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Urakan trennt von der Insel Eguba nur ein schmaler Wasserlauf. Wir hielten auf die Südspitze dieser Insel zu, wo sich nach Takrs Angabe das Dorf Ankopate befinden sollte. Wieder schien unser Ziel so nahe und lag doch noch sehr fern. Abermals flaute der Wind ab, und die Gegenströmung drohte uns von unserem Kurs abzutreiben. Bei einbrechender Dunkelheit mußten wir, zwei Kilometer vom Ziel entfernt, Anker werfen und an Bord übernachten.
Am Morgen jedoch erreichten wir mit der steigenden Flut bald die Küste, die wenig verlockend aussah. Ein breiter Schlammstreifen, aus dem die nackten Luftwurzeln der Mangroven emporwuchsen, umgab die Insel. So weit das Auge reichte, schienen diese trostlosen Gewächse das Gelände zu bedecken. Langsam entstiegen Luftblasen dem krankheitsschwangeren Schlamm, Unmengen von Moskitos umschwärmten die Brackwassertümpel. Wir mußten bloßfüßig, bis über die Knie einsinkend, durch den Morast ans Land waten. Es kostete unendliche Mühe, einen Fuß zum Vorwärtsschreiten freizubekommen, während der andere immer tiefer sank. Die Entfernung bis zum festen Boden, der doch schließlich hinter den Mangroven auftauchen mußte, schien immer mehr zu wachsen. Fast zwei Kilometer legten wir zurück, bis wir endlich erschöpft auf einem Eingeborenenpfad festen Fuß fassen konnten. In einer kleinen, von Amphibien wimmelnden Lache, trachteten wir unsere wunden Füße von dem schwarzen, klebrigen Schlamm zu befreien. Aufatmend schritten wir über die feste Erde, die nicht nachgab. Der Freude folgte aber sogleich wieder ein Schrecken: Das Auftauchen zweier großer dunkler Giftschlangen, die hier in Ruhe Hochzeit feierten, ließ es geraten erscheinen, die Füße wieder mit hohen Schuhen und mit Wickelgamaschen zu bekleiden. Dann folgten wir vorsichtig dem Pfad, der durch den dichten Busch führte.
Ungeduldig spähten wir nach Zeichen, die uns die Nähe menschlicher Behausungen ankündigen sollten, als uns plötzlich fernes Lachen entgegenschallte. Es drang von einer Gruppe großer Baumwollbäume herüber, in deren Schatten sich vier Knaben beim Spiel vergnügten.
Da wir es unter allen Umständen verhüten wollten, das Dorf wieder menschenleer zu finden, schickte ich Takr voraus, die Jungen auf unser Kommen vorzubereiten. Wir aber verbargen unsere weißen, Angst verursachenden Gesichter hinter den Büschen und warteten auf den Erfolg der Sendung. Takr erfüllte, wie immer, seine Aufgabe gut. Mit seinem vertrauenerweckenden Lachen setzte er den Kindern in langer heiterer Rede auseinander, wer wir seien und was für Erfahrungen er mit uns gemacht habe. Als er seiner Sache sicher zu sein glaubte, traten wir auf sein Zeichen näher heran und wurden von den Knaben ohne Scheu mit freundlich-neugierigen Blicken begrüßt und in das kleine Dorf Ankopate geleitet, das mitten im dichten Busch auftauchte.
Vor der ersten Hütte saß eine Frau und knetete den trockenen Rückstand ausgepreßter Palmkerne zu einem Teig. Bei unserem Anblick erschrak sie heftig und lief eilig dem Haus ihrer Nachbarin zu, wohl mit der Absicht, das Dorf zu alarmieren. Da riefen die Knaben ihr lachend einige Worte zu, worauf sie innehielt und sich beruhigte. Das gleiche spielte sich bei mehreren Männern ab, die uns später begegneten.
Wir ließen uns unter den mächtigen Bäumen, die den Dorfplatz beschatteten, nieder, die Eingeborenen näherten sich uns mit Zeichen offensichtlichen Vertrauens. Nur der greise Häuptling konnte lange sein Mißtrauen nicht überwinden. Als ich ihm auseinandersetzte, daß wir gern einige Gebrauchsgegenstände erwerben wollten und reichliche Bezahlung mit Tabak und Geld in Aussicht stellte, flüsterte er seiner Frau zu: »Bringe zunächst einen kleinen Holzteller, wir wollen sehen, ob sie auch bezahlen.«
Als die Bidyogo sich nach und nach davon überzeugt hatten, daß wir unsere Versprechen auch erfüllten, brachten sie verschiedene Dinge zum Verkauf herbei. Wir vermißten darunter die alten holzgeschnitzten Gegenstände, die angeblich gerade auf Urakan und Eguba vielfach erzeugt worden waren. Takr war der Meinung, daß solche sicher noch vorhanden, aber von den Eingeborenen im Busch versteckt worden seien, da sie die Beschlagnahme durch »kunstverständige« schwarze Gendarmen fürchteten. Jedenfalls bekamen wir nichts zu Gesicht, erfreuten uns aber um so mehr an den hübschen Häusern, die über und über mit figuralen Darstellungen in roter und schwarzer Farbe bemalt waren. Das Skizzenbuch meiner Frau füllte sich rasch mit eindrucksvollen Nachzeichnungen.
Auf der rot angestrichenen Außenwand eines Hauses war ein schwarzes Rind dargestellt, auf dessen Rücken eine nackte Eingeborenengestalt in kniender Stellung ritt. Daneben ein Einbaum mit Stierkopf und fünf Ruderern. Unter dem vorspringenden Dach einer anderen Hütte prangte auf der grauen Lehmwand ein riesiger Pelikan in äußerst naturgetreuer Ausführung. Die Silhouette eines abgetakelten Segelbootes, wie es den Eingeborenen hier und da auf den Gewässern stiller Buchten zu Gesicht kommt, war in phantastischer Form von einem Künstler festgehalten worden. Tanzende Gestalten, Szenen aus dem Leben der Schwarzen, Haustiere waren auffallend geschickt und schwungvoll dargestellt. Aber auch ein Europäer auf einem Fahrrad, an einem tropenhelmähnlichen Gebilde erkennbar, befand sich unter den Konterfeiten.
Die Männer trugen hier alle Ziegenfellschurze, besonders sorgfältig gearbeitete Holzperlenketten, meist große Konusschnecken an den Gürteln, und hölzerne Oberarmringe, in die das Jagdmesser festgeklemmt war.
Wohlgeborgen und fröhlich ruhten die rundlichen kleinen Kinder auf den Rücken ihrer Mütter. Die Frauen tragen einen sinnreich ausgeführten Sitz, der aus einem schmalen, mit Palmfasern weichgepolsterten kleinen Brett besteht, auf dem Rücken. Das untere Ende desselben findet eine Stütze zwischen den Hüften der Mutter und wird um die Leibesmitte mit einer Schnur festgebunden. Das obere Ende ist mit Trägern versehen, die das Sitzbrettchen in nach hinten geneigter Lage an den Schultern der Frau befestigen. Das kleine Wesen sitzt so rittlings und bequem, die beiden Trägerschnüre, die auf beiden Seiten unter seinen Achseln durchlaufen, bewahren es vor dem Herabfallen. Der Ausdruck unserer Bewunderung über diese kunstvolle und zweckmäßige Art, die Kinder zu tragen, erfreute die Frauen sichtlich. Sie wurden zutraulich und liefen nicht einmal vor der Kamera davon.
Sobald die Kleinen sich nur halbwegs selbständig fortbewegen können, helfen sie beim Einsammeln von Austern und Muscheln, auch lernen sie frühzeitig allerlei Lasten auf dem Kopf zu tragen. Einem dickbäuchigen Knirps, der sich eben in dieser Kunst zu üben schien, jagte unser Erscheinen einen derartigen Schreck ein, daß er laut weinend davonlief, dabei stolperte und hinfiel, wobei die mit Muscheln angefüllte Schale auf den Boden rollte. Seine Unachtsamkeit trug ihm einen tüchtigen Klaps von seiner Mutter ein, zu der er sich geflüchtet hatte. Er erhob in höchstem Zorn ein geradezu fürchterliches Geschrei und gab mit energischer Handbewegung der Mutter den Hieb zurück, die sich diese Selbsthilfe gutmütig lächelnd gefallen ließ.
Wir fühlten uns in diesem versteckten kleinen Dorf sehr wohl. Es war heimlich zwischen den grünen Büschen und den Papayabäumen, die üppige, goldgelbe, melonenartige Früchte trugen. Im Gegensatz zu dem Eindruck auf mancher anderen Insel hatten wir hier das Gefühl, daß das glückliche Leben dieser Menschen wohlgeborgen sei.
Als wir auf dem Rückwege durch den Schlamm mühselig das Ufer wieder erreicht hatten, waren unsere Boote verschwunden. Das Suchen und Umherwaten in dem sumpfigen Gebiet und bei der glühenden Sonnenhitze war höchst lästig. Endlich entdeckten wir, daß unser Steuermann den einige Kilometer abseits liegenden kleinen Hafen der Eingeborenen gefunden und, ohne uns zu benachrichtigen oder einen Burschen zurückzulassen, dort Anker geworfen hatte.
Der rechte Leidensweg sollte aber jetzt erst beginnen. Denn unsichtbar unter dem Schlamm verborgen lagen Muschelbänke, die unsere Füße auf das übelste zurichteten. Zuletzt hieß es noch Riffe überklettern, deren Oberfläche von den ewig nagenden Wellen des Meeres in spitze, scharfkantige Folterbänke verwandelt worden war. Selbst unsere Burschen, deren Fußsohlen hart wie Leder waren, kamen nur langsam vorwärts. Da wir endlich von weitem unsere »Binar« erblickten, kam uns die komische Seite unserer Lage erst recht zum Bewußtsein. In weiten Abständen voneinander schwankten wir daher, vorsichtig mit den Füßen tastend. Oft ging dabei das Gleichgewicht verloren, kriechend verwandelten wir uns in höchst sonderbare Vierfüßler, jeder mit einem Paar Schuhen auf dem Rücken.
Endlich hatte die Besatzung der »Binar« unsere Notlage erkannt und kam uns mit dem Beiboot zu Hilfe. Der Steuermann wurde natürlich mit Vorwürfen überschüttet. Doch machten ihm diese, obwohl sie doch wirklich berechtigt waren, keinen sonderlichen Eindruck. Ihm war es wohlergangen an Bord des Schiffes, und das war ihm die Hauptsache.