Marcus Tullius Cicero
Von der Weissagung
Marcus Tullius Cicero

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

25. Den Socrates läßt Plato im Staatsgefängnisse zu seinem Freunde Krito sagen: ich weiß, ich habe nur noch drei Tage zu leben: es ist mir im Traume eine Frau von ausgezeichneter Schönheit erschienen, die mich beim Namen rief, und mit dem Homerischen Verse anredete:

Dich bringt günstiger Wind am dritten Tage nach Phthia.

Und das ist, wie die Geschichte berichtet, buchstäblich eingetroffen. Der Socratiker Xenophon (und was war dieß nicht für ein trefflicher und großer Mann!) erzählt in seinem Werke über den Feldzug, den er mit dem jüngern 830 Cyrus gemacht, seine Träume, wo sich ein wunderbares Eintreffen gezeigt hat. Wollen wir sagen, Xenophon lüge oder sey nicht recht bei Troste gewesen? Und nun gar Aristoteles, ein Mann von ganz außerordentlicher und fast übermenschlicher Geisteskraft, ist er selbst im Irrthum befangen, oder will er Andere irre leiten? Dieser erzählt, sein vertrauter Freund, Eudemus von Cyprus, sey auf seiner Reise nach Macedonien in die Stadt Pherä gekommen, einen damals sehr bedeutenden Platz in Thessalien, wo gerade der Tyrann Alexander mit grausamem Despotismus herrschte. In dieser Stadt sey Eudemus so schwer erkrankt, daß alle Aerzte an seinem Aufkommen zweifelten. Da sey ihm denn im Traume ein ausgezeichnet schöner Jüngling erschienen, und habe ihn versichert, er werde bald genesen, der Tyrann Alexander aber in wenigen Tagen um's Leben kommen; doch Eudemus werde nach fünf Jahren heimkehren. Die beiden ersten Prophezeiungen seyen dann, schreibt Aristoteles, gleich eingetroffen. Eudemus sey genesen, der Tyrann von den Brüdern seiner Gemahlin ermordet worden. Am Ende des fünften Jahres aber, als jenem Traume zu Folge zu hoffen war, Jener werde aus Sicilien nach Cyprus heim kommen, sey er in einer Schlacht bei Syrakus geblieben: der Traum aber sey demnach so ausgelegt worden, daß die Seele des Eudemus, als sie den Körper verlassen, in ihre Heimath gegangen sey. Schließen wir an die Philosophen den Sophokles an, einen Mann von hoher Bildung, auf jeden Fall einen höchstbegabten Dichter. Als einst aus dem Herkulestempel eine schwere goldene Opferschale entwendet worden war, erschien diesem Manne im Traume der Gott selbst, und 831 nannte ihm den, der es gethan hatte. Auf die erste und zweite Mahnung ging er gar nicht. Als ihm aber Dasselbe wiederholt vorkam, begab er sich auf den Areopagus, und gab die Sache an. Die Areopagiten ließen den von Sophokles Genannten festsetzen; Dieser gestand auf der Folter die Entwendung und gab die Schale zurück. Von jener Zeit an hieß jener Tempel der Tempel des Hercules Index [Μηνύτου, Angebers].


 << zurück weiter >>