Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II.

Des Hauses, da er geboren ward, erinnerte sich der nun Fünfundzwanzigjährige als eines von dunklen Bäumen umstandenen Gebäudes, deren Rauschen in den Melodien seiner Träume wiederkehrte. Bunte Stockrosen wuchsen am Zaun, wilder Flieder und goldhelmige Sonnenblumen.

Ein hölzerner Vorsprung lief zur Türe. Man trat hindurch und, nach rechts sich wendend, in drei Zimmer, deren rührige Decke über kahlen, weiß getünchten Wänden lag.

Sie hörten des kleinen Friedrich ersten Schrei. Von ihnen geschützt, sog er, unbekümmert um Zukünftiges, am Busen mütterlicher Zärtlichkeit, ersah des Vaters Beine zum Tor, durch das er kriechend den ersten Blick in die Welt tat, bis er, des Laufens kundig geworden, im Garten hinter den Faltern hersprang und abends, oft vorzeitig ermüdet, auf wogendem Gräsermeer zur Ruhe ging.

Wenn dann der Mond rotglühend über den Erlen sich erhob, alle Düfte schwerer wurden und das Schlagen der Nachtigallen die Felder überflutete, kam wohl der Vater, fand den Träumenden und trug ihn behutsam ins Haus, zum Lichtkreis der Lampe, bei deren mildem Strahl Frau Justina am Klavichord verblichene Romanzen spielte.

Da sang dem Kinde Klangfülle edlen Tons, da quoll ihm Träne über die erblaßten Wangen, und weinend gestand es, daß nichts ihm süßer dünke, als Zwiesprach zu halten mit den geheimnisvollen Tasten jenes Instrumentes, das ihm die Seele zuerst gerührt.

Man willfahrte frühzeitig seinem Verlangen. Der Böhme Zywny, ergraut als Lehrer pünktlichen Klavierspiels, übernahm den Unterricht des Knaben, und wie dieser, forteilend über technische Hindernisse, die Spannkraft der Hände bald erweiterte, glomm auch in seinem Innern erster Funke musikalischer Gedanken.

Statt des Wortes ward ihm der Ton zum Ausdruck täglichen Erlebnisses. Der Schüler spielte dem Lehrer vor, und dieser mußte niederschreiben, was seinem begabten Zögling einfiel.

So ward sein Name zwiefach bekannt. Die Stadt, in die der Vater verzogen, Warschau, das Herz der Republik, ehrte in ihm den kommenden Mitbürger. Achtjährig genoß er Mozarts Ruhm, die Liebe der Eltern und Anbetung seiner Freunde, da er mit zierlich bestrumpften Beinen auf hohem Sessel vor dem tafelförmigen Klaviere saß und von den Stimmen der Nacht erzählte, vom Flüstern des Rohrs, silbernem Sternenglanz und dem melodischen Gequarr der Frösche.

 

Um jene Zeit war es, daß die öffentliche Meinung zum Anwalt der Armen ihn erkor. Ursin Niemcewicz, den Patrioten heilig als Verfasser der »Historischen Gesänge«, Staatsmann, Publizist und während des Aufstandes von 1794 Kosciuszkos Adjutant, erschien im Pensionat des Vaters, das dieser neben seiner Stellung als Professor der französischen Sprache am Lyceum unterhielt.

»Ich komme, um Ihnen den kleinen Friedrich zu entführen,« begann er mit leicht befehlender Geste, wie sie einem großen Manne so wohl ansteht. »Man gibt ein Konzert zu gemeinnützigen Zwecken, und die Nation wünscht seine Mitwirkung!«

Nikolaus Chopin zögerte. Noch lag ihm des Sohnes Laufbahn fern. Noch sah er im Virtuosen das Kind, dem Schulzucht notwendiger war als der Beifall einer launenhaften Menge. Doch wußte er die Ehre zu schätzen, die seinem Hause widerfuhr, und da man nicht gut abschlagen konnte, wo von solcher Seite gebeten wurde, antwortete er, wenn auch innerlich widerstrebend:

»Wir danken und freuen uns der Aufforderung.«

Ursin Niemcewicz schüttelte ihm die Hand.

»Sie brauchen es nicht zu bereuen,« sagte er wohlwollend, als er sich verabschiedete. »Der ganze Adel hat gezeichnet! Es wird ein großer Tag …«

Und es ward ein großer Tag!

Von den Geschwistern umstaunt, erlebte Friedrich, inmitten der Eltern auf einem Stuhle stehend, die ersten Fieber unruhig festlicher Erwartung.

Man zog ihm ein blaues Röckchen an, Kniehosen, eine seidene Schärpe und schlang um die Schultern einen Kragen, dessen zackiges Spitzenwerk über den Nacken leicht herabfiel.

Den also Gekleideten hüllte man in einen Schal und trug ihn durch den Flur zum Wagen, in dem er an des Vaters Seite die Reise zum Konzertsaal antrat.

Während sie durch die Straßen fuhren, plauderte er unaufhörlich:

Der Schnee, der auf den Palästen lag, ward seinen Augen zum Königsmantel. Holzhütten bevölkerte er mit Leibeigenen. Er spottete über langbärtige Juden und ahmte feierlich daherschreitende Mönche nach. Ein Tanzbär entlockte ihm Tränen des Mitleids, der bunte Flitter eines Pulcinellentheaters Ausrufe kindlichen Vergnügens.

Nikolaus Chopin betrachtete ihn schweigend.

»Du kannst das Konzert von Gyrowetz?« fragte er streng, als der Wagen vor der Freitreppe eines großen, hellerleuchteten Gebäudes hielt.

Friedrich lächelte.

»Ich habe gar nicht daran gedacht,« erwiderte er und sprang einem Diener in die Arme, der ihm über die vereisten Stufen half und den Weg zu einem Zimmer wies, das mit dem Podium des anstoßenden Saals durch eine Tür verbunden war.

Spannung schärfte das Ohr des Alleingelassenen. Er vernahm ein Summen wie von einem Schwarm zorniger Bienen. Dann unterschied er Laute, die zu dröhnenden Silben anschwollen: eine Stimme rief seinen Namen.

Die Wand öffnete sich, Licht stürzte herein. Friedrich betrat das Podium.

Seine erste Empfindung war ein Kreuzfeuer von Blicken, das mit dem Flimmern der Kerzen an den Kronleuchtern, diamantgeschmückter Schultern, farbiger Tafte, Ordenssterne und gerippter Atlasbänder seine Sinne blendete, verwirrte.

Applaus gab ihm Wirklichkeit zurück. Er verbeugte sich mit Anstand und nahm am Flügel Platz. Sobald er saß, schwand letzte Schüchternheit. Ihn zwang nicht der Bann des Publikums, nicht jener eisige Zweifel, der die Hand lähmt und das Herz stocken macht.

Den Kopf zur Seite geneigt, spielte er, wie ein Vogel singt, mit elfenbeinartiger Leichtigkeit des Anschlags alle Schwierigkeiten überwindend, das Konzert von Gyrowetz, dem Wiener Meister.

Während er den Passagen nachging, ließ er seine Blicke durch den Saal schweifen. Erlauchte Augen ruhten auf ihm. Er sah Bewunderung, Stolz und ein klein wenig Zärtlichkeit.

Da wuchsen ihm Flügel, Kraft schwellte seinen Arm, und wie er mit einigen Trillerläufen schloß, die ekstatisch unter seinen Händen aufsprangen, hob er lächelnd die Wimpern, als wolle er sagen:

»Nun, habe ich das nicht gut gemacht?«

Ein Schrei des Entzückens gab die Antwort. Der Adel, der auf den Schlachtfeldern der Republik sein Blut vergossen, stand auf und beugte sich vor dem Kinde, das ihm die Verkörperung einer ritterlichen Zukunft schien.

Friedrich genoß diese Huldigung, ohne ihrer Größe voll bewußt zu werden. Der Mutter zugeführt, die ihn weinend umhalste, rief er, da sie ihn fragte, was seinen Hörern am besten gefallen:

»Mein Kragen, Mama, mein Kragen!«

Und er schmiegte sich in die Falten ihres. Kleides.

Seit diesem Tage war er der Liebling der aristokratischen Salons. Di« Czartoryskis, Sapiehas, Czetwertynskis, Lubeckis, Radziwills, die Skarbeks, Wolickis, Pruszaks, Hussarzewskis und Lempickis luden ihn in ihren Kreis.

Er lernte Formen weltmännischen Umgangs. Der Großfürststatthalter gesellte ihn seinem Sohn zur Unterhaltung bei, und mit der jungen Tochter des Oberhofmeisters Grafen de Moriolles verband ihn frühreife, kaum verhehlte Neigung.

 

Das Schicksal gewährte ihm drei Freunde: Titus Wojciechowski, dem sein Herz gleich einer Geliebten zugetan, Jan Matuszynski, den teuren Jas, verschwiegenen Mitwisser zartester Geheimnisse, und Julian Fontana, den getreuen Kameraden, Stütze des Unerfahrenen und gewandt in alltäglichen Dingen.

Mit ihnen teilte er seine Jugend, die Leiden der Schule, die an Stelle häuslichen Unterrichts getreten war, mit ihnen auch die Freuden der Ferien, die er auf dem Lande zubrachte: Feldgänge und Wagenfahrten voll scheuen, zärtlichen Gedenkens, da man der seidigen Locken einer gewissen kleinen Komtesse sich erinnerte und heimkehrend die Mahlzeit gerüstet fand, frische Milch, Erdbeeren und ein schmackhaftes, derbes Roggenbrot.

Das Blau des Himmels lag über diesen Freuden, das Grün der Saaten und eine klare, opalene Luft. Die Obstbäume schmückten sich mit Brautschleiern, und wenn die Zeit der Ernte gekommen, vermählte die Geige der Schnitter sich den Liedern der Mäherinnen auf einem Bett von rotem Mohn.

Friedrich empfand seltsame Erschütterung. Zum erstenmal sprach das Volk zu ihm, der Mensch mit seinen Schmerzen, Sehnsüchten und Leidenschaften.

In wunderlicher Verwirrung flüchtete er zum Klavier. Ein Drang, sich mitzuteilen, ergriff ihn, und so spielte er, was seine Augen sahen: Liebe, die sich in Kornfeldern verbarg, Hochzeitsgelage mit dahinstürmenden Tänzerpaaren, Kindstaufen, Sterbefälle und Begräbnisse.

All das umgab er mit schmelzenden Trillern, Bässen, die den Dudelsack nachahmten, feurigen Triolen und einem auf und ab wogenden Rubato, erkennend, daß in diesem nationale Eigenart.

So kam er zum Tanzlied: der Mazurka, dem Krakowiak und der Polonaise.

In die Stadt gekehrt, mied er die Freunde. Das Hochgefühl, das ihm, dem Fünfzehnjährigen, die Drucklegung seines Rondos op. 1 bereitet hatte, schmolz in der Glut neuartiger Gedanken. Er begann mit deren Niederschrift, änderte, verwarf und sann, die Schularbeiten getan, grübelnd bis in die Nacht hinein.

Oft sprang er im Halbschlaf aus dem Bett und schlug auf dem Pianino einige Akkorde an. Gefundene Auflösung ließ ihn sich wieder legen. Doch bald erwachte ein neuer Zweifel und trieb ihn zum Instrument zurück, vor dem man ihn bei Anbruch des Tages sitzend fand.

Die Diener steckten die Köpfe zusammen.

»Unser armer junger Herr,« murmelten sie, wenn die Rede auf ihn kam. Und sie tippten vieldeutig mit dem Finger auf die Stirnen.

 

Indessen wuchs Friedrich ohne Schaden auf. Ein Kuraufenthalt in Reinerz kräftigte seine vorübergehend angegriffene Gesundheit, und als er nach bestandenem Examen aus dem Lyceum schied, ersah man ihn schlank, mit gereiftem Ausdruck, die Haare über den Schläfen leicht gewellt, im übrigen heiter und bereit, den Kampf mit dem Leben aufzunehmen.

Das Joch der Schule abgeschüttelt, war es die Kunst, die er zum Berufe sich erbat. Zweifel der Eltern besiegte er mit schwerwiegenden Gründen. Er erinnerte an die hohen Worte, die Fürst Anton Radziwill gesprochen, der ihn in Warschau spielen gehört und auf sein Landgut Antonin geladen hatte.

Indem er die Runde schilderte, deren Mittelpunkt er dort gewesen war, malte er einen glänzenden Saal mit Ahnenbildern in prunkvollen Rahmen, bronzenen Kerzenhaltern und einem Pfeilerspiegel, auf dessen marmorner Konsole schlanke Sèvresvasen sich erhoben.

Unter dem Kronleuchter stand der Flügel. Dort saß er selbst, das scharfe Profil dem Beschauer zugewandt, um ihn ein Blumenkranz duftiger Toiletten, in vergoldetem Lehnsessel der Fürst, mit andächtig gesenktem Feuerkopf.

Er erwähnte des ferneren der Erfolge, die er als Komponist errungen hatte, nannte sie Stückwerk im Vergleich zu den Hoffnungen, mit denen er sich für die Zukunft trage, und da musikalische Autoritäten bestätigten, was er vorbrachte, entschloß man sich, ihrem Rate zu folgen und ihn dem Konservatorium zur weiteren Ausbildung zu übergeben.

Nikolaus Chopin ließ es sich nicht nehmen, den Sohn persönlich zum Direktor zu geleiten, der, als tüchtiger Kontrapunktist bekannt, ein Freund des Hauses war und Friedrichs Entwicklung seit langem mit Teilnahme verfolgte.

Sie fanden Elsner – denn so lautete sein Name – in dessen Refugium an der Jesuitenstraße, wo ihm, dem Schöpfer zahlreicher Kantaten und einer »Passion unseres Herrn Jesu Christi«, zwei Zellen des Piaristenklosters als Behausung dienten.

Es war ein halbverfallener Bau. In den Gängen moderten zerschlissene Kirchenfahnen. Das Vorzimmer glich einer dunklen Krypta, und nur die an den Wänden hängenden Musikerportraits kündigten seine neue Bestimmung.

Während Friedrich dem Studium der Köpfe oblag, begab sich Nikolaus Chopin in Elsners Kabinett. Hier fand eine Unterredung statt, die nach Erledigung der üblichen Formalitäten mit diesen denkwürdigen Worten des Direktors schloß:

»Sie sprachen von dem Urteil der Leute, daß Friedrich sich den Regeln nicht füge, daß er sie unterschätze und sich nur von der Phantasie leiten lasse, die ihrerseits die allgemein gültigen Normen der Musik verletze. Nun, ich erwidere Ihnen: Lassen Sie ihn in Frieden. Er geht deshalb nicht den gewöhnlichen Weg, weil seine Begabung eine ungewöhnliche ist.

Er hält sich nicht streng an die althergebrachte Methode! Dafür hat er seine eigene, und er wird in seinen Werken eine Originalität offenbaren, wie sie bis dahin bei niemandem zu finden war.«

»Die Größe des Künstlers«, fügte er nach einer Pause hinzu, die er benutzte, seinen Morgenpelz zu schließen, »wächst aus der Kraft einer genialen Individualität. Sie kann nur aus sich selbst Vollkommenheit erlangen!«

In diesem Zeichen begann der Unterricht. Es war ein Entfalten aller Regungen, ein Gewährenlassen, ohne doch des Zwanges zu vergessen, den Arbeit vor den Erfolg gesetzt.

Der Lehre des Kontrapunkts folgte die der Komposition. Geheimnisse wurden enträtselt, deren Schleier neue Wunder lüfteten. Durch Schulung der Form sich selbst befreiend, drang Friedrich bis zu den tiefsten Gründen technisch musikalischer Erkenntnis.

Und noch ein andres erfuhr er, das gleich einem warmen Frühlingsregen seiner Starrheit letzte Rinde brach. Allabendlich, wenn er das Konservatorium verließ, begegnete er am Denkmal König Siegismunds dem Wagen der Moriolles. Die kleine Komtesse saß darin, mit ihrem rosa Perkalkleidchen, den lachenden Augen und einem großen Strohhut, der wie ein Heiligenschein auf ihren blonden Locken thronte.

Man passierte einander, grüßte und streifte sich mit Blicken, gemeinsamer Kindheit eingedenk und voll Verlangens, Fortsetzung des süßen Spieles zu erleben.

Einmal hielt der Kutscher mitten auf dem Platz. Friedrich ergriff Moriolkas Hand, und da er in ihren Blicken Entgegenkommen las, hauchte er einen Kuß darauf. Der Boden wich ihm unter den Füßen, seine Knie sanken in Abgründe.

Trunken vor Glück ging er nach Hause und strömte, was ihn durchbebt, in einem Rondeau à la Mazur aus, » dédié à Mlle. la Comtesse – Alexandrine de Moriolles«, denn Moriolka war nur ein Kosename, den er sich erdacht.

Mit huldigenden Oktaven setzte er das erste Thema an. Dann überleitend zu einem zarten B-dur das zweite, darin ein blühendes Melos mit silbernen Harfenakkorden sich verband.

Als er Elsner Text und Widmung zeigte, nickte dieser schweigend vor sich hin. In seine Rapporte aber schrieb er:

»Chopin, Fr., im zweiten Jahrgang, tüchtiger Schüler.«

 

»Fazit oder Defizit, mein junger Schweiger?«

»Keines von beiden, Herr Professor!«

Friedrich sprach es im Postwagen, zwei Meilen vor Züllichau auf der Landstraße nach Posen.

»Und Berlin,« fuhr sein Begleiter fort, »die Metropole?«

»Eine Stadt wie andere auch, nur größer, reinlicher und, was die Frauen betrifft, geschmackloser. Schade um die teuren Musselins!«

Jarocki lächelte.

»Sie sind ein Pole, mein Lieber,« sagte er.

»Und will es bleiben! Doch nun lassen Sie mich ernstlich antworten. Vieles hat mir gefallen: die schönen Straßen, die Bibliothek, die Pianofortefabriken und das Notenlager bei Schlesinger. Ich habe Spontinis ›Cortez‹ gehört, Webers ›Freischütz‹ und Händels ›Cäcilienode‹, die dem Ideal meiner Vorstellung von erhabener Musik entspricht. Zelter und Mendelssohn sah ich von fern und Ihre Naturforscher aus der Nähe. Das ist in Kürze das Ergebnis.«

Man kehrte von einem Kongreß zurück, der unter des berühmten Humboldt Führung die bedeutendsten Gelehrten aller Länder in Berlin vereinigt hatte. Jarocki, der früher dort studiert, war als Vertreter der Warschauer Universität geladen und, da er mit Nikolaus Chopin befreundet, von diesem gebeten worden, den Sohn auf eine Reise mitzunehmen, die zur Erweiterung seines künstlerischen Horizonts wichtig und wünschenswert erschien.

Indem er der stürmischen Freude sich erinnerte, mit der er, Friedrich, jenen Vorschlag aufgenommen – nicht ohne Beschämung wiederholte er bei sich die Worte, die er Titus zum Abschied übermittelt hatte: »Ich schreibe Dir wie ein Wahnsinniger, denn ich weiß tatsächlich nicht, was mit mir geschieht. Ich reise heute nach Berlin!« – fühlte er, daß er nicht reif gewesen war für diese Fahrt.

Noch hielt ihn die Heimat mit Liebesbanden fest. Dort waren die Freunde, Elsner, Moriolka … Sehnsucht verzehrte ihn. Er begann die Meilensteine zu zählen, fluchte der Indolenz des Kutschers, und als bei der Ankunft in Züllichau der Postmeister erklärte, es seien keine frischen Pferde da, empfand er dies beinahe wie einen Schicksalsschlag.

Professor Jarocki suchte ihn zu trösten.

»Ein historischer Ort,« meinte er, während sie ausstiegen.

»Machen wir einen kleinen Spaziergang.«

Sie taten es, ohne ihrer Langenweile Herr zu werden, und fanden sich zeitig auf der Station ein, wo Jarocki ein Menü bestellte. Friedrich indessen, von Ungeduld geplagt, äugte die Nebenräume ab und rief plötzlich, da er schon verzweifeln wollte:

»Ein Flügel!«

Jarocki entfaltete seine Serviette.

»Ein Flügel?« fragte er ironisch.

Aber Friedrich, der rasch ein paar Töne angeschlagen hatte, gab zur Antwort:

»Und kein schlechter dazu!«

Mit geschlossenen Augen überließ er sich dem Spiel. Ein Volkslied fiel ihm ein, das daheim an stillen Abenden gesungen ward:

» Juz miesiac zaszedl …«

Langsam sprach er die Worte vor.

Eine Hirtenflöte nahm sie auf und trug sie zu schaukelnden Jasminblüten. Moriolka neigte sich ihrem Duft. Die Nacht hing mondschwer über den Büschen …

In dieser Bilder Wohllaut versunken, entging es Friedrich, daß er Zuhörerschaft gefunden hatte. Drei Reisende, deren einem die Pfeife in der Hand erloschen, der Postmeister, dessen würdige Gattin und zwei rotbackige Töchter standen im Halbkreis um das Instrument und lauschten mit Jarocki atemlos den Klängen.

Ein Tanzmotiv war dem Liede gefolgt. Fußstampfen erscholl und helles Lachen wie aus Mädchenkehlen. Von Temperament durchglüht, tollte ein feuriger Kujawiak.

In diesem Augenblick wurde die Türe aufgerissen, und eine grobe Stimme schrie:

»Die Pferde sind da!«

Friedrich sprang alsogleich empor und sah sich von flehenden Blicken umringt, die ihn zum Bleiben zu bewegen suchten. Auf seinen erstaunten Einwand, daß die Wartezeit schon lange dauere und er nach Posen müsse, offerierte ihm der Postmeister Kurierpferde:

»Spielen Sie, herrlichster junger Künstler, und Sie sollen haben, was Sie wünschen!«

Diesem Argument erlag er. Man holte Wein, stieß auf ihn als den »Liebling Polyhymnias« an, und ein zufällig anwesender Musiker beschwor in wohlgesetzter Rede, Mozart selbst hätte solcher Leistung applaudiert.

Friedrich dankte mit höflichen Worten, und nachdem er noch eine Mazurka zugegeben hatte, trug ihn der Postmeister zum Wagen.

Die Pferde hielten, was sie versprochen. Mit fliegenden Hufen stoben sie davon, und Friedrich, der sich das Verdienst an dieser Sache zuschrieb, nahm ihre Eile als günstiges Zeichen.

Führte er nicht das Glück mit sich? War seine Gabe nicht ein Talisman; die Herzen der Menschen zu erschließen? Er dachte es während der ganzen Reise, dachte es, als sie in Posen bei Anton Radziwill fürstliche Gastfreundschaft genossen und nach zweitägigem Aufenthalt zur Grenze rollten, wo die Ebene blau war und der Himmel weit. Mit blasenden Postillionen fuhren sie in Warschau ein.

Zum dritten Mal las Friedrich, vor dem Portal des »Kaiserlichen Hoftheaters nächst dem Kärnthnertore« stehend, bleich, in einem Frack von schwarzem Tuch und hohem, weißseidenem Gilet, den Maueranschlag für den Abend:

 

Programm
der
Musikalischen Akademie
11. August 1829
Die Geschöpfe des Prometheus
Ouvertüre
von
Ludwig van Beethoven
Variationen über ein Thema aus
»Don Giovanni« mit Orchester

komponiert und vorgetragen
von
Herrn Friedrich Chopin …

 

Staunend umfaßte er den Satz. Vor kaum elf Monaten Berlin, dann Warschau mit abschließenden Konservatoriumsstudien und nun Wien, der Boden des Genies, Grabstätte Glucks, Haydns, Mozarts, Beethovens.

Ein Schauer ergriff ihn, da er diese Namen aussprach. Er warf einen Blick auf die Fassade, die breit und wuchtig zur Straße abfiel, und trat, das Foyer passierend, in den noch dunklen Zuschauerraum.

Beklommen sah er die ungeheuren Maße: fünf Stockwerke, deren zwei mit Logen ausgebaut, ein riesiges Parterre, davor kaum wahrnehmbar das Orchester, schattenhafte Notenständer und der Sitz des Dirigenten.

Dies alles sollte sein Spiel heut füllen, sollte. es aufpeitschen, zähmen und beherrschen!

Würden seine Kräfte dazu reichen?

Schon bei der Probe waren ihm Zweifel über das Wagnis gekommen, das er, dem Drängen der Freunde sich fügend, zu unternehmen eingewilligt hatte.

Freilich, bestimmend war ihm der Grund, den sein Verleger angeführt: da er, Haslinger, des jungen Chopin Variationen drucken wolle, sei es an diesem, sie dem Publikum bekannt zu machen.

Ein kluger Geschäftskniff, dachte Friedrich, dem nun auch in Erinnerung kam, wie Haslinger ihn dem Intendanten Grafen Gallenberg empfohlen, wie dieser Haslingers Worte gebilligt und für den Fall eines Konzertes sein Theater angeboten hatte, wobei erheblich, daß der Gast kein Honorar beanspruchte.

Indes, was nützte dies Raisonnement? Ernster, ja beinahe von tödlichem Einfluß war die Haltung, die das Orchester ihm gegenüber eingenommen. Es hatte saure Mienen gegeben. Ein Debütant mit eigenen Erzeugnissen, natürlich handgeschriebenen Noten, und – kaum zu sagen – die Zahlen unter den Pausen!

Das war gegen den Wiener Brauch. Man spielte mit Unlust, schlug sich mühsam durch die Variationen, und als nach mehrmaligem Abklopfen des als vierte Nummer angesetzten Rondeau de Concert Friedrich um eine Wiederholung bat, verweigerte man diese, worauf er für weitere Proben dankte und sich auf Anraten des Regisseurs entschloß, statt des Krakowiak zu improvisieren.

Ein Kampf war somit unvermeidlich, ein Ringen, übermenschlich für den Anfänger, da gleichzeitig mit Orchester und Publikum geführt.

Das Instrument, das Graff ihm gestellt hatte, blieb dabei seine einzige Hoffnung.

Es muß mich retten! dachte er und begab sich zur Bühne, wo eben die Kerzen angezündet wurden.

Langsam belebte sich das Haus. Aus den Logen drang das Summen der Menge, das ihm zorniger erschien denn je. Er hörte, wie man die Noten auflegte, die Musiker huben zu stimmen an, und nach einem dumpfen Beckenschlag ertönte, von Hoboen zart geblasen, das Adagio der Beethovenschen Ouvertüre.

Friedrich verfolgte sie mit kritischen Bemerkungen. Er prüfte den Aufbau, der ihn anzog und wiederum abstieß. In den Uebergängen sah er Kontraste: der seraphische Hauch, der ihn emporgetragen, stürzte wenig später als Felsblock ihn hinab.

So stritt er mit titanischen Gewalten.

Der Anblick eines geschminkten jungen Mannes führte ihm Mut, fast Sicherheit zurück. Es war der Adlatus des Direktors, gesandt, ihm die Noten umzublättern.

Man grüßte einander, da die Ouvertüre schmetternd ausklang, und nahm seine Plätze vor dem Flügel ein, wobei der junge Mann erklärte, Hummel und Moscheles denselben Dienst getan zu haben.

Dann eine kurze, erwartungsvolle Stille, ein Rauschen im Publikum, das Orchester spielte an. Friedrich mied es, den Blick zu wenden. Er behielt die Musiker im Auge, zwang dem Cello seinen Willen auf und setzte endlich mit leicht markiertem Anschlag ein.

In dieser Sekunde war er frei jeden Mißtrauens zu sich selbst. Er schwang den Mantel Don Giovannis, daß er prächtig aus den Tasten quoll, wob Leporellos Sprünge hinein, das Silberlächeln Zerlinens und Masettos derbe Flüche.

Vielfaches Bravo lohnte ihm. Der Beifall stieg von Variation zu Variation und fegte die Zwischenspiele des Orchesters weg. Zweimaliger Hervorruf endete sein Auftreten.

Friedrich genoß einer stillen Rache. Als er sich nach der Gesangseinlage wieder auf der Bühne zeigte, empfing ihn donnernder Applaus.

Sein Auge blitzte die Musiker an:

»Hut ab, ihr Stümper, ein Genie!«

Mit Leidenschaft begann er die Improvisation. Das Hochzeitslied, das er zum Thema gewählt hatte, » Chmiel« – o wie liebte er den Sinn des Volkes –, ward Spiegel seines heutigen Erlebens.

Er bat demütig, sah sich abgewiesen. Trotz lieh ihm Stärke. Da nahm er, was ihm gebührte. In stolzen Läufen verkündete er seine Ueberlegenheit, ward himmlisch entrückt, lächelte und brach in Tränen aus.

Ein Brausen dicht unter ihm entriß ihn der Erstarrung. Das Orchester hatte sich erhoben und applaudierte über die Rampe weg zu ihm hinauf. Die Zuhörer in Parterre und Rängen stimmten ein. Friedrich verbeugte sich und fand sich taumelnd in der Garderobe wieder.

Was nun geschah, erlebte er gleichsam durch einen Nebel. Landsleute kamen, Freunde, Kollegen. Ein Adjutant des Kaisers ließ sich melden und drückte in elegantem Französisch seine Bewunderung aus:

Monsieur Chopin möge Wien erhalten bleiben!

Friedrich antwortete zerstreut. Er war mit der Improvisation nicht ganz zufrieden, glaubte sie flacher, mehr auf den äußeren Effekt gestellt.

Und doch, hatte er nicht das Haus bezwungen?

Hatte er?

Unruhig erwartete er während der nächsten Tage die Kritiken. Alle waren des Lobes voll. Man pries die Schönheit seiner Gedanken, das Schwellen des Tons, sein tiefster Empfindung abgelauschtes Spiel und feierte ihn als leuchtenden Meteor am Horizonte der Musik.

Nur in der »Wiener Theaterzeitung« begegnete er so etwas wie einem Widerspruch.

»Sein Anschlag,« schrieb diese, »obwohl nett und sicher, hat wenig von jenem Glanz, durch den sich unsere Virtuosen bei den ersten Takten ankündigen. Er markiert schwächlich, gleich einem Konversierenden in der Gesellschaft, und nicht mit dem rhetorischen Aplomb, der für den Pianisten als unerläßlich gilt …«

Friedrich empfand einen leisen Stich.

Man war hier wohl ein Trommeln gewöhnt!

Die Tochter des Redakteurs paukte am Ende selbst?

Aergerlich warf er das Blatt beiseite. Er wußte, daß er den Damen und den Musikern gefallen hatte. Sein Weg war vorgezeichnet. Der aber sollte zu den Sternen gehen.


 << zurück weiter >>