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Winter hielt ihn nicht mehr in London. Die Furcht, im Hospital zu sterben, fern alles dessen, was er geliebt, wog stärker als die Vermahnungen der Aerzte, mit einer Reise bis zum Frühsommer sich zu gedulden. Nebel und Kohle zersetzten ihm die Lunge, Atmen ward ihm zur Unmöglichkeit, und so rüstete er Anfang Januar die Fahrt.
Ein bunter Traum, erstand Paris vor seinen Blicken, die Stadt der Freude, mit ihren Boulevards, deren breite Helle Leben und Bewegung ihm verhieß, mit ihren rauchenden Kaminen, die Schneekappen trugen wie das Blondhaar der Grisetten, und der Aussicht auf ein Zimmer, dessen Sonne südlich schien.
Freilich, Zurückkehren war ein Geständnis, daß er seine Kräfte überschätzt, und vieles würde er verändert finden!
Allein, hatte die Vorsehung ihm nicht einen Freund gesandt, Graf Albert Grzymala, der uneigennützig, einem Bruder gleich, an Stelle des nach New York verschlagenen Fontana wirkte?
»Ich reise Donnerstag,« schrieb er jenem vom Bette aus. »Gib Auftrag, daß die Leintücher und Kissen trocken seien. Laß Fichtenzapfen kaufen! Frau Etienne darf nichts sparen, damit ich bei meiner Ankunft mich erwärme … Pleyel mag mir das erstbeste Klavier zum Abend schicken, auch sollen Veilchen da sein! Ich will ein wenig Stimmung haben, wenn ich heimkehre … Freitag um Mittag bin ich bei Euch … Vielleicht kann ich mich doch noch erholen!
Bis zum Tode
Dein Ch.«
In Leo Niedzwieckis, eines Landsmannes, Begleitung brach er bei klarem Frostwetter von London auf, so voller Glückes, Spleen und Nebel hinter sich zu haben, daß ihm Lust zum Sprechen wiederkam und er die Lauge seines Spottes unbarmherzig über Stadt und Leute ausgoß.
»Ich erinnere mich eines Zusammenseins mit Heine und daß wir von England redeten. Er sagte, ich unterschreibe jedes Wort:
»Die Stockbriten sind mir in tiefster Seele zum Ekel, und manchmal halte ich sie nicht für meine Mitmenschen, sondern für Automaten, für Maschinen, deren inwendige Triebfeder der Egoismus. Es will mich fast bedünken, als hörte ich das schnurrende Räderwerk, mit dem sie fühlen, rechnen und verdauen.
»Ihr Beten, ihr mechanisch anglikanisches Zurkirchegehen mit dem vergoldeten Gesangbuch unterm Arm, die blöde langweilige Sonntagsfeier, ihr linkisches Frömmeln sind mir widerwärtig. Ich bin fest überzeugt, ein fluchender Franzose ist ein angenehmeres Schauspiel für die Gottheit als ein betender Engländer!
»Dazu der Mangel feiner Lebensart. Mit ihren Ellenbogen stoßen sie an jedermann, ohne durch ein Wort sich zu entschuldigen. Wie müssen sie wohl den Chinesen erscheinen, die mit der Höflichkeit geboren sind und, wie man weiß, zwei Drittel ihrer Tageszeit der Pflege dieses Nationalgebotes widmen!«
»Und jene Männer, deren Geist und Freiheitsliebe eine Fackel für Europa?« fragte Niedzwiecki.
Friedrich beugte sich zum Wagenfenster.
»Schauen Sie das Vieh dort,« rief er, auf eine Herde deutend, die den Boulogner Hügelweg hinabkam. »Ça a plus d'intelligence que les Anglais …«
Niedzwiecki schwieg, den Kranken nicht zu reizen. Etaples, Abbéville, Amiens, Beauvais zeigten sich reifglitzernd ihren Blicken, und dann … ja dann sah Friedrich etwas, das ihm gleich einer Liebkosung die Röte ins Gesicht trieb:
Zwei stumpfe Türme, von einem Strahlenkranz umflossen, Perlmutterbläue auf weißem Gedach, ein Brandfeuer aus tausend Scheiben. Er zitterte, setzte zum Sprechen an. Und rücksinkend hauchte er das Wort:
»Paris!«
Am Square d'Orléans standen sie versammelt: Graf Albert Grzymala, Gutmann, Franchomme und Frau Etienne, des Hauses redliche Verwalterin. Ein kräftiges »Man lebe!« scholl über den Hof, das Friedrich mit einem kurzen Handwinken quittierte.
Daniel war wie der Blitz vom Bock.
»Er ist sehr matt,« raunte er Gutmann zu, und ehe jemand Zeit gehabt, etwas zu sagen, schlang er den Arm um Friedrichs Schultern und trug ihn, der mit geschlossenen Augen lächelte, die Treppe aufwärts in das Wohnzimmer.
Als Friedrich den Kamin erspähte, die Blumen, die in verschwenderischer Fülle Tisch und Flügel deckten, stahlen zwei blanke Tropfen sich aus seinen Wimpern. Und wie wenn ihm jetzt erst Traum zur Wahrheit würde, öffnete er groß die Lider und stürzte, Dank stammelnd, an Grzymalas Brust.
Ein berauschender Glaube stieg in ihm auf, daß die schwersten Prüfungen ihm nun vorüber, daß es Hinfort verstattet sei, im Schoß der Freunde seinen Lebensabend zu verbringen.
Alles dieses schluchzte er hinaus, als kniee er im süßen Helldunkel katholischer Kapellen, und spürte das Rauschen eines weiten Mantels gleich der Kühle schwarzblauer Oktobernächte.
Paris wallfahrtete zu seinem Krankenlager. Die Fürstinnen Potocka, Czartoryska saßen als Pflegerinnen ihm zu Häupten, Jane Stirling war aus London nachgereist, und von der Arbeit kam Delacroix, aufleuchtend, so er dem Bewunderten sich nützlich zeigen konnte.
»Sie müssen nicht immer an das Ende denken,« sagte er mit dem tiefen Wohllaut seiner Stimme. »Kalkbrenner starb, Sie leben! Was haben Sie für einen Arzt?«
Friedrich drückte ihm bewegt die Hand.
»Seit Molins Tode keinen nennenswerten! Louis und Roth sind Charlatans, Simon, der mich zur Zeit besucht, gilt als ein Stern unter den Homöopathen. Indes, sie wissen alle nichts: ein Pflaster aus Honig und Mehl, und der Herr Jesus wird schon helfen.«
Er drehte sein Gesicht zur Wand.
»Hörten Sie etwas von George?« fragte er.
»Nicht viel, sie schreibt an ihren Memoiren.«
Friedrich atmete schwer.
»Ein wenig früh, wenn nicht unmöglich, scheint mir. Sie wird noch manches buchen können, ehe sie dem Alter sich ergibt!«
»Und damit dem Unglück,« erwiderte Delacroix.
Friedrich schüttelte den Kopf.
»Nein, nicht dem Unglück! Ihr Gewissen ist robust …«
Delacroix klopfte ihm den Rücken.
»Man sollte Sie auf andere Gedanken bringen! Die Avenue des Champs-Elysées, l'Arc de Triomphe, aus einer Schenke eine Flasche Wein … Was meinen Sie zu einer Wagenfahrt?«
Friedrich lächelte schwermütig.
»Später vielleicht. Simon empfiehlt mir Ruhe, Schonung.«
Und leiser fügte er hinzu:
»Als wenn ich nicht ohne ihn die Ruhe fände …«
Des Komponierens nicht mehr fähig, zu schwach, die Anstrengung öffentlichen Spiels sich zuzumuten, hatte er jetzt nur den Unterricht, davon sein Leben zu bestreiten. Auf einem Sofa ausgestreckt, empfing er die Erwählten seiner Schüler, des Flügels im Notfall sich bedienend, gab mündlich Lektion, hustete und sprach sich heiser.
Sie waren gefürchtet, die » leçons orageuses«, da er im Fieber glühend seinem Zorn die Zügel schießen ließ.
»Leicht,« schrie er, »leicht! Qu'est-ce? Est-ce un chien, qui vient d'aboyer?« und brach die Bleistifte zu Dutzenden in seinen Fingern.
Es setzte Tränen, wenn auch nie nachgetragen, Groll. Er selbst gestand sich, daß Lehrer sein in Zukunft ihm unmöglich, und eines Tages entließ er Jane Stirling, die als letzte mehrmals in der Woche zu ihm kam.
»Frau Rubio wird Ihre Stunden übernehmen,« sagte er, mühsam an sich haltend. »Sie hat bei mir gelernt. Gehen Sie, gehen Sie, ich bin ein toter Mann!«
Als Daniel die Türe hinter ihr geschlossen, erschütterte ein Weinkrampf seine Brust. Blut trat ihm auf die Lippen, und er dachte, daß auch dies ihn der Erlösung näher bringe: Bettler zu sein, wo früher er verschwendet.
Mildtätigkeit der Freunde enthob ihn vorerst jeder Sorge. Eine Wohnung ward gefunden, die seiner Börse angemessener, wobei es ihm Geheimnis blieb, daß er den Mietzins nur zur Hälfte zahle, der größer als man ihm gesagt, und dessen andere der Gräfin Obreskow zur Last fiel.
Es war still dort gleich der Provinz. Die Höhe Chaillots blickte auf das wimmelnde Paris. Zierbohnen grünten um die Fenster, und ein Balkon, von gelber Mauer abgesetzt, schwang sich luftig zur Mittagsbläue.
Auf ihm lag Friedrich, in Gedanken zwischen Himmel und Erde, nahm von der Sonne Abschied und welkte mit dem Flieder, dessen weiße Dolden Stadt und Gärten wie mit feinem Spitzenwerk durchzogen.