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30. Wollen wir also lieber dem Epicurus Gehör geben? Carneades freilich sagt aus Streitlust bald Dieß, bald Jenes. Doch was hat Jener für Ansichten? Nirgendeine, die Scharfsinn verräth, und sich über das Gemeine erhebt. Diesen also willst du über Plato und Socrates stellen? Wahrhaftig, selbst wenn Diese keine Gründe angäben, so müßten dennoch 837 jene schwachen philosophischen Lichter hinter ihnen zurück stehen. Plato also gibt die Vorschrift, man soll bei solcher Stimmung des Körpers sich zur Ruhe begeben, daß von ihm aus keine störenden und verwirrenden Eindrücke auf die Seele geschehen. Das soll auch der Grund seyn, warum den Pythagoräern der Genuß der Bohnen verboten wurde, weil diese Speise durch ihre blähende Natur den Geist bei seinem Suchen nach Wahrheit in der ruhigen Betrachtung stört. Wenn also die Seele im Schlafe ganz losgerissen ist von der Gemeinschaft und Berührung mit dem Körper, dann gedenkt sie klar des Vergangenen, schaut in die Gegenwart, und blickt in die Zukunft. Denn der Leib eines Schlafenden liegt da gleich dem eines Todten, indeß die Seele sich regt und lebt. Und Dieß wird sie noch weit mehr nach dem Tode thun, wenn sie sich ganz vom Körper losgemacht hat. Darum hat sie denn auch bei'm Herannahen des Todes einen weit schärfern Blick in die Zukunft. Schon Das ist ein Beweis davon, daß Menschen, ergriffen von einer schweren und tödtlichen Krankheit, bestimmt den bevorstehenden Tod voraussehen. Solchen erscheinen denn gewöhnlich die Gestalten Verstorbener; dann liegt ihnen noch ganz besonders daran, sich lobenswürdig zu benehmen; und Die, welche ihr früheres Leben unwürdig hingebracht haben, empfinden gerade dann die bitterste Reue über ihre Fehltritte. Daß aber die Sterbenden wirklich in die Zukunft schauen, bestätigt Posidonius auch durch den Fall, den er anführt: wie nämlich einmal ein Rhodier sterbend sechs seiner Altersgenossen mit Namen genannt und bestimmt vorausgesagt habe, in welcher Reihe sie nacheinander sterben werden. Auf dreierlei Art aber glaubt 838 er, daß die Menschen unter göttlichem Einflusse träumen. Die eine sey, daß der Geist durch sich selbst, vermöge seiner Verwandtschaft mit der Gottheit, das Zukünftige erschaue; die zweite, weil die Luft voll von unsterblichen Geistern sey, die, was wahr ist, schon unverhüllter und schärfer ausgeprägt erkennen; die dritte, weil die Götter selbst sich den Schlafenden mittheilen. Und Dieß geschieht, wie ich eben gesagt habe, leichter bei'm Herannahen des Todes, daß nämlich die Seelen eine Ahnungsgabe des Zukünftigen besitzen. Hierher gehört eben das Beispiel von dem Inder Calanus, das ich vorhin angeführt habe, und das des Hector bei'm Homer, der sterbend dem Achilles den nahen Tod weissagt.