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Des Meisters letzte Liebe.

Von .......

... So geht das Kunstwerk auch an Euch vorüber;
Ob es ein frohes und zufriedenes Herz
Begeistert von beglückter Lieb' erschuf, –
Ach! oder ob's in nie gestillter Sehnsucht,
Bei tiefem und geheimem Herzenskummer,
Ob es im halben Todeskampf entstand –
Euch ist es gleich; Ihr freut Euch seines Glanzes
Und fraget nicht, was es dem Künstler kostet …

Houwald: Das Bild.


Es war ein munteres, lustbewegtes Treiben auf dem grünen weiten Plan, der sich vor dem Ircherthürlein (jetzt Hallerthor) der weiland freien Reichsstadt Nürnberg, dem Friedhof St. Johannis zu gelegen, hinzog. Die Hallerwiese, erst sechzig Jahre der Stadt Eigenthum, indem sie im Jahre 1434 von einem »erbern Rath der Stadt« der Margaretha Heidin, geb. Haller, abgekauft und der Bürgerlust überlassen worden, war über und über mit der Menschen frohem Gewühle bedeckt, denn man feierte das minnigliche Maienfest und schon hatte das junge Volk seinen »Maikönig« und dieser wieder seine »wundersame Maiin« gewählt. Ringsum zeigten sich Buden und Zelte mit grünen Reisern und bunten Schmecken (Blumensträußen) geziert und wohin nur immer das Auge traf, fand es Lust und Leben. Da jubelte ein kecker Geselle eine nagelneue Weise von des verwegenen Landsknechts Minne zu Schwert und Kolben, dem Schwytzerlande entbracht aus den Kriegen des burgundischen Karls; dort sang gar frisch und froh ein fahrender Schüler das Hußenlied und achtete nicht des finsteren Gesichts des ehrbaren Sängers Nunnenbeck, hoch angesehen bei der edlen Meistersingerzunft zu Nürnberg, der minder sich darob ergrollle, daß so rührig und laut hinaus in die Lüfte das freie Stücklein erklang, in dem selbst nicht des heiligen Vaters zu Rom geschont, als derart, daß die Weise so sehr gegen alle Regeln der Tabulatur verstieß; weßhalb er sich mit sichtlichem Behagen in den sich glättenden Zügen dahin wandte, wo die Töne eurer Laute, zierlich und streng nach den Forderungen der Kunstregeln der St. Katharinenkirche (Schule der Meistersinger) bemessen, erklangen von Liebeslust und Maienfreude. Hier trieb ein Bärentreiber sich umher, das zottige, brummende Thier an der Kette nachziehend; dort ließ durch seine verwegenen und durch das wunderbar anzuschauende Messerverschlingen und Feuerverzehren der Pußtabewohner des fernen Hungarlandes, der gelbe Zigeuner, den vor Erstaunen weit geöffneten Mund braver Bauersleute aus dem »Knubelesland« vergessen, ihn wieder zu schließen. Und selbst ein edler Junkherr, der das »auf dringendes Ansuchen des hochwürdigen Herrn Bischofs von Bamberg« erlassene Verbot des Rathes »wider das Tragen übermäßig hoher Schnabelschuhe« nicht achtend, mit solchen einherstolzirt, die Schnabel mit goldenen Kettlein an das Knie befestigt, geruhte, von dem Geiste duftenden Malvasirs oder auch ächt deutschen Nierensteiners gehoben, einen Blick, halb des Spottes, halb der Neugierde, auf die Sprünge und Scherze solcher Gruppen zu werfen. Und drüben über dem Flusse unter dem mit Farben der Stadt und ihren Wappen, dem Adler des Reiches in weiß und rothem Felde geschmückten hohen Baldachin ertönten Zinken und Flöten, und das edle Naß floß hier in breiten Strömen die Kehlen der Durstigen hinab, wie diesseits des Ufers die Pegnitz, welch letztere ihr trübes und gelbschmutziges Wasser gegen Schniegling zu wälzte.

So war rechts und links, vor und zurück der lauteste und offenste Jubel, ungeheuchelte Freude und Lust. Etwas abseits des Tumults saßen an den dunklen Lindenbäumen, welche sich von der Hallerwiese weg und auf den St. Johanniskirchhof zu erstrecken, unter einfach aufgespannter Leinwanddecke vier Männer. Alle vier bereits in den reifen Jahren des Lebens, zeigten sie sämmtlich scharf von einander geschiedene Züge und Formen des Gesichts. Waren sie doch auch aus den vier Himmelsgegenden stammend und hatten sich hier auf dem Plane der Hallerwiese der alten Reichsstadt getroffen, als wie zur Bestätigung des alten Sprüchwortes: Daß Berg und Thal zwar nicht, doch Menschen leicht zusammenkommen.

Der Eine, wohl auch der älteste, war aus dem fernen Lande der Polaken vor Jahren schon zum Pegnitzstrande gekommen und seiner Kunst ein hochberühmter Holzschnitzer. Nicht allein die Kirche St. Lorenzi und die Kapelle derer von Holzschuher auf dem Gottesacker St. Johannis zu Nürnberg bargen treffliche Beweise seiner Fertigkeit, auch außerhalb der der alten Stadt zeigte man mit Stolz die Arbeiten des kunstreichen Polen Veit Stoß.

Der zweite von den Vieren, aus den weit entlegenen Haiden Ungarns von dem Schicksale hiehergeleitet und wackerer Goldschmied seines Zeichens, hieß Albrecht Dürer; ernst, fast düster schaute er drein und mehr als sonst schien seine hohe Stirne von tiefem Gram und Kummer gefurcht zu werden. Der dritte der Männer, dessen Wiege das ehrliche Schwabenland war, blinzte so treuherzig und gutmüthig in die Welt, daß man gar bald inne werden konnte, daß nicht, wie böser Leute Mund es in dem Volke herumzubringen suchte, mit der Hülfe des Teufels, wohl aber unter dem Beistand Gottes und der heiligen Jungfrau dem Wackern es gelungen, das wundervolle Sakramentshäuschen in dem Dom Laurenzi zu Nürnberg, das heute noch von männiglich angestaunt wird, zu schaffen. Es war der Bildhauer Adam Kraft, der wahrlich nicht verdiente, ein Camoëns der Skulptur, als Bettler in dem Hospitale zu sterben.

Waren aber die bis jetzt genannten Drei aus Ungarn, Schwaben und Polen gekommen, um auf der Hallerwiese das Maienfest zu feiern, so war der vierte der Männer nur um so mehr ein echtes »Nurnberger Burgerskind«. Als tüchtiger Harfenspieler und Mechanikus, Hans Frei, gehörte er der Reichsstadt zu mit Leib und Seele und das Geschlecht benamset der Freien war nicht minder ehrenvoll bekannt, als die seiner drei Kumpane.

Und als die Viere nun das vor ihren Augen auf und abwogende Getümmel mit der Ruhe und dem Ernste des erfahrenen Mannes beobachteten und bald dieser bald jener einen langen Zug aus den vor ihnen stehenden, mit gutem Frankenwein gefüllten Bechern that, da trat der Weber Nunnenbeck – der Meister, dessen Schüler, Schuster Sachs, größer geworden war als er, wie Dürer größer als Wohlgemuth – hin zu den Vieren und fragte sie in einem lustigen, aus dem Stegreife gesprochenen Reimverslein, weshalb sie denn so stumm und stille säßen und gar griesgrämlich darein schauten. Denn wohl sah man es ihnen an, selbst Adam Kraft, wenn diesem auch für Augenblicke nur, daß sie nur halb des Volkes Lust genossen. Doch schien der fröhliche Leinenweber ihnen willkommen; vertrieb er ja die mehr oder minder quälenden Gedanken, die jeden von ihnen, wenn sie es auch leise nur sich gestanden, ergriffen hatten.

Auf das Bereitwilligste wurde deshalb auch sogleich dem neckischen Meistersinger und Zunftherrn Platz geräumt; der Becher ging mehr als zuvor von Mann zu Mann, selbst Dürer, der der Finsterste bis jetzt gewesen, wurde allmählich heiterer, ja, wollte eben in den Gesang, den die übrigen begonnen, einstimmen, zumal die Weise dem Lobe der gemeinschaftlichen Vaterstadt, dem ihnen theuer gewordenen Nürnberg, galt, – als sich mit einem Male seine Stirne wieder um ein Merkwürdiges faltete und die dunkle Braue das helle Auge wie zuvor umdüsterte. Keiner seiner Gefährten hatte es bemerkt, auch nicht Hans Frei, der vor der Ankunft Nunnenbeck's mit besonderer Spannung den Goldschmied längere Zeit hindurch beobachtet, jetzt aber, wie es schien, nur auf den durch den Weber gegebenen Anlaß gewartet hatte, um, was außerdem nicht in seiner Gewohnheit gelegen, der Ungebundenheit und Lust des Maienfestes sich in vollen Zügen ergeben zu können.

Was aber mag es wohl gewesen sein, das den alten Goldschmied so bös aufgereizt?

Wer seinen Blicken folgte, konnte nicht lange im Unklaren darüber verbleiben. Denn gerade am Tische vorüber, an dem der Meistersinger und die Viere saßen und bis auf Dürer es sich wohl sein ließen, war, kaum daß Nunnenbeck und die Uebrigen den Gesang erhoben hatten, ein stolzer Rathsmann geschritten, ein feines Maidlein am Arm, nach rechts und links, wo ehrerbietigst die Hüte und Mützen flogen, herablassend und leichthin grüßend.

Dem Gezelte der Geschlechter ging er langsamen und gemessenen Schrittes zu und als die beiden in das Linnenhaus getreten waren, beeilte man sich, so schnell es nur zu sein vermochte, dem vornehmen Mann – denn daß er ein solcher war, bezeigte ja die Unterthänigkeit, die man ihm bewies, wie auch die schwere goldene Kette über die schwarze Schaube von geschornem Sammt geschlungen – und seiner wunderschönen Gefährtin die passendste Stelle zu ersehen, von der des Volkes Lust und Freude am Besten sie schauen konnten.

Der Rathsmann Johann Philipp Pirkheimer war der Mann, ein hochgelahrter Herr des Raths und ehrenvollst bekannt in Nürnbergs Mauern und weit außer ihnen. Das süße Frauenbild aber, das er geleitet, war sein Töchterchen Katharina, das in dem Kloster Engelthal unter Obhut der frommen Aebtissin, des Vaters Schwester, die der früh Verwaisten liebende Mutter geworden, zur schönsten Rose erblüht war und nun, den strengen Vater neben sich, zum ersten Male dem Maifeste anwohnen sollte.

Es war ein schönes Mägdlein, diese Gelehrtentochter, eine Blume wundersam lieblich; dem Madonnenantlitze war ein Etwas eingeprägt, das ahnen ließ, daß ein Engel niedergestiegen und diese wunderzarte Hülle beseelt habe.

Und doch nur sie, die holde Maid, die wahre Königin des Maien, nur sie schien es zu sein, deren Erscheinen des Goldschmieds Dürer Auge gedüstert hatte und seine Stirne in tiefe Falten legen ließ.

Vielleicht wäre es minder der Fall gewesen, wenn nicht dem süßen Frauenbilde zwei Jünglinge gefolgt waren, die beide dem Meister wohl bekannt und von welchen er den einen seinen Sohn nannte.

Die jungen Männer durften auch auf das Prädikat »schön« allen Anspruch machen. Sie waren stolz und hoch gebaut; doch unbestreitbar mußte der Preis dem einfacher Gekleideten der beiden gereicht werden, wenn auch das ritterliche Schwert, die mit Pfauenfedern geschmückte Gugel und die sammtbesetzte Purpurschaube des andern ihm nicht geworden war, sondern nur das eng anliegende gepuffte Wamms mit Pluderhosen und drüberhin der schmucklos und von geringem Stoffe gefertigte Ueberwurf; weniger kleidsam war es wahrlich nicht, obwohl des Begleiters Prunkgewand auch edle und volle Glieder barg. Zudem die hohe gewölbte Stirne, der feurige Blick des sinnenden Auges, der edle Bau der Nase, der schlanke Hals, die breite offene Brust und insbesonders die zierlich schlanken Hände, der stolzeste Junkherr am Hofe des Kaisers durfte sich Glück wünschen, wenn nur zu dem einen oder dem andern dieser körperlichen Vorzüge – die auch gar viele des Geistes, nicht im gewöhnlichen Geleise des Alltagstreibens sich bewegenden, im Geleite hatten – ihm noch das üppig wallende kastanienbraune Haar, oder die schöne längliche Gesichtsform mit den frisch jugendlichen Zügen, in welchen ein tiefer, in ihnen aber überaus wohlthuender Ernst, aufgeprägt, zu Theil geworden wäre. Deren gemeinsamer Besitz zierte den Jüngling, dessen Auge, in unverkennbarem Entzücken strahlend, des Finsteren in denen des Vaters dort unter der breitästigen Linde nicht gewahr wurde und nur die Elfenspur der Tochter des Patriziers sah.

Doch eben als die jungen Männer, unbeachtet lassend das vierblätterige Kleeblatt des Meisters Nunnenbeck, an ihm vorüberschritten, rief der Goldschmied ein kräftiges und selbst in des Festes Getöse wohl vernehmbares »Albrecht!« den Beiden zu, auf welchen Ruf der letztbezeichnete Jüngling stehen blieb, sich nach der Seite wandte, woher sein Name getönt und eilenden Schrittes sich zu dem Tische begab, an dem der alte Dürer und seine Gefährten saßen. Der ritterlich geschmückte Begleiter des Gerufenen war ihm rasch gefolgt und fast mit diesem gleichzeitig bei dem Goldschmied angekommen.

Jetzt wurden beide auch von Nunnenbeck und den Uebrigen wahrgenommen.

Sie grüßten die Jünglinge achtungsvoll und herzlich, wenn auch den in der Sammtschaube und mit dem blitzenden Schwert an goldbeschlagener Kuppel mit nicht zu verkennender Rücksichtsnahme auf den wohl hohen Stand desselben, doch den von dem Goldschmied herbeigerufenen mit um so sichtbarerer Herzlichkeit, wobei insbesondere die Blicke des Harfenspielers Frei an der edlen und hohen Gestalt des Gegrüßten wohlgefällig haften blieben.

»Ich gehe bald nach Hause; die Mutter harrt; komm' nach, mein Sohn!« sprach der alte Dürer zu dem Gerufenen, indem er seines Albrechts Hand ergriff und innig zwischen den seinen gefaßt hielt, dabei aber dem Jüngling mit einem Blick in das schöne offene Auge schaute, der ungewiß ließ, ob zärtliche Besorgnis um den Sohn, zu der wohl kein Grund gegeben zu sein schien, ob eigene Bekümmernis das sonst so helle Auge diesmal tief umflorte.

Gehorsam beugte der Sohn das Haupt, sicherte dem Vater in wenigen Worten die möglichst baldige Heimkehr zu, wünschte den Kumpanen desselben wie ihm ein noch recht fröhlich zu verlebendes Stündchen und entfernte sich hierauf wieder mit seinem Freunde.

Nach wenigen Minuten waren sie in des Volkes Gewühl dem Auge der Zurückgebliebenen entschwunden; am Tische aber war noch viel des Redens und Rühmens von ihnen und namentlich schien sich Hans Frei in Lobessprüchen nicht genug thun zu können, die ausschließlich dem wackeren Albrecht galten. Gerne stimmten Nunnenbeck, Kraft und Stoß dem Mechaniker bei; denn auch sie priesen glücklich den Vater eines solchen Sohnes, der damals schon verhieß, was er nach Jahren reich erfüllen sollte: Einer der ersten Meister der edlen Malerkunst zu werden und in des Ruhmes Pantheon einem Apelles ebenbürtig zu sein.

Der alte Dürer aber schwieg; keiner vermochte zu unterscheiden, ob ihn der Weihrauch, so verschwenderisch seinem Albrecht gestreut, erfreue oder wie es fast den Anschein gewann, gleichgiltig war.

Jetzt stand der Goldschmied von seinem Sitze auf; er that einen tiefen Zug aus dem weitbauchigen Becher und ein »Gute Nacht, Freunde!« zeigte den Bleibenden, daß es ihm ernst sei, an das Heim zu denken. Mit ihm brach auch Hans Frei auf. Der Meistersinger, der Bildhauer und der kunstreiche Steinmetz erfreuten sich aber noch länger im trauten Verein des abendlichen, tiefblauen Maihimmels, der noch immer tobenden Volkeslust und des auch noch immer fließenden Clarets, des Süßweins dieser Zeit.


Im einfach getafelten Gaden des Hintergebäudes des in unseren Tagen mit der Nummer 20 der Sebalder Stadtseite bezeichneten und damals dem Patrizier Pirkheimer zugehörigen Hauses saß auf dem mit wunderlich gedrehten Füßen versehenen alten Polsterstuhl, tief sinnend, das müde Haupt in die Hand gestützt, der Goldschmied Dürer. Frau und Kinder waren längst zu Bette gegangen; die niedrige Lampe war dem Erlöschen nahe; der Holzwurm arbeitete ruhe- und rastlos im alten Getäfel und nur der schwer mit Sorgen belastete Vater wachte noch. Der aber würde auch längst schlafen gegangen sein, wenn er nicht noch ein paar wichtige Worte mit seinem Sohn zu sprechen gehabt hätte und dessen Heimkehr er deshalb jetzt erwartete. Schon war das Abendgebetläuten auf dem nahen Sebalder Kirchthurm verklungen, schon hatte es ein Viertel und ein Halb darüber geschlagen und noch immer war Albrecht nicht heimgekommen.

Endlich hörte der Vater im Vorderhause die schwere Pforte sich öffnen; der Hausherr kehrte vom Maienfeste nach Hause und der alte Dürer hatte nicht vergebens gehofft, daß mit dem Patrizier und dessen Sohn Willibald, dem Jugendfreunde Albrecht's und sein Gefährte am heutigen Nachmittag draußen auf der Hallerwiese, auch sein Sohn heimgekehrt sei; denn wenige Minuten, nachdem das Geräusch der Gekommenen auf dem breiten gepflasterten Hausflur des Vorderhauses verschollen war, öffnete sich rasch die Thüre des Gemaches und der längst Ersehnte trat ein.

Des Jünglings hohe Gestalt, des blitzenden Auges Feuer, die tiefe Gluth der vollen Wangen – wer wollte darob rechten, daß für einen Augenblick die Sorge und der Kummer des Vaters Angesicht floh und ein wohlgefälliges Lächeln auf ihm an ihre Stelle trat? War es doch sein Sohn, der schöne, im edlen Stolze seines Werthes sich fühlende drei und zwanzigjährige Jüngling, der jetzt zu ihm getreten und ihm so herzlich und doch kindlich ehrerbietig die Hand zum Gruße bot; war es doch das liebste Kind, das seine Barbara ihm geboren und wie sich's der Vater nicht verhehlen konnte, auch jenes, das bestimmt zu sein schien, den Namen Dürer nicht gleich den Namen von Tausend und Abertausenden, kaum bekannt geworden, wieder dem Gedächtnisse schwinden zu lassen, sondern ihn der Nachwelt auf Jahrhunderte, auf Weltendauer zu überliefern! –

»Ihr seid noch wach, mein Vater?« frug Albrecht in besorgtem Tone, indem das Entzücken, das sein Auge entflammt hatte, sank und die Gluth seiner Wange abnahm.

»Bin's noch, mein Sohn! – bin wach' noch, Albrecht, und zwar deinetwegen!« erwiderte der Goldschmied.

»Meinetwegen?« frug weiter und erstaunt der Sohn; »was hat sich zugetragen, bester Vater, das Euch veranlassen konnte, der Ruhe des Schlafes um meinetwillen Euch zu berauben?«

»Daß ich's doch recht Dir sage«, bemerkte nun der alte Dürer, »wenn auch zunächst es Dich, mein lieber Albrecht, betrifft, weshalb ich Mutter und Geschwister zu Bette gehen hieß und Deiner harrte, so will und kann ich Dir es nicht verhehlen, daß schwere Sorge es ist, die mich nicht schlafen läßt, und die Ruhe von meinem Lager scheucht. Komm setze Dich zu mir, mein Kind; hör achtsam an, was ich Dir mittheilen werde und unterbreche mich nicht!« – fuhr der Goldschmied fort, als er gewahrte, wie Albrecht Miene machte, sprechen zu wollen. – »Denke daran, mein Sohn, vergiß es nicht; – es ist Dein Vater, Dein alter tiefbekümmerter Vater, der Dich bittet, seine Worte zu achten und mit Aufmerksamkeit zu erwägen, was er Dir in dieser nächtlichen Stunde vertrauen will.« –

Immer mehr verwundert ob des Alten sonderbar lautender Rede ließ sich Albrecht auf dem großen hochlehnigen Stuhle nieder, den allabendlich die treue Mutter bis zur Schlafensstunde einnahm, die aber heute längst für sie geschlagen hatte.

Der Vater sah ihn lange und schweigend an; Auge tauchte in Auge nieder, als ob er des Jünglings Innerstes ergründen wollte. Albrecht fühlte sich von diesem Blicke gebannt; er mußte den seinen endlich zu Boden senken, obwohl er sich wahrlich keiner Schuld bewußt war. Demungeachtet erschrak er bis zu Tode, als der Vater in einem Tone der Milde, wie er nur selten ihn aus seinem Munde vernommen, mit der Rechten die seine fassend, mit der Linken sanft das lockenumwallte Haupt emporhebend und ihn scharf anblickend, plötzlich frug: »Du liebst, Albrecht – nicht wahr, Du liebst des Pirkheimers Tochter – liebst Katharina?«

Albrecht war unvermögend zu antworten, denn nur zu wahr hatte sein Vater gesprochen. Was sein Vater gesprochen, was er selbst nicht sich zu gestehen gewagt hatte bis auf diesen Abend – bis vor kaum einer Stunde, wo unter dem Schutze der Schatten jener alten Linden und Buchen der Hallerwiese das Siegel des süßesten, des ersten Geheimnisses seines Herzens von der, der es gegolten, gebrochen wurde, und wo auch sie, begünstigt vom Augenblicke und von des treuen Bruders zärtlichster Nachsicht, ihm Liebe um Liebe tauschte, hatte das Wort des Vaters, wenn immer noch so schonend, doch tief schmerzend, den Strahlenschimmer des Glückes der ersten und einzig heiligsten Liebe verhüllt und das Versinken des Paradieses drohte nahe.

Leugnen hatte Albrecht nicht gelernt; er schwieg.

Der alte Goldschmied aber stand auf, trat an das Fenster hin und öffnete es; stumm blickte er einige Minuten hinunter auf die stille, menschenleere Straße, auf die der volle Mondschein eben sein Licht warf. Dann trat er zurück; nur mühsam war es ihm gelungen, eine Thräne niederzukämpfen. Er setzte sich nieder auf den lehnelosen niedrigen Polsterstuhl und dicht dem Sohne gegenüber, der sinnend das Auge gesenkt hielt und die volle Hand gegen die heftig wogende Brust drängte.

Und als sie beide so dasaßen, der ernste, strenge Vater mit dem milden Blicke der Liebe und der tiefsten Bekümmerniß, der schöne, edelstolze Sohn, dessen jetzt auf des Vaters sorgebleichem Antlitze ruhendes Feuerauge wohl verrieth, daß ein großer Geist in der breiten, hohen Stirne walte, war wohl ein Augenblick gekommen, der ein Leben der Liebe für ein Leben des Ruhmes fordern durfte. Und durch das offene Fenster von dem dunkeln Nachthimmel herab warf der blasse Mond sein volles Silberlicht in die düstere Stube, in der soeben das letzte Glühen der Lampe verlöscht war – von der Waaggasse Der Winklerstraße nächst Pirkheimer's Haus. her erklang das Minnelied eines treuen Gespons gar wehmüthig lieblich. – Da ging es auf in seeligem Entsagen des höchsten Glückes der Erde, auf im Entsagen der Wonne des Besitzes eines treuen Herzens, das mit uns leidet, mit uns sich freut, das Eins mit unserem Herzen und Eins mit uns im Tode noch – auf in das wunderbare Geheimniß der ewigen Tiefen der Kunst. Und was die Mitwelt in dieser Stunde dem großen Meister raubte, gab ihm die Nachwelt wieder im Strahle der Sonne eines unsterblichen Namens.

Und wer in jener Stunde belauschen hätte können, was nur der Mond belauschte, und wer in jener Stunde hätte lesen können tief in dem Innern des Jünglings Albrecht Dürer, was Gott allein gelesen, der würde zu begreifen vermögend geworden sein, wie der Mann und Meister Albrecht Dürer Bilder schaffen konnte, die heute noch von Keinem vom Weibe Geborenen erreicht wurden und unerreicht bleiben werden, wie jene Raphaels und Tizians, wie jene Rubens und Dyks und Murillos.

Und anhub der alte Goldschmied zu seinem Sohne: »Es war am Lorenzitage, hab' es noch nicht vergessen und werde es, so lange Gott mich noch hienieden wandeln lassen wird, wohl nimmer vergessen – im Jahre des Herrn Eintausend vierhundert fünf und fünfzig, und werden es mithin jetzt neun und dreißig Jahre, als ich aus Jula, tief drinnen im hungarischen Lande, wo meiner vielleicht heut noch Vater und zwei Brüder leben, doch damals gewiß noch gelebt haben, durch das Frauenthor, von Regensburg herkommend, einzog in die alte ehrwürdige Stadt Nürnberg, leicht bepackt als munterer Geselle des ehrsamen Goldschmiedsgewerks.«

»Unser jetziger Hausherr, Herr Philipp Pirkheimer, hielt gerade Hochzeit und auf der Veste, unter der großen Linde, war ein lustiger Geschlechtertanz darob, dem ich, kaum auf der Herberge zum Schwarzbauernhof eingekehrt, mit Zunftgenossen im bescheidenen Zuschauen, gleich anderm Volke, anwohnte. Hatte mich lange genug in den Niederlanden umhergetrieben, des Volkes und des Landes mancherlei kennen gelernt und gedacht, in dem alten Nürnberg, von dem viel Rühmens schon zu Haag und Antwerpen mir zu Ohren gekommen war, mich häuslich niederzulassen und so es Gott gefalle, hier eigenen Herd zu bauen. Für's Erste lag es mir daran, Arbeit auf dem Gewerke zu erhalten; drei Tage vor meinem Eintreffen in der Stadt hatten sie einen wackeren Goldschmiedsgesellen nach St. Rochus hinausgetragen; der Meister, dessen Werkstätte er verlassen, dingte mich sogleich auf, und ich trat bei ihm ein, kaum daß ich die Stadt nur ein wenig mir besehen hatte, in Arbeit. Es war Dein Großvater, Albrecht, der wackere Meister und ehrsame Bürger der Reichsstadt, Holper; damals zählte sein Töchterchen, Barbara benamset, ein recht liebes Kind, kaum vier Jahre. Ich sah das Kind Mädchen werden, ich sah es Jungfrau werden und als nach eilf Jahren es da unter dem Schurzfelle klopfte, just so wie heute bei Dir mein Sohn, da wollte ich handeln, just so wie ich von meinem Sohne Albrecht überzeugt bin, daß er handeln wird, wenn es gilt, ein braver und ehrlicher Jüngling zu bleiben. Ich wollte den Bündel schnüren und da ich dafür hielt, daß weder Gott noch meinen Heiligen es genehm, mich in dem mir lieb gewordenen Nürnberg zu belassen, und, wie ich gedacht, eignen Herd in ihm zu erbauen, weiter ziehen, bis ich vergessen wollte, daß mir des Meisters Kind es angethan. Es sollte doch anders kommen. Der brave Holper merkte gar bald, wo mich der Schuh drückte. Und als wir eines Sonntags aus der Kirche heimgekehrt waren und nach dem Mittagessen die Gesellen sich aufgemacht hatten, um auf die Gritz oder auf den Tötschenweiher (jetzt Dutzendteich) zu wandern oder auf die Vogelstange (jetzt Peterhaide) hinaus oder in den Schneppergraben und nur ich droben in meiner Kemnate geblieben war und durch die kleinen runden Scheiben hinaus auf die Straße lugte, wo die sittsame Barbara mit der neckischen Löffelholzin und der lustigen Rieterin ging, – die eine längst schlafend, die andere zu Augsburg als eines reichen Handelsherrn treues Eheweib und treue Mutter guter Kinder noch heute lebend –, um in die Katharinenkirche sich zu begeben und dort den Weisen der Meistersinger zu lauschen, da rief Dein Großvater mich zu sich hinunter. Als ich nach einer kleinen Stunde wieder in meine Steinkammer trat, da war es ein Anderer, der die Stiege hinaufgeflogen, als der, der hinabgeschlichen war. Ich dachte auch nimmer an Hungarn, nimmer an Vater und Mutter, an Bruder und Schwester. Ich merkte wohl, daß der liebe Gott doch beschlossen habe, mir in dem alten Nürnberg mein Ziel, mein endliches, finden zu lassen. Barbara Holperin ward meine ehrsame Ehefrau, wenige Wochen nach ihrem fünfzehnten Geburtstage, ward Deine brave, Deine treue Mutter mein Weib.«

Die süße Wehmuth der Erinnerung hatte den alten Goldschmied ergriffen – er mußte innehalten und sein Auge feuchtete sich. Auch Albrecht fühlte tiefe Rührung. Den herzlichst geliebten und hoch verehrten Vater, der bis zur Stunde ihm stets so ernst und strenge gewesen, mit solchem innigen Gefühle der längst entschwundenen Tage des Frühlings seiner Liebe gedenken zu sehen, ergriff ihn um so gewaltiger, als er sich's wohl gestehen durfte, daß ihm nicht gleiches Glück, wie es dem Vater geworden, beschieden. Nachdem sich Dürer wieder gefaßt hatte, fuhr er fort: »Achtzehn Kinder gebar mir Deine Mutter; das dritte warst Du; in der sechsten Stunde des St. Prudentiatages am 21. Mai 1471 legte mir die Wochenmutter den ersten Sohn in die Arme, Du warst es, Albrecht, meine Freude war unbeschreiblich – ob ich nicht Freude fühlen sollte, Dein Vater zu sein!«

Albrecht machte eine wehrende Bewegung. Der Vater hielt ihn zurück und setzte fort: »Höre weiter! Anton Koberger, gar wohlberühmter Buchdrucker seines Zeichens, hob Dich aus der Taufe; ich aber konnte es mir nicht versagen, meinen Namen Dir zu geben. Koberger zürnte darüber nicht und so nannte man Dich wie man auch mich nannte: Albrecht. In diesem Hause, worin ich und die Mutter damals schon wohnten, ward'st Du geboren; in dieser Stube, in der sich jetzt entscheiden soll, ob meine Hoffnungen, die ich gehegt, als ich von Tag zu Tag mehr wahrnahm, wie Gottes Gnade Deinem Leben und Weben Gedeihen gab, scheitern, ob Wort sie halten werden, was sie mir versprachen, versprachen durch Dich mein Kind; in diesem Stuhle sank ich nieder und betete inbrünstig zu Gott und meinem Schutzpatron St. Sebaldus, Dich mir zu lassen und mein und Deiner braven Mutter Bemühen zu segnen, Dich zu einem frommen Christen und frommen Sohn zu erziehen. Du machtest mir, Du machtest Deiner Mutter Freude, viele Freude; der Magister zu St. Sebald nannte Dich stets einen seiner wackersten Schüler; Deine Mutter lehrte Dich beten, ich lehrte Dich ein braver Jüngling werden, wie ich es wenigstens zu Gott verhoffe, der Dir und mir in dieser Stunde gnädig sein wolle. So darf ich wohl das Zeugniß mir nicht versagen und glaube ich nicht, darob erröthen zu müssen, daß ich gethan, was immer nur zu thun in des Vaters Pflicht gewesen.«

»Kaum dreizehn Jahre alt, entwickelte sich in Dir ein augenfälliges Talent zur edlen Zeichenkunst, wohl auch dem Goldschmied, dessen Gewerk ich Dich bestimmt hatte, unentbehrlich; doch als nur wenige Monate nach Deiner ersten Firmung Du die sieben Fälle Christi nach eigener Zeichnung in Silber triebst und männiglich mir Glück zu einem solchen kunstbegabten Sohne, wie man sagte, gewünscht, als selbst der Vater Deines Willibald bei den ihn oft besuchenden hohen und fürnehmen Gästen – wirst Dich ja selbst noch des vielgelehrten Herrn Erasmus von Rotterdam, wie auch des lorbeergekrönten Poeten Konrad Celtes erinnern – Deiner stets und weit schmeichelhafter als wahrlich Du es verdientest, erwähnt, was Wunder dann, daß auch der eiteln Mutter Busen endlich höher schwoll, wenn sie Dich zeichnen sah und hörte, wie ein welscher Meister einen großen Künstler in Dir erschaute und ich nicht anders mehr konnte, als, ihren und Deinen dringenden Bitten nachzugeben, der Hoffnung zu entsagen, Dir einst die Werkstätte als ehrsamen Meister der Goldschmiedkunst abtreten und mich zur Ruhe setzen zu können, statt dessen jedoch am St. Andreastage 1486 dem geschicktesten der hiesigen Maler, Michael Wohlgemuth, Dich in die Lehre zu geben, um Maler, was ja auch gar feine Kunst, wie ich zumal in den Niederlanden gesehen, in Gottes Namen Dich werden zu lassen.«

»Hast viel in Deiner Lehre leiden müssen, wenn auch vom Meister nicht, der gar nicht wehe thun konnte. Doch mehr und doppelt dafür von seinen Knechten, die den Lehrling baß quälten; es war Dein eigener Wille, Dich quälen zu lassen und bist nicht müd geworden Deines Strebens.«

»Gott segnete Dein Thun und Deinen Fleiß! Du gingst nun vor vier Jahren in die Welt hinaus, hast manches Herren Land gesehen und manches Schöne und Nützliche gelernt, hast insbesondere, wie man mir überall sagte, in Deiner Kunst Dich wohl bewährt erfunden. So kehrtest Du, jetzt werden es drei Monate – wieder heim in's Vaterhaus und was Du draußen in strengem Müh'n an Kenntniß Dir erworben, wirst Du nunmehr zu Deinem Besten verwenden wollen und hiemit, lieber Albrecht, komme ich Dem näher, dem eigentlich mein ganzes Reden gilt. – Was ich gehofft von Dir, Du weißt es wohl – und was Du mir versprochen – bis zur Stunde hast Du auch Wort gehalten; nun aber ist der Augenblick gekommen, in dem es sich entscheiden muß und wird, ob wirklich Du, wie Du so oft mich und der Mutter versichert, uns liebst in wahrer, frommer und christlicher Liebe des Kindes zu den Eltern.«

»Vater!« fiel Albrecht ein, indem er hastig aufsprang und reden wollte. Ein mehr bittender als befehlender Blick des Vaters machte ihn verstummen und wieder ruhig sich niederlassen. Der Alte aber sprach weiter; »Was bis jetzt noch keinem Menschen bekannt, sei Dir vertraut; selbst Deine Mutter kennt zur Hälfte nur das Geheimniß meines Grams und meines tiefen Kummers und was sie kennt, erfuhr sie erst diesen Abend – ob sie auch wirklich schlafen wird – ich zweifle! – – Ihr Wort bestimmte meinen noch wankenden Entschluß. Höre denn: Die Zeiten sind seit meiner Verheirathung mit Deiner Mutter nicht besser geworden, als sie es damals waren, sie sind schlimmer geworden; ein gewaltiges Gähren erhebt sich überall im deutschen Lande; man spricht vom nahen Kriege, kaum daß die Pest und Blattern uns verlassen und daß Konstantinopolis in der Seldschucken Hände gefallen, soll's dem Erbfeinde der Christenheit nicht genügen, er will noch mehr. Handel und Wandel fristen sich zwar fort, doch wer einmal in Noth gekommen, vermag durch eigene Kraft sich nimmer aufzuhelfen; zudem ist das Gewerke der Goldschmiede ohne Besitz hinreichender Mittel ein eben nicht besonders einträgliches; Dein Großvater konnte nur wenig der Mutter mitgeben, ich hatte nichts als meinen Arm und meinen Fleiß.«

»So hatte ich denn mit meiner Frau die lange Reihe von Jahren, besonders bei dem reichen Kindersegen, den uns Gott verliehen, stets mit Sorgen zu kämpfen und wahrscheinlich für ein hohes Glück dürft' ich's erachten, als vor nun zwanzig Jahren zu einem beabsichtigten Hauskaufe der Goldschmied Peter Hofmann im Tuchgäßlein zweihundert Goldgulden, ohne weitere Sicherheit als des Schuldners Zeichen auf Pergament, uns vorschoß. – Wir dachten immer daran, das Gold wieder abzuzahlen, zumal aus dem Hauskaufe nichts geworden war, allein, lieber Gott, es ging eben nicht. So zog ein Jahr sich um das andere dahin, der alte Hofmann starb und hinterließ die Forderung seinem Sohne, auch dieser drängte uns nicht, er war reich genug, um zweihundert Gulden mehr oder weniger nicht besonders zu verspüren und begnügte sich mit der Verzinsung. Nun aber ließ er, kaum daß Du aus der Fremde heimgekehrt gewesen, mir wissen, daß er zu Frankfurt drunten eines reichen Kaufherrn Tochter zu ehelichen und sich sässig zu machen gedenke, ich möge der baldigen Heimzahlung des Darlehens nicht vergessen.«

»Wohl frug ich an bei Dem und Jenem; sie alle versprachen, hielten mich hin und Einer um den Andern zuckte zuletzt die Achseln und hatte kühle Entschuldigung. Der helfen konnte, wollte nicht, der helfen wollte, konnte nicht. So bin ich denn in Angst und Sorge geblieben, bis just vor acht Tagen; da kam der Notarius Heiselbetz und zeigte mir schriftliches Documentum, daß er mich klagbar belangen müsse bei dem hochedlen Rathe dahier, wenn ich nicht binnen einem Monat die zweihundert Goldgulden erlegen werde. Lieber Gott, der alte Dürer, der Zeit seines Lebens noch nie vor einen ehrbaren Rath geladen war, als wenn es galt zu eigner Ehre, soll in den paar Tagen, die ihm der liebe Herr Gott noch beschieden haben mag, als säumiger Schuldner sich anklagen lassen, soll den Schuldenthurm kennen lernen und betteln: ›Gefangener Mann, ein armer Mann, legt ein um Gotteswillen!‹ – Albrecht! Albrecht! Das überlebt Dein Vater nicht! –«


Erschöpft hielt der Goldschmied inne; er schlug seine Hände vor das Gesicht und zwischen den Fingern tropfte es herab. –

Fast schien es, als ob keiner der Beiden wieder Worte finden möchte. –

Es waren Thränen des bittersten Schmerzes, und Albrecht hatte seinen Vater noch nie weinen gesehen. Tief ergriffen sprang er endlich auf, warf an des Alten Brust sich und fragte schluchzend: »Um Gott, Vater! und was kann ich und was soll ich dabei thun? – Kann ich Euch retten? – nehmt mein Blut, nehmt mein Leben – ich danke ja Alles nur Euch, nehmt dafür auch Alles, was ich bin und was ich habe!«

Dürer ließ die Hände in den Schoß fallen; das thränennasse Auge schimmerte in dem Wiederscheine des Mondes so wehmüthig auf und in das Lächeln des Mundes stieg ein so tiefer Gram und aus dem Beben der Stimme sprach eine so schwere Besorgniß.

»Du wolltest Alles mir zum Opfer bringen, Albrecht, wirklich Alles? – auch – Dein Herz?« –

Flammengluth und Todtenblässe wechselten blitzesschnell in dem Gesichte des Jünglings. Er hatte den bekümmerten Vater wohl verstanden. Es galt nun den schwersten Kampf des Lebens zu kämpfen – das fühlte er nur zu deutlich, das sagte ihm das ängstlich klopfende Herz, das sagte ihm der Thränenblick des geängstigten Vaters. Er vermochte keine Antwort zu geben.

Und ganz leise, in einem Tone, der ungewiß ließ, ob ihn die Thräne dämpfte, ob freier Wille, fuhr der Goldschmied fort: »Du liebst die Pirkheimerin, Du liebst Katharina. Du, sie und Willibald sind ja mit einander aufgewachsen – und sie ist ein so schönes und was noch mehr, sie ist ein so frommes, gutes Mädchen, – Du mußtest sie ja lieben. Aber ihr Vater, Albrecht, ihr Vater ist der stolze und reiche Consulent Nürnbergs; die Höfe von Bayern und Oesterreichs rufen ihn, den hochgelehrten Doktor der Rechte, wenn es gilt, Streit beizulegen, und goldene Kettlein und Aemter und Würden sind dem fürnehmen Patrizier. Wenn auch der Sohn Dir zugethan, wenn auch Dein Willibald vergessen könnte und würde, daß Albrecht nichts als den Pinsel und das Farbenbrett sein nennt – nimmer würde es der Vater Dir vergessen, welcher in Dir nur den armen Goldschmiedssohn, den ungekannten, unberühmten Maler sieht, der wohl vielleicht Talent, gewiß aber weder Goldgulden noch Pfunde Heller hat, und nimmer würde es vergessen die stolze Löffelholzin, die Mutter Deiner Herzgeliebten!«

»Bis aber, Du, mein Sohn, errungen, wonach Du strebst, sind Deine Wangen gebleicht, sind Deine Eltern verarmt und als schlechte Zahler geschändet und geächtet und vor Gram und Kummer in das Grab gestürzt!«

Der alte Dürer schwieg. Thränen erstickten seine Stimme. – Auch Albrecht fühlte sich außer Stande, nur ein Wort zu sprechen; er wußte es, die Ahnung seiner Zukunft lispelte es ihm zu, der Vater habe noch nicht Alles ihm vertraut. Aber er fühlte es auch, wie seines Herzens Blüthen, so schnell sie sich erschlossen, so schnell auch wieder zu welken begannen.

Da setzte der Goldschmied mit unsicherer Stimme fort: »Der alte Frei hat diesen Nachmittag viel und Mancherlei mit mir auf der Hallerwiese gesprochen. Du kennst ihn ja, es ist gar ein wackerer Mann, geschickter Mechanikus und Fertiger weit und breit gesuchter Harfen, die er selbst gar wohl zu spielen versteht. Gott hat ihn reich gesegnet mit irdischem Gute; das Haus, droben am Thiergärtnerthor, an der Ecke der Zisselgasse, ist sein eigen und kein Heller Schulden darauf; ein zweites, am Bonersberge gelegen, gehört ihm auch, und ein drittes zahlt ihm Miethe drüben am Henkerstege; er ist längst Wittwer, hat keinen Sohn und nur ein einzig Töchterchen – hast sie ja oftmals schon gesehen und gegrüßt, die gute Freundin der Katharina.« Wieder hielt der Alte inne.

Albrecht verstand nun vollends den Vater und nicht mehr hätte es bedurft der weiteren Worte desselben, die er mehr ausstieß als sprach: »Wenn Du der Agnes die Hand reichen würdest, sie ist freilich nicht so schön wie die Pirkheimerin, doch bei St. Sebald! auch nicht häßlich – und was man von ihrem schnippischen und sparsamen Wesen spricht – wer weiß, ob's wahr ist – und dann – Albrecht! ihr Vater hat es mir vertraut, sie liebt Dich über alle Maßen, sie hat dem Alten erklärt, daß sie lieber sterben wolle oder als Nonne sich einkleiden lassen droben bei St. Klara, als Dich mit einer Andern zur Kirche gehen sehen. Vergesse Katharina, neige zu Agnes und Dein armer Vater ist gerettet; – dem Frei hab' in der Angst des Herzens ich gestanden, wie es um mich steht, nachdem er mit der Liebe seiner Tochter zu Dir mich bekannt hatte; er tilgt sogleich die Schuld bei dem Hofmann, das Haus am Thiergärtnerthor räumt er dem jungen Ehepaar ein, Du bist für immer frei von Nahrungssorgen, hast des gewiß recht wohlthuenden Gedankens Dich zu erfreuen, Deine Eltern vor Schande und Entehrung gerettet zu haben und wirst mit der Agnes wohl auch ein glückliches häusliches Leben in Ruhe und Ehrbarkeit führen! – Nicht jetzt, was Du beschlossen, sage es morgen! – Gott sei mit Dir, mein lieber, lieber Albrecht!«

Der Alte trat auf den starr vor sich hinblickenden Sohn zu; drückte den Mund fest auf die bleiche Lippe Albrechts – daß sie so kalt, als ob das Leben ihr entwichen, fühlte der Goldschmied nicht – und verließ rasch die Stube. Albrecht war allein. Wie gefeit hing der Blick an den Dielen. So saß er lange – lange.

Endlich umzog ein unaussprechlich wehmüthiges bitteres Lächeln den feingeformten Mund und leise sprach der Jüngling vor sich hin: »Vergessen soll ich, Vater? – vergessen kann ich nicht! – Doch« – und das Haupt warf sich empor, und mit der Todesruhe dessen, der entschlossen zu sterben, sprang er auf, bog die in die Stirne fallenden Locken zurück und rief: »Doch retten kann ich Dich, mein Vater, und retten werde ich Dich! Undankbar ist Dein Albrecht nicht!«

Und hin an das von dem Goldschmied offen gelassene Fenster trat Albrecht Dürer und schaute auf zum Monde, den eben eine dunkle Wolkenschicht verborgen hatte.

»Ja, birg Dich nur, Du trauter Gefährte des stillen und heißen Kummers meines Herzens. Ja, birg' Dich nur – du leuchtest ja nicht meinem Glücke mehr! Zum ersten male hatte ich vernommen, was mich zum Seligsten der Sterblichen machte – zum letztenmale habe ich's vernommen. – Es war ein schöner Traum – es war der schönste, den ich träumen konnte; warum verlangte ich auch, daß es mehr als Traum sei! – Fahr' hin, du schönster Traum meines Lebens! Willkommen, Genius der Kunst – Du sollst mir treu verbleiben, treuer als ich es ihr – hiernieden – verbleiben darf! – Vergessen kann ich nicht, doch meinen Vater kann ich retten!« Und Mitternacht erklang und noch stand Albrecht Dürer dort im hohen Fensterrahmen und schaute noch auf, wo des Mondes sanftes Licht gestrahlt.

Aber der Mond schien seine Worte vernommen zu haben – und, trauernd mit dem Freund – er trat nicht mehr hervor.

Was das Leben dem großen Meister in jener Stunde raubte, hat ihm die Kunst reichlichst wiedergegeben! – Ob Albrecht Dürer aber glücklich im Ersatze geworden? – – – – –


Es war ein heißer Sommertag, der Montag vor Margaretha, der 7. Julius des Jahres 1494. Die Glocken bei St. Sebald läuteten gar lieblich zusammen, denn sie verkündeten ja, daß wieder Zwei im Begriffe, zu schließen des Lebens »schönste Feier«, so oft in kurzem Wahne begangen, so oft in »langer Reue« gesühnt! Viel des Volkes drängte sich durch die Brautthüre, wie durch die anderen Pforten der Kirche und insbesondere durch die gegen den Milchmarkt, die Ircherstraße und die Zisselgasse gelegene ein; in dem Dom am Hochaltare stand ein Brautpaar, das sich soeben für dies kurze Sein bis zum Tode verbinden wollte.

Es war der Sohn des Goldschmieds Dürer, der ernste und schöne Albrecht, der als Maler sich in der Reichsstadt Nürnberg niedergelassen, und die Tochter des kunst- und goldreichen Harfenspielers und Mechanikus Hans Frei, Agnese, ein, wenn auch nicht unschönes, doch kaltes und strenges Frauenbild.

Des Brautpaares Antlitz war bleich und blieb es die ganze heilige Handlung über; nur als bei Wechselung der Ringe der Blick Albrecht's, wie vom Magnete angezogen, auf die der Braut zunächst stehende Jungfrau fiel, durchzuckte es ihn wie ein Dolchstich. Der goldene Reif, den er soeben aus des Priesters Hand empfing, däuchte aus Feuer ihm geschmiedet und eine tiefe Gluth, wohl Allen – auch Agnesen – bemerkbar, stieg für eine Sekunde auf in dem blassen Gesichte.

In seinem Auge, wie in dem, dem es begegnet war, lagen Paradiese – aber verlorene!

Die Jungfrau, der der Blick gegolten, war die Schwester des Junkherrn Willibald Pirkheimer, der es sich nicht versagen hatte können, seinem Freund das Ehrengeleite zu geben und auch die Schwester zu bestimmen wußte, – auftauchender Gerüchte wegen meinte er, – die Jugendfreundin zum Altar zu begleiten.

Nach vollzogener Trauung, welcher auch der entzückt dreinschauende alte Frei wie die Eltern Dürer's anwohnten – diese, ungewiß lassend, ob die Ruhe ihrer Züge auf Rechnung der Stimmung des Gemüths, ob auf die tiefer liegenden Gründe zu stellen, begaben sich die Vermählten mit Geleite in das mit Buchsreisern und frischen Blumen überreich geschmückte Haus des alten Frei, an der Ecke der Zisselgasse zur rechten Hand des durch das Thiergärtnerthor in die alte Stadt Eintretenden gelegen. Albrecht empfing dort als erstes Hochzeitsgeschenk des Schwiegervaters die Besitzurkunde über das Haus, während sein alter Vater in einem unbelauschten Augenblicke, mit Thränen in den Augen, ihm den durchstrichenen Schuldbrief, dem Peter Hofmann ausgestellt, zeigte und dem braven Sohne innigst die Hand drückte. Dieser Anblick war die einzige Freude, die Albrecht an seinem Hochzeitstage empfinden konnte. Der Erwerb des Hauses hatte ihn kalt gelassen, nur das Chörlein gefiel ihm; da wollte er malen, recht viel malen, nur immer malen – um vergessen zu können – vielleicht, vielleicht!

Was nach diesem Augenblicke an Lust und Freude noch geboten ward – ihm war es keine! –

Da standen auf den mit blendend weißen Leinen gedeckten Tischen in den drei Stockwerken des Hauses die blank gescheuerten Kannen mit den spitzschnäbeligen Deckeln und daneben der Speisen Hülle und Fülle. Da standen Schauessen, wie sie die damalige Kochkunst nur immer zu schaffen verstand: Schönbartläufer und Muhamedaner, Heilige und römische Kaiser, Ritter und Lombarden, alle gar zierlich geformt und aus wohlschmeckender Lebzeltermasse gefertigt, worin mancher Meister schon damals gar berühmt seines Zeichens gewesen. Gebackene Grundlinge und gesalzene Hechte, Pfeffernüsse und gemästete Kapaunen, gebratene Gänse und Pfauen bedeckten die Tafeln und daß der Peterlein mit den Schwemmklößen nicht fehlte, hatte die Mutter des Albrecht der geworbenen Kochfrau ganz besonders an's Herz gelegt.

Zinken und Trompeten ertönten vom frühen Morgen bis zum späten Abend und Meister Wolf, der neckische Spruchsprecher, hatte gar viel zu thun, um den Anforderungen der zahlreich geladenen Hochzeitsgäste Genüge zu leisten, deren Jeder ein Lobsprüchlein und gar feine Reime auf Braut und Bräutigam begehrte.

Des Malers Dürer Hochzeit war eine »gouteinete« zu nennen und nach einem Vierteljahrhundert noch ergötzten sich Frau Base Schwarzin und Herr Vetter Pauschinger an der Erinnerung der Güte der Speisen, der Würze der Weine, der Ausgelassenheit des Brautvaters, des steifen Wesens der Eltern des Bräutigams und gar besonders des alten Dürer und wiederum gar und insbesondere – der Kälte und Theilnahmslosigkeit der Brautleute selbst.

Sie hatten aber auch richtig schon am Hochzeitstage prognostizirt wie die Ehe Meister Dürers keine glückliche werden werde, und daß sie auch nicht eine glückliche geworden, hat die Geschichte der Nachwelt überbracht, hoffentlich übertriebener als in Wirklichkeit. Albrecht aß wenig, trank noch weniger und sprach nur selten mit seiner Braut. Doch als er sich dem nahe ihm sitzenden Freunde Willibald zuneigte und halb leise ihn frug: wo Katharina sei, die, wenn er sich nicht täusche, er doch in der Kirche wahrgenommen habe, und Pirkheimer, gleich verstohlen, ihm antwortete, daß seine Schwester auf vieles Zureden sich zwar bestimmen habe lassen, in die Kirche zu kommen und der Trauung als Brautführerin anzuwohnen, nicht aber an dem Hochzeitsfeste selbst Theil zu nehmen, da sie solch' ein Thun nicht mit dem Vorsatze vereinen könne, schon in der nächsten Woche in das Kloster zu St. Clara als Novizin einzutreten – da wurde Albrecht's Angesicht sehr bleich – bleich wie das eines Todten! –

Und außer ihm fühlten noch drei, daß der Meister wohl unglücklich werden würde – sein Vater, seine Mutter und sein Willibald. – –

Jahre waren indeß vergangen; Albrecht's Name war hoch berühmt geworden. Italien und die Niederlande hatten ihm gehuldigt, Antwerpen's Künstler dem deutschen Maler den Ehrenpreis zuerkannt, und Raphael hatte ihn ebenbürtig genannt. Nürnbergs Blüthezeit hatte auch Dürer mit auferzogen, und wenn Venedig einen Tizian sein nennen durfte, dem der Kaiser, in dessen Landen die Sonne nicht unterging, den Pinsel von der Erde aufhob; wenn Florenz ein Leonardo da Vinci ward, der in den Armen des Siegers von Marignano starb, so konnte die freie Reichsstadt Nürnberg mit Stolz den Ihren nennen Albrecht Dürer, dem Kaiser Max die Leiter gehalten.

Der Vater des Meisters hatte zwar des Ruhmes seines Sohnes nicht Zeuge sein können, er starb schon im Jahre 1502 in der Mitternachtstunde vor St. Mathäi Abend; doch war er nicht hinübergegangen, ohne gewiß geworden zu sein, daß schweres häusliches Unglück Albrecht belaste, daß dieser keine glückliche Ehe geschlossen. Denn, wenn immer auch Agnes Frei nicht jene Xantippe gewesen, wie insbesondere die Nachrichten von ihr, welche Pirkheimer uns zurückgelassen, sie schildern, so ist doch anzunehmen, daß sie hinwiederum nicht jenes Ideal einer Hausfrau und liebenden Gattin gewesen sein mag, als welches Lazarus Spengler und mit ihm mehr die neueren Historiker des alten Nürnbergs und seines Dürer sie darzustellen versuchten. Wenigstens dürfte mit nicht zu bedenklicher Aengstlichkeit für gewiß zu nehmen sein, daß Agnes nie voll begriffen, was Albrecht war und nie zu reichen ihm vermochte, was es bedurfte, das große Herz, so edlen Künstlerlebens voll. Wäre dem anders, gewiß würde nach des Meisters Tode die trauernde Wittwe weit minder gemeinkrämerisch mit dessen hinterlassenen Kunstwerken verfahren sein, als es geschehen!

Albrecht wurden oft und vielmals die glänzendsten Anerbietungen gemacht, ihn Nürnberg zu entziehen, wie namentlich der Rath zu Antwerpen ihm auf den Fall Bleibens dortselbst, jährlich 300 Philippsgulden zugesichert, ein wohlgebautes Haus ihm schenken, ihn steuerfrei sitzen lassen und alle Bilder, welche er im Auftrage des Raths fertigen würde, besonders bezahlen wollte; allein umsonst.

Sein Herz litt ihn nicht fern von Nürnberg, denn seiner lieben Eltern Grab war ja dort, und noch ein Grab, das ihm genommen hatte, was ihm nur ein Grab im kühlen Rasengrunde nehmen konnte, – Alles! –

Wohl suchte er draußen, auf weiten Reisen zu vergessen, was er doch nun und nimmermehr vergessen konnte – drum zog er wieder heim und weilte im trauten Chörlein des alten Hauses droben in der Zisselgasse und malte den lieben langen Tag über und trat hinaus Abends unter den dunkeln Sternenhimmel und klagte den ewigen Lichtern droben, was er sonst Niemanden klagen durfte!

Und wenn die lauen Abendlüfte um ihn wehten, und wenn so still, so ruhig es ward in ihm und um ihn her – dann ging der große Meister ernsten und gemessenen Schrittes hinaus zum Thiergärtner Thor und wandelte um den Graben der Stadt und hin bis zu einer Stelle zwischen dem Spittler- und Frauenthor, auf die herüber die Winde die frommen Gesänge der Abendmette der Nonnen zu Sankt Klara trugen.

Und immer däuchte es dann Albrecht, als ob aus diesen Gesängen hervor eine Stimme sich hob, die er gekannt, die er zum letztenmale gehört am Abende des Maifestes des Jahres 1494, die in dem Schatten der hohen Buchen der Hallerwiese ihm damals wohl nur wenige Worte zugeflüstert, aber Worte, die er nur im Tode vergessen konnte.

Und dann trat sie wieder vor ihn hin, die stille, blasse Jungfrau, wie er zum letztenmale sie am Hochaltar des St. Sebaldidoms gesehen und wieder fühlte er den goldenen Reif am Finger der Linken, der seinen Vater gerettet und ihm das Herz gebrochen, wie von Feuer geschmiedet – und heimwärts wandte er sich in sein altes, ödes Haus, wo ihn nicht Arme der Liebe umfingen, wo ihm kein Kind den Vaternamen lallte, wo ihm kein Auge begegnete, das in dem seinen zu lesen verstanden, wo ihm nur Worte der Habsucht des Lebens ertönten.

Agnes Frei mag nicht, wie schon bemerkt, das böse Weib gewesen sein, das Dürers Leben zu einer Hölle geschaffen – doch hat sie Manches verschuldet.

So ging er auch eines Abends – es war schon im Spätherbst, die Blätter waren fast alle schon gefallen und die, die der Baum noch trug, hatte ein fahles Roth gefärbt – aus dem freudenleeren Hause fort und hinüber an die wohlbekannte Stelle zwischen dem Spittler- und Frauenthor.

Und die Hora klang und der Gesang der Nonnen ertönte und der Meister lauschte und lauschte – aber Albrecht schien die ihm so liebe Stimme nicht mehr zu vernehmen.

Mag sein, daß er sich täuschte und daß noch immer in den Ohren ihm gellte das tägliche Jammern und Klagen seines Weibes, dem er nie und nimmer genug arbeiten konnte, das ihn quälte und quälte, Tag und Nacht zu sitzen und zu malen, damit nicht einmal ein Tag komme, an dem der Bäcker kein Brod mehr hergäbe und der Metzger kein Fleisch und sie verhungern oder der Stadt zur Last fallen müsse, – mag sein, daß sie wirklich diesmal sich nicht erhob aus dem Chorgesange, die liebe, süße Stimme – aber doch sollte er sie nicht mehr vernehmen und auch die einzige Freude seines Lebens, so schuldlos und rein sie gewesen, ihm welken.

Denn eines Tages kam, in tiefes Schwarz gekleidet, der Willibald zu ihm. Eben saß er an der Staffelei und malte an dem Bilde, welches die Apostel Petrus und Johannes vorstellte, – bekanntlich das letzte große Werk, das die Welt dem Meister verdankt – und eben hatte Agnes wieder gekeift, ob denn nicht bald das Bild vollendet sei und er nicht Gold in die Lade schaffen werde – da erzählte ihm der Freund, daß seine Schwester Katharina im Kloster der Klarissinnen vor zwei Tagen gestorben sei.

Der Pinsel entfiel der Hand und das Angesicht Albrecht's deckte eine Todtenblässe – sie erinnerte an den Hochzeitstag. –

Und ob auch Agnes viel darüber schalt, er eilte hinüber zur lieben Stelle und lehnte sich an an ein Mauerstück des Grabens und weinte lange und viel.

Wohl klang sie wieder die Hora, wohl trugen die Winde ihm wieder herüber den Chorgesang der Nonnen – doch was sie sangen war das Requiem, und Albrecht Dürer täuschte sich nicht mehr – die liebe Stimme vernahm er nimmer wieder, denn, während er stand drüben an der Mauer und lauschte und weinte, senkten sie Katharina Pirkheimer in das Grab des Klosterkirchhofs zu St. Klara. –

Das war der letzte Schmerz des großen Meisters. Und als die heilige Passionswoche des Jahres 1528 eintrat just vier Wochen, nachdem die Klarissin zu Grabe getragen worden war, schloß Albrecht Dürer müde und matt, in einem Alter von 56 Jahren, 10 Monaten und 16 Tagen, seine Augen für immer.

Der letzte Blick gehörte der scheidenden Sonne, deren goldene Abendstrahlen sein bleiches, abgemagertes Gesicht, wie mit dem Nimbus eines Heiligen umwoben; der letzte Gedanke der Schwester seines Willibalds, der Katharina Pirkheimer, der ersten und der letzten Liebe des Meisters.


Und wenn Du, Leser, es besehen haben wirst in der Straße, die jetzt den Namen des großen Meisters trägt, das alterthümliche Haus, droben am Thiergärtner Thor, in dem Albrecht Dürer lebte und litt – so versäume es nicht, Deine Schritte auch hinaus zu dem Thore zu wenden und die Seilersgasse hinab, vorbei an den Stationen des Leidens Christi, von Martin Tetzel gestiftet und kunstvoll von Adam Kraft gemeißelt, und trete ein in das stille Feld des Todes, ein in den Kirchhof St. Johannis.

Dort suche das Grab des Meisters – »der Freyen Begräbniß.« Und hast Du einen niedrigen, einfachen Stein gefunden, beschattet von einer Trauerweide und eingelassen in ihm eine einfache Eisentafel, die in lateinischen Worten Dir sagt, wer da drunter ruht, und trägt der Stein die Zahl 649 eingegraben: dann bist Du an dem Grabe Albrecht Dürer's und in ihm ruht bis zu dem großen Tage des Auferstehens, was sterblich von dem großen Meister war.

Und willst Du suchen die Ruhestätte seines Weibes? – auch sie schläft in demselben Grabe; ein Raum umschließt beider Asche; und auch das Grab Willibald Pirkheimer's, des treuen Freundes Albrecht's, kannst Du auf dem weiten St. Johanniskirchhof finden – suche nur den Stein, bezeichnet mit der Nummer 1414.

Doch fragst Du mich, wo sie ihn schläft den langen Schlaf, die unseres Meisters erste Liebe, die seine einzige gewesen, dann kann ich nichts Dir zeigen, als hinter der kleinen, erst, wie schon oben bemerkt, seit einigen Jahrzehnten den Katholiken zum Gottesdienst überlassenen Kirche zu St. Klara, einen mit Rasen bewachsenen Platz, das ist der ehemalige Kirchhof des Klosters zu St. Klara, und unter der kühlen Erde ruht gar manches Herz, das im Leben lang und viel gelitten; dort schläft auch Katharina Pirkheimer. Kein Grab zeigt den Ort, kein Denkmal erhebt sich über ihrem Staube, – doch auch sie ruht in dem Herren, und droben vereinte gewiß, was hier unten Menschensatzung und Menschenplan auf immer getrennt gehalten hatte.


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