Marcus Tullius Cicero
Von der Weissagung
Marcus Tullius Cicero

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62. Wer möchte nun gar vollends zu sagen sich erkühnen, alle Träume seyen wahr. »Einige Träume sind wahr,« sagt Ennius, »alle brauchen es nicht zu seyn.« Was ist das für eine Unterscheidung? Welche hält er für wahr, welche für falsch? Und wenn die Gottheit die wahren schickt, woher entstehen die falschen? Denn wenn diese auch göttlich sind, was ist dann inconsequenter als die Gottheit? und was ist unverständiger als die Gemüther der armen Menschen durch falsche und täuschende Gesichte zu beunruhigen? Sind aber 966 die wahren Gesichte göttlich, die falschen aber und nichtigen menschlich, was ist das für eine Unbestimmtheit im Andeuten, daß das Eine die Gottheit, das Andere die Natur thun soll, anstatt entweder Alles die Gottheit, was ihr läugnet, oder Alles die Natur? Weil ihr nun aber Jenes läugnet, so müßt ihr das Letztere zugeben. Unter Natur aber verstehe ich die Erregung der Seele, vermöge welcher sie nie stille stehen und ohne Bewegung seyn kann. Wenn nun die Seele während der Erschlaffung des Körpers weder die Glieder noch die Sinne gebrauchen kann, geräth sie auf allerlei und schwankende Vorstellungen, die, nach der Ansicht des Aristoteles Reste (der Eindrücke) von jenen Gegenständen sind, die sie im Wachen getrieben oder gedacht hat. Wenn nun diese durcheinander gerathen, entstehen bisweilen ganz wunderliche Traumgestalten. Sind nun die einen davon wahr, die andern falsch, so möchte ich doch wissen, an welchem Merkmale sie zu erkennen sind? Gibt es keins, was sollen wir jenen Deutern Gehör geben? Gibt es eins, so möchte ich doch gerne vernehmen, welches es ist. Aber die Antwort wird ihnen schwer werden.


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