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IV.

Welt, Feueratem, Menschheit! Sturm, von Westen herbrausend, daß Europa den dumpfen Fesseln reaktionären Schlafs entfuhr, daß Fürsten nach ihren Kronen griffen und auf den Barrikaden im Morgenrot die Freiheit stand, furchtbar wie Gott, hellbrüstig wie eine junge Frau, gerecht und groß.

Friedrich war in Wien. Am Kohlmarkt, im vierten Stockwerk eines bürgerlichen Hauses wohnend, vernahm er gleichsam aus der Ferne jenes dunkle Rollen, das seit den Pariser Julitagen den Kontinent bis zu den Schneegipfeln des Apennin durchzog.

Er lebte mäßig, sog seinen Morgentrank aus goldgeschnäbeltem Porzellan, empfing in apfelgrünem Schlafrock Besuche, erwiderte sie, nicht ohne dem Beinkleid Falten zierlichsten Schwungs geprägt zu haben, und heuchelte Zufriedensein, indes ein Chaos gegenstrebender Empfindungen den Busen ihm bewegte.

Der Flug, den seine Gedanken erkühnt, die Pläne, die er Constanzen anvertraut, schon nannte er sie Vermessenheit.

Das Eisen schmieden, so lange es heiß war …!

Und schon ein Geständnis, daß er sich getäuscht habe?

Freilich, die Freunde waren die alten geblieben, und neue gewann er sich dazu: den trefflichen Malfatti, Beethovens Arzt und letzten Helfer, den stillen Merk und endlich Slavik, Paganinis Erben, aus dessen schillerndem Bogenstrich Himmel und Hölle ihm erwuchs.

Doch was besagte das neben der Ablehnung, die er von Haslinger erfahren hatte! Haslinger, dem er aus Warschau zwei Kompositionen zugesandt! Der ihn mit nichtswürdig höflicher Verschlagenheit bestimmen wollte, die Arbeit »gratis« abzugeben, und den er mit einem wütenden: »Bezahle, Bestie!« abgetan.

Bei Gott, sein Geiz ward nur mehr von Duport übertroffen, an Gallenbergs Stelle nun Intendant des »Kaiserlichen Hoftheaters nächst dem Kärnthnertore«. Auch er empfing beflissen den Gast. Doch sproß sein Lob auf der Voraussetzung kostenlosen Spiels, und ein Konzert kam nicht zustande.

Friedrich erblich vor Grimm, wenn er an dieses alles dachte.

Das Publikum war es, das die Kunst verriet, die feile, launische, grausame Menge! Die strömte zu »Sperl«, zum »Volksgarten«, vergoß vor Harfenisten, Pratersängern, Tanzgeigern Tränen schwärmerischer Sentimentalität …

Und er begann dieses Wien zu hassen, wo Strauß und Lanner die Manen Beethovens verdrängten, wo man Walzer »Werke« nannte, und wo man tanzte, während rings die Flamme edelster Leidenschaft zum Himmel schlug.

 

An einem Abend bald nach Novemberende trat Titus Wojciechowski, der den Freund nach Wien begleitet hatte, eilig in Friedrichs Zimmer, verschloß die Türe, sicherte den Riegel und blieb schweratmend am Kamine stehen. Der wallende Mantel, der rötliche Schein der Kerzen, der angstvoll zwischen den Gardinen hin und her fuhr, erweckten seinem Kommen Vorahnung ungewöhnlichen Ereignisses.

Friedrich schrak vom Klaviere auf.

»Was gibt's?« fragte er beklommen.

Und Titus, nach Worten ringend, stammelnd, doch endlich beherrscht, erwiderte:

»In Warschau ist Revolution ausgebrochen! Die Stadt ist unser, Chlopicki hat die Diktatur.«

Ein blendendes Leuchten erfüllte Friedrichs Hirn: der alte Haß, der ewig jung blieb! Prozesse, Verbannungen, die dunkle Klage nationaler Dichter. Dann von Paris der Freiheitssturm, geheime Verbände, ein Comité, die Stunde der Tat, der Straßenkampf, das Knattern der Gewehre …

Er schloß sekundenlang die Augen.

»Und du?« fragte er nach einer Weile.

Titus warf prächtig das Haar zurück.

»Ich gehe zur Armee! Mein Wagen erwartet mich am Packhof.«

Aus Friedrichs Mund brach lauter Jubel. Erst jetzt kam ihm die Größe des Geschehnisses. Er stieß den gepolsterten Stuhl beiseite, sprang auf und schlang die Arme um den Freund.

»Wir gehn zusammen!« rief er, von Wärme der Begeisterung umflossen.

Titus zwang ihn sanft auf seinen Sitz.

»Unsinn,« erklärte er in jener überlegenen Sprechweise, die er dem heißblütigeren Kameraden gegenüber schon auf der Schule anzuwenden pflegte.

»Der Künstler taugt nicht zum Soldaten! Empfinden und Handeln sind zweierlei Tuch. Auch mußt du an deine Gesundheit denken. Ein Feldzug in dieser Jahreszeit … Die Eltern wären unter allen Umständen dagegen!«

Friedrich fiel ihm erregt ins Wort.

»Was Eltern! Unsere Waffen, unser Sieg! Wenn jeder so täte, wo blieben Ehre, Vaterland?«

Doch Titus war nicht zu erbitten.

»Sieh,« sagte er, »es ist Gesetz, daß jeder seine Aufgabe im Leben habe. Mir ward bestimmt zu kämpfen, dir zu tönen! Sänger des Volkes sein, das dich gebar! Das ist es, was ich dir hinterlassen wollte.«

Er zog den Erschütterten an seine Brust.

»Lebwohl,« sagte er rauh.

Dann stieß er sich los, entsicherte den Riegel und ging.

Friedrich starrte ihm nach, betäubt, unfähig zu begreifen.

Man hatte ihn überrumpelt, wie ein Kind beschwatzt!

Plötzlich begann er sehr rasch zu denken.

Wenn er dem Freunde folgte … Erst einmal unterwegs, würde dieser ihn nicht hindern können!

Fieberisch nahm er den Mantel um, griff ein Paar doppelläufiger Pistolen aus dem Schrank und stürmte durch die Stadt zum Packhof.

Titus war eben fortgefahren, statt dessen stand ein großer vierspänniger Reisewagen, von einem Engländer gechartert, im Torbogen. Friedrich bestach den Postillon, schwang sich hinein und hieß die Kunststraße nach Brünn einschlagen.

Doch sei es, daß Titus die Richtung verändert, sei es, daß Friedrichs Pferde schlechter als die seinigen: schon auf den nächsten Stationen erkannte er die Unmöglichkeit, den Flüchtigen diesseits der Grenze einzuholen, und gab in Poisdorf den Befehl zur Umkehr.

Die Nacht war kalt, Sternbilder glitzerten am Firmament. Er sah sie gleich zahllosen Wachtfeuern glühn, erspähte Morgendämmerung, den wilden Taumel vorgetragenen Angriffs. Dann aber sah er Wunden und Tod, roch faules Stroh, die Seuchenluft, die aus den winterlichen Biwaks stieg.

Schaudernd zog er die Decken hoch und sank in Qual und ohnmächtige Zerrissenheit.

 

Er lebte mit Vorwürfen, fluchte dem Tag, da Titus ihn verlassen hatte. War sein Vermächtnis nur ein Spuk der überreizten Phantasie? Wo glomm ihm Wahrheit, wo Traum? Man würde sagen, daß jener wortlos der Pflicht genügt, er aber Wohlleben vorgezogen habe.

Voll Selbstzerknirschung ward er demütig, kasteite sich mit Arbeit, empfing von Slavik Ansporn zu neuem Schaffen. Nachdem er Stunden im Zusammenspiel mit ihm verbracht, ging er am Weihnachtsabend allein um Mitternacht zum Stephansdom.

Der wuchs aus einem Irrsal von Gäßchen, schattete Dächer, Türme, die Stadt. Durch eine Seitenpforte gewann er das Schiff und blieb am Fuße eines riesig anstrebenden Pfeilers stehen.

Um ihn kein Laut außer dem Schreiten des die Lampen anzündenden Sakristans. Unter ihm Gräber, neben ihm Gräber, zu seinen Häupten das edle Maß gotischer Wölbungen.

Eine düstre Harmonie erklang in seinem Innern. Er fühlte Constanzen gleich einer jener Leichen in den Katakomben, von denen der Volksmund grausige Dinge zu berichten wußte.

Wo war sie, floh sie nach Radom? Erlosch unter dem Raubgriff einer siegestrunkenen Soldateska? Den armen, rührenden Körper entblößt, die Hände rückwärts geworfen, durch den Staub geschleift?

Ihm kamen Tränen.

War es sein Los, einsam zu sein, das Los jedes, der Größe sucht? Auf Glück verzichten und, dem Entgangenen nachsinnend, zu reifer Leistung sich erheben?

Kerzenglanz scheuchte ihn auf. Mit unirdisch heller Stimme fiel die Orgel ein. Das Hochamt begann. Da Menschen nahten, schlug er den Mantelkragen vor und stahl sich unbemerkt zum Ausgang.

In dieser Nacht aber, als er schlief, geschah es, daß Constanze ihm zum zweiten Mal erschien. Sie saß auf dem Rande seines Betts, das Haar gelöst über dem weißen Nachtkleid, süß und ernst. Er streckte die Arme nach ihr aus. Doch wie er sie eben zu berühren meinte, ward sie zu Rauch, er hielt ihren Namen und erwachte.

Schon graute Morgen, vom Himmel floß ein bleiches, träumerisches Licht. Friedrich glitt schlafwandelnd zum Klaviere, und während unter seinen Fingern jene dahinschmelzenden Töne aufquollen, die er später als Nocturne in H variierte, flüsterte sein Mund die Worte:

»Wende dich nicht meinem Blick,
Den die Träne der Sehnsucht verdunkelt …«

Friedrich hatte sich entschlossen, abzureisen. Nach einem Aufenthalt von fast neun Monaten, der ihm so wenig im Konzertsaal wie als Komponisten die erhoffte Würdigung bereitet, erstand ihm Notwendigkeit, das Arbeitsfeld zu wechseln.

Was gab ihm Wien, nun sommerliche Hitze die Gesellschaft aufs Land, auf blaue Vorberge hinaustrieb, nun der plötzlich auftretende Schreck einer Seuche Palast und Straße täglich öder machte und ihn, den Polen, versteckte Feindschaft ob seines Vaterlandes Waffengang umlauerte!

Es war bei einem Ausflug auf den Kahlenberg, daß ihn namentlich dieser Gedanke ankam und nicht mehr loslassen wollte.

Vergaß Europa, was Polen einst für das Abendland getan, da es als Vormacht gegen die Türken stand, mit seiner Brust die Stürme auffing, die aus den Gewässern des Bosporus, dem Süden Asiens und dem Norden Afrikas heranbrausten?

Vergaß es, hier, wo von den Laubinseln der hellarmigen Donau bis zu dem steinernen Schilde Wiens der Bogen jenes halbmondförmigen Lagers zu erkennen war, den Kara Mustapha vor nicht einhundertfünfzig Jahren um die Stadt gespannt?

Noch ragte das Kamaldulenserkloster, von dessen Mauern Herr Sobieski eisenklirrend, gewaltig, auf das Feuermeer der Vorstädte gesehen: Angreifer und Belagerte im Handgemenge, glühende Kugeln, Brandpfeile, geschwungene Morgensterne, und über der Hölle von Staub und Rauch dumpf, mahnend, feierlich die große Glocke von St. Stephan.

Wie dann zur Nacht ein Bote Starhembergs den Fluß durchschwamm: »Keine Zeit mehr verlieren, gnädigster Herr!«, und Herr Sobieski am Morgen, da Herbstsonne die Spitzen der Bäume rötlich färbte, den Befehl zum Vormarsch gab, die flimmernde Wolke goldgepanzerter Husaren einfiel auf den Feind, das Blutbanner des Großweziers gleich reifem Mohn dahinsank und bei der bedrängten Bürgerschaft ein ungeheurer Jubel losbrach:

» Vivat Joannes Victor!«

Friedrich vernahm es, berauscht vom Klang seiner eigenen Stimme, die über die Hügel und Wasserläufe bis zu den Auen des Marchfelds sich verbreitete.

Sein Herz begann stürmisch zu schlagen.

Heldengedichte schaffen, Sänger des Volkes sein, das ihn gebar!

Er sah die neue Aufgabe vor sich, doch wuchs nicht hier der Boden, der sie tragen konnte, und wie bei jener Heerschau, die Herr Sobieski in den Tarnower Gebirgen über seine Krieger abhielt, dröhnend der Ruf erscholl: »Auf nach Wien!«, so strömten seine Lippen nun:

»Auf nach Paris!«

Paßschwierigkeiten verzögerten die Abreise. Der zarische Botschafter schnob Mißtrauen gegen das bürgerliche Frankreich, und erst ein klüglich hingeworfenes » Passer par Paris à Londres« entriß ihm nach zweitägigem Widerstand die Genehmigung zur Fahrt nach München.

An einem warmen Julimorgen traf Friedrich, von Salzburg kommend, in der Residenzstadt ein. Bereit, Vergangenes zu meiden, sah er ansprechenden Unterschied: das herbe Stadtbild, von den Schneerändern der Alpen abgegrenzt, die klare, leuchtend blaue Luft, statt Seichtheit Frohsinn, Geschmack und Lust an künstlerischen Dingen.

Auch fand er die Fühlung bald, die er anstrebte. Musiker tüchtigen Rufs umgaben ihn, und ein Mittagskonzert der Philharmonischen Gesellschaft erwarb ihm ernsten, ungeteilten Beifall.

Indessen war es nicht dies, das ihn beschäftigte, wenn er im Hofgarten bei Tambosi unter dickblättrigen Kastanien feine Schokolade trank oder gesenkten Hauptes im Viereck der Arkaden auf und ab schritt.

Der Schmerz des Vaterlandes drängte zur Gestaltung. Glanz und Verfall, Zweifel über den Ausgang des gegenwärtigen Kampfes erfüllten die Seele mit Stolz und Trauer.

Er hatte unterwegs zu öfteren Malen Mickiewicz' Epos »Konrad Wallenrod« gelesen, und in Erinnerung an die Szene, da bei dem Bankett der Ordensritter ein lithauischer Greis das »Lied der letzten Tage« singt, der Hochmeister aber, weiterfahrend, im Mißklang zerrissener Saiten endet, war er auf eine neue Art des Ausdrucks gestoßen: die Ballade!

Schon lag im Schreibtisch erster Entwurf tragisch begonnener Niederschrift. Eine große Kadenzformel, gleich Wolkengebilden majestätisch ansteigend, dann mit einem dissonierenden Akkord – sprang ihm die Harfe? – überleitend zur Erzählung: ein sanftes Melos in g-moll, durchweht von Seufzern rührender Klage, aufflackernde Unruhe, und nach einem Wirbel leidenschaftlicher Passagen ein Signal …

Friedrich arbeitete, von der Erfindung mitgerissen. Aus süßestem Linienfluß quoll ihm ein machtvolles Thema in A-dur. Es war, als wenn Schnee hinschmelze vor der Sonne, Trompetenglanz aufblitze zwischen reifbedeckten Fichten.

Sah nicht der Wald von Soczek glorreichen Ansturm polnischer Kavallerie, die einhauend ein russisches Armeekorps vor sich hergetrieben?

Ritt nicht Dwernicki, die Purpurschabracke flockig vom Maul des Schimmels, um Geismars Niederlage selbst zu künden? Rief, in den Bügeln stehend, umbauscht vom Seidentuch der eroberten Fahne, das Wort: Sieg?

 

Frühherbst vergoldete die Wälder, als Friedrich, das Manuskript druckfertig in der Schreibtasche, durch Reihen niedriger Obstbäume auf Stuttgart zufuhr. Der leichte Wagen schwang, an Riemen hängend. Silberfäden zogen im Blau. Das Licht fiel schräg auf letzte Georginen.

Friedrich saß schlaff, zurückgesunken. Er hatte in Augsburg schlechte Nachrichten erhalten. Paszkiewicz stand vor den Toren Warschaus, zwei Teilangriffe waren abgeschlagen, und man erwartete den Generalsturm.

Schweißtropfen netzten seine Stirne.

Wo war der Aufschwung, der ihn zu dem Gemälde in A-dur vermocht?

War er vorahnend zum nationalen Moll zurückgekehrt?

Und wie er in diesem den Balladenschluß mit gegenlaufenden Oktaven ausgestattet, so wandelte sich der Siegesbote ihm jetzt zum Todbringer.

Ein riesiger Tscherkesse, ritt er vor einer Mauer wild blickender Kosaken über den Krasinskiplatz. Lammfellmützen wogten über schwarzen Pferdeleibern. Säbel blitzten auf, ein grausiger Schrei; die Volksmenge stob auseinander. Ein Kind, die Hände flehend zur Mutter ausgestreckt, blieb seitlich in einer roten Pfütze liegen.

Friedrich rang aufstöhnend mit dem Bilde. Er hieß den Kutscher schneller fahren, als trachte er, jenem zu entrinnen.

Da sie die Schloßstraße hinaufjagten, ersah er unfern am Markt ein Kaffeehaus, in dem ein halbwüchsiger Bursche mit einem Stoß Zeitungen verschwand:

Friedrich schrie: »Halt!«, sprang aus dem Wagen und entriß dem Träger das noch feuchte Blatt. Gäste umringten ihn, die ihn respektvoll anstaunten. Er aber las, ungläubig, dann verzweifelt, während ihm die Augen dunkelten:

» Schwäbischer Merkur«, 16. September. Hier eingegangenen Nachrichten zufolge hat Warschau nach mörderischer Gegenwehr am Siebenten des Monats kapituliert …«

Er hob den Arm, wankte, fiel schwer auf einen Stuhl. Ungeheures wütete von seinen Lippen:

»Die Häuser zerstört, verbrannt, Titus tot auf den Wällen! Paszkiewiez, der Hund von Mohilew, schändet die teure Stadt! Gott, bist du da? Bist da und rächst nicht? Erschütterst nicht den Erdball, nun Moskau der Welt befiehlt?!!«


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