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Ueber Afrika, Südasien und Neuholland verbreiten sich die Würgerschnäpper oder Drongos (Dicruridae), eine aus etwa sechzig Arten bestehende, ungeachtet ihrer Gliederung in verschiedene Sippen so übereinstimmende Familie bildend, daß es unserem Zwecke genügen darf, eine einzige, besonders hervorragende Art zu beschreiben.
Diese, der Flaggendrongo, »Bimraj«, zu Deutsch »Bienenkönig«, der Hindu ( Dicrurus paradiseus, platurus, retifer, rangoonensis, grandis, malabaricus, malayensis, malabaroides, formosus und singularis, Cuculus paradiseus, Lanius malabaricus, Edolius paradiseus, malabaricus, malabaroides, rangoonensis, grandis, cristatellus, dentirostris, crissae, brachyphorus, formosus und affinis, Chibia malabaroides, Dissemurus paradiseus, malabaricus, grandis, brachyphorus, formosus, setifer und affinis), Vertreter der gleichnamigen Untersippe (Dissemurus), kennzeichnet sich, wie seine Verwandtschaft, durch mittellangen, starken, an der Wurzel sehr verbreiterten, auf der gekielten Firste gewölbten, vor derselben ausgekerbten Schnabel, kurzläufige, mittellangzehige, mit stark gebogenen, spitzigen Krallen bewehrte Füße, lange Flügel, unter deren Schwingen die fünfte und sechste die Spitze bilden, und hartes, glänzendes, am Mundwinkel zu starren Borsten umgewandeltes Gefieder, unterscheidet sich von den Verwandten auch nur durch eine Federhaube am Vorderkopfe und die sehr verlängerte, nacktschaftige, am Ende mit einer Fahne besetzte äußerste Feder des sonst gegabelten Schwanzes. Das reiche Gefieder ist gleichmäßig schwarz, stahlblau glänzend, das Auge braun, der Schnabel wie der Fuß schwarz. Die Länge beträgt sechsunddreißig, einschließlich der äußersten Schwanzfedern sechzig, die Fittiglänge siebzehn, die Schwanzlänge neunzehn, beziehentlich vierundvierzig Centimeter.
Die Würgerschnäpper gehören zu den auffallendsten Vögeln ihrer Heimatsländer. Von der Seeküste an bis zu dritthalbtausend Meter unbedingter Höhe findet man sie an geeigneten Orten überall, die einen in offenen Gegenden, die anderen inmitten der Waldungen. Manche Arten sind sehr häufig, andere seltener. In Indien mag man, laut Jerdon, hingehen, wohin man will: überall wird man einem dieser Vögel begegnen. Man sieht sie auf dürren Zweigspitzen eines hohen Baumes, auf der Firste eines Hauses, auf den Telegraphenstangen, auf niederen Büschen, Hecken, Mauern und Ameisenhaufen sitzen und Umschau halten. Nicht selten findet man einzelne auch als treue Begleiter der Herdenthiere, auf deren Rücken sie sich ebenso ungescheut niederlassen wie auf ihren gewöhnlichen Warten. Die meisten sind den ganzen Tag über in Thätigkeit; einige aber jagen, wie unser Mauersegler, noch lange nach Sonnenuntergang, scheinen sogar, wenn der Vollmond am Himmel steht, während der ganzen Nacht, wenn auch nicht in Thätigkeit, so doch wach und munter zu sein; denn man hört dann ihre lebhafte und nicht zu verkennende Unterhaltung zu allen Stunden. Nach Levaillants Bericht versammeln sich einzelne Arten gegen Sonnenuntergang auf gewissen Lieblingsbäumen und betreiben hier gemeinschaftlich ihre Jagd; bei anderen dagegen scheint dies jedoch nicht der Fall zu sein; wenigstens erinnere ich mich nicht, den Trauerdrongo Nordostafrikas (Dicrurus divaricatus) je in größerer Anzahl vereinigt gesehen zu haben. Doch ist es mir recht wohl glaublich, daß unsere Vögel unter Umständen gesellig sein können; es wird dies namentlich dann der Fall sein, wenn irgend welche Ereignisse ihnen ergiebige Jagd eröffnen. Während der Brutzeit scheint jedes Paar für sich zu leben und das einmal gewählte Gebiet gegen andere seiner Art hartnäckig zu vertheidigen.
Der vorhin erwähnte Würgerschnäpper, welchen ich beobachtete, hat auf mich einen ungünstigen Eindruck gemacht. Ich habe geglaubt, in ihm einen der langweiligsten Gesellen unter den mittelafrikanischen Vögeln zu erkennen. Die Paare saßen gewöhnlich still und faul auf einer Astspitze und schauten nach Nahrung aus. Vorüberfliegende Kerbthiere bewogen sie, sich zu erheben: sie eilten der ins Auge gefaßten Beute mit leichtem, obgleich etwas schlaffem Fluge nach, verfolgten sie mit scheinbarem Ungeschicke und kehrten, wenn sie wirklich glücklich waren, wieder auf denselben Ast zurück oder ließen sich an einer ähnlichen Stelle auf einem anderen Baume nieder, auf diese Weise ein gewisses Gebiet durchstreifend. Dem Schützen schauten sie dumm gutmüthig in das Rohr, ohne an Flucht zu denken. Meinen Beobachtungen widersprechend lauten die Angaben anderer Beobachter, und da dieselben übereinstimmend sind, muß ich es entweder mit einer sehr wenig befähigten Art zu thun gehabt oder im Beobachten nicht gerade vom Glücke begünstigt gewesen sein. Levaillant, Jerdon, Gilbert, Blyth und andere Forscher bezeichnen die Drongos als hochbegabte Thiere, welche nicht bloß leiblich, sondern auch geistig sich auszeichnen. Der Flug, ein Mittelding zwischen dem eines Fliegenfängers und einer Schwalbe, ist nicht gerade schnell, geschieht in Wellenlinien und besteht aus wenigen Flügelschlägen, auf welche längeres Gleiten folgt. Wenn aber der Drongo irgendwie erregt ist, bewegt er sich so schnell, daß er fast jeden Feind überholt. Auf den Boden herab kommt er nur dann, wenn er gerade dort unten eine Beute aufzunehmen hat; wirklich zu gehen aber vermag er nicht. Einen Trunk oder ein Bad nimmt er im Fluge. Im Gezweige beweist er nicht mehr Geschick als andere Vögel, welche ungefähr dieselbe Lebensweise führen. Er wählt einen leicht zugänglichen Ast, fußt auf diesen und versucht, sich im Gleichgewichte zu halten; anderweitige Bewegungen vermag er nicht auszuführen. Unter den Sinnen steht das große, immer lebhafte Auge unzweifelhaft obenan. Der Würgerschnäpper gewahrt ein fliegendes Kerbthier schon in weiter Entfernung, und sein Auge versagt ihm, wie aus vorstehendem zu schließen, auch in der Dämmerung seine Dienste nicht. Daß das Gehör kaum minder tüchtig ist, beweisen diese Vögel durch Singfertigkeit und Nachahmungsvermögen, welch letzteres man wenigstens bei einigen Arten beobachtet hat. Die gewöhnliche Stimme der Würgerschnäpper ist ein lautes, unangenehmes, rauhes Pfeifen oder ein eigenthümliches Geknarr, welches schwer wiederzugeben, aber so absonderlich ist, daß man es, nachdem man es einmal hörte, niemals zu verkennen vermag. Das Geschrei des Flaggendrongo hat Elliot durch die Silben »Tschirung, Tschirung« auszudrücken versucht. Wenn die Brutzeit herannaht, singen die Männchen fast aller Arten in höchst angenehmer Weise. Jerdon sagt, daß manche Leute den Gesang der Königskrähe, einer der bekanntesten indischen Arten der Familie, eintönig und unangenehm finden und den Vogel deshalb spottweise Nachtigall nennen, er aber bekennen müsse, daß er gerade diesen Drongo, den Künder des Tages, immer gern gehört habe; Levaillant vergleicht das Lied einer afrikanischen Art mit dem Gesange unserer Drossel; Bernstein zählt eine auf Java lebende Art, den Graudrongo (Dicrurus cinereus) zu den besten Sängern der Insel; Heuglin spricht dem Trauerdrongo tonkünstlerische Begabung zu und meint, daß im Gesange, obgleich derselbe nicht laut, vielmehr nur eine lispelnde und schwatzende Weise genannt werden dürfe, viel Abwechselung liege; ich endlich muß bekennen, daß mich ein von mir gepflegter Flaggendrongo durch die Kraft, Reichhaltigkeit und Klangfülle seines Vortrages ebenso in Erstaunen versetzt hat wie durch seine überraschende Fähigkeit, anderer Vögel Stimmen oder ihm vorgepfiffene Lieder nachzuahmen. Die Würgerschnäpper haben jedoch noch andere gute Eigenschaften. Sie sind nicht bloß geschwätzig, sondern auch lebendig, thätig und unter Umständen höchst muthig. Die Königskrähe verdankt ihren Namen ihrer Gewohnheit, alle Krähen, aber auch alle Falken, welche ihr Gebiet durchfliegen, anzugreifen und zu verfolgen. Zumal während der Brutzeit, wenn das Weibchen auf den Eiern sitzt, legt das Männchen schärfste Wachsamkeit und dabei bewunderungswürdige Kühnheit an den Tag. »Sobald eine Krähe oder ein Milan sich dem Nistbaume naht«, erzählt Jerdon, »stürzt sich der kleine, kühne Drongo mit größter Entschiedenheit eilfertig auf den Räuber und verfolgt ihn auf weithin. Ich habe allerdings niemals gesehen, daß er sich auf dem Rücken eines Falken festsetzt und diesen mit dem Schnabel und den Klauen für einige Augenblicke bearbeitet, wie Philipps beobachtet zu haben versichert; wohl aber muß ich bestätigen, daß er sich den Anschein gibt, als wolle er jenen strafen. Gelegentlich vereinigen sich wohl auch andere Drongos mit dem ersten Angreifer, um den gemeinsamen Feind zu vertreiben.« Blyth beobachtete, daß ein Drongo auf das Palmeneichhorn stieß, und Gurney bemerkt, daß der Singdrongo ohne Besinnen die größten Raubvögel angeht. Die Dreistigkeit der Würgerschnäpper erreicht den höchsten Grad, wenn einer von ihnen eine Eule oder irgend einen anderen auffallenden und dem Anscheine nach unbehülflichen Vogel entdeckt hat. Der freche Zwerg erhebt sich unter solchen Umständen wiederholt rasch in die Luft und stößt, laute und rauhe Töne von sich gebend und den Schwanz abwechselnd breitend und zusammenlegend, von oben mit Heftigkeit hernieder. Daß sich die Rauflust der Drongos auch ihresgleichen gegenüber bethätigt, ist sehr erklärlich: Jerdon beobachtete, daß zuweilen ihrer vier oder fünf, förmlich zu einem Knäuel geballt, am Boden auf das heftigste mit einander kämpften.
Alle Würgerschnäpper nähren sich ausschließlich von Kerbthieren, und zwar sind es vorzugsweise die Bienen und ihre Verwandten, denen sie nachstreben. Die großen Arten verzehren auch Heuschrecken und Grillen, Wasserjungfern, Schmetterlinge und dergleichen; stechende Kerbthiere scheinen aber unter allen Umständen die bevorzugte Beute zu bilden. Am Vorgebirge der Guten Hoffnung nennt man sie geradezu Bienenfresser, und nach Levaillants Versicherung verdienen sie diesen Namen mit vollem Rechte. »In der Regel«, erzählt der genannte, »jagen die Würgerschnäpper des Abends vor Sonnenuntergang und des Morgens vor Sonnenaufgang den betriebsamen Kerbthieren nach. Zu diesem Endzwecke vereinigen sich die Inwohner eines Waldes auf einem einzeln stehenden Baume, am liebsten auf einem abgestorbenen oder wenigstens auf einem solchen, welcher viele dürre Aeste hat, und warten hier entweder die Rückkunft oder den ersten Ausflug der Bienen ab, welche honigbeladen zu ihren Wohnbäumen im Walde zurückkehren oder von denselben herkommen. Von dem lebhaften und geräuschvollen Schauspiele, welches sich um solchen Baum entwickelt, kann man sich einen Begriff machen, wenn man sich vorstellen will, daß gegen dreißig Vögel ohne Unterlaß den Baum umfliegen und währenddem alle Schwenkungen ausführen und alle die Haken schlagen, welche der Fang der vor ihren wohlbekannten Feinden flüchtenden Bienen erfordert. Einzelne Würgerschnäpper, welche ihre Beute fehlten, stürzen sich sofort auf eine andere Biene und führen zuweilen fünf oder sechs prächtige Schwenkungen nach einander aus, bald nach rechts, bald nach links, bald nach oben, bald nach unten sich wendend, bis ihnen entweder der Fang geglückt oder sie ihrer Anstrengungen müde geworden sind. Jede Bewegung fast wird mit lebhaftem Schreien begleitet, und alle Jagdgenossen einer Gesellschaft schreien zu gleicher Zeit und in verschiedenen Tönen. Unter dem Baume selbst findet man die Ueberreste der Mahlzeiten in reichlicher Menge, Bienen, denen nur eine Hälfte fehlt, andere, welche, schon gepackt, zu Boden fielen und noch leben, abgerissene Flügel und dergleichen. Erst die Stunde, in welcher die Nachtraubvögel ihre Jagdflüge beginnen, endet die Arbeit der Drongos.«
Beim Betriebe ihrer Jagd beweisen die Würgerschnäpper viel Verstand. Levaillant ist überzeugt, daß sie die Zeit, in welcher die Bienen massenhaft zurückkehren, genau beachten; Gurney beobachtete, daß jeder Steppenbrand sie von fernher herbeizieht. Sie wissen, daß das gefräßige Feuer, welches den Graswald vernichtet, auch alle in ihm versteckten Kerbthiere auftreibt, finden sich deshalb vor der brennenden Linie ein und halten, dank ihrer Kühnheit, gute Ernte. Ohne Scheu vor den Flammen stürzen sie sich durch den dichtesten Rauch und verfolgen noch in Meterhöhe über den Flammen das einmal ins Auge gefaßte Kerbthier. Philipps beobachtete eine eigenthümliche List der Drongos. Ein kleiner, kerbthierfressender Vogel verfolgte eine große Heuschrecke, nach welcher auch eine Königskrähe schon ein paarmal geschnappt hatte. Plötzlich erhob dieselbe den allen Vögeln wohlbekannten Warnungsruf, welchen sie auszustoßen pflegen, wenn sich ein Raubvogel zeigt, unzweifelhaft nur in der Absicht, den anderen Verfolger des Kerbthieres zu verscheuchen. Die List glückte auch vollkommen; denn jener zog ab, und die Königskrähe hatte wenige Augenblicke später die Heuschrecke in ihrem Magen.
Das Brutgeschäft fällt, bei einigen Arten wenigstens, in verschiedene Zeiten des Jahres. Die Nester werden in ziemlicher Höhe über dem Boden erbaut, nach Art unserer Pirolnester regelmäßig zwischen Astgabeln aufgehängt, gewöhnlich nicht versteckt und deshalb auch Wind und Wetter ausgesetzt, höchst leichtfertig aus wenigen kleinen Zweigen und Würzelchen zusammengeschichtet, oft nicht einmal im Inneren ausgefüttert, im günstigsten Falle mit einigen Haaren ausgelegt. Das Gelege besteht aus drei oder vier Eiern, welche auf weißem oder röthlichweißem Grunde mit helleren oder dunkleren rothen und braunen Punkten gefleckt sind. Das Männchen greift während der Brutzeit selbst den seinem Neste nahenden Menschen heftig an.
Alle in Indien lebenden Würgerschnäpper sind beliebte Käfigvögel der Eingeborenen. Sie gewöhnen sich leicht an Gefangenschaft und einfaches Futter, werden zahm und folgsam, singen fleißig und ergötzen durch Nachahmung der verschiedenartigsten Vogelstimmen, auch der besten Vogelgesänge, aufs höchste. In unseren Käfigen sieht man sie seltener, als sie verdienen.