Margarete Böhme
Tagebuch einer Verlorenen
Margarete Böhme

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April 1901.

Ich fange nachgerade an, mich in das spießbürgerliche Milieu, in das ich als »Privatière« eigentlich gehöre, hineinzuleben . . . Was man nicht alles mit ein paar tausend Meter Draht haben kann. Das hätte ich früher wissen sollen. Wenn's gut geht, werde ich noch mal dekoriert und komme in die Woche. Singular. Mit dem Plural ist es wohl endgültig aus.

Es ist schön, Geld zu haben. Man kann so viel Freude damit machen. Ich selber hab's ja nicht nötig. Mein Graf gibt mir reichlich, was ich brauche, und Julius und D . . . machen sich dito ein Vergnügen daraus, mir meine eventuellen Extrawünsche prompt zu erfüllen. Aber andere Leute brauchen so notwendig etwas Kleingeld.

Ich brauche nur die Augen aufzumachen. So viel Elend und Kummer und Armut sind auf der Welt, und es gibt wahrlich keinen schöneren Luxus, als den, mit geschlossenen Augen und offenen Händen wahllos auszustreuen unter den Ärmsten der Armen.

Meine schlechten Erfahrungen habe ich freilich auch gemacht. Der weißen Doris bot ich die Stelle als Wirtschafterin bei mir an, sie kam auch, und ich hoffte, daß sie sich recht wohl und heimisch bei mir fühlen würde. 271 Ich gab ihr reichlich Lohn und ein gutes Zimmer und viel Geschenke, und abends saßen wir in meinem Wohnzimmer recht gemütlich beisammen und plauderten. Aber sie hielt nur zwei Monate aus. Eines Sonntags abends ging sie fort und kam nicht wieder nach Hause. Am Montag schrieb sie mir, daß sie ihre Sachen abholen lasse. Sie hatte einen alten Schatz im Ballhause gefunden und war mit ihm gegangen, und sie schrieb, daß sie es ja gut bei mir gehabt hätte und mir ein dankbares Andenken bewahre, aber sie nehme doch lieber wieder eine Stelle als Kellnerin an. Zweimal hatte ich noch eine Bekannte von früher; die eine stahl, was los und fest war, die andere schleppte mir, nachdem sie sich sechs Wochen brav gehalten hatte, nachts Kerle mit in die Wohnung, und einmal traf ich mittags ihren Schatz, einen ganz verkommenen Louis, in der Küche, da konnte ich sie natürlich nicht behalten.

Durch die Wohltätigkeit bin ich nun in einen ganz anderen Verkehrskreis geraten. Meine Waschfrau war nämlich in Wochen gekommen und hatte das Kindbettfieber, und ich besuchte sie, fand entsetzliche Armut, tat, was ich konnte und nahm die beiden kleinen Würmer, die da hilflos umherkreuchten, einstweilen mit und behielt sie bei mir. Eines Tages besuchte mich eine Diakonisse, die wohl sehen wollte, ob die Kinder bei mir gut aufgehoben waren, und als sie hörte, daß ich kleine Kinder sehr gern habe, meinte sie, ob ich nicht dem neuorganisierten Frauenverein für Säuglingsfürsorge beitreten möchte. Ich sagte nicht ja, nicht nein, aber etwa vierzehn Tage später kam eine Dame zu mir mit einer Liste und bat um einen Beitrag und erklärte mir, daß es sich um eine neue Sache handle, nämlich um die Sorge für uneheliche Mütter und deren Kinder. Ich fand das so schön, daß ich gleich hundert Mark zeichnete, worüber die Dame augenscheinlich sehr erfreut war und 272 sich nun vorstellte und ganz warm wurde. Eine Frau Doktor S . . ., eine recht liebe Dame, sie fragte mich natürlich auch unter der Hand ein bißchen neugierig aus, und erfuhr von mir, daß ich Witwe bin, gar keinen Verkehr unterhalte und sehr zurückgezogen lebe. Sie meinte, ob ich nicht Freude daran hätte, meine überflüssige Zeit in den Dienst einer guten Sache, wie diese, zu stellen. Das Feld der Wohltätigkeit sei so weit, und man brauche, um es wirksam zu bebauen, viele willige Hilfskräfte. Ich antwortete ausweichend, aber die Frau Doktor muß wohl geplaudert haben, denn in der nächsten Zeit kamen öfters Damen mit Sammellisten und Billetten für Wohltätigkeitsgeschichten und einige davon machten sich ganz familiär bekannt mit mir und forderten mich auf, Mitglied ihres Vereins zu werden, und schließlich ließ ich mich wirklich breitschlagen und ging mal hin zu einer Versammlung. Und seitdem bin ich nun mitten drin. Ohne mein Zutun muß sich die Mär verbreitet haben, ich sei eine reiche, wohltätige Dame, denn ich werde überall mit offenen Armen empfangen und sogar etwas hofiert, und in einem Verein bin ich kürzlich als Vorstandsmitglied vorgeschlagen und werde in der Generalversammlung wohl angenommen werden. So kann der Mensch heutzutage, ohne einen Finger zu rühren, avancieren, wenn er nur etwas überflüssiges Kleingeld oder noch besser ein paar überflüssige blaue Zettel im Portemonnaie hat. Das Portemonnaie macht wirklich den Menschen.

Mein Graf, den ich natürlich, ehe ich so etwas beginne, immer erst um seine Meinung frage, hat nichts dagegen, nur warnte er mich, nicht allzusehr hervorzutreten. Das fällt mir natürlich auch nicht ein, aber ich werde gegen meinen Willen in den Vordergrund gedrängt.

Dadurch habe ich nun eine Reihe neuer Bekanntschaften gemacht, die, weil es gebildete Damen sind 273 mit tadellosen Umgangsformen, eigentlich besser zu mir passen, als meine früheren Bekannten von der Friedrichstraße und Umgegend. Aber ob diese feinen, anständigen Damen moralisch so turmhoch über die andere Welt, die sie so spöttisch die halbe nennen, hinausragen, möchte ich noch stark bezweifeln. Ich denke dabei nicht an das, was im allgemeinen Sinne gewöhnlich als Moral gilt. Nach meiner Ansicht umfaßt das Wort Moral einen universellen Begriff aller schönen menschlichen Eigenschaften, und nicht nur den kleinen Ausschnitt, der das geschlechtliche Leben der einzelnen observiert. Außer der groben und eigentlich mehr äußerlichen Moral, die sich die Menschen gezimmert haben, gibt es doch noch eine feine Moral der Seele, die mit der anderen gar nichts gemein hat. Man kann sehr wohl mit beiden Füßen durch Schlamm und Schmutz waten und seine Seele klar und rein halten, und kann eine äußerlich hochgeachtete »ehrbare« Frau und doch durch und durch unanständig sein, weil niedrige Gesinnung, Kleinlichkeit und innere Gemeinheit Seele und Denkungsart versauen und verpesten.

Nie habe ich z. B. früher von »so einer« gehört, daß sie so schandhaft über ihresgleichen lästert, wie z. B. die Frau Dr. Th . . . über ihre Feindin, die Frau Rechtsanwalt Z . . . Wenn »so eine« sich mal ereifert, da ist es schon mehr wie das Prusten vom großen Nilpferd im Zoo, es klingt nicht fein, aber es schadet niemand, man lacht höchstens darüber, aber wenn solche Dame niederträchtig sein will, das ist wie ein Schlangenstich, lautlos und tödlich . . . O Gott, haben diese Weiber aus Berlin W., die in Großmut und Wohltun machen, teilweise Zungen!!! –

Ich könnte Stücke verplaudern, aber meine Zeit und mein Buch sind mir zu schade dafür.

Na, und dies Wohltun! Schweigen und denken tut 274 niemand kränken. Ich denke mein Teil. Diese Wohltätigkeitsvorstellungen sind ja die reine Landplage. Wer dreißig Billette kauft und bezahlt, wird Ehrenmitglied des Vereins, und wer hundert Billette bezahlt, kriegt einen Orden. Dabei geben die Matadorinnen der Wohltätigkeit selbst meist keinen roten Heller dazu, sie hängen nur anderen ihre Billette auf und tun das Reden – – – Schwamm drüber.

Im Februar verkaufte ich auf einem Basar Lose und wurde alle reißend los. Die jungen Mädchen waren alle neidisch. Das belustigte mich; wenn ich es drauf anlege, will ich mich verpflichten, sie noch alle auszustechen, diese mehr oder minder hübschen jungen Gänse. Ich fürchte mich nur immer, einem früheren Bekannten wieder zu begegnen. Bis jetzt ging es gut. Der Graf teilt meine Befürchtung und rät mir immer wieder, mich zurückzuhalten.

Mein Graf schenkte mir neulich einen feenhaften Jupon zu dreihundert Mark; weiße Seide mit gelben Spitzeninkrusterien, ein kleines Kunstwerk, und gut genug für eine Königin. Ich freute mich kindisch darüber, aber als ich mich acht Tage lang daran gefreut hatte, überlegte ich, daß man für das Geld, was so 'n Ding kostet, doch viel Gutes tun kann, und kurz und gut, ich verklopfte ihn an meine Schneiderin für hundertundzwanzig Mark und die verkaufte ihn wieder einer Kundin mit dreißig Mark Verdienst, und die hundertundzwanzig Märker hab' ich der geschiedenen Schutzmannsfrau im Hofe geschenkt. Dafür kaufte die sich eine Nähmaschine und läßt ihren lahmen Jungen, der kaum auf seinen nach innen gekrümmten Füßen gehen kann, operieren, wozu ich natürlich zuschießen muß.

Als der Graf gestern fragte, ob ich den Jupon schon mal angehabt hätte, beichtete ich ihm. Er war nicht böse, meinte aber, das sei doch töricht von mir, denn 275 auf diese Weise hätten wir hundertundfünfzig Mark weggeworfen. Das ist wahr. Wenn ich künftig so was vorhabe, will ich mir doch lieber das Geld geben lassen.

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