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Zweites Kapitel


Mündung des gelben Steinflusses (Yellow-Stone-River). – Entfernung von St. Louis. – Schwierige Schiffahrt auf dem Missouri. – Herr Chouteau und der Major Sandford. – Fort der Pelzcompagnie. – Indianische Epikuräer. – Neue und wahre Schule für die Künste. – Schöne Modelle.


Ich erreichte das Fort an der Mündung des Gelben Steinflusses am Bord des Dampfbootes »Yellow Stone« nach einer dreimonatlichen Reise von St. Louis, das über 400 deutsche Meilen von hier entfernt ist. Der größere Teil dieser Strecken ist nie zuvor von Dampfbooten befahren worden, bis die fast unübersteiglichen Hindernisse, welche sich fortwährend dem Reisenden auf diesem trüben Strom entgegenstellen, durch den unermüdlichen Eifer des Herrn Chouteau allmählich überwunden wurden. Der Major Sandford, Regierungsagent für die Missouri-Indianer, befand sich auch auf dem Dampfboote.

Die amerikanische Pelz-Compagnie hat hier zum Schutz gegen die Wilden ein sehr starkes Fort errichtet, das 300 Fuß im Quadrat und mit Kanonen besetzte Bastionen hat. Unsere Annäherung an das Fort, unter dem eine halbe Stunde lang währenden Donner der Kanonen und dem gellenden Geschrei der an den Ufern versammelten halb erschrockenen Indianer, bot einen auffallenden und malerischen Anblick dar. Eine an Ereignissen so reiche Reise, die so viel neue, malerische und romantische Szenen darbot, während das Dampfschiff an den Dörfern der »erstaunten Wilden« vorüberfuhr und sie mit dem Ausströmen des Dampfes und dem Donner des Geschützes grüßte, würde Stoff zu vielen Kapiteln liefern, und ich kann mir das Vergnügen nicht versagen, zuweilen einige der Szenen, deren Zeuge ich war und noch bin, sowie die Gefühle zu schildern, die sich des Fremden bemächtigen, der durch dies interessante und luxuriöse Land reist, – denn beides ist es, ein wahres Land der Epikuräer. Wir wurden von den Wilden zu Festessen von Hundefleisch, als der ehrenvollsten Speise, die dem Fremden vorgesetzt werden kann, eingeladen, und mit den köstlicheren Biberschwänzen und Büffelzungen bewirtet.

In dieser, fast 800 deutsche Meilen von meinem Geburtsorte entfernten Gegend, wohin mich allein der Enthusiasmus für meine Kunst gebracht hat, bieten mir sowohl die Landschaften als die Menschen die schönsten Modelle für meinen Pinsel dar, und ich betrachte diese Wildnis als die wahre Schule für die Kunst, und seitdem ich mitten unter tausenden dieser Ritter des Waldes lebe, bin ich überzeugt, daß sie bei ihrem kraftvollen Gliederbau dreist mit jenen Modellen wetteifern können, die die griechischen Bildhauer in den Stand setzten, ihren marmornen Bildsäulen eine so unnachahmliche Schönheit und Anmut zu geben.

Keine Einbildungskraft, sei sie auch von den lebendigsten Beschreibungen unterstützt, vermag jemals sich ein Bild zu schaffen von der Schönheit und Wildheit der Szenen, die man in diesem romantischen Lande täglich erblickt. So z. B. wenn hunderte von anmutigen jungen Leuten, mit dem vollen Ausdruck des Vergnügens auf dem Antlitz, während ihr langes schwarzes Haar, im Winde flatternd, sich mit dem Schweife des Pferdes vermischt, über die grüne Flur hinfliegen, um mit Spiel und Pfeil in eine Herde wütender Büffel Tod und Verderben zu bringen; oder wenn sie bei dem glänzenden Kriegsgepränge, geschmückt mit den prächtigsten Farben und Verzierungen, sich mit ihrer männlichen Schönheit, mit dem größten Anstande und mit jenem kecken Trotze von Menschen bewegen, die niemand auf Erden über sich erkennen und keinen Gesetzen verantwortlich sind als den Gesetzen Gottes und der Ehre.

Außer der Kenntnis der menschlichen Natur und meiner Kunst habe ich bei diesem mühevollen und kostspieligen Unternehmen noch einen andern Zweck, der, wenn er auch mir nicht von gleichem Nutzen sein sollte, doch für die Nachwelt nicht ohne Interesse und Wert sein wird. Ich habe seit vielen Jahren gesehen, daß das edle Geschlecht der roten Männer, die in den pfadlosen Wäldern und den grenzenlosen Wiesenfluren zerstreut sind, bei der Annäherung der Zivilisation zusammenschmilzt. Ihre Rechte werden angetastet, ihre Moralität wird untergraben, ihr Gebiet ihnen entrissen, ihre Gebräuche werden verändert und gehen verloren, bis sie endlich ins Grab sinken und die Pflugschar den Rasen über ihren Gräbern umwendet, und ich bin herbeigeeilt – nicht um ihr Leben oder ihr Geschlecht zu retten (denn sie sind »verurteilt« und müssen sterben), sondern um ihr Aussehen und ihre Trachten zu retten, auf die die erobernde Gesittung all ihr Gift spritzen und sie zu Boden werfen und zu Boden treten mag, die aber dennoch gleich einem Phönix sich »von der Palette eines Malers« wieder erheben und auf der Leinwand Jahrhunderte lang als Denkmäler eines edlen Geschlechts fortleben werden. Zu diesem Zweck beschloß ich, jeden Indianerstamm auf dem Kontinent zu besuchen, wenn ich am Leben bliebe, um in jedem Stamme Bildnisse ausgezeichneter Indianer beiderlei Geschlechts in ihrer Nationaltracht, und zugleich ihre Dörfer, häuslichen Sitten, Spiele, Mysterien, religiösen Gebräuche usw. zu malen und Anekdoten, Überlieferungen und geschichtliche Daten der einzelnen Nationen zu sammeln.

Das Resultat meiner Arbeiten wird ohne Zweifel für künftige Zeiten von Interesse sein, denen außerdem nichts übrig bleibt, wonach sie diesen ursprünglichen einfachen Menschenschlag beurteilen könnten, weil ihm in wenigen Jahren das Fortschreiten der Zivilisation und der Tod alle seine nationalen Gebräuche und seinen nationalen Charakter geraubt haben wird.


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