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Der höfliche Schüler auf dem Hummelstein.


Der lieben Stadt Nürnberg zu Gefallen, mit besonderem Augenmerk auf die Ergötzlichkeiten dieses fürtreflichen Lustorts, in fünf Hauptstücke und zierliche Reimen gefaßet und mit deutlicher Schrift herausgegeben vom

seeligen Magister Graf.


Erstlich erschienen um 1750, dann zeitgemäß
für Nürnberg passend verändert.


1. »Nehmt dieses Büchelchen ihr Freunde gütigst an,
Wie ihr dem Vorbild längst ganz unverdient gethan;

2. Noch nach dem Tod läßt sich Magister Graf bewegen,
Den lieben Lesern was zum Nutzen vorzulegen.

3. »In diesem Büchlein ist der Unterricht nur klein,
Doch wird der Nutzen groß bei dem Gebrauche sein.«

4. »Wenn sich die Leser nur, wie sie auch billig sollen,
Nach diesem Unterricht im Wandel richten wollen.«

5. Wollt lesen ihr zuvor mein älteres Gedicht,
Der höflich Schüler heißt's, viel kostet's wahrlich nicht.

6. In Augsburg wird es schon seit 70 Jahr gefunden,
Hier auf dem Trödelmarkt bekommet ihr s gebunden.


Das erste Hauptstück.

Wie sich der höfliche Schüler auf den Besuch des Hummelsteins vorzubereiten.

7. Was ist der Hummelstein? Willst du mich darnach fragen,
So kann ergötzliches ich viel davon dir sagen.

8. Doch mehr noch wirst du schau'n; drum geh' nur selbst hinaus,
Und seh' die Lauben an, die Wiesen, Stall und Haus.

9. Verschönert ist der Ort, die Kunst hat viel gechan,
Die Freunde gaben gern, gebrochen ist die Bahn.

10. Befolgst du meinen Rath, so thue dich bereiten,
Damit du Ehr und Ruhm erwerbest bei den Leuten.

11. Ist Morgens schön der Tag, erkunde wohl zuerst,
Damit von Freunden du, wer dahin geht, erfährst.

12. Wenn 1 Uhr schlägt die Glock', so zieh dich an mit Zier,
Kommst du zu Pferd, zu Fuß, du kommst als Cavalier.

13. »Im Spiegel darfst du noch dein Angesicht besehen,
Doch kommet leicht zu spät, wer lang pflegt dort zu stehen.«

14. »Vergiß das Schnupftuch nicht, weil es sehr nöthig scheint,
Wenn man ein Prischen nimmt, auch nieset oder weint.«

15. Den Regenschirm nimm mit den Damen zu Belieben,
Denn unverhofft kann oft der Himmel sich umtrüben.

16. Laß auch den Rauchtaback und Pfeife nicht zurück,
Denn alles Borgen das ist wahrlich Ungeschick.

17. Wenn du ein Krieger bist, sorg' daß die Rüstung strahle,
Damit die Sonne sich in deren Spiegel male.

18. Laß durch das Wetter nie, dich schrecken von dem Ziel,
Leicht find'st du einen Freund, oft auch der Freunde viel.

19. Damit den Damen du viel Neues magst erzählen,
Sollst im Museum du zuvor die Blätter wählen.

20. Die Eos rath' ich dir, die Flora auch nicht minder,
Die Männer lieben sie und auch die schönen Kinder.

21. Siehst einen neuen Schnitt du im Journal der Mode,
Verbreit' ihn alsogleich, du kommst ein froher Bote.

22. Auch das, was der Courier des Kriegs und Friedens spricht,
Und der Correspondent, vergiß bei Leibe nicht.

23. Bist vorbereitet du, auf obgedachte Weise,
Gemeßnen Schritts beginn nun Wohlgemuth die Reise.


Zweites Hauptstück.

Wie sich der höfliche Schüler auf dem Wege nach dem Hummelstein bezeugen solle.

24. Eh' du der Stadt entweichst, begrüße noch zuvor
Sankt Lorenz stolzen Dom und sein hochprangend Thor.

25. Hartherzig darfst du nicht Frau Quickly übergehen,
Schwamm, Kuchen, kannst du dort, und andres dir ersehen.

26. Im Frauenthore dann sei wohl auf deiner Hut,
Sonst Wagen oder Roß dir leichtlich Schaden thut.

27. Umringen vor dem Thor dich armer Kinder Schaaren,
So sollst du geizen nicht, noch Pfennige ersparen.

28. Gehst Du an Herrn vorbei und schön geputzten Damen,
So nimm behutsam dich ein wenig mehr zusammen.

29. Nicht schleich' und renne nicht, das will nicht ziemen sich,
Den Hut nimm ab vom Haupt und zierlich neige dich.

30. »Wenn du auf Glatteis gehst, so gehe mit Geschicke,
Ein Fehltritt bringt dich leicht um Hut und um Perücke.«

31. Siehst an den Stellen du, wo oft vom nahen Bache
Der Pfad sich überströmt mit grauverdickter Lache,

32. Die Schönen furchtsam stehn, wirf Steine in den Sand,
Und leit' hinüber sie fein sittig an der Hand.

33. Hübsch nüchtern schreite fort, am Ziel bist du behende.
Dann ist die Wanderschaft und zweite Lehr' zu Ende.


Das dritte Hauptstück.

Wie sich der höfliche Schüler beim Eintritt und Aufenthalt zu benehmen habe.

34. Geführt hab ich dich so zum Ort, den du erkoren,
Nun sei am wenigsten Sitt' und Manier verloren.

35. Die Treppe poltre nicht mit Ungestüm hinan,
Mit solchem Lärmen sonst erschrickst du jedermann.

36. Klopf' an die Thüre nicht, nimm höflich ab den Hut,
Mit Anstand geh hinein, verliere nicht den Muth.

37.»Sobald du nun darinn, so laß dich's nicht verdrießen,
Die Thür nach dir sogleich fein sachte zuzuschließen.«

38. »Häng Hut und Mantel auf, und schmeiße sie nicht fort;
Wer höflich heißen will, der hängt's an seinen Ort.«

39. Setz dich dann mit Bedacht auf einen Platz, der leer,
Leicht kannst du stören sonst ein freundliches Verkehr.

40. Verlangst du Bier, Kaffee, begehr es fein bescheiden,
Denn mit der Artigkeit gefällst du allen Leuten.

41. Was du nun so begehrst – ist gut – wird gern gegeben
Der Kaffee wird sich auch – je mehr und mehr erheben.

42. Dem Tivolier gleich, der ist mit Recht zu loben,
Von Jung und Alt wird er zum Mustertrank erhoben.

43. Die Kunst kann groß nicht sein, zur Tasse sechzig Bohnen,
Den Fleiß der Wirthin sollst, du willig dankbar lohnen.

44. Reicht sie dir guten Kern, wird Zusatz sie verweisen,
Dann tadle ferner nicht, dann ist der Trank zu preisen.

45. Nicht ungehalten sei, wenn lang es bleibet aus,
Denn du bist nicht allein, noch andre sind im Haus.

46. »Auf Krug und Glas gib Acht, zumalen wenn es voll,
Ergreif es mit Bedacht, denn Schütten läßt nicht wohl.«

47. »Nimmst du das Glas zur Hand, so trink bescheiden draus,
Und leer's nicht allemal auf einmal völlig aus."

48. Wenn dann du Tabak rauchst, sollst du nicht Wolken blasen,
Und mit drei König nicht verletzen zarte Nasen.

49. »Wenn du dich schneuzen willst, so mußt du nicht Posaunen,
Daß andre vor dem Ton erschrecken und erstaunen.«

50. »Beim Gähnen sollst du gleich die Hand zum Munde bringen;
Daß nicht dein Nachbar glaubt, du wollest ihn verschlingen."

51. Stoch'r in den Zähnen nicht, wie manche Leute pflegen,
Solch Angewöhnen bringt gar wenig Gunst zu wegen.

52. Die Damen darfst du dir mit Brillen nicht beschau'n.
Auf ihrer Schönheit Macht mußt blindlings du vertrauen.

53. »Machst du ein Fenster auf, dadurch hinauszusehen,
So laß es, wenn es kalt, nach dir nicht offen stehen.«

54. Naht ein Gewitter sich, so ängst'ge nicht die Frauen,
Trost hole bei dem Wirth, dem kannst du ganz vertrauen.


Das vierte Hauptstück.

Wie und was Massen der höfliche Schüler einen anmuthigen Discours zu führen.

55. Die Ansprach mußt du stets beginnen mit Verstand,
Durch kluge Reden mach dem Nachbar dich bekannt.

56. »Red langsam, deutlich laut, so darf man nicht erst fragen,
Wenn du schon ausgered't, was du gewollet sagen.«

57. Erzähle mit Manier, was du zuvor gelesen,
Wo einer sich erhenkt, wer tod, und wer genesen.

58. Doch hast du sonderlich was Neues mitgebracht,
So nimm vor Zusatz dich vor Unbill wohl in Acht.

59. Sprich vom Rhinoceros, vom Strauß und Elephant;
Und im Museum wer zum Vorstand ist ernannt.

60. Der Sittensprüche viel aus Schiller und aus Göthe,
Die wohl du dir gemerkt, mit Kunst zusammen löthe.

61. Wird vom Theater nun die Red' zur Bahn gebracht,
So sprech: Die Braut im Grab – hat doch viel Lärm gemacht:
(Auch kannst versichern Du: King Lear und Turandot,
Die Schuld et cetera thun unsrer Bühne Noth.)

62. Zwar wünschte manches man zu hören und zu sehen,
Doch! möchte nur wie jetzt, die Bühne fort bestehen.

63. Auch rühme nicht zu sehr die Schönheit der Actricen,
Die Holde, die du liebst, die möcht' es sonst verdrießen.

64. Sprichst von Gemälden du, von Pommersfelden's Schätzen,
Davon sag', was du fühlst, und meid' ein prahlend Schwätzen.

65. Wohl magst du spenden auch Lob dem Museums Balle,
Wie fein, behend und klug, wie schön die Damen alle.

66. Sagt jemand einen Schwank, so lache nicht zu sehr,
Fügst selbst du einen bei, belach' ihn nicht vorher.

67. Bestreitet einer dies, daß vier sei zweimal zwei,
So wörtle nicht mit ihm, den Narren laß dabei.

68. Erzählst von Schlachten du, so mach's zu grausam nicht,
Den sanften Frau'n mißfällt, wenn man vom Metzeln spricht.

69. Und von Napoleon laß allzu langes Schildern,
Sein Hergang ist bekannt aus Rede, Schrift und Bildern.

70. Ergötzlich ist der Witz, ein Wortspiel oft gefällt,
Doch gar zu lang gehört, so schläft die ganze Welt.

71. Wenn hier gefeiert wird einmal ein froher Tag,
So sprich von Theurung nicht, von Pest und Hagelschlag.

72. Den Schulfuchs laß zu Haus, den krittelnden Pedanten,
Langweilig wist du sonst den Nichten und den Tanten.

73. Laut kannst in fremder Sprach Geheimes du nicht künden,
Von jeder Sprache wiß, sind Kenner hier zu finden.

74. Sprich nicht viel Politik; es führet leicht zum Zanken,
Und dafür möchten sich die Gäste wohl bedanken.

75. Gaff' allzugierig nicht; wenn Fremde treten ein,
Denn jedem Ehrenmann muß solches widrig sein.

76. Bekrittle nicht zu sehr der Mode neue Tracht,
Das Haar, den Bart und was der Zeitgeist mitgebracht.

77. Ein tadelnd Flüstern meid' und spöttelnde Grimassen,
Der Einfall wird belacht, den Spötter wird man hassen.

78. Rühm die Natur, das Feld, des Himmels heitre Pracht,
Doch sprich: noch schöner ist ein Fräulein, das mir lacht.

79. Strahlt in der Sommerzeit dir lieblich die Natur,
Dann geh' zum Hügel hin, schön lacht dir dort die Flur.

80. Lustwandle da und dort, bewundre, was geschehn,
Und laß die Freude dran im Auge dir ersehn.

81. Vernimmst du Hörnerruf, Drommeten festlich tönen,
Freu' dich der seltnen Lust und dank' den Martis-Söhnen.

82. Hörst du die Aeols-Harf' mit süßem Ton erklingen,
So schweig' und laß das Spiel in sanfte Herzen dringen.

83. Wenn sich ein froher Kreis mit Lied und Sang ergötzt,
Dann sei der traute Bund durch dich nicht keck verletzt.

84. Doch singst du selbst und trinkst auf's Wohlsein unsrer Schönen,
So schrei doch nicht so laut, daß Wand und Fenster dröhnen.

85. So hab' ich dir auch hie, was sich gebührt, gezeigt,
Jetzt sei zum Heimweg noch dir gute Lehr' gereicht.


Das fünfte Hauptstück.

Wie sich der höfliche Schüler auf dem Heimweg zu betragen.

86. Kommt endlich her die Nacht, so wird es Zeit zu gehen,
Drum zur Begleitung magst du Freunde dir ersehen.

87. Doch sind noch Frauen da, mit welchen du bekannt,
So biete ritterlich der Nachbarin die Hand.

88. Nimmst Hut und Mantel du, leg' mit bedachtem Sinn,
Das, was dir nicht gehört, in Ordnung wieder hin.

89. Beim Abschied, weißt du wohl, daß jeder grüßen muß;
Erwiedre jederzeit auch zierlich andrer Gruß.

90. Schleich nicht französisch fort, man könnte dir's verdenken,
Die Schönen sind es werth, stets ihrer zu gedenken.

91. Ein feines Compliment, beredter Blick beim Scheiden
Hat oft schon viel genützt, bereitet zarte Freuden.

92. Bezahl' noch, eh' du gehst, beim Wirth, was du verzehrt;
Ob's viel, ob's wenig sei, gleich wirst du dort geehrt.

93. Hast alles du vollbracht auf vorgeschrieb'ne Weise,
Beginn mit frohem Muth zur Heimath deine Reise.

94. Gesindel, Raub und Mord hast du zu fürchten nicht,
Denn Ruh und Friede herrscht in unserm Landgericht.

95. Siehst du am Himmelsplan die Sternlein sich entzünden,
Ohn' Anspruch magst du dann dein Wissen andren künden.

96. Falls nichts davon du weißt, so kauf ein lehrend Buch,
Die neust' Astrologie gibt dir Bescheid genug.

97. Hörst du im nahen Teich der Frösche Quack! Quack! Quack!
Sei froh! es heißt auf deutsch: zieh morgen an den Frack.

98. Ein zärtlich schmelzend Lied bei Mondenschein gesungen
Hat manch empfindsam Herz zur süßen Lieb bezwungen.

99. Die Gustavs-Linde mußt im Heimweg du begrüßen,
Was er geehrt, das soll noch lange freudig spriesen.

100. Geh' in die Spähne nicht, ein Achtele zu trinken,
Benebelt kannst du leicht in Leim und Schmach versinken.

101. Wo durch der Wiesen Grün Landgraben wälzt die Fluth,
Am hochgewölbten Steg sei wohl auf deiner Hut.

102. Ist dir auf glatter Bahn ein reicher Fund bescheret,
Ist's Handschuh oder Ring, gieb's wieder, der's gehöret.

103. Siehst Freunde wandeln du in traulichem Gespräch,
Neugierig forsche nicht, verfolge deinen Weg.

104. Die Pfeif' nimm aus dem Mund, willst du die Schildwach' fragen,
Ob der, ob die vorbei, wie viel's am Thurm geschlagen.

105. Durch weise Lehren bist du so nach Haus gebracht,
Doch sage noch zuletzt den Freunden gute Nacht.


106. »Merk also, lieber Schüler, doch
»Dieß einz'ge Notabene noch:

107. »In Gold und Prunk wer viel gethan,
»Und doch nicht höflich leben kann,

108. »Der hat mehr ab- als zugenommen,
»Und wird zu Ehren niemals kommen.«


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