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Im Verlauf der Zeit hatte ich mich mit Nschamaschi, einem Greis aus dem Gefolge der verstorbenen Königin, angefreundet. Ich wagte daher einige Fragen über den Glauben des Stammes an ihn zu stellen, die er aber nur sehr ungern beantwortete. Immerhin erfuhr ich durch ihn, daß die Bewohner von Orango einen Himmelsgott verehren. Dieser Gott sei so mächtig, daß es einem gewöhnlichen Sterblichen nicht gezieme, ihm direkt sein Anliegen zu unterbreiten. Der Vermittlung des Umgangs mit dem höchsten Wesen dienen die Fetische, die sozusagen Fürsprecher beim Himmelsgott seien. Je nach der Größe des Anliegens wende sich der Eingeborene mit der Bitte um Vermittlung an ein Mitglied der königlichen Familie, das im Besitze eines Fetisch sei, oder an den Herrscher selbst. Die Eigentümer solcher Fetische, die zugleich das Priesteramt bekleiden, bringen ihm nun der Wichtigkeit der Angelegenheit angemessene Opfer dar, von Hühnern und Palmwein angefangen bis zu Schweinen und Rindern. Die Hilfe des Fetisch wird bei den mannigfachsten Gelegenheiten erfleht. Er soll für Regen und guten Fischfang sorgen, das Wachstum der Saat überwachen, Hungersnot und Krankheit lindern und vieles andere. Zugleich betreut der Fetisch auch die Amulette der Dorfbewohner und achtet darauf, daß ihre Kraft nicht schwindet.
Die Amulette bestehen aus kleinen Hörnchen von Tieren, in die der Priester, unter bestimmten Zeremonien vor seinem Fetisch, das Böse bannt. Gewöhnlich bleiben diese Amulette bei dem Fetisch liegen und werden von den Dorfbewohnern nur bei besonderen Anlässen hervorgenommen und getragen, wie zum Beispiel bei Kriegsfahrten oder längeren Wanderungen durch den Busch. Wer ein solches Amulett bei sich trägt, steht unter dem Schutz jenes Fetisch, in dessen Gegenwart die Zeremonien vorgenommen wurden.
Durch Nschamaschi erfuhr ich auch, was es für ein Bewandtnis mit den Holzfiguren habe, die ich in Etikoka unter dem Vorhang des Fetisch nur flüchtig erblickt hatte. Die Bidyogo glauben nämlich daran, daß nach dem Tode des Menschen seine Seele den Körper verläßt und in den Busch wandert. Beim Tode einer Frau oder eines Mädchens wird eine aus Holz geschnittene menschenähnliche Figur Sitz der Seele der Verstorbenen und bleibt das so lange, bis die Seele selbst stirbt. Solche Figuren werden in der unmittelbaren Nähe des Fetisch aufgestellt. Wird eine Figur entfernt und die erzürnte Seele damit ihres rechten Aufenthaltsorts beraubt, so steht dem Eigentümer des Fetisch der sichere Tod bevor. Übrigens haben die Seelen nach der Anschauung der Bidyogo eine sehr verschiedene Lebensdauer. Es gibt solche, denen nur wenige Jahre beschieden sind.
Die Seele unterstützt alle aufs hilfsreichste, die ihr Gutes taten, solange sie noch im menschlichen Körper weilte, besonders aber die Mitglieder ihrer Familie. Sie hat jedoch auch die Macht, sich an ihren Widersachern zu rächen und diese samt ihrer ganzen Familie auszurotten. Vor solcher Gefahr schützen nur die oben beschriebenen Amulette.
Nschamaschi redete nur höchst ungern über diese Dinge und verweigerte oft jegliche Antwort. Doch gelang es mir meistens, ihn zum Sprechen zu bewegen, indem ich ihn in Widersprüche verwickelte. Er nahm mir aber meine Art der Fragenstellung oft entschieden übel und ließ sich dann einige Tage lang nicht blicken. Nicht viel anders erging es mir mit den anderen Alten. Von diesen erfuhr ich, daß die Bidyogo auch unter Zauberei zu leiden hätten, ja, daß den alten Leuten zwar in der Regel Gott den Tod sende, daß aber, wenn junge Menschen sterben müßten, immer ein Zauberer daran schuld sei. »Früher«, erzählten sie, »wurde nicht viel Federlesens mit diesen Zauberern gemacht, sie wurden unverzüglich im Meere ertränkt.« Dieses Vorgehen werde aber heute von den Portugiesen aufs schwerste bestraft und sei schon seit Jahren nicht mehr vorgekommen. Nach der Art, wie sie ihre Worte vorsichtig setzten und sich mit Blicken verständigten, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß mir Wichtiges verschwiegen werde. »Wie wurde euch denn bekannt, wer der schuldige Zauberer sei?« forschte ich weiter. »Der Fetisch tat unserem Priester seinen Namen kund«, war die Antwort. Mehr war aus den Alten beim besten Willen nicht herauszubringen. Sie erklärten, nichts über die Art der Zeremonien zu wissen, welche ein Geheimnis der Priester seien. Mitten im Gespräch standen sie auf und verließen mich ohne Gruß in sichtlichem Unmut.
Als nun wieder einmal Nschamaschi die glücklichen Zeiten unter Königin Pampa rühmte, warf ich wie beiläufig die Frage hin: »Woran ist eigentlich Pampa Kanjimpa gestorben?« Unbedacht antwortete er: »Sie wurde verzaubert.« »Ich weiß«, versetzte ich harmlos, »ihr habt ja sogar das Glück gehabt, die Zauberer zu entlarven. Sie haben ihre gebührende Strafe empfangen. Wie viele Zauberer habt ihr denn damals eigentlich ertränkt?« Die Wirkung meiner Worte war unbeschreiblich. Der Greis war den Fragen mit sichtlich wachsender Aufregung gefolgt, bei den letzten Worten sprang er, auf das äußerste bestürzt, auf und fragte mit zitternder Stimme, wer mir denn dies alles verraten habe. »Auch ich besitze einen Fetisch, der mir die Wahrheit kündet«, gab ich zur Antwort. Der Greis sank geradezu in sich zusammen und äußerte mit erloschener Stimme: »Es ist so, wie du sagst, doch frage nicht weiter, ich bin zum Schweigen verpflichtet. Wenn ich es breche, sterbe ich als Verräter, und mein Volk geht der Vernichtung entgegen.« Mit diesen Worten stand er auf und schritt langsam dem Dorfe zu. Ich habe ihn nie wieder gesehen.
Augenscheinlich hatte sich der Inhalt meiner Fragen mit Windeseile im Dorf verbreitet, denn unserem guten Einvernehmen mit den Eingeborenen war ein jähes Ende bereitet. Wie am Anfang unseres Hierseins wurden wir von allen Erwachsenen gemieden, nur Kinder und Mädchen ließen sich noch ab und zu blicken, auch diese liefen aber davon, wenn ich mich ihnen näherte. Dies zwang uns schließlich, unser Lager abzubrechen. Ehe wir aber fortzogen, wollte ich doch noch versuchen, einen Blick in eines der großen königlichen Häuser zu werfen, die zu betreten von dem Zauber an der Tür jedem Unbefugten verwehrt wurde. Wir hatten ja nun kein Vertrauen mehr zu verlieren, und so schien es mir möglich, etwas zu wagen, was das gute Einvernehmen mit den Eingeborenen zu jeder Zeit gestört hätte.