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Der geizige Herrscher. Ein Festtag auf Pecixe

Der angekündigte Festtag kam heran. In Begleitung zweier Mandyako aus unserer Bootsmannschaft, die sich zur Feier des Tages mit weißen europäischen Kleidern und Tropenhelmen ausstaffiert hatten und trotz ihrem stolzen Gehaben recht lächerlich aussahen, trafen wir im Palast ein. Ich breitete, von gierigen Blicken verfolgt, unsere Geschenke vor dem König aus: Einen großen Korbsessel, der uns während der ganzen Expedition gute Dienste geleistet hatte und sich unseres Erachtens vorzüglich als Thronsessel eignen mußte, einige Kilogramm Tabak und schließlich das allerwichtigste, einige Flaschen mit Zuckerrohrschnaps, von dem ich annahm, daß er dem alten Alkoholiker die Zunge lösen würde. Ich hatte augenscheinlich das Richtige getroffen, denn der König schnaufte und grunzte sichtlich befriedigt, ließ jedoch seine Schätze sehr rasch in Sicherheit bringen, als fürchte er, daß uns unsere Freigebigkeit noch reuen könnte. Nach längerem Stillschweigen erinnerte ich den König, daß er versprochen habe, uns zu Ehren ein Fest zu veranstalten. Er vertröstete uns aber auf später.

Etwas abseits vom Lager des Königs lag ein Kind auf einer Matte. Neben ihm kauerte eine junge Frau mit verhärmten Gesichtszügen. Das Kleine war augenscheinlich schwer krank. Seine schmale Brust hob sich hastig, und Fieberphantasien bewegten die heißen Lippen. Niemand beachtete die arme junge Mutter mit ihrem kranken Knaben; ich gab leise dem Dolmetsch den Auftrag, sich zu erkundigen, was für ein Kind das sei. Es war des Königs jüngster Sohn, der vor einigen Tagen plötzlich erkrankt war. Vergeblich hatte man schon mehrere Opfer dargebracht, aber selbst der Fetisch des Königs hatte keinen Rat gewußt. Ich ließ fragen, ob ich das Kind untersuchen dürfe, was mir nach einigem Zögern gestattet wurde. Es handelte sich augenscheinlich um eine Lungenentzündung. Ich konnte den flehenden Blicken der Mutter nicht widerstehen und versuchte trotz der Schwere des Falles eine Behandlung mit entsprechenden Medikamenten; auch verordnete ich Wickel gegen das hohe Fieber. Meine Frau zeigte der aufmerksam horchenden Mutter, wie sie diese anzulegen hätte. Tatsächlich konnte man in den nächsten Stunden eine Besserung bemerken, das Fieber schien zu fallen, das unregelmäßige Zucken der Glieder löste sich in einem tiefen Schlummer.

Da sich nach längerer Zeit noch immer keine Festgäste blicken ließen, nahmen wir inzwischen den Grundriß des Königspalastes auf und begannen dann die Häuser der Umgebung zu untersuchen. Am merkwürdigsten war zweifellos das Haus des Richters. Das Äußere des Gebäudes war allerdings schön, doch die gesamte Inneneinrichtung bestand ausschließlich aus europäischem Tand; sogar Öldrucke von europäischen Monarchen und Ansichtskarten von prominenten Filmschauspielern fehlten nicht an den Wänden. Die einzigen, wirklich wertvollen Stücke waren die alten, handgewebten Mandyakotücher, die die Frauen um die Hüften geknotet tragen, und nach deren Anzahl der Reichtum eines Mannes gemessen wird.

Es verging Stunde um Stunde, keinerlei Anstalten wurden getroffen, das Fest vorzubereiten. Da teilte uns der König auf einmal kurz und bündig mit, daß das Fest heute leider nicht stattfinden könne. Obgleich ich in Afrika immer mit einer Lammsgeduld gewappnet bin, war das doch mehr, als ich vertragen konnte. Mit erhobener Stimme trug ich dem Dolmetsch auf, dem König die folgenden Worte zu übermitteln: »Das letztemal habt Ihr nach Geschenken gefragt, obwohl Ihr, eurer Sitte gemäß, uns zuerst ein Gastgeschenk hättet geben müssen, heute laßt Ihr uns umsonst sechs Stunden warten. Keinen Willkommenstrunk habt Ihr uns angeboten. Wir verlassen diesen ungastlichen Hof und werden unserem Volk verkünden, daß auf Pecixe der geizigste König der Welt lebt, der vom Ruhm seiner Vorfahren zehrt und selbst nicht einmal soviel Einfluß hat, seine Untergebenen zu einem Tanz zusammenzurufen.« Dem Dolmetsch war bei meinen Worten angst und bange geworden, er übersetzte stockend und zögernd, während wir uns, ohne Abschied zu nehmen, auf den Heimweg machten. Kaum waren wir bei unserem Lager angelangt, als uns ein schweißtriefender Eingeborener einholte, der sich als Sohn des Königs vorstellte und erklärte, er sei von seinem Vater beauftragt worden, alles Geschehene wieder gutzumachen. Das bedauernswerte Mißverständnis sei nur dadurch entstanden, daß er, als Beamter seines Vaters, sich der Sache nicht hätte annehmen können, weil er eben damit beschäftigt gewesen sei, rückständige Steuern einzutreiben. Jetzt habe er aber persönlich die Angelegenheit in die Hand genommen und bitte uns, wenigstens noch einen Tag zu verweilen, wir würden dann sicher zufrieden sein. Ich stellte mit ungläubig, ließ mich aber doch gern umstimmen.

Am nächsten Morgen schon wanderten wir daher wieder zum Königspalast und wurden tatsächlich ganz anders aufgenommen. Man bot uns Milch, Branntwein und Palmwein an und bedeutete unseren Burschen, daß für sie ein fettes Schwein geschlachtet worden sei. Dann übergab man uns ein mittelgroßes Schwein als Gastgeschenk. Zugleich ertönten aus den Höfen des Gebäudes Felltrommeln, und von allen Seiten kamen festlich geschmückte Mädchen und Burschen herbei. Die Burschen waren zumeist in grotesker Weise mit europäischen Fetzen bekleidet. Tropenhelme, grüne Brillen, Kattuntücher, zerrissene Wirkwaren hatten die alte Tracht vollständig verdrängt. Nur wenige trugen, wie es ihre Väter getan hatten, eines der schönen Tücher togaartig über die Schulter geschwungen. Die Mädchen dagegen kamen zumeist, alter Sitte gemäß, mit unbekleidetem Oberkörper. Frisch und anmutig wirkten ihre ebenmäßigen Gestalten. Um die Hüften hatten sie sich die alten schönen Tücher geknotet. Die Knöchel und den Hals schmückten bunte Glasperlenketten. Vereinzelt nur sahen wir europäische Röcke, Kopftücher und Blusen, die etwa unserer Mode aus den achtziger Jahren entsprachen.

Die Festgäste stellten sich in Hufeisenform auf dem Hofe auf. Drei Frauen schlugen Wassertrommeln mit den Handballen. Diese Trommeln bestehen aus halbgefüllten Wasserbottichen, auf denen umgestülpte Kürbisschalen schwimmen. Die Wechselgesänge zwischen Mädchen und Burschen wurden außerdem von dem Händeklatschen der versammelten Frauen begleitet.

Zuerst traten zwei, dann drei Burschen in die Mitte des Halbkreises, gezückte portugiesische Säbel in der Hand haltend; sie tanzten in langsamem Rhythmus, mit den Füßen den Boden stampfend. Dann bewegten sich einzelne Mädchen im Takt hin und her, während sie von Zeit zu Zeit die Arme in die Höhe warfen. Oft umtanzte auch ein Bursche mit gezücktem Säbel die Mädchen. Es waren wohl die letzten Reste uralter Schwerttänze, die wir hier zu sehen bekamen, und sowohl die sich stets wiederholenden Gebärden als auch das auffallend lebhafte Mienenspiel der Tanzenden gehörten augenscheinlich zu bestimmten Szenen, deren Sinn wir Europäer nicht erfassen konnten. Die schwarzen Zuschauer aber lachten oft verständnisvoll auf. Durch die vielen handgewebten Tücher ergab sich trotz den europäischen Fetzen ein farbiges Bild, das im Rahmen des alten Königspalastes außerordentlich eindrucksvoll wirkte.

Auf einmal entstand ein Tumult, ein Mädchen wand sich in Krämpfen auf dem Boden. Die Tänze wurden augenblicklich unterbrochen, und der Teilnehmer bemächtigte sich eine steigende Erregung. Einige Männer trugen die Ohnmächtige in ein Zimmer des Palastes, ich folgte hinterher. Erst bemühte sich ein Alter um das Mädchen, jedoch ohne Erfolg. Als ich sah, daß die Atmung auszusetzen drohte, griff ich ein. Der Puls war kaum noch wahrzunehmen; ich begann mit künstlicher Atmung und Massage, nach einer guten halben Stunde zeigte sich ein Erfolg, die Besinnung kehrte wieder. Einige Minuten später konnte sich das Mädchen, unterstützt von einer Gefährtin, entfernen, und ich kehrte zum König zurück.

Hier warteten meine Frau und Professor Struck bereits ungeduldig auf mich, denn wir sollten Zeugen einer eigenartigen religiösen Handlung werden.

In der verandaartigen Nische, in der sich der König aufzuhalten pflegte, hatte ein mit Stoffen verschnürtes Bündel mit vier wie bei einer Tragbahre hervorragenden Stangen, die auf Holzpflöcken ruhten, schon lange unsere Aufmerksamkeit erregt. Es war der Tuma, der Königsfetisch, den nun vier Burschen auf ihre Schultern hoben. Sie stellten sich dann vor dem König auf, der sich erhob und laut und langsam zu sprechen begann. Wirkungsvolle Handbewegungen begleiteten seine Worte, die uns unser Mandyako leise übersetzte:

»Wir sind zu fröhlichem Tanz zusammengekommen und führten nichts Böses im Schilde; künde mir, du allwissender Tuma, ob ich schuld an dem Unheil bin, das das Mädchen betroffen hat?« Der Fetisch auf den Schultern der Männer wich merklich zurück, was als Verneinung galt. »Dann ermächtige ich nun den Richter, dessen junge Verlobte das Unglück traf, dich zu fragen. Antworte ihm und sage die Wahrheit!«

Nun trat der Richter vor, ein etwa fünfzigjähriger Mann, der die ganze Zeit über an der Seite des Königs gesessen hatte, und hielt folgende Rede: »Ich bin der Richter des Königs und habe auf Geheiß meines Herrn mit meiner Verlobten an dem Fest teilgenommen. Ich bin mir keiner Schuld bewußt. Habe ich nicht immer alle Opfer vollbracht, die dir gebührten? Sag' an, trifft mich etwa die Schuld an dem Unfall?« Der Tuma verneinte. »Ist es dann etwa die Schuld ihrer Mutter?« Der Tuma verneinte wieder. »Oder die ihres Vaters?« Der Tuma rückt nach vorn und bejaht damit die Frage.

Nun stellte sich heraus, daß das Mädchen gegen das ausdrückliche Verbot ihres Vaters am Fest teilgenommen hatte. Aus diesem Grunde war es vom Fetisch bestraft worden.

Ich bin überzeugt, daß sämtliche Zuschauer felsenfest glaubten, daß der Fetisch selbst die Wahrheit auf diese Weise verkündet habe. Wie andächtige Gläubige in einer Kirche saßen sie da. Mit stillen, verzückten Gesichtern blickten die einen vor sich hin, die anderen konnten ihrer inneren Erregung kaum Herr werden und starrten erwartungsvoll auf den Fetisch.

Bei jeder Bewegung desselben ging es wie ein Zucken durch die Menge. So verhalten sich nur Menschen, die glauben, Zeugen göttlicher Offenbarung zu sein.

Auffallend waren dagegen die undurchdringlichen, andächtigen Mienen der vier Tumaträger, die doch die Bewegungen des Fetisch hervorgerufen hatten. Wie ich später erfuhr, gehörten sie zum Gefolge des Königs, und ihr Amt bestand ausschließlich darin, dem Tuma zu dienen. Niemand anderer durfte ihn berühren. Diese Tätigkeit schien recht einträglich zu sein, neue Tropenhelme und europäische Kleidungsstücke ließen auf besondere Wohlhabenheit der Burschen schließen.

Nach längerer Pause gab der König den Befehl, das Fest fortzusetzen. Alle Anwesenden standen aber noch so stark unter dem Eindruck des Ereignisses, daß keine rechte Stimmung aufkommen konnte. So brachen wir denn auf.

Im Weggehen sah ich mich noch nach meinem kleinen Patienten um. Zu meiner Freude konnte ich feststellen, daß alle Gefahr vorüber war. Dessen schien sich auch die junge Mutter bewußt zu sein, die mir mit strahlenden Blicken dankte.


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