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Er stand nun auf dem Gipfel des Ruhms. Mit einem Atem, der stets gewillt, davonzufliegen, lebte er zehn Wunderjahre, oft totgesagt, doch immer wieder sich erholend.
Paris bezeugte ihm königliche Ehren. Der Glanz seines Namens drang bis nach St. Cloud, Graf Perthuis lud ihn im Auftrag Louis Philippes, und durch vier Rosenschimmel hingebracht, spielte er bei Hofe en petit comité, verwöhnt, gehätschelt und mit goldenem Porzellan als Prunkgeschenk entlassen.
Dies, wie der Umstand, daß Luxus ihm unentbehrlich ward, auch George drängte, den günstigen Augenblick nicht zu versäumen, legte ihm den Gedanken nahe, aus der Zurückgezogenheit herauszutreten und, ungeachtet früheren Mißerfolges, im Konzertsaal sich dem Publikum zu zeigen.
Bach spielend, bereitete er sich auf das Ereignis vor. Regie der Freunde vertrieb die Plätze unter Gleichgesinnten, und da er, im Voraus ihres Beifalls sicher, der Oeffentlichkeit als einem Privatkreis gegenüber fühlte, der Adel in corpore gezeichnet hatte und Pleyels Räume den äußeren Erfolg verbürgten, sah er dem Tage mit Zuversicht entgegen.
Es war ein Anfahren von Equipagen, ein Duft von Blumen auf kerzenhellen Treppen. Die Aristokratie des Geistes, der Schönheit, der Geburt, des Geldes scharte sich um den Auferstandenen wie um einen König, der Feste gibt und aus den Kammern seines Reichtums spendet.
In blassem Silber verschmolzen Préludes, Balladen, Nocturnes und Mazurken mit zarten rosigen Gesichtern, weißen Armen, Gazebändern, Perlendiademen, und nur die allzu merkbare Erschöpfung hinderte, daß man dem Langvermißten eine Wiederholung des Programmes abzwang.
Kritik schwieg angesichts des Jubelsturms. Die Nachwelt schien das Wort zu haben. Künstler und Kunstwerk kleinlichem Widerspruch entrückt.
George blieb Friedrichs Dasein eng verbunden. Die Wohnung, die sie in der Rue Pigalle geteilt, – nicht wenig vermehrte es den Ruf der Dichterin, daß sie ihr Schaffen der siechenden Berühmtheit unterordnete und, Friedrich der Feuchte der Rue Tronchet entreißend, in ihrem Hause eine Art Familienlebens schuf – verließen sie nach fast zweijähriger Benutzung und siedelten gemeinsam in die Cité d'Orléans.
Es war dies ein ruhig gelegenes Quartier, bei Künstlern vornehmlich beliebt, ein Square mit Springbrunnen, Bäumen und einem Rasenplatz, um dessen Teppichbeete schmalfenstrige Pavillons ein abgeschlossenes Rechteck bildeten.
Hier fand sich, was lange sie gesucht. Madame Marliani, Gattin des spanischen Konsuls in Paris und George wie Friedrich gleich befreundet, lieh ihnen Schein wohlanständigen Zusammenlebens. Man speiste zu dritt, sah sich am Tage, wann man Lust hatte, und zog sich nächtlich in die getrennt gemieteten Appartements zurück.
Friedrich schmückte das seinige mit der ihm eigenen Koketterie. Tapeten, tourterellefarben mit glänzend grünen Streifen, Vorhänge aus plissiertem Musselin, zierliche Sophen, Porzellane, Blumenständer, dazwischen er selbst in eleganter Tournüre sich bewegte.
Wen er vorließ, traf ihn, den Rücken am Kamin, die Füße in modisch kleinen Stiefeln, Rockknöpfe bis zum Hals geschlossen, mit leidenden Zügen, schmächtig, doch ein großer Herr durch seine Haltung.
Der Morgen begann ihm früh mit Unterricht. Um acht Uhr frisiert und vollständig gekleidet, empfing er die ersten seiner Schüler: George Mathias, Lindsay Sloper, dann, wie der Zufall sie brachte, Lysberg, Tellefsen, Charles Filtsch, gleich Liszt Ungar und, obschon dreizehnjährig, von jenem als Konkurrent gefürchtet, dazu Mikuli und Adolph Gutmann, des Meisters erklärter Favorit.
Fünf Stunden verflossen in hingebender Arbeit. Denn wenn auch der Preis für die Lektion, jeweils in Goldstücken erlegt, auf dem Kaminrand sein Auge blendete, galt ihm doch Fortschritt des Lernenden mehr als Gewinn, und er war unermüdlich in Ratschlägen, Verbesserungen, bis zunehmende Schwäche ihn sagen ließ:
»Ein anderes Mal …«
Kamen indes die Schülerinnen, verbarg er Mattigkeit in höfischer Galanterie. Er ward zum Weltmann, das Zimmer zum Salon, und jene Fräulein Duperré, O'Meara, Stirling, de Noailles, die Fürstinnen de Chimay, Czartoryska, Gräfinnen Kalergis, d'Est, Branicka, Esterhazy und Potocka, die er zum Wagenschlag begleitete, genossen seines Armes als einer königlichen Gunstbezeugung.
Eines Mittags, da Friedrich befohlen, niemand vorzulassen, erschien gleichwohl der Diener mit einer Visitenkarte, auf der in Druckzeichen: »Franz Liszt«, darunter ein » Laissez passer« geschrieben stand.
Mit einer Sitte vertraut, die Zelebritäten gestattete, Ausweis unangemeldeten Besuches zu verlangen, begab sich Friedrich in das Vorzimmer, woselbst er einen etwa fünfunddreißigjährigen Mann erblickte, der fremdländischen Zuschnitts, in einem gestreiften Paletot, sich tief verneigte und mit deutsch-russischem Akzent als »Wilhelm von Lenz« aufzuwarten bat.
Friedrich nötigte nicht, Platz zu nehmen. Gleich einem regierenden Herrn vor jenem stehend, fragte er:
»Was wünschen Sie? Ein Schüler Liszts, ein Künstler?«
»Ein Freund von Liszt und seit langem begierig, Ihre Mazurken an der Quelle zu studieren! Ich habe einige bereits mit Liszt …«
Friedrich unterbrach ihn artig, aber kühl.
»Wozu brauchen Sie mich dann? Spielen Sie bitte, was Sie bei Liszt gespielt. Mir bleiben noch wenige Minuten.«
Er zog eine kleine goldene Uhr aus seiner Tasche.
»Ich war im Begriff auszugehen, entschuldigen Sie,«
Lenz setzte sich verwirrt zum Flügel, probierte den Anschlag – » le gué«, sagte er – und begann, als Friedrich, durch diesen Ausdruck gewonnen, sich dem Instrumente näherte und ihm mit klugen Augen ins Gesicht sah, die erste Mazurka in B-dur, nicht ohne Sorge, wie ihm die von Liszt anempfohlene Volata glücken werde, die, statt von f zu f, einer Sternschnuppe gleich durch zwei Oktaven schoß.
Indessen, der Pleyel war kein Erard, seine Mechanik federleicht. Und so vom Fabrikat begünstigt, geriet die Stelle, zwar nicht wie unter Liszts Fingern als eine sprühende Rakete, doch technisch sauber und in elegantem Fall.
Friedrich beugte sich freundlich flüsternd vor.
»Der Trait ist nicht von Ihnen, nicht wahr? Den hat er ihnen gezeigt – er darf an alles seine Hand legen! Nun, er darf's: er spielt vor Tausenden, ich selten vor Einem! Immerhin, ich gebe Ihnen Lektion, aber nur zweimal die Woche. Es wird mir schwer, dreiviertel Stunden aufzubringen.«
Wieder prüfte er die Uhr.
»Was lesen Sie, womit beschäftigen Sie sich?«
Lenz nahm ihm die Frage von den Lippen. »George Sand und Jean Jacques sind die Mignons meiner Bibliothek,« entgegnete er rasch.
Friedrich lächelte, und war schön in diesem Augenblick.
»Das hat Ihnen Liszt gesagt – ich sehe, Sie sind eingeweiht, um so besser! Seien Sie präzise, mein Haus ist wie ein Taubenschlag. Wir werden uns näher treten, hoffe ich. Eine Rekommandation von Liszt will etwas heißen. Sie sind der erste Schüler, den er mir empfiehlt!«
Und mit einer verabschiedenden Handbewegung fügte er wie in Gedanken hinzu:
»Wir sind Freunde, wir waren Kameraden.«
Als die Türe sich hinter Lenz geschlossen hatte, stand Friedrich Minuten unbeweglich. Seine Haltung verfiel, er stützte sich auf den Flügelrand und murmelte mit kurzem Atem:
»Er, immer er! Daß die Welt Raum hat für zwei! Ich glaubte in ihm einen Freund zu finden, er aber gibt mir ein Königtum in seinem Kaiserreich!
»Ist Vergewaltigung Freundschaft, Mitleid Liebe? Es scheint Gesetz, daß Künstler einer Gattung nicht sollen zusammenstimmen dürfen. Nur Gleichfühlenden ist Harmonie! Wer aber fühlt gleich? Der Maler mit dem Maler, der Musiker mit dem Musiker, der Dichter mit dem Dichter? Oder nicht vielmehr: Musiker und Dichter, Maler und Musiker, Dichter und Maler in wechselseitiger Beziehung?
»Sei nicht töricht, Friedrich!« Du schufst dir eine bunte Welt, in der es hell war von Kerzen und Mädchengelächter, das silbern klingt wie die Triller der Grasmücken. Sie gab dir Ersatz! Nein!! Nicht Ersatz, wohl aber Betäubung – in deinem Stolz und deiner großen Einsamkeit!!!«
Tod vollendete, was Krankheit an Mißtrauen ihn gelehrt. Jan Matuszynski, der teure Jas, verschwiegener Mitwisser zartester Geheimnisse, erlosch, von einem schleichenden Husten weggerafft, und mit ihm das Trifolium der Jugend, denn Titus Wojciechowski war Friedrich seelisch wie körperlich entrückt, Julian Fontana Alltäglichem dienstbar.
Schwerer jedoch als dieses Sterben, Vorwurf und düstere Mahnung in sich schließend, traf ihn unvorbereitet an einem kühlen Maitage die Nachricht, daß Nikolaus Chopin, der redliche, besorgte Vater, vierundsiebzigjährig, einem Brust- und Herzübel erlegen.
Friedrich empfing den Schlag taumelnd, gebeugten Hauptes, einem Manne gleich, der zu fallen im Begriff steht, die Arme senkt und röchelnd den Gnadenstoß erwartet.
Er schrie nicht, aber seine Lippen bebten im Uebermaß des Schmerzes. Versäumte Liebe, Eingeständnis, daß sein Leben jenem fremd geworden, kamen ihm mit erschütternder Gewalt, und er bereute unter heißen Tränen.
Wenn er den Tagen der Kindheit nachsann, schien ihm die Güte des Verstorbenen unerschöpflich. Immer gewillt, dem Sohn zu helfen, hatte er seine Börse freigebig geöffnet, eigenes Behagen dem der Nächsten unterstellt. Nie war jemand fruchtlos als Bittender gekommen, und nicht umsonst rühmte von ihm der Schwager:
»Ein Menschenalter schritt er durch Korruption und Verderbtheit ohne einen einzigen Feind.«
Mit solchem Erinnern brachte Friedrich die Nächte zu, Nächte, die schlaflos waren, voll roten Fiebers und gespenstischer Visionen.
Freund und Vater streckten die Arme nach ihm aus. Doch statt ihr Antlitz verklärt zu sehn im Frieden des Gerechten, schaute er Augen, die von Würmern wimmelten, und rang mit allen Schrecken der Hölle.