die Zukunft wünschenswerten Garantien. Wenn Friedrich, wie er annehme, seine Tochter wahrhaft liebe, sei es an ihm, zurückzutreten und durch Entsagung das Glück Marias zu begründen …

Das Glück Marias!

Gab es etwas, das ihm höher stand?

Ihm, der für sie gestorben wäre, und den sie wie jenen andern gleich einem Blatt aus ihrem Album tilgte, ohne Dank, ohne Bedauern, ohne auch nur ein Wort des Abschieds?

Ein Schauder kroch ihm den Nacken herauf. Er nahm die Briefe, deren schwacher Duft ihn süßlich an Verwesung mahnte, und betrachtete sie lange, wie man einen Toten ansieht.

Dann griff er zur Feder, schrieb quer über den Umschlag: »Mein Unglück!« und versenkte sie abgewandt im Schreibtisch.

Blind vor Tränen suchte er den Flügel. Ein Nachtgesang der Liebe erhob sich, in dunklem cis-mol ein Notturno, dessen müde Melodie auf wogenden Bässen sanft gebettet ward. Und wie jene, zu strahlender Helligkeit gesteigert, schluchzend hinabglitt in den Abgrund, um in weichem Cis-dur auszuklingen, sank Friede mit süßen Terzen über die entspannte Brust des Trauernden.

Als er erschöpft zu spielen aufhörte, färbte Dämmerung die Scheiben rosig grau. Er stand auf, schob die Läden zurück und öffnete das Fenster, durch das ein Strom von Flieder, feuchtem Gras und Kühle eindrang.

Die Straße lag reglos im Schatten ihrer Bäume. Vögel lockten von Zweig zu Zweig. Ihr Zwitschern spielte gleich einem verborgenen Orchester, in dessen Flötenjubel, gewiegt vom Geigenton säuselnden Laubes, eine dunkle Stimme aus dem Schoß der Erde sang:

»Es werde Licht!«

Da riß der Vorhang am Purpurzelt des Himmels, da flammten Türme gleich Kerzen vor einem unermeßlichen Altar. Flüsse eilten in silbernen Bogen durch das Land. Die Stadt entrang sich ihrer steinernen Umarmung, schrie und erwachte zu prächtig neuem Leben.

Friedrich ward von einer ungeheuren Erschütterung befallen. Er hob die Hände, breitete sie flach nach oben und rief, den Mund in Verzückung weit geöffnet:

»Kunst, schmerzlich holdes Geschenk der Götter! Trösterin du! Qual, Seligkeit, Aufschwung, Sonne, Unsterblichkeit …«


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