Margarete Böhme
Tagebuch einer Verlorenen
Margarete Böhme

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30. September.

Ich bekomme noch so oft Bettelbriefe, und hab' eigentlich gar nicht viel mehr zu verschenken. Trotzdem tut es mir immer leid, jemand etwas zu verweigern.

Gestern traf ich im Zoologischen die ganze Clique meiner ehemaligen Vereinsschwestern.

Dieses Hohnlächeln auf einigen und die starre, verächtliche Kälte auf anderen Gesichtern, es ist nicht zu sagen. Es lief mir eiskalt über den Rücken, und am liebsten wäre ich in die gackernde Gänseschar hineingefahren und hätte rechts und links um mich geschlagen, daß ihnen die Funken aus den Augen gestoben wären.

Ich ertrage alles, wenn's sein muß, auch ernste, ehrliche Verachtung, aber Hohn ertrage ich nicht.

Verachtung – ja, wenn sie berechtigt ist. Wenn ein armes, schönes Mädchen mit krankem, verbittertem Gemüt allein und verstoßen im Leben steht, wenn sich ihr Versuchungen und Verlockungen von allen Seiten bieten, und sie trotz alledem aus innerer Überzeugung den grauen eintönigen Weg der Entsagung und bürgerlichen Sittenmoral wählt . . ., dann erkenne ich in diesem Mädchen eine Persönlichkeit an, die eine gewisse Berechtigung hat, auf eine Schwächere mit verächtlichem Mitleid herabzusehen. Aber diese Gänse, die unter den Augen ihrer Hirten und Besitzer zeit ihres Lebens auf ebenen grünen Wiesen weideten, haben wahrhaftig kein Recht, über andere, die es nicht so gut hatten, zu hohnlächeln.

Es heißt nicht umsonst in der Bibel: Wer zu seinem Bruder sagt: du Narr, der ist des höllischen Feuers schuldig.

Hohn ist noch schlimmer und schlechter, als Mord und Betrug und Diebstahl und Brandstiftung und schwere 292 tätliche Beleidigung. Er mordet das Heiligste im Menschen. Hohn ist teuflisch.

* * *


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