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Vor vierzehn Tagen schrieb ich das Letzte in mein Tagebuch, nun habe ich endlich mal wieder was zu schreiben. Viel besonderes ist es zwar nicht, aber in meinem ereignisarmen Leben muß ich jede Gelegenheit zum Schreiben benutzen, sonst wird das Buch ja mein Tag nicht voll.
Also Fräulein Reinhard ist fort. – Ich wußte gar nicht, daß sie weg will. Eines Vormittags komme ich in ihre Stube und sehe, daß sie dabei ist, ihre Siebensachen zu packen und dabei heult sie, daß sie kaum sprechen kann, als ich sie frage, warum sie denn so schnurstracks abreisen will. Ich krieg auch keine rechte Antwort; sie weint wie ein kleines Kind und schluchzt zum Gotterbarmen. Ich bin ein merkwürdiger Mensch in der Art: ich kann nicht gut jemand weinen sehen. Dann steigt's mir gleich wie ein Knäuel in den Hals und ehe ich michs versehe, heule ich mit. Da die Reinhard nun nichts mehr sagte, lief ich zu Vater, der im Wohnzimmer die Zeitung las und fragte ihn, warum die Reinhard fortgeht.
»Sie ist krank. Ich kann das ewige Stöhnen und Lamentieren nicht leiden,« sagte Vater.
»O,« sagte ich ganz verblüfft, »davon hab' ich noch gar nichts gemerkt. – Was fehlt ihr denn?«
»Laß mich in Ruhe mit deiner ewigen Fragerei,« rief Vater so unwirsch, wie ich ihn sonst gar nicht kenne, worauf ich in die Apotheke ging, denn darin bin ich auch komisch, ich muß immer den Dingen auf den Grund 31 gehen, und die arme Kreatur, die Reinhard, tat mir furchtbar leid. Meinert mischte gerade ein Pulver, dabei darf man ihn nicht stören, ich setzte mich auf den Ladentisch und wartete, bis er fertig war.
»Wissen Sie, daß die Reinhard fortgeht?« frage ich.
»Ja,« sagte er.
»Was fehlt ihr?« frage ich.
»Sie leidet am Magen,« sagt er, und ich sehe deutlich, daß es unter seinem dünnen roten Schnurrbart zuckt, als ob er lachen möchte.
»Ach so,« sage ich, erleichtert, daß es nichts Schlimmes ist. »Das kommt jedenfalls von ihrem vielen Essen. Sie schnuckert ja den lieben langen Tag aus der Tasche.«
»Ganz recht, Thymi, es kommt vom Naschen,« ruft Meinert und platzt aus zu lachen. Und er lacht und lacht und hält sich den Bauch und kann nicht aufhören. »Merk dir das, Thymi,« schreit er, »man muß immer zu essen aufhören, wenn's am besten schmeckt. Sonst wird man magenkrank, wie Mamsell Reinhard.«
Ich ließ ihn lachen, denn ich ärgerte mich, und schlug die Tür hinter mir zu. Die arme Reinhard tat mir doch leid, wenn sie auch nur Magendrücken von der vielen Schokolade, die sie ißt, hat. Und lächerlich ist das auch nicht. Solche Magenschmerzen können furchtbar sein, ich hab' auch mal welche gehabt, als ich abends zuviel Gurkensalat gegessen hatte.
Nun ist Fräulein Reinhard fort und wir haben noch keine neue. Vater sucht eine im »Daheim«. Hoffentlich kriegen wir eine nette.
* * *