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Im Palast des Königs der Mandyoko auf Pecixe

Dieser Tanz, der uns nochmals Einblick gewährte in das kindliche, begeisterungsfähige Wesen der Bidyogo, bedeutete für uns den Abschied von diesem Volke. Wir verließen es traurigen Herzens, von dem Wunsche beseelt, daß die Zukunft sein Los erleichtern möge. Es bedrückte uns schwer, daß wir an die Erfüllung unserer Wünsche selbst nicht glauben konnten. Allzu tief schon hatten die fremden Fesseln das einst blühende Volk verwundet.

Wir grüßten zum letzten Male die fernen Landstreifen des verschwindenden Archipels, und über das stürmische Meer ging es geradeswegs nach Norden, dem Festlande entgegen, während schwere Brecher über Bord schlugen.

Pecixe, eine große, dem Festlande vorgelagerte Insel, war unser Ziel.

Wir hatten gute Fahrt, spät am Abend gingen wir bereits an der Küste von Biombo an geschützter Stelle vor Anker, um die Nacht hier zu verbringen. Die Gesichter unserer Burschen hellten sich auf, während der stürmischen Fahrt waren sie wieder teils wehklagend, teils apathisch seekrank an Deck gelegen. Am Horizont sahen wir den Glutschein eines mächtigen Waldbrandes von Formosa herüberleuchten.

Am frühen Morgen kreuzten wir gegen starke Dünung, die nach dem Abflauen des Sturmes noch das Meer bewegte, nach Nordwesten und erreichten bald die Küste der Insel Pecixe.

Diese Küste ist flach und sandig und den Fluten des Atlantik ungeschützt preisgegeben, dessen Wogen sich hier tosend auf das Land ergießen. Die Brandung ist so heftig, daß sie schon größere Eisenschiffe, die bei Ebbe aufgefahren waren, zerschellt hat. Wir mußten daher außerhalb des gefährlichen Bereiches, etwa zwei Kilometer vom Ufer entfernt, vor Anker gehen.

Die Insel Pecixe wird heute von den Mandyako bewohnt, die auch einen Teil des Festlandes besiedeln. Dieser Volksstamm hat es, sehr im Gegensatz zu den Bidyogo, seit alters her verstanden, sich mit den Europäern gut zu stellen. Sein Land ist heute ein ausgezeichnetes Absatzgebiet für die weißen Händler. Die Eingeborenen sind fleißig, intelligent und von einem starken Nachahmungstrieb beseelt. Mit Hilfe dieser Eigenschaften fanden sie denn gar bald die Schwächen ihrer Machthaber heraus und verstanden es, aus ihnen Nutzen zu ziehen. Fast überall trifft man Mandyako an, die als Matrosen, Heizer, Köche, Diener und auch als Hafenarbeiter in den Seehäfen von den Kolonisatoren besonders geschätzt werden.

Schon zur Zeit des Sklavenhandels wurden die Mandyako als vorzügliche Sklaven gewertet und standen hoch im Kurs. Ganz besonderer Beliebtheit aber erfreuen sich die hübschen Mandyakomädchen bei den weißen Herren der Schöpfung!

Da die Mandyako des Festlandes ihre Eigenart zum überwiegenden Teil seit langem verloren haben, hofften wir wenigstens hier auf der Insel Pecixe, bei den von der Zivilisation am wenigsten berührten Volksteilen noch volkskundlich Wichtiges auffinden zu können. Zwischen Professor Struck und mir entwickelten sich manchmal bei der Auswahl der zu bearbeitenden Gebiete kleine Gegensätze. Mir als Ethnographen kam es vor allem darauf an, unverfälschtes Volkstum anzutreffen. Professor Struck aber hatte in Gebieten, die meinem Ideal entsprachen, manche Schwierigkeiten bei den anthropologischen Messungen zu überwinden, da die Eingeborenen oft zu stolz waren, sich als Meßlinge verwenden zu lassen, oder auch Angst hatten, verzaubert zu werden. In Gegenden, wo es für mich inmitten der zivilisierten und korrumpierten Eingeborenen, die ihre Sitten und Gebräuche bereits aufgegeben hatten, keine Arbeitsmöglichkeit gab, war wieder der Anthropologe glücklich, da die Eingeborenen für ein Blatt Tabak zu allem zu haben waren. In Pecixe aber sollten wir beide auf unsere Rechnung kommen.

Auf unserem ersten Erkundungsgang schon kamen wir an mehreren großen, schönen Gehöften vorbei, die sich stark von den kleinen runden Hütten der Mandyako des Festlandes unterschieden. Die mächtigen Gebäude lagen inmitten üppiger Gärten und umschlossen hufeisenförmig einen großen Hof. Wohlhabenheit und Ordnung traten überall zutage. Die zahlreichen Rinder, Schweine und Hühner sahen gepflegt und wohlgenährt aus. Man konnte sich keinen größeren Gegensatz verstellen, als den zwischen den Mandyako auf Pecixe und den armen halbverhungerten und kranken Bidyogo, die wir tags vorher verlassen hatten.

Wir hatten gehört, daß auf der Insel Pecixe ein mächtiger König herrsche und in einem alten Palast, nicht weit von der Küste entfernt, seine Hofhaltung führe. Ihn wollten wir vor allem besuchen. Wir mochten zwei Stunden marschiert sein, als wir den Palast vor uns sahen. In seiner Weitläufigkeit machte er einen geradezu überwältigenden Eindruck. Inmitten uralter Bäume ragten Türme und breite Lehmmauern auf, die durch viele Schießscharten unterbrochen wurden. Am Eingang trat uns ein Mann aus dem Gefolge des Königs entgegen, dem unser Führer unseren Wunsch, den König zu besuchen, unterbreitete. Er ging nun voraus, und wir folgten ihm durch viele Räume und lange dunkle Gänge, die kein Ende zu nehmen schienen.

Der Palast besteht aus drei riesigen, ummauerten Höfen, deren größter eine Fläche von über neunhundert Quadratmetern umfaßt. Später erfuhren wir, daß jeder neue König einen solchen Hof anbaut und ihn mit seiner Familie bis an sein Lebensende bewohnt. Nach seinem Tode verbleiben seine Angehörigen in ihren Wohnungen und bilden nun einen Teil des Gefolges des neuen Herrschers. Auf diese Weise dehnt sich der Palast im Laufe der Generationen immer mehr aus. Der älteste Hof ist bereits ziemlich verfallen, der jüngste noch gut erhalten. Jeder ist von zwei Mauern umgeben, der drei Meter breite Raum zwischen der inneren und der äußeren Mauer ist durch viele Querwände in eine Unzahl von verschieden großen Räumlichkeiten und Gängen geteilt, die zumeist vollkommen leer stehen. In wenigen lag Hausrat, der vor allem zum Kochen zu dienen schien. Zahllose Säulen aus Holz und Lehm unterstützen das riesige Strohdach, das einen Teil der Höfe weit überragt und den Bewohnern in der heißen Tageszeit Schatten und Kühlung spendet.

Wir folgten unserem Führer kreuz und quer durch den weitläufigen Palast und erwarteten in jedem größeren Raum endlich den König zu finden. Doch ohne Aufenthalt ging es weiter, bis wir mit einemmal vor dem König standen, als wir am wenigsten darauf gefaßt gewesen waren.

Der Herrscher erwartete uns inmitten seines Hofstaates in einer gedeckten, von Säulen abgeschlossenen Nische des Palastes. Er ruhte auf einer Matte auf dem Boden. Verschiedene Felle und Tierhäute waren an den Wänden aufgehängt, ein mächtiger Schild lehnte in einer Ecke neben Lanzen und Speeren. Bei dem Lager des Königs glomm Holz über einer großen Feuerstelle.

Der Herrscher schien etwa sechzig Jahre alt zu sein und machte den Eindruck eines Kranken. Seine zitternden Hände und Lippen, der unstete Blick verrieten den Trinker. Er begrüßte uns kühl und fragte nach unserem Begehren. Da schwarze Majestäten im allgemeinen sehr eitel zu sein pflegen, ließ ich ihm sagen, daß die Kunde von ihm, dem mächtigsten König der Mandyako, weithin bis in unser Land gedrungen sei, so daß wir uns entschlossen hätten, ihn aufzusuchen. Aber meine wohlgesetzte Rede, die unser Dolmetsch gewissenhaft in die Landessprache übertrug, verfehlte augenscheinlich ihre Wirkung. Nach kurzer Pause antwortete der König ungnädig mit der Frage: »Nun, und Geschenke habt ihr mir keine gebracht?« Obwohl ich genau wußte, daß es seine Sache gewesen wäre, uns zuerst ein Gastgeschenk zu bieten und uns zu bewirten, entschuldigte ich mich damit, daß unser Gepäck noch an Bord sei, daß wir aber jedenfalls bei unserem nächsten Besuch das Versäumte nachholen würden. Auf diese Zusicherung hin wurde die Stimmung des hohen Herrn wesentlich freundlicher. Er ließ uns sagen, daß er vorhabe, uns zu Ehren in den nächsten Tagen ein Fest zu veranstalten, und lud uns ein, diesem beizuwohnen. Recht befriedigt machten wir uns auf den Rückweg.

Nun hieß es unser Gepäck an Land bringen. Da die »Binar« aber so weit draußen lag, war das mit Schwierigkeiten verbunden. Der König hatte uns einige Männer mitgegeben, die bis zum Beiboot hinauswateten und dann das Gepäck auf dem Kopf ans Land trugen. Eine Sandbank hinderte das Beiboot, näher ans Ufer zu fahren, zwischen der Sandbank und dem Strande aber gab es einige tiefere Stellen, so daß sich die Arbeit mehrere Stunden hinzog. Inzwischen war Gezeitenwechsel eingetreten, und die steigende Flut schloß einige Träger, und natürlich gerade jene, die die wertvollen Photoapparate herüberschafften, auf der Sandbank ein. Glücklicherweise bemerkte ich die Gefahr beizeiten und konnte mit dem Beiboot die kostbare Last in Sicherheit bringen. Das Meer stieg rasch an, bald war es möglich, mit dem Ruderboot über das Hindernis hinwegzufahren; gleichzeitig war aber die Brandung stärker geworden, und die Brecher drohten das kleine Boot vollzuschlagen. Ich war sehr froh, als ich unser durchnäßtes Gepäck endlich am Strande trocknen lassen konnte.

Hinter der ersten Düne stand ein kleiner Palmenhain. In seinem spärlichen Schatten ließ ich das Lager aufschlagen, das Zelt aber, welches meine Frau und ich bewohnten, stellte ich auf dem Kamm der Düne auf, um den herrlichen Blick über das weite Meer zu genießen. Zu unserer Überraschung ergab sich, daß das ganze Gelände abends, trotz der leichten Brise, die nach Sonnenuntergang wehte, von Malariamoskitos geradezu wimmelte. In dichten Wolken fielen sie über uns her, die Luft war von dem zischenden Laut der Millionen kleiner Flügel erfüllt. Wir Europäer konnten uns, sobald es unerträglich wurde, unter unsere Netze zurückziehen. Unsere Burschen jedoch waren übel daran; ich hatte zwar in Bissau jeden mit einem neuen Moskitonetz ausgestattet, auf den Bissagosinseln aber war wenig Gelegenheit gewesen, sie zu verwenden, und so wurden sie von den Burschen oft achtlos als Decken benützt und waren nun in unbrauchbarem Zustande.


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