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Sommer hitzte Paris. Ein graues Dunstmeer wogte über der blendendweißen Stadt, die Plätze glühten gleich ungeheuren Schmelztiegeln, und wer von Süden kommend die Länge des Boulevard du Midi durchschritt, sah zwischen Scheiben aus flüssigem Glas Ströme roten Kupfers von den Dächern rinnen, das mit dem Streifentuch schlaff herabhängender Trikoloren, mit den Spiegeln der Schaufenster und dem Seidenflaum geputzter Frauen zu einem orgiastischen Farbenspiel verschmolz.
Friedrich, der in der Nähe des Pont d'Austerlitz zu tun gehabt, folgte, nachdem er die Eisenbrücke passiert, dem Lauf der Seine und bog, die Inseln zur linken Hand belassend, am Quai du Louvre nördlich ab, um zur Place Vendôme zu gelangen.
Mit seinem ovalen Kopf, dem brennenden Weiß seines Gesichtes und der vorgeneigten Körperhaltung glich er einer zartstieligen Winde, die, von der Glut erschöpft, den Kelch ihrer Lider geschloffen hat.
Bisweilen nur brach ein Strahl zorniger Leidenschaft aus seinen gesenkten Wimpern. Das war, wenn in der Seidenpolsterung eleganter Equipagen das Spitzengebilde einer grande dame an ihm vorüberschwebte oder der Rauschrock einer Lorette ihn berührte, die über dem hochbeschuhten Bein am Strumpfband die Röte einer frischen Rose trug.
Ja, er haßte die Frauen, die er einst geliebt hatte, haßte in ihren Körpern den, der ihm versagt geblieben war, verdammte ihr Geschlecht, so wie es ihn verdammt, mit der Unerbittlichkeit des Henkers!
Und als er dies dachte, versank die Dirne Paris im fahlen Glast algerischen Sandes. Er saß auf hellen Kissen in der Rundung eines Säulenhofes. Springbrunnen stäubten schillernd ins Blau, das tiefe Kobalt der Fayencen spiegelte auf weißen Marmorfliesen, und er, der in brokatenem Prunkkleid den Schlauch der Wasserpfeife zwischen den Zähnen hielt, reckte lässig die Hand und sprach das Wort:
»Töte sie!«
Da blitzte die Schneide eines Krummsäbels. Der Neger, der, bis zu den Lenden entblößt, in grünen Pluderhosen den Eingang zum Frauenhaus bewachte, schlüpfte geräuschlos durch den Vorhang.
Ein Schrei bäumte auf, ein Röcheln aus weißen und bronzefarbenen Kehlen, und der in den Arkaden kannte alle, die dahinsanken: die blonde Zirkassierin, deren Laut wie kühle Seide war, die beiden Araberinnen aus der großen Wüste und die Fanariotin mit dem unbändigen Stolz, dem dunklen Auge und dem herzförmigen Mal am Nacken.
Der Strom ihres Blutes füllte die Bassins, quoll über den Stein des Baderaums. Ein Band von stumpfem Scharlach, rieselte er durch den Sand zur Küste und schwamm gleich einer Qualle im Meer, über dem senkrecht die Sonne stand, goldränderig inmitten eines afrikanisch blauen Himmels.
Als Friedrich die Treppe zu seiner Wohnung hinaufstieg, erwachte er wie aus einem schwülen Traum. Er rief dem Concierge, damit er ihm die Tür aufschließe, und trat, nachdem er Stirne und Hals mit Kölnischem Wasser abgerieben, im Schlafzimmer zu einem Spiegel, vor dem er ermattet niedersaß.
Sein Kopf, im Dunkel gleichsam vom Körper abgelöst, starrte bleich aus einer Fläche schwarzen Glases, und wie er, beruhigt vom Schatten der vorgezogenen Läden, rückwärts zu denken anhub, deuchte ihn logisch, ja verzeihlich, was Maria ihm getan.
Nicht, daß er zu jenen Spöttern gehörte, die die Tugend der Frau als deren einzige Untugend bezeichneten und Treue ins Reich des Unmöglichen verwiesen.
Doch ward ihm klar, daß sie aus leichterem Stoffe gemacht, daß, was den Mann entzücke, in ihren Fehlern begründet sei, und wenn Veranlagung also zum Uebel führe, man solches als Unglück zu betrachten, nicht aber das Geschlecht zu richten habe!
Mit dieser Auffassung gewann ihm das Leben ein freundlicheres Ansehen.
Auf sie verzichten, die sein Schaffen befruchtet hatten, deren Atem die Werke durchdrang, die druckreif die Fächer seines Schreibtischs füllten?
Es war schwer, zu hassen, wo man lieben wollte …
Plötzlich und ihm selber unerwartet dachte er des Briefes, den die Stadtpost am Morgen ihm gebracht.
Der gute, zartfühlende Custine!
Machte er sich zum Sprachrohr der Freunde, wenn er besorgt ob Friedrichs krankhaften Grübelns schrieb:
» Vous êtes malade; vous pourriez surtout le devenir bien plus sérieusement; vous êtes sur la limite des chagrins de l'âme et des maux du corps.«
Ein schwaches Rot färbte das Bild des Einsamen.
»Die Grenze des Kummers …,« murmelte er und legte die Hände auf die Augen.
Einige Tage später, da die Stadt in Wolken lag und Kühle ihn anlockte, das Zimmer zu verlassen, mietete Friedrich einen Wagen und fuhr zum Père-Lachaise hinaus, den er um seiner grünen Romantik willen liebte.
Es gab dort Fruchtbäume aus der Zeit der Jesuitenpatres, dunkle Zypressen und tief hängende Weiden, in deren hellem Zweigicht der Wind wie mit Frauenhaaren spielte.
Tod war hier Triumph, Sterben: Ausruhn vom Mühen des Genies, und wer die blühenden Einschnitte der Täler sah, glaubte sich in einer Landschaft der Touraine, so parkartig, heiter, wechselnd führte ihn das Netz der Wege.
Und dann die Hügel, o die Hügel! Im Schoß der Erde liegen, das Antlitz den Sternen zugewandt, eines Leibes sein mit denen, die die Kunst erhöht, deren Namen Marmortafeln ferneren Geschlechtern kündeten, und die nun schliefen im Schatten ihres Ruhms, der, auf den Lippen von Tausenden, Paris zum Echo ihres Werkes machte!
Auch ich will hier enden, dachte Friedrich, der des Wanderns müde am Grabmal Abälards und Heloisens stehen geblieben war und die Medaillons der Liebenden betrachtete, deren glücklose Leidenschaft in gotischen Spitzbogen versteinte.
Während er ihrem dunklen Schicksal nachsann, fühlte er plötzlich die Wärme einer kleinen Hand, die sich tastend in die seine schob, und sah ein Mädchen, kaum zehnjährig, wie ihm schien, mit blaßbraunen Augen unter der Locke schwarzen Haares und in einem Kleide, dessen weiße Zierlichkeit von einer Schärpe kirschroten Satins gehalten ward.
Verwirrt durch die Seltsamkeit dieses Begebnisses, erwiderte Friedrich den Druck der schmalen Finger, und als sie mitsammen weiterschritten, noch immer schweigend, das Kind aber, ihm zärtlich angeschmiegt, zum Ausgang drängte, nahm er solches als Zeichen einer mütterlichen Vorsehung.
Was seine junge Seele bewegt, Friedrich strebte nicht, es zu erfahren. Ob es dem Haus der Eltern entlaufen, bei ihm, dem Fremden, Zuflucht suchte oder – und dieses dünkte ihn das Wahrscheinlichere – das erwachende Geschlecht es trieb, sich zum Manne zu gesellen, den es einsam merkte, genug: er ging, die Brust mit süßem Behagen angefüllt, neben dem Trippelschuh seiner Begleiterin und fand sich, da diese ihm unversehens entschlüpfte, mitten im Gewühl des Boulevard de Ménilmontant.
Und hier, umrollt vom Knarren der Lastwagen, die durch die Barrieren nach Paris fuhren, quoll ihm brünstig ein dunkler Schrei.
Er war versöhnt, sah, daß er lebte, und freute sich dessen und der Menschen.
Friedrichs Genesung bildete die große Neuigkeit des Sommers. Salon und Freunde stritten um ihn, die Schüler jauchzten der Wiederkehr des Lehrers, und er, beglückt ob so unverhoffter Teilnahme, glitt mählich ins Fahrwasser des alten Lebens.
Ja manchmal schien es, als habe Leid und Krankheit den Nimbus seiner Persönlichkeit gesteigert. Die Welt trug Handschuhe à la Chopin, sein Name erstarb im Flüstern zartbespannter Boudoirs, und neben dem schwärmerischen Kult der Frauen stand feindlich glitzernd die Eifersucht der Männer.
Friedrich ließ sich davon nicht blenden. Den Arbeitsfaden knüpfend, wo ein ungerechtes Schicksal ihn zerrissen, band er Vergangenes mit Gegenwärtigem und schuf, da man ihn aufforderte, nebst Vidal und Franchomme im Laufe des aristokratischen Custine bei einer Matinée zu spielen, durch eine bejahende Antwort die Brücke für Zukünftiges.
Es war ein Augenblick erwartungsvollen Schweigens, als er am Arm des ihm treu ergebenen Gutmann – nicht umsonst hatte ihm der Vater einst den Fünfzehnjährigen zur Ausbildung vertraut – das mit Persern ausgelegte Vestibül passierte und durch eine Glastür die Bibliothek betrat, in deren perlgrauer Boiserie zwischen Portieren von violetter Japanseide, Bronzen und chinesischen Porzellanen die Gesellschaft versammelt stand, ein kleiner Kreis künstlerisch gepflegter Existenzen, deren illustre Rede mit einer murmelnden Verbeugung abbrach.
Der Gastgeber, ausgezeichnet durch Geburt, Erziehung und weltmännische Eleganz, begrüßte Friedrich als einen den Musen Neugewonnenen und führte ihn zu einer Gruppe rotblühender Camelias, in deren Schatten ein bauchiger Sessel seiner harrte, indes, als verstatte sein Erscheinen den Beginn: Vidal, Franchomme und Gutmann das Konzert mit einem Streichtrio von Mayseder eröffneten.
Friedrich ward durch den Zusammenklang von Farbe, Duft und Ton zur Schwärmerei entzündet. Nicht unempfänglich für den Stil des Wiener Komponisten, sah er sich dennoch auserwählt, sein Volk in ihm andere Nationen überstrahlen, und dieser Gedanke gab ihm Stärke, daß er aufsprang und, kaum daß der letzte Satz beendet, sich statt Gutmanns am Flügel niederließ.
Der Wechsel geschah rasch und überwältigend. Mit hinreißendem Temperament begann er eine jener mächtigen Balladen, die Siegesglanz in Meere samtener Trauer tauchen, spielte sie groß, heldisch bewegt, dann gegen den Schluß, da erstickte Schreie aus den Tasten winselten, gesträubten Haares und mit einer fast ohnmächtigen Blässe.
Dergestalt, daß er Zeit und Raum vergaß und betreten, wenn nicht unwillig dem flammenden Auge einer Frau begegnete, deren Antlitz männlich braun gleich dem einer spanischen Gitana aus einer Fülle kastaniendunkler Locken sprang, mit schmalen, herabgewölbten Schultern, zierlichen Händen und einem Körper, der in der Hülle eines Fransenschals von goldblumigem Scharlach Kraft, Phantasie und Leidenschaft vereinigte.
In einen Wirbel ihm selbst unerklärlicher Empfindungen gerissen, erhob sich Friedrich und ging langsam zu seinem Sessel, um einer Unterhaltung auszuweichen. Doch folgte ihm der Schritt üppig gespannter Seide, und eine angenehme, wie von Küssen matte Stimme sagte:
»Man wird Sie mit Beethoven und Mozart nennen! Ihr Spiel ist die Offenbarung des Genies, Ihr Melos die Sprache des Unendlichen!«
Friedrich antwortete mit einem kurzen: »Ja, Madame …« und fühlte, da er es sagte, widerstrebend nur das eine, daß es köstlich sein müsse, von dieser Frau geliebt zu werden.
Aurore Dupin, Frau Dudevant oder, wie die Welt sie kannte, George Sand, war Friedrich keine Fremde mehr. Der Ruhm ihres Schaffens erfüllte die Salons, Männer, deren Namen unter den Gestirnen Frankreichs glänzten, huldigten ihr als Sklaven einer willenlosen Leidenschaft, und wer den Autor der »Lélia« nicht bewunderte, schmähte ihn als Helden ungezählter Liebesabenteuer, deren jüngstes mit dem lässig eleganten Musset vor kaum drei Jahren die Pariser Chronique scandaleuse bereichert.
Friedrich war beides in gleichem Maße antipathisch. Gewohnt, das Weib als Widerpart des Mannes: zärtlich, hingebend, abhängig zu sehen, haßte er Frauen, die etwas anderes sein wollten als Frau allein, die wie Madame Dudevant die Fessel der legitimen Ehe abstreifend in Männertracht mit eisernen Absätzen das Leben meisterten, die Gesellschaft verachteten und von der Warte errungener Selbständigkeit den Mann zum Liebesobjekt erkoren.
Und doch, wie er sich nun zu ihr wandte und sie, erregt durch die Nähe des Gesuchten – denn lange schon umwarb ihn das rote Blühen ihrer Brüste –, den Schal über den Nacken gleiten ließ, der bräunlich hell die Goldkelche der Blumen überwucherte, drang ihre Schönheit so zwingend auf ihn ein, daß er berauscht die Hand ergriff, die sie ihm darbot, und wie unter dem Nachtblau eines südlicheren Himmels, bei flackernden Windlichtem und dunkel schwirrenden Guitarren den Liebesbund durch einen Kuß besiegelte.
Frau Sand, in Schauer der Sehnsucht aufgelöst, war willens, den Erfolg zu nützen. Sie bat Friedrich um seinen Arm und sagte, da sie den Saal durchquert hatten und über eine Treppe den Ziergarten gewannen, aus dessen Büschen, befruchtet vom Naß eines Gewitterregens, der schwüle Duft spanischer Jasmine quoll:
»Sie müssen zu mir nach Nohant kommen! Das Haus ist alt und voll behaglicher Mansarden. Nußbäume schatten den Gartenzaun, die Indre murmelt zwischen den Wiesen, und der Abend sinkt im Knistern des Kamins, während Amseln das Tal mit süßem Wohllaut überschwemmen.«
Friedrich blieb schwer atmend stehen.
»Es gibt Amseln dort?« fragte er in einem letzten Kampf.
»Und Nachtigallen!«
»Sie werden Liebe singen?«
»Sie werden Liebe singen!«
Indessen ging Friedrich nicht nach Nohant. An jenem Tage heimgekehrt, entzündete er bei anbrechender Dämmerung die Kerzen eines Doppelleuchters und lief, während sein Schatten schwarzflügelig an der Decke tanzte, in dumpfem Hader zwischen den Wänden auf und ab.
Fast schon beschlossen, dünkte ihn jetzt der Schritt nüchternster Überlegung wert. Arbeit und Zukunft standen auf dem Spiel. Erfahrung riet ihm, sich nicht tödlich zu verstricken!
Und doch, war er nicht einer Liebe überdrüssig, die sich in Blicken der Anbetung erschöpfte, schrie nicht sein Körper nach der Erlösung des Geschlechts, nach häuslichem Glück und einer Hand, die weiblich stark die Sorgen des Alltags von ihm fernhielt?
»Wenn du durch Flucht dich prüftest,« murmelte er, und dieser Gedanke ward ihm von so ausschlaggebender Bedeutung, daß er zur Feder griff und, ohne sich weiter mit Skrupeln zu beschweren, Pleyel schrieb, er sei bereit, an der geplanten Tour nach England teilzunehmen, da Broadwood und dessen Instrumente ihm von Wichtigkeit!
Am gleichen Abend noch traf er Vorsorge für die Überfahrt …
Sie sahen London im Lichte eines bleichen Frühnebels, speisten bei Broadwood in Bryanston Square, probierten Flügel, deren Konstruktion Erard und Pleyel ebenbürtig: Friedrich bei allem schweigsam, in sich gekehrt und von einem ängstlichen Bemühen, den Schleier seines Inkognito nicht zu zerreißen.
Nach elftägigem Aufenthalt verließen sie die Stadt, und angesichts der ostindischen Docks, des Mastenwaldes und der Schiffsgalione, da die Themse zwischen grauen Ufern floß und höher schwellend zum Meere sich erweiterte, entlud sich Friedrichs Spannung in einem Weinkrampf überwundenen Stolzes.
Er wollte unfrei sein, nicht einsam! In trunkenen Nächten die Wollust eines Leibes spüren, der ihm verschmolz! Krankheit zur Lust der Sinne machen!
Und von Boulogne aus sandte er Botschaft nach Nohant dieser Worte:
»Ich komme …«
Als Friedrich bei hellem Mondschein die Straßen von Châteauroux passierte, zeigte die Uhr fast Mitternacht. Geschüttelt vom Querbaum des dahinrollenden Wagens, stumpf und doch bis zur Leidenschaft erregt, saß er, mit schlaffen Augen das Hügelland durchdringend, und fand, da die Indre silbergründig sich aus Ulmen schob, Lichter erglänzten und auf einer Rampe weichen Nußlaubes der Räderschall erstarb, beim Anblick des vor die Tür geeilten Weibes nur die Kraft zu einer schweigenden Umarmung.
Sie riß ihn an sich, den Hals von wogenden Locken überflutet. Ihre Brüste sprangen aus dem Busentuch, blaßgolden im Schimmer der windbewegten Kerze, und so ihn nehmend, halb ihn tragend, führte sie ihn in ein dreifensteriges Zimmer, das, mit geblümtem Kattun bespannt, Möbel im Stile Louis Quinze, ein Himmelbett und einen reich gedeckten Tisch enthielt.
»Du bist hungrig?«
»Nach deiner Liebe!«
»Und durstig?«
»Nach deinem Munde …«
Die Lippen noch feucht vom Scharlach hastig genossenen Weines, sanken sie auf das ungeheure Bett, umflossen vom Faltenwurf des Stoffhimmels, dessen grüner Damast in einem Federbusch mit silbernen Quasten endete.