Margarete Böhme
Tagebuch einer Verlorenen
Margarete Böhme

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5. Februar 1897.

Siehst du, Geliebtes, wie recht ich hatte?! Ich habe wirklich eine feine Witterung. Ich sah es diesen blauen hellen Augen mit ihrem jugendlichen Feuer, die so gut zu dem grauen Bart stehen, gleich an, daß aus ihnen noch ein ganzer Teil unverbrauchter Manneskraft und überschüssiger Lebenslust schaut. Wie es mir gleich bei seinem ersten Besuch durch den Sinn ging. Das wäre dein Mann – und wie ich gleich heraus hatte, daß 196 ich Eindruck auf ihn mache, und ich es nur darauf anzulegen brauche, ihm zu gefallen, so ist es gekommen. Ich bin ganz glücklich. Und das beste ist, daß er mir so sehr sympathisch ist, und es mir nicht die geringste Überwindung kostet, ihm anzugehören. Ich habe immer ein Faible für diese vornehmen, älteren Herren mit ihren tadellosen Kavalierallüren und dem eleganten Exterieur gehabt. Freilich, der Doktor wäre mir ja noch lieber, aber in dieser Welt ist eben nichts vollkommen.

Und so fein und taktvoll und diplomatisch hat er es gemacht, daß allmählich der Ton väterlich-wohlwollender Güte immer ein bißchen wärmer und vertrauter wurde, und die definitive Aussprache uns dann beiden gar nicht mehr überraschend und übergangslos unerwartet kam. Wir speisten den Abend im Chambre séparée im Kurfürsten, und beim Dessert betrachtete er meinen Arm und bewunderte die feinen Linien desselben und äußerte sein Erstaunen, daß ich keine Armbänder und keine Ringe trage. Ich sagte ihm, daß die Pension alles verschlungen habe. Da lächelte er und meinte: »Eine entzückende junge Frau wie Sie ist für die Sonnenseite des Lebens prädestiniert und sollte die häßlichen Sorgen des Alltags nicht kennen lernen. Sie müssen einen Freund finden, der Sie dem Leben, der Freude wieder zurückgibt . . .«

Ich sah ihm in die Augen und sagte: »Wo finde ich den Freund?« Und er: »Es käme drauf an . . . der Freund müßte Ihnen wohl an Jahren nahe stehen? Ich wäre Ihnen zu großväterlich, nicht wahr?« Ich schwieg einen Augenblick und brachte es fertig, rot zu werden, und wußte, daß ich in dem Moment lieblich und mädchenhaft ausschaue.

»Nein,« sagte ich leise, »von den jungen Männern hab ich gerade genug, wenn ich mich noch einmal verliebe, kann es nur in einen Mann in älteren Jahren sein . . .«

197 »Wollen Sie sich mir anvertrauen, Thymian?« sagte er. »Ich bewundere und liebe Sie, seitdem ich Sie kenne, und Sie werden einen zuverlässigen Freund in mir finden, der Ihnen die Freude erschließt. Wir kennen beide die Welt und das Leben und brauchen einander keine Komödie vorzuspielen. Ich werde mich nie mehr verheiraten. Aber ich will Ihnen die Hände unter die Füße breiten und Ihnen alles geben und verschaffen, was einem jungen schönen Weib Freude bereitet, und nur eine Bedingung stelle ich: Ich dulde keine anderen Götter neben mir. Sie müssen mir allein gehören. Ich muß mich auf Sie verlassen können . . .« Statt der Antwort warf ich mich ihm an den Hals und küßte ihn wahnsinnig vor lauter Dankbarkeit und innerer Freude. Er hielt es aber jedenfalls für den Ausbruch eines wirklichen leidenschaftlichen Gefühls und wurde ganz heiß und rot und wir waren wie ein ganz junges, glückliches Liebespaar . . .

Am dreizehnten Februar reisen wir an die Riviera; dann nach Paris. Ich habe meine Wohnung vermietet, die Möbel, soweit sie mir gehörten, verkauft, und bin schon am Packen. Wenn wir zurückkommen, will der Graf mir eine Wohnung einrichten. Er kauft mir alles, was ich nur haben will und liest mir die Wünsche von den Augen. Ich bin sehr froh, denn ich habe nun endlich erreicht, wonach ich lange trachtete. Ich bin die Freundin eines reichen und vornehmen Mannes, eines echten Kavaliers, von dem ich niemals eine verletzende Behandlung zu befürchten habe, ich brauche nicht mehr zu rechnen, habe alles im Überfluß, und werde schon sorgen, daß meine Zukunft gesichert wird. Bei Gerson und Biester habe ich mir die entzückendsten Roben bestellt, der alte Herr ist ja wie toll in mich verschossen. Ich freue mich unendlich auf die Reise nach dem Süden und auf Paris. Nun endlich werde ich mal wirklich ungetrübten Genuß vom Leben haben. Mein Freund – ich soll ihn Otto nennen, 198 aber es fällt mir noch schwer – braucht nicht zu fürchten, daß ich ihn betrüge, ich spüre gar kein Verlangen dazu, und ich bin ihm so grenzenlos dankbar.

Von dem Doktor habe ich mich schon verabschiedet. Das wurde mir doch sehr schwer, denn ich fühle immer stärker, wie sehr ich diesem Manne zugetan bin. Er nahm meine Eröffnung sehr kühl und zugeknöpft auf, und schüttelte den Kopf und sagte, er hätte von mir erwartet, daß ich fester stehen werde. Ja du lieber Himmel, es ist so leicht und so wohlfeil, anderen Leuten gute Lehren zu geben, es ist doch einmal so, was soll ich denn machen. Ich bin zu mürbe, um den Kampf um die Existenz und mit den tausend Widerwärtigkeiten des Lebens dauernd auszuhalten. Und von dem Doktor habe ich im letzten Jahr ja doch so gut wie gar nichts gehabt, seine Familie und sein Beruf nehmen ihn doch fast ganz in Anspruch. Dennoch war es ein harter Abschied, er schien mir doch auch ein klein bißchen bewegt, ich weinte die halbe Nacht. An D . . . . will ich erst von Paris aus schreiben, das ist mir auch ein bißchen peinlich, erst hat er mir in der Not ausgeholfen, und nun wird er nolens volens abgesetzt, aber das ist eben nicht anders in der Welt. Das Leben ist einmal so gemein, daß einer den andern immer über den Haufen rennt; und wer am rücksichtslosesten die Ellbogen gebraucht, ist Meister.

Ich aber freue mich kindisch auf das Leben, das mir nun endlich, endlich einmal Sonnentage schenken will. Mein Buch begleitet mich. Hoffentlich kann ich nun auch mal öfters etwas Fröhliches, Glückliches notieren.

* * *


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