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Am nächsten Tag besuchten wir das Dorf Kere und kamen gerade zurecht, um eine Töpferin bei ihrer eifrigen Arbeit beobachten zu können. Töpferscheiben sind den Bidyogo unbekannt. Die Frau knetete längliche Lehmröllchen, baute diese in der Form des Gefäßes übereinander auf, preßte sie mit den Händen an beiden Seiten flach, bis eine glatte Fläche entstand, und verschmierte deren Fugen sorgsam mit einer hölzernen Spachtel. Die eckigen Verzierungen der Ränder, die unsere Aufmerksamkeit schon in Etikoka auf sich gezogen hatten, wurden erst später aufgesetzt.
Neben der Töpferin tollten fröhliche Kinder umher. Ein achtjähriger Knabe betreute sein einjähriges Schwesterchen wie eine ausgebildete Kinderfrau. Er putzte ihm sorgsam die Nase, war eifrig darauf bedacht, die Kleine vor Unfällen zu bewahren und nahm mit Freude teil an ihren Spielen. Das Kind schien aber auch das Brüderchen sehr zu lieben. Es legte ihm die dicken Händchen um den Hals, leckte ihm das Gesicht ab und jauchzte vor Vergnügen.
Die Häuser von Kere sind zum Teil mit hübschen plastischen Verzierungen aus Lehm versehen. Vor einigen waren Zauberbäume aufgestellt, die mit allerlei Gegenständen: Knochenstückchen, trockenen Früchten, Hörnchen, Steinen, Glasperlen behängt waren.
Das Innere eines Hauses, in das ich eintrat, war wegen des verschiedenartigen Hausrates sehr sehenswert. Während ich meine Aufmerksamkeit den Gegenständen zuwandte, vernahm ich plötzlich eine helle Knabenstimme, die, was der Kreol sprechende Ilere sagte, in die Sprache der Bidyogo übersetzte. Takr war nicht in der Hütte. Wer war es, der hier die Dolmetschpflichten übernommen hatte? Ich näherte mich der dunklen Ecke des Hauses, aus der die Stimme gekommen war. Ein eisiger Schauer lief mir über den Rücken: es war ein geradezu entsetzlich verstümmelter Körper, der sich meinen Augen darbot. Im ersten Augenblick war ich der Meinung, einen Leprakranken im fortgeschrittenen Stadium vor mir zu haben. Gesicht und Beine waren in grauenhafter Weise zerfressen, einzelne Glieder bereits völlig abgefallen. Vor einem glimmenden kleinen Feuer saß der arme Knabe auf dem Fußboden und hielt seine verstümmelten Glieder in den Rauch, der nach Ansicht der Bidyogo Heilung bringt. Meine erste Vermutung bestätigte sich bei näherer Untersuchung zwar nicht, doch war der arme kleine Kerl vielleicht noch mehr zu bedauern. Es war tertiäre Framboisie, die ihn mit dem Tode gezeichnet hatte, und ich verfügte nicht über die entsprechenden Medikamente, um ihm seine trostlose Lage zu erleichtern. Das Erschütternde war, daß das Kind sich bei völlig klarem Bewußtsein befand, sogar von besonderer Begabung zu sein schien, da es den Dolmetsch für die Familie machte. Auf welche Weise der Knabe das Kreol erlernt hatte, da ihm doch die Krankheit schon seit langer Zeit nur ein mühevolles Herumkriechen im Hause erlaubte, konnte ich nicht erfahren. Ich empfand es geradezu als niederschmetternd, ihm keine Hilfe bringen zu können, zumal ich wußte, daß diese Krankheit sich bei geeigneter Behandlung auch noch im fortgeschrittenen Stadium günstig beeinflussen läßt; die Veränderungen der Gliedmaßen freilich sind nicht wieder zu beheben.
Der ganze Tag schien überhaupt unter einem unglücklichen Stern zu stehen. Kaum waren wir aus dem Hause ins Freie getreten, als Stimmengewirr, das von einer kleinen Gruppe von Männern ausging, unsere Ohren traf. Es war der Postenkommandant von Kere, ein Eingeborener vom Stamme der Fula, der in rauhem Ton Befehle erteilte. Wir näherten uns und sahen, daß er einen Bidyogoknaben wie ein Tier, mit einem dicken Tau um den Hals, hinter sich herschleifte. Wie sah der Knabe aus! Sein Gesicht, in dem man die Augen kaum entdecken konnte, war durch Faustschläge bis zur Unkenntlichkeit verschwollen. Hiebe mit einer schweren Flußpferdpeitsche hatten die zarte Haut des Kindes zerrissen, aus den klaffenden Wunden floß Blut über den mit Kot besudelten kleinen Körper. An einzelnen Stellen zeigten blutunterlaufene Quetschungen an, daß dem Peiniger nicht einmal die Peitsche als Marterinstrument genügt hatte. Der Kommandant befahl, als wir hinzutraten, gerade einem Christon, den er sich, wie ich später erfuhr, als Schergen abgerichtet hatte, den Knaben mit einer Kette um den Hals drei Tage lang ohne Wasser und Nahrung anzuschließen. Der kleine Gefangene machte den Eindruck eines hilflos gehetzten Tieres und schien einer Ohnmacht nahe. Ich konnte nicht umhin, mich einzumischen, und erkundigte mich zunächst, was die Schandtat gewesen sei, die eine derartige Behandlung ausgelöst hatte. Der Fula wußte nichts weiter zu erzählen, als daß er auf einem Spaziergange weitab von seinem Dorf das Kind angetroffen und dieses seinem Anruf nicht Folge geleistet, sondern den Versuch gemacht hatte, zu fliehen. Es sei ungehorsam gewesen und verdiene eine exemplarische Bestrafung!
Die Schrecken dieses Tages waren noch nicht zu Ende. Kaum hatten wir den Heimweg angetreten, als von allen Seiten bedauernswerte Kranke herbeieilten, in der Hoffnung, Heilung bei mir zu finden. Schließlich ließ mich sogar jener berüchtigte Postenkommandant von Bitit bitten, ihn zu untersuchen, da sowohl er als auch eine seiner Frauen schwer erkrankt sei. Sein Haus fand ich mit dem verschiedensten Hausrat der Eingeborenen angefüllt. Was mir aber am meisten auffiel, war, daß er als Mohammedaner sechs hübsche junge Bidyogomädchen seinem Harem einverleibt hatte. Die Mädchen sahen in der Tracht von Fulaweibern höchst merkwürdig aus. Gewiß hatten sie sich nicht, ihrer Sitte gemäß, den Postenkommandanten zum Mann erwählt! Doch wer die Macht besitzt, hat das Recht auf seiner Seite!
Man führte mich in eine Kammer, in der die erkrankte Frau auf einer Matte auf dem Boden lag. Sie krümmte sich unter schrecklichen Schmerzen, Schweißperlen bedeckten ihre Stirn, mit hervorgequollenen Augen, ohne Besinnung, murmelte sie unverständliche Worte vor sich hin. Da war nichts zu raten. Ich trat bei dem Postenkommandanten ein, der sich im Nebenzimmer befand. Ein bis zum Skelett abgemagerter Mensch kam mir entgegen, erzählte jammernd, daß er fortwährend Blut spucke, des Nachts zu ersticken vermeine und anderes, was auf eine schwere Tuberkulose hindeutete. Auch hier war guter Rat teuer, dem Manne selbst war sicher nicht zu helfen. Durfte man aber die armen jungen Bidyogofrauen in dieser Umgebung lassen, die ihre Gesundheit auf das äußerste gefährdete? Ich gab dem Kranken einige Pulver zur Erleichterung seiner Beschwerden, sprach aber die Überzeugung aus, daß ihm gewiß die Bidyogofrauen die Krankheit gebracht hätten und er nur auf eine Besserung seines Leidens hoffen könne, wenn er sich von ihnen völlig fern halte.
Auf dem Heimweg erinnerte ich mich der Schilderungen alter Leute von entsetzlichen Grausamkeiten, die sich dieser Postenkommandant hatte zuschulden kommen lassen. Wenn nur ein Bruchteil der Erzählungen auf Wahrheit beruhte, war dieses Wrack eine Bestie in Menschengestalt gewesen! Der König hatte mir erzählt, daß seine Untertanen ihre letzte Habe den Fetischen zum Opfer gebracht hätten, damit sie den verhaßten Tyrannen verdürben. Hatten die Fetische Mitleid mit der jammervollen Hilflosigkeit dieses sterbenden Volkes gezeigt oder hatten die Bidyogo ihren Opfern etwa noch durch Gift Nachdruck verliehen? Die Erkrankung der Frau schloß eine solche Vermutung nicht aus, um so mehr, als die Eingeborenen von alters her mit der Herstellung gewisser geheimnisvoller Tränke gut vertraut sein sollen. Jetzt, da ich mich mit eigenen Augen davon überzeugt hatte, auf welche Weise diese schwarzen Gendarmen mit den Bidyogo verfuhren, hielt ich alles für möglich.