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Da ich bemerkt hatte, daß die Eingeborenen den breiten Weg zum Dorf überwachten, um sich beim Nahen von Europäern oder von schwarzen Soldaten rechtzeitig in Sicherheit bringen zu können, schlug ich mich am Morgen nach der geschilderten Begegnung in die Büsche und schlich ohne Weg und Steg vorsichtig an die Häuser von Ussokon heran.
Meine Annahme war richtig. Aus einem Versteck konnte ich eine Anzahl von Eingeborenen beobachten, die unter mächtigen alten Bäumen augenscheinlich eine Beratung abhielten. In der Mitte des Platzes saß der Häuptling, neben ihm eine Reihe von Dorfältesten, diesen gegenüber eine Gruppe jüngerer Männer.
Unvermutet trat ich aus meinem Versteck hervor, die Männer sprangen auf und machten Anstalten zu fliehen. Ich schritt aber rasch auf den Häuptling zu, schüttelte ihm die Hand, setzte mich auf einen niederen Schemel und zog ihn neben mich auf seinen Sitz nieder. Einen Augenblick blickten alle Anwesenden erstaunt auf mich, dann löste sich der Bann, die Männer folgten dem Beispiel des Häuptlings. Ich rief nun Takr heran, der mir stets wie ein Schatten folgte, sich aber zunächst noch hinter einem Baum versteckt gehalten hatte, und unsere Unterhaltung konnte beginnen.
Ich erfuhr bald, in welche Beratung ich störend eingetreten war. Die schwarzen Gendarmen hatten neben ihren zahllosen anderen Übergriffen auch den begangen, den Eingeborenen ihr Vieh zu rauben und es nicht zur Bezahlung der Steuern zu verwenden, sondern für ihre eigene Rechnung zu verkaufen. Dies war dem neu angekommenen Fiskal bekannt geworden, worauf er an alle Dorfhäuptlinge die Botschaft gesandt hatte, er werde in Hinkunft keinerlei Ungerechtigkeiten mehr dulden und sich auch bemühen, erlittenes Unrecht, soweit es in seiner Macht siehe, wieder gutzumachen. Er lade jeden einzelnen ein, sich stets vertrauensvoll an ihn zu wenden, und fordere alle Dorfbewohner auf, ihn in den nächsten Tagen zu besuchen, da er sie gern persönlich kennenlernen wolle.
Ich fragte die Alten, ob bereits ein Entschluß gefaßt worden sei. Der Häuptling meinte, man hätte zwar lange beraten, sei aber zu der Überzeugung gekommen, daß man lieber Vorsicht walten lassen und unsichtbar bleiben wolle, bis sich die Verhältnisse völlig geklärt hätten. Das hieß mit anderen Worten, daß die Bidyogo wie bisher bei jeder Annäherung von Weißen oder von schwarzen Polizisten in den Busch zu fliehen beabsichtigten. Ich setzte den Eingeborenen auseinander, daß gerade dieser junge Beamte ein Herz für sie hätte und zu ihnen gekommen sei, um ihnen nach bestem Können zu helfen. Wie solle er aber erfahren, was sie bedrücke, wenn sie selbst sich weigerten, die Verbindung mit ihm aufzunehmen! In diesem Falle würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als den lügenhaften Berichten der schwarzen Gendarmen Gehör zu schenken. Nun habe der Ramdi (Fetisch) des Häuptlings ihnen Gelegenheit gegeben, ihr Los zu bessern, und es sei an ihnen, diese vielleicht letzte Gelegenheit auszunützen.
Von neuem begann nun die Beratung. Die jungen Männer, die hitzig und kampfeslustig meinen Vorschlag mißbilligten, wurden schließlich von den Alten und besonders vom Häuptling überstimmt, der mir in allem recht gab. So wurde denn beschlossen, daß alle gemeinsam an einem der nächsten Tage beim Fiskal vorsprechen wollten. Dieser Besuch fand tatsächlich statt, und ich bin überzeugt, daß die Eingeborenen, zumindest solange sich dieser Beamte auf der Insel aufhielt, ihren Schritt nicht zu bereuen hatten. Es ist nur zu hoffen, daß sein Nachfolger nicht zerstört, was er angebahnt hat; denn leider verbleiben die Beamten niemals lange auf ihrem Posten. Sowohl den Portugiesen wie den Bidyogo würde größere Seßhaftigkeit der Beamten zum Vorteil gereichen!
Von nun an flohen die Eingeborenen nicht mehr in den Busch, wenn wir uns den Dörfern näherten. Männer und Frauen erklärten uns willig den Gebrauch ihrer Geräte und den Sinn der Malereien, die die Außenwände vieler Häuser zierten. Eine derselben erregte immer wieder unsere Heiterkeit. Der Künstler hatte ein europäisches Segelboot nachgebildet, wohl das Boot eines Händlers, das er von weitem erblickt hatte. Das Schiff wurde eben abgetakelt, man sah die Bemannung in der Takelage umherklettern. Die Meinung des Malers war aber wohl, daß nur Affen auf diese Weise zu klettern pflegen, denn er hatte die Matrosen mit langen Affenschwänzen abgebildet, im übrigen aber, der Wahrheit entsprechend, dafür gesorgt, daß alle mit Tropenhelmen ausgestattet waren!
Ein anderer Künstler hatte sich in ganz eigenartiger Weise mit der Perspektive auseinandergesetzt. Im Profil dargestellte Frauen trugen Körbe auf den Köpfen, ihre Grasröckchen schienen in charakteristischer Weise hin und her zu wippen. Da aber nur eine Brust im Profil sichtbar bleibt, hatte der Maler, um jeden Irrtum auszuschalten, die beiden Brüste übereinander dargestellt!
In ähnlicher Weise waren bei der Darstellung eines Autos, das der Eingeborene vielleicht zur Zeit der militärischen Besetzung gesehen hatte, die vier Räder schön säuberlich hintereinander aufgemalt, ebenso die vier Insassen, deren kleine Köpfe hinter dem übermäßig groß dargestellten Lenker fast verschwanden.
Die Sorgfalt, die die Bewohner der Insel Une den Malereien gewidmet hatten, und der gute Bauzustand ihrer Behausungen gab Zeugnis von dem noch vorhandenen Kunstsinn und der Lebenskraft der Bewohner, die auf dieser besiedelten Insel einen wesentlich gesünderen Eindruck machten als auf allen anderen, die wir bisher besucht hatten.
Wenn es wahr ist, daß die Gemütsart eines Volkes an der Art zu erkennen ist, wie es seine Haustiere behandelt, müssen die Bidyogo herzensgute Menschen sein. Denn sie sorgen nicht nur auf das beste für diese, ein Umstand, der sich auch aus wirtschaftlichem Denken erklären ließe, sondern pflegen auch die Hunde und Katzen, deren es zahllose in jedem Dorfe gibt, liebevoll. Niemals werden die Tiere vergessen, geschweige denn gequält, Erwachsene und Kinder spielen mit ihnen in rührender Weise.
Die Sitten und Gebräuche auf Une stimmen zum Teil mit denen von Orango Grande, zum anderen mit denen von Karasch überein. Merkwürdigerweise gibt es aber hier keinen Inselkönig; dagegen ist die Macht der Dorfhäuptlinge wesentlich größer als auf den anderen Inseln.
In früherer Zeit wurden viele Kriege, besonders mit den Bewohnern von Orango Grande, geführt, deren Könige die fruchtbare und reiche Insel Une gern unter ihre Botmäßigkeit gebracht hätten. Zu diesen Kriegen verbündeten sich die Einwohner der verschiedenen Dörfer und verteidigten sich so mit Erfolg gegen die Angreifenden.
Eines Nachts sahen wir an den unserem Lager gegenüberliegenden Ufern der Bucht mächtige Feuer aufflammen. Die sanfte Abendbrise trug ab und zu fernen Klang von Schlitztrommeln zu uns herüber. Der Häuptling, dem ich unsere Beobachtung mitteilte, erzählte mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit, daß in dieser Gegend eben die Vorbereitungen für die feierliche Jugendweihe der Burschen stattfänden. Die Feuer würden von den jungen Männern unterhalten, die die Zeit ihrer Ausbildung im Busch zubrächten. Nun wußte ich zwar, daß von den Dingen, die der strengen Schweigepflicht des Stammes unterworfen sind, diese Zeremonien am allergeheimsten gehalten werden, hoffte aber, in Anbetracht der Begebenheiten im Fetischhaus, daß ich dennoch ausnahmsweise einen Einblick in die Buschschule gewinnen könnte. Doch hierin hatte ich mich getäuscht, der Häuptling überlegte nicht einen Augenblick, bevor er mir mein Ersuchen abschlug. »Sage deinem Herrn«, wendete er sich an Takr, »daß ich ihn inständig bitten lasse, mein Verbot zu achten, denn er und ich würden den Untergang aller Bidyogo heraufbeschwören, der die Folge des frevelhaften Beginnens sein müßte!« Was ließ sich unter diesen Umständen machen? Sollte ich das Vertrauen des alten Mannes täuschen und des Nachts versuchen, den Eingeborenen das so zäh festgehaltene Geheimnis zu entreißen? Wenn einer der kundigen Jäger der Wildnis am Tage darauf eine Spur meiner Schuhe in der Nähe des heiligen Haines gefunden hätte, hätten dann nicht die Eingeborenen glauben müssen, daß auch wir wie alle anderen Weißen, die sie bis dahin kennengelernt hatten, darauf ausgingen, sie zu vernichten und ihnen unsägliches Unheil zuzufügen? Die Wissenschaft möge mir verzeihen, daß ich es nicht über mich brachte, die vielleicht einzige Gelegenheit für einen Weißen, das geheimnisvolle Fest zu belauschen, auszunützen. Ich zog es vor, unserem greisen Freund den eben erwachten Glauben an die Weißen zu erhalten und ihm die Hoffnung nicht zu zerstören, daß sein durch meinen Pulverrauch gestärkter Ramdi sein Volk in Hinkunft vor allem Unheil schützen werde.