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Flachköpfe. Nez percés. – Gesandtschaft der Flachköpfe über das Felsengebirge nach St. Louis. – Lee und Spalding gehen als Missionäre über das Felsengebirge hinüber. – Tschinuhks. – Das Flachdrücken der Köpfe. – Die Wiege. – Schädel der Flachköpfe. – Ähnlicher Gebrauch bei den Tschoktahs. – Sage der Tschoktahs. – Merkwürdige Gerätschaften der Tschinuhks, Klickatacks, Tschuhaylas und Ra-as. – Charakter und Gesinnung der Indianer am Kolumbiaflusse.
Nachdem wir die Stämme an der Atlantischen Küste, an den Grenzen von Mexiko und Kanada flüchtig betrachtet haben, wollen wir uns einen Augenblick an die Gestade des Großen Ozeans, an die Mündung des Columbia, versetzen.
Der zahlreiche Stamm der Flachköpfe bewohnt die Ufer des Columbiaflusses und einen weiten Landstrich im Süden davon, der äußerst unfruchtbar und in manchen Gegenden ganz von Wild entblößt ist, so daß sie von Wurzeln, die sie aus der Erde graben, und von Fischen leben müssen. Sie sind daher im allgemeinen arm und schlecht gekleidet und in keiner Beziehung mit den früher erwähnten Indianern im Osten der Felsengebirge, die im Lande der Büffel leben, zu vergleichen.
Die gewöhnlich mit dem Namen der Flachköpfe bezeichneten Indianer sind in viele Banden geteilt, und obgleich sie unstreitig ihren Namen von dem Gebrauche, den Kopf plattzudrücken, erhalten haben, so gibt es doch nur sehr wenige unter ihnen, die diesen sonderbaren Gebrauch noch beibehalten haben.
Die Nez percés, welche an dem oberen Teile des Columbiaflusses im Gebirge wohnen, gehören zu diesem Stamme, obgleich das Plattdrücken der Köpfe, wie es bei den weiter stromabwärts und an der Mündung wohnenden Indianern gebräuchlich ist, bei ihnen selten vorkommt. Ich malte zwei junge Männer, Hih-oh'ks-te-kin (Kaninchenbeinkleider) und H'co-a-h'co-a-h'cotes-min (Kopf ohne Horn), die einen reichverzierten Anzug trugen, den sie von den Sioux erhielten, die sie freundlich aufnahmen, als sie deren Gebiet passierten. Sie nahmen teil an einer Gesandtschaft, die vor einigen Jahren über die Felsengebirge herüber nach St. Louis kam, um sich zu erkundigen, ob es wahr sei, was einige weiße Männer ihnen gesagt hätten, nämlich, »daß unsere Religion besser sei als die ihrige und daß sie alle verloren seien, wenn sie jene nicht annähmen.«
Zwei alte ehrwürdige Männer von dieser Gesandtschaft starben in St. Louis und ich reiste mit jenen beiden jungen Männern über 400 Meilen weit zusammen, als sie in ihre Heimat zurückkehrten und gewann sie sehr lieb. Der zuletzt genannte starb in der Nähe der Mündung des Yellow-Stoneflusses an einer Krankheit, die er sich unter den Weißen zugezogen hatte; der andere kehrte glücklich zu seinen Freunden zurück, um ihnen die traurige Nachricht von dem Tode seiner Begleiter zu bringen, zugleich aber auch zu verkündigen, daß, der Versicherung des Generals Clarke und mehrerer Geistlichen zufolge, alles, was man ihnen über unsere Religion gesagt, wahr sei und daß bald Missionare, gute und fromme Männer, zu ihnen kommen würden, um sie im Christentum zu unterrichten, damit sie alle an dessen Segnungen teilnehmen könnten.
Als ich zuerst von dieser außerordentlichen Gesandtschaft hörte, konnte ich kaum daran glauben, bis eine Unterredung mit dem General Clarke alle meine Zweifel beseitigte. Auch ist den beiden Geistlichen Lee und Spalding, die mit ihren Frauen den rauhesten und wildesten Teil der Felsengebirge überstiegen, das schöne Werk, das sie unternommen, vollständig gelungen und sie haben der Welt auf überzeugende Weise bewiesen, daß die Indianer in ihrem Naturzustande ein sanftes und freundliches Volk und geistiger Vervollkommnung fähig sind.
Ich bin stets der Meinung gewesen, daß die frommen Männer sich in die Wildnis, außer dem Bereich und dem Einflusse der zivilisierten Verderbnis begeben müßten und ich sprach dies auch gegen Herrn Spalding und seine Frau aus, als ich beide auf dem Wege nach ihrem fernen Bestimmungsorte in Pittsburg traf. Einige Jahre später sprach ich Herrn Lee und andere Mitglieder der Mission, sowie auch Personen, welche die Niederlassung besuchten, und nach allem, was ich gehört habe, ist das Unternehmen jener edlen Männer durch den glänzendsten Erfolg gekrönt worden und hat die so oft gehörte Behauptung, »daß die Indianer niemals zivilisiert oder Christen werden könnten«, siegreich widerlegt. Auf ihrer langen Reise sowie an dem Orte ihrer Ansiedlung wurden die Frauen von den Wilden stets mit der größten Freundlichkeit und Achtung behandelt, und es bestätigt dies abermals die Versicherungen der Reisenden in jenen Ländern, daß die Indianer in ihrem ursprünglichen Zustande ein freundliches und vortreffliches Volk sind.
Sie bewohnen den unteren Teil des Columbiaflusses, bilden nur einen kleinen Stamm und müßten eigentlich unter dem Namen der Flachköpfe aufgeführt werden, da sie die einzigen sind, die streng an dem Brauche des Plattdrückens der Köpfe festhalten. Das Verfahren dabei ist folgendes: Man legt die Kinder auf ein starkes Brett, bindet sie darauf fest, so daß sie sich nicht rühren können, und während der Hinterkopf auf einem Kissen von Moos oder Kaninchenfellen ruht, wird an dem oberen Teile des Brettes ein anderes so befestigt, daß es schräg über den Kopf des Kindes hinwegliegt; dieses Brett wird nun mittelst eines Strickes, der es in seiner Lage erhält, täglich etwas mehr herabgezogen, bis es endlich die Nase berührt, so daß der Kopf von dem Scheitel bis zur Nasenwurzel eine gerade Linie bildet.
Es scheint dies ein sehr grausames Verfahren zu sein, ich zweifle jedoch, daß es viele Schmerzen verursacht, da es in der frühesten Kindheit vorgenommen wird, wenn die Knochen noch weich sind und leicht sich in jede beliebige Form bringen lassen. Ein solcher Schädel hat im Profile oben nicht mehr als 1½–2 Zoll Breite, während er von vorn gesehen so breit ist wie anderthalb gewöhnliche Köpfe.
Zuweilen legt man die in Kaninchenfelle gekleideten Kinder, deren Kopf man flachdrücken will, in einen aus Holz geschnitzten Kasten, dessen Höhlung eben für den Körper groß genug ist. Hier bleiben sie mehrere Wochen liegen und das über der Stirn befestigte Brett wird nur hinweggenommen, wenn die Mutter dem Kinde die Brust geben will. An dem Kasten befindet sich ein Riemen, den die Mutter über die Stirn zieht, während das Kind auf ihrem Rücken hängt.
Die Kinder bleiben drei bis acht Wochen in dieser Lage und wenn sie während dieser Zeit sterben, so wird die Wiege zugleich ihr Sarg, der auf irgendeinen heiligen Teich gesetzt wird, wohin sie auch oft die Kanoes mit den Leichen älterer Personen bringen, während sie diese auch in Felle eingewickelt auf Bäume legen, bis das Fleisch verwest und die Knochen getrocknet sind; dann werden sie, sorgfältig in Häute eingewickelt und mit Rudern, Schaufeln zum Wasserausschöpfen, Lebensmitteln und Pfeifen versehen, in ein Kanoe gelegt, damit es dem Verstorbenen »auf seiner langen Reise zu den Jagdgefilden« an nichts fehle.
Das Plattdrücken der Köpfe ist gewiß einer der unerklärlichsten und sinnlosesten Gebräuche, der sich unter den nordamerikanischen Indianern findet und über dessen Ursprung und Zweck niemand etwas anzugeben weiß. Die Indianer haben viele wunderliche und lächerliche Gebräuche, die gewiß nur dem Zufall ihre Entstehung verdanken und, gleich manchen Gebräuchen in der zivilisierten Welt, keinen wirklichen Nutzen haben, dennoch aber lange Zeit beibehalten werden, weil die Vorfahren es ebenso gemacht haben. Die meisten indianischen Gebräuche, namentlich diejenigen, deren Ausübung mit großem Schmerze verbunden ist, sind auf höchst merkwürdige Weise mit der Erlangung irgendeines guten oder nützlichen Zweckes verbunden. Es dürfte aber wohl nie gelingen, einen solchen Zweck bei dem in Rede stehenden unsinnigen Gebrauche nachzuweisen, der leider bei diesem unwissenden Volke entstanden ist, dessen Aberglauben ihm nicht gestattet, ihn aufzugeben.
Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß dieser auffallende Gebrauch nicht diesem Stamme eigentümlich ist, sondern bis vor kurzem auch bei den Tschoktahs und Tschickasahs üblich war, die einst einen großen Teil der Staaten Mississippi und Alabama innehatten, wo Hunderte ihrer Schädel dies unwiderleglich beweisen.
Die jetzt lebenden Tschcktahs drücken ihre Köpfe nicht mehr platt; sie haben diesen Brauch sowie den Medizinbeutel und so manches andere auf die Versicherung der weißen Männer, daß dies alles unnütz und lächerlich sei, aufgegeben. Während meines Aufenthaltes unter den Tscholtahs konnte ich über diesen Brauch weiter nichts erfahren, als daß »ihre alten Leute sich erinnerten, davon gehört zu haben«. Die Entfernung der Tscholtahs von den Tschinuhks beträgt gewiß 500–600 Meilen und da auf dieser ganzen Strecke kein Stamm lebt, bei welchem sich dieser Brauch findet, es auch nicht wahrscheinlich ist, daß zwei Stämme im Naturzustande gleichzeitig auf eine so eigentümliche Abgeschmacktheit verfallen werden, so kommt man unwillkürlich zu dem Schlusse, daß diese Stämme in früherer Zeit einander benachbart gelebt oder zu derselben Familie gehört haben müssen, durch Zeit und Umstände aber allmählich so weit voneinander getrennt worden sind. Es spricht dies keineswegs für die Annahme, daß alle Stämme aus einem gemeinsamen Stamme hervorgegangen sind, sondern es beweist nur, mit welcher Hartnäckigkeit dieses Volk an seinen Gebräuchen hängt. Viele dieser Gebräuche sind sicher nicht allgemein, sondern durch kleine Abteilungen der Stämme von einem Ende des Kontinents zum anderen, oder von Ozean zu Ozean verpflanzt worden. Dergleichen Wanderungen sind, wie bereits mehrfach gezeigt worden ist, keineswegs unmöglich, weil oft kleine Parteien im Kriege oder auf der Jagd vom Feinde abgeschnitten werden und in diesem Falle gezwungen sind, weiter zu wandern, da sie sich im Lande ihrer Todfeinde nicht aufhalten dürfen. Ich bin daher geneigt, anzunehmen, daß entweder die Tschinuhks vom Atlantischen Ozean nach Westen gewandert oder die Tscholtahs von der Westseite des Felsengebirges hergekommen sind. Ich bedaure daher sehr, daß ich nicht imstande gewesen bin, die Sprachen dieser beiden Stämme zu vergleichen, doch kann, wenn sie benachbart lebten, der eine Stamm von dem anderen jenen Brauch entlehnt haben, ohne daß eine Verwandtschaft der Sprachen erforderlich war.
Während meines Aufenthalts bei den Tschoktahs erzählte mir einer ihrer Häuptlinge eine Sage, die sehr für die Annahme zu sprechen scheint, daß sie aus großer Entfernung von Westen, wahrscheinlich von jenseits der Felsengebirge hergekommen sind; die Sage lautet: »Vor sehr vielen Wintern fingen die Tschoktahs an, das von ihnen bewohnte Land, welches weit im Westen von dem großen Flusse und den Schneebergen liegt, zu verlassen und waren viele Jahre unterwegs. Ein großer Medizinmann führte sie den ganzen Weg, indem er mit einem roten Stabe vor ihnen herging, den er an jeden Abend da, wo sie lagerten, in die Erde steckte. Diesen Stab fand man an jedem Morgen gegen Osten geneigt und der Medizinmann sagte ihnen, daß sie so lange ostwärts wandern müßten, bis der Stab in ihrem Lager aufrecht stehen bleibe; dies sei dann die Stelle, die der Große Geist zu ihrem Wohnsitze bestimmt habe. An einem Orte, den sie Nah-ni-wa-ji (den abschüssigen Berg) nannten, stand endlich der Stab aufrecht in ihrem Lager, das eine englische Meile im Quadrat hatte, und worin die Männer auf der Außenseite, die Frauen und Kinder in der Mitte gelagert waren, und dies ist noch bis auf diesen Tag »der Mittelpunkt der alten Tschoktahnation«.
In der Umgegend der Mündung des Columbiaflusses leben außer den Tschinuhks, noch die Klick-a-taks, Tschihailas, Na-as und mehrere andere Stämme. Die Frauen der Na-as tragen in der Unterlippe einen Holzpflock, ein Brauch Derselbe Brauch findet sich bekanntlich auch bei den Botocuden in Brasilien., der ebenso unerklärlich ist wie das Plattdrücken des Kopfes. Diese Indianer weben aus gesponnenen Hundehaaren und Wolle des Bergschafes ein dauerhaftes und glänzendes Zeug, das vollkommen den Vergleich mit Erzeugnissen amerikanischer oder englischer Fabriken aushalten kann.
Die Indianer, welche die rauhen, wilden Felsengebirge bewohnen, sind hauptsächlich die Schwarzfuß- und Krähenindianer, von denen bereits die Rede war; ferner die Schoschonihs oder Schlangenindianer, ein Teil der Camantschen, die dieselbe Sprache reden; die Schoschokihs oder Wurzelgräber, die mit den Arabohos und Nawahos die südlichen Teile dieses weiten und wilden Landstrichs bewohnen, die westlichen Nachbarn der Camantschen sind und Santa-Fé im Süden, und die Küste von Kalifornien im Westen haben. Von den Schoschonihs und Schoschokihs bezeugen alle Reisenden, die sie besuchten, einstimmig, daß sie ein gutmütiges, gastfreies und harmloses Volk sind; so Parker in seiner Reise über die Felsengebirge, Lewis und Clarke, Kapitän Bonneville und andere.
In bezug auf die Indianer des Columbiastromes will ich hier noch das Zeugnis des Herrn Beaver, eines sehr achtungswerten englischen Geistlichen, der mehrere Jahre unter diesem Volke lebte, mitteilen; er schrieb mir folgendes: »Ich bin stets mit Vergnügen bereit, meine vollkommene Übereinstimmung mit dem auszusprechen, was Sie, sowohl in Ihren Vorlesungen, als in Privatunterhaltungen über den vielfach verleumdeten Charakter unserer roten Brüder längs des ganzen Columbiaflusses, namentlich in bezug auf ihre Biederkeit, Gastlichkeit und Friedfertigkeit geäußert haben. Wo sich dort einmal das Gegenteil gezeigt hat, da trägt nach meiner festen Überzeugung die Verworfenheit und Betrügerei der weißen Pelzhändler die Schuld.