Margarete Böhme
Tagebuch einer Verlorenen
Margarete Böhme

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Schlußwort.

Vom 6. April nachmittags fünf Uhr datierte Thymians letzte kurze, halb verwischte Eintragung. Nachdem schon seit acht Tagen von Ärzten und Pflegerinnen stündlich ihre Auflösung erwartet wurde, schlief sie am siebenten April morgens gegen neun Uhr sanft und kampflos in die 306 lange Todesnacht, vor deren Mysterien ihr stets so graute, hinüber.

In der Frühe eines warmen, wolkendunkeln Tages geleiteten wir sie hinaus zu ihrem »Grundbesitz«, ihrem »Sommerheim«, wie sie die schön gepflegte, gitterumfriedigte Grabstätte zu nennen pflegte.

Kein endloser, prunkender Zug Leidtragender, wie bei der Beerdigung des armen Fliebenheinrich, folgte ihrem schlichten, nur mit wenigen kostbaren Kränzen geschmückten Sarg. Es war vielmehr der letzte, stille Erdengang einer Verschollenen, schon halb Vergessenen. Von ihren Freunden war nur der Doktor zur Stelle. Was die beiden anderen Herren abgehalten hat, der Toten die letzte Ehre zu erweisen, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht war ihnen die Stunde der Beerdigung nicht genau bekannt gegeben. Es regnete in das offene Grab hinein.

Sanft und lautlos fielen die grauen Tropfen auf den schwarzen Schrein. Wer in der Stunde zu bilderreichen Vergleichen aufgelegt war, konnte dabei an Tränen denken, die von oben kamen.

Auch der Doktor war anscheinend tief bewegt. Am Ausgang des Kirchhofes blieb er stehen und gab mir die Hand.

»Es hat mich gefreut, daß Sie sich der Ärmsten so annahmen, gnädige Frau,« sagte er. »Die arme Thymian! Ein trauriges, verfehltes Leben. Ihr ist wohl. Aber furchtbar ist es, wenn man es bedenkt, wie jemand so zugrunde gehen kann . . . So viel Schönheit und Geist, so viel 307 anmutige Weiblichkeit und liebenswürdige Charakterzüge . . . und alles zertreten und vernichtet und in den Sumpf gezogen – –« Er setzte den Zylinder, den er abgenommen hatte, langsam wieder auf und wandte sich seufzend ab – – – »Ja, ja . . . Ja, ja . . . Gott bewahre unsere Kinder – –.«


Seitdem sind zwei Jahre vergangen. Aber in der Stunde, wo ich dies schreibe, ist die Erinnerung an jenen Kirchhofsgang und an die vorhergehende Zeit so lebendig in mir, als wäre alles erst in diesen Tagen gewesen.

Blühendes Maiengrün und goldige Frühlingshelle grüßen mir in die Fenster. Aber in die Mittagssonne, die meinen Schreibtisch umflutet, fällt ein Schatten, und meine Augen werden dunkel. Denn ich sehe plötzlich vor mir die schwarze, rabenumkreiste Wand, die keine menschlichen Berechnungen und Voraussetzungen umzustoßen und zu durchdringen vermögen, die still und stumm und unverrückbar vor jedes Menschen Leben steht, aller menschlichen Klugheit und Erwägung spottend, – und wie ein traumhaftes Echo ziehen des Doktors Worte an meinem Ohr vorüber: Gott bewahre unsere Kinder . . .

 

 


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