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Ein Nürnberger Dichter.

Von * * * *


1.

Die Schlacht bei Roßbach war geschlagen, der französische Marschall Soubise in einer Weise besiegt, daß selbst im Kabinete zu Paris man einsehen lernte, wie solch' ein Feldherr nimmer dem preußischen Könige entgegen zu stehen vermöge. Die Franzosen flohen gegen den Rhein; Borussia's Adler wandte die siegreichen Fittiche zurück gen Schlesien, um wenige Wochen nach dem Siege bei Roßbach, am 5. Dezember 1757, den nicht minder glänzenden bei Leuthen über Oesterreich zu erkämpfen. Da hörte man nun überall im deutschen Reiche, von Jung und Alt, von Reich und Arm – denn die öffentliche Meinung war für den »alten Fritz« und jene Ideen, welche einige Jahrzehnte später der europäischen Welt neue Gebildung gaben, hatten bereits Wurzel geschlagen – die noch heute nicht vergessene Weise singen:

»Und wenn der große Friedrich kommt,
Und klopft an seine Hosen,
So läuft die ganze Reichsarmee,
Panduren und Franzosen!«

Auch in dem altehrwürdigen Nürnberg, der Freistadt des heiligen römischen Reiches, war viel der Freude und Lust, wenn auch nicht über den Sieg bei Leuthen, doch über die Niederlage der leichtfüßigen Franzosen und ihres Feldherrn, den nicht seine Fähigkeiten, sondern einzig die Maitressenherrschaft des fünfzehnten Ludwig zum Generalissimus gemacht und dem nur die Intriguen einer Pompadour, schmachvollen Angedenkens, den Marschallstab in die untüchtigen Hände gelegt hatten.

Auch in Nürnberg hörte man die gar schnell in ganz Deutschland bekannt gewordenen Spottreime auf die Feinde des großen Königs ertönen, welchen sich bald eine neue Strophe eines unbekannt gebliebenen Dichters anschloß, die, zumal in die Sprache Nürnbergs gefaßt, man droben auf der Veste, wie unten am Lauferschlagthurme, hinterm Bergauer, wie draußen in der Jakobiterei absingen hörte.

Das Liedlein aber begann also:

»Schlimm, mei Mutterla, schlimm is's g'west«, und erging sich in behäbigem, gutmüthigem Spotte der Geschlagenen bei Roßbach und in einfachem Lobe des Ruhms des zweiten Friedrich; obgleich erst wenige Monate vor dem Tage von Roßbach bei fünfzehnhundert Preußen vor die nürnbergischen Orte Hersbruck und Pommelsbrunn gerückt und Husaren des »Vaters Zieten« selbst bis vor die Thore der Stadt gestreift waren. Es hatte auch eine preußische Heeresabtheilung Nürnberg einige Wochen lang so enge umschlossen gehalten, daß sogar die Leichen nur ohne Sang und Klang begraben werden konnten. Zwar beschwerte sich die Regierung Nürnbergs über die unvermuthete preußische Blokade, worauf aber zu Wien in der Hofkanzlei so wenig Gewicht gelegt wurde, daß Nürnberg's Abgesandter, ein Dr. König, nicht einmal zur Audienz hatte gelangen können. Denn die schönen Tage Nürnbergs waren schon damals – gewesen. Obgleich ein Bataillon Kaiserliche, das der Senat auf Verlangen des Prinzen von Hildburghausen, des Kommandirenden der Reichsarmee, ausgenommen hatte, in den Kasernen der Stadt lag, machte doch die Bürgerschaft kein Hehl daraus, daß Begeisterung für den Genius des »Brandenburgers«, wie Uebelwollende den großen König zu höhnen glaubten, sie ergriffen, nur Abscheu sie hege vor dem Maitressenthum, unter dem die Franzosen geknechtet waren, und nur Verachtung zolle der sprüchwörtlich gewordenen Feigheit der Reichssoldaten.

Am 2. Januar 1758 rückte Hildburghausen mit seinem Stabe, von Erlangen kommend, in Nürnberg ein. Er nahm Quartier in den Gärten vor dem neuen Thore. Man erzeigte ihm von Raths wegen viel Ehre; er wurde mit dreimaliger Salve der Kanonen von den Thürmen herab begrüßt; man erwies ihm sonst der Ehrerbietung genug, – aber das: »Schlimm mei Mutterla, schlimm iss g'west«, wie das vom »auf die Hosen Klopfen des großen Friedrich« mußte er eben nolens volens d'rein nehmen.

Als die Tage länger und die Abende kürzer wurden und vom baldigen Abschiede des Prinzen hie und da die Rede fiel, beschlossen die Herren vom Rathe, auch ein Fischerstechen zu Ehren des Prinzen zu veranlassen. Eine »Bürgerlust«, war solches unbestreitbar schon damals, und es wird behauptet, auch noch heute wäre solches den lieben Nürnbergern gut Wasser auf ihre Mühle, und es war deßhalb nicht besonders zu verwundern, daß schon Stunden vor der bestimmten des Fischerstechens, die auf den Einbruch des Abends festgesetzt war, viele Hunderte auf der Insel Schütt, von den beiden Armen des Pegnitzflusses, der hier in die Stadt eintritt, gebildet, sich neckend und geneckt, fröhlich umhertrieben. Da brodelten die fetten Bratwürste in schwarzer Pfanne gar lustig und wohlduftend und hatten so ein appetitlich Aussehen, daß der »Hanni« und der »Görgla« sich kaum der Lust enthalten konnten, die Leckerbissen mit den Fingern aus der Pfanne zu fischen, um nur ein Viertelstündchen früher der »Annamirl« und dem »Greitla« auf dünnem Papierbogen sie präsentiren zu können. Aber ein kräftiges: »Ihr Fraschlisäiser, Ihr!« der kurzleibigen »Brautwurschtkundel« und ein wohltreffender Schlag mit dem Flederwische auf die lüstern der Pfanne nahe gebrachte Hand, der zugleich das unter der Pfanne nur klein noch brennende Feuer auffachte, ließ die edlen Ritter unter dem Gekicher ihrer Schönen von dem keck gewagten Versuche wieder abstehen. Dort rauften sich Buben auf dem weichen Rasen, der längs der beiden Seiten der Insel hinab zum Fluße sich zieht, und der Preis des Kampfes ist ein »Beckes«, den der »Kouerla« dem »Michala« im »Schussern« abgewonnen hat und dessen sich dieser nicht begeben will – und hier drohte ein kerniger »Rousiger im warmen Pilz« einem sachte einhertrippelnden Petit-maitre, der sich erlaubt hatte, über das in der Freude des Herzens laut ausgerufene: »Bin ih eiwi!« des Wackern Rothschmieds, die hochtragende Nase zu rümpfen, der tressenbordirten Pattenweste, wie des feinen Degens mit weiß lackirter Lederscheide und vergoldetem Porzellangriffe gar wenig achtend, einen »Bläubling« zu schlagen, daß er »den Himmel für a Baßgeig'n« ansehen solle!

Da – schon war es tief Abend geworden und hier des Gekichers und dort des Lachens, dem auch bisweilen plötzliches Zetergeschrei eines feinen Jungferchens – Gott weiß warum! – sich einmischte, kein Ende – da ertönten auf einmal Trompeten und Zinken und Alles drang und schob und stieß nun, um einen »guten Platz« zu bekommen. Es waren die Gesellen und Gehülfen der ehrsamen Zünfte der Fischer und Rothschmiede, die in hellen Haufen, in den Farben der Stadt, roth und weiß, gekleidet, jetzt auf schöngeschmückten Kähnen herbeigefahren kamen, die Einen her von der Fleischbrücke, die Andern, ihre Gegner, vorbei an der Wöhrder Wiese, stromabwärts von dem Einflüsse der Pegnitz her.

Dort und hier war lustige Musik auf den schlanken Kähnen, deren jeder, mit Fähnlein geziert, neben den Kämpfern, der Fackelträger zwei – Lehrbursche des Gewerbes – trug. Weithin flammte der düstere Schein der Leuchte und dunkler Pechqualm stieg in die Lüfte, und darein mischten sich die Gesänge der Lust und des Jubels, die wohl bei Manchem im Schuldthurm gar bittere Erinnerungen wach rufen mochten, als die Kähne der Frohen hin unter der Brücke fuhren, an deren Bogen der Thurm sich erhob. Kopf an Kopf standen sie da, längs den Ufern des Flusses und sahen das bunte Treiben auf ihm und freuten sich mit den Fröhlichen. Doch war das Getümmel und das Gedränge besonders da, wo die Reihe der Kähne einfuhr in die Stadt; und auf der ersten Brücke, die über den Fluß geschlagen war, der Agnesbrücke, wogte es ab und zu, da in ihrer Nähe die Hauptscenen des »Fischerstechens« vor sich gehen sollten.

Gar großes Gelächter ertönte auch drunten in den Kähnen, wie droben auf der Brücke, die über und über mit Menschen bedeckt war, wenn nun ein rüstiger Fischer oder Rothschmied, den Gegner mit langer Stange hinab in das Reich des Neptun zu stürzen gewußt und der unter dem Wasser für einen Augenblick Verschwundene wieder sich zeigte und naß wie ein begossener Pudel, unter nimmer enden wollenden Jubelgeschrei, zurück in den Kahn, den er so unfreiwillig eben verlassen, sich begab, doch nur, um von Neuem die Stange zu ergreifen und nun seinerseits Den zu stürzen suchte, der ihm ein kaltes, unfreiwilliges Bad bereitet hatte.

So währte es nahe bis gegen 10 Uhr des Nachts, als plötzlich, Musik, Gelächter und Gejauchze übertönend, ungemein starkes Krachen vernommen wurde, und man die der Agnesbrücke zunächst befindlichen Kähne mit unerklärlicher Schnelligkeit sich gegenseitig zurückziehen und Alle, die auf der Brücke gestanden hatten, in den Wellen verschwinden sah, weil die Tragbalken gebrochen waren. Unbeschreiblicher Tumult, fürchterlicher Schrecken und ungeheures Geschrei des Entsetzens erfüllte für einige Augenblicke die Luft. Doch, als man eben so schnell, als sie verschwunden, hier und da die Gefallenen wieder auftauchen sah, auch Hülfe sogleich bereit war und man nirgends von dem Verluste eines Menschenlebens vernahm, und außer einigen tüchtigen Schrammen der Stirne oder des Kopfes, einer wenig geschundenen Nase oder, wenn's hoch kam, einen eingeschlagenen Zahn – nichts Weiteres zu beklagen hatte, ja selbst von denen, welche Ursache des Vorfalls, wenn freilich gegen ihren Willen geworden, dem Ganzen die heitere Seite abgewonnen wurde, da war die alte Lust gar bald wieder in das Geleise gebracht. Musik und Gelächter ertönte von Neuem und erst gegen Mitternacht löschte die letzte der Fackeln und zogen die letzten Kähne heimwärts. Bis an den frühen Morgen aber labten sich Frohe auf der »Höllenplatte«, in der »gelben Rübe« und in der »Laus« bei süßem Gerstentranke des Bräuers Heinlein und in der »Pechhütte«, bei »rösch« gebackenen Wecklein und saftigen Knackwürsten der Wunderburg, des lustigen Fischerstechens und des tollen Einfalls der Agnesbrücke fröhlich gedenkend.

Am Grübelsbrünnlein in der Neuen Gasse siehst Du, lieber Leser, das große Ereigniß in Erz für alle Zeiten gar meisterhaft verewigt und zwar in einem Relief am Sockel, auf dem der alte Grübel steht und von welchem Nürnberger Dichter auch die nachfolgende Erzählung handelt.

2.

»Brouder, wou bist Du denn g'steckt, hob die nergeds kenna finden!« sang in der Tonweise des: »Schlimm, Mutterla, schlimm g'west!« ein junger Mann, in die hohe getäfelte Stube eines Hauses am Radbrunnen tretend, in der, in lila und zeisiggrün gestreiftem Schlafrocke, an dem mit Marmorplatte und künstlich vergoldeten Löwenfüßen versehenem Tische ein Mann saß, strengen und finstern Blickes und schon hoch an Jahren, und neben ihm ein Mädchen stand, schön wie eine Rosenknospe und gut, im Antlitz die Züge der Unschuld.

Wem aber der lustige Sang des Eingetretenen galt, war nicht der Alte, war nicht die holde Jungfrau; es war ein Jüngling, kaum zwanzig der Jahre vorüber und still und schüchtern neben der Schönen sitzend. – »Ei Siegmund!« zürnte der Mann mit seinem strengen und finstern Blicke, »ist das die Art, den Vater und seine Gäste zu grüßen?« –

»Verzeihung, bestes Väterchen!« entgegnete den Worten des Unwillens leichthin der junge Mann, beugte sich zu dem Alten, küßte dessen Hand, nicht ohne einige Schalkhaftigkeit und warf muthwillig ein Paar Kußhändchen dem tief erröthenden Mädchen wie ihrem Nachbar zu. Darauf rückte er sich einen der umstehenden hochlehnigen Sessel, mit Plüschsammt bezogen, herbei, nahm, dem schüchternen Jünglinge zur Seite, Platz und begann mit dem Inhalte der japanesischen Porzellankanne, die auf großgeblümter, goldbordirter Assiette just vor ihm stand, eine der niederen, weitbauchigen Kaffeetassen zu füllen, von welchen bereits einige der Alte und seine Gäste, wie er sie nannte, vor seinem Kommen, geleert hatten.

»Was aber ist denn vorgefallen Siegmund? So spreche doch einmal! Was hat Dich so gewaltig aufgeregt und weßhalb glühst Du so, als ob Du aus dem Feuerofen der drei Männer kämest!?« fragte nun wiederholt der Alte und Siegmund antwortete: »Wir haben soeben den Dichter des »Brouder, wou bist Du denn g'steckt« herausbekommen, Väterchen! Komme vom neuen Kaffeehause zur goldenen Rose auf dem Kornmarkt. Ich sage Dir, Väterchen, Einrichtung pompös: trefflichen Mokka: echte Kölner Pfeifen, direkt durch Leuchs bezogen, parat; der »Deutsche Kriegskurier«, der »Deutsche Merkur«, die Erlanger »Realzeitung« und selbst die »Frankfurter Oberpostamtszeitung« aufliegend – kurz, magnifik! – und, sage ich Dir! mußt auch hin, Väterchen, mußt hin, Väterchen! Imhof und Ebner führen ihre Altherren auch ein, ergo muß Herr Senator von Geuder auch gesehen werden! Heute aber, vor kaum einer Stunde, brachte der Fürer's Karl die funkelnagelneue Neuigkeit, daß kein anderer der langgesuchte Dichter sei, als –«. Er hielt inne und weidete sich ebensowohl an der Spannung, welche in des Vaters Zügen nicht minder, als in den lieblichen seines Bäschens, der elternlosen Wilhelmine von Waldstromer, dem Mündel seines Vaters, ersichtlich wurde, und an der Verlegenheit ihres Nachbars. Denn allgemeines Aufsehen hatte das vor Kurzem bei Felsecker am Rathhausgäßchen gedruckt erschienene Gedicht in Nürnberger Mundart gemacht, welches den Unfall bei dem letztgewesenen Fischerstechen, in der Weise des Roßbach'schen Spottliedes launig erzählte.

Dieses und die Franzosen waren vergessen und »überall, auf Wegen und auf Stegen« hörte man nur das: »Brouder, wou bist Du denn g'steckt!« ohne daß man erfahren konnte, wer der Verfasser der Verse sei.

»Na, rathet einmal, Väterchen, rathe, Minna und und auch Du, Du Duckäuser – Dich meine ich, Konrad, rathe einmal!« forderte jetzt Siegmund den Vater und die Beiden neben ihm auf, indem er zugleich den Jüngling, den er Konrad benannte, scharf fixirte.

Er war nicht schön, dieser Jüngling; ja man konnte ihn, wollte man nur Anstoß an der schier übergroßen und starken Unterlippe nehmen, selbst unschön nennen und auch die Haltung bot nichts Graziöses. Aber aus dem lichtblauen Auge strahlte solche Güte des Herzens, auf der freien, wenn auch nicht besonders hohen Stirne lag solch' ein Adel des Geistes und um die Winkel des nur wenig gerötheten Mundes schwebte ein Lächeln, so sanft und so milde, daß sie bestätigt in ihm sich fanden die Worte eines unserer Großen in dem unvergänglichen Reiche des Geistes: »Es gibt eine Schönheit, die ihrer Natur nach eine viel reinere und beständigere Liebe einflößt, als diejenige, die nur die Augen auf sich zieht.«

»Nun, Konrad, so rathe doch!« rief Siegmund von Geuder dem Jünglinge wiederholt zu, und als dieser in schüchternen, wenigen Worten bemerkte, wie dem Freunde wohl bekannt sein werde, daß er nicht geschickt, Räthsel zu lösen, hob des Senators Sohn schelmisch drohend den Finger und setzte fort: »Ja, Du, Du bist mir ein Schöner!« – und zu Vater und Bäschen gewandt: »Glaubt es mir, oder glaubt es nicht, gewiß ist es einmal: Der Dichter ist uns sehr nahe!« – »Uns?!« frug verwundert der alte Geuder und Minna's Auge fiel unwillkürlich auf Konrad, der glühenden Gesichts sich auf die goldgeränderte Tasse gebeugt hatte und seine Verlegenheit, so viel als möglich ihm, zu verbergen suchte.

»Doch nicht gar –«, sprach fragenden Tones der Senator weiter, indem er auf Konrad deutete. »Ih freilich!« bestätigte Siegmund nickend, »der Konrad ist der Dichter!« – »Ich!?« rief jetzt der wie mit Blut begossene Jüngling auf – »ich sollte – nein, Siegmund, Du irrst. Gewiß, mein Freund, Du irrst! Ich, ein armer Flaschnergeselle, ich und ein Dichter!« –

»Paperlapapp!« entgegnete Siegmund, »was wir wissen, wissen wir genau. Der Holzschuher hat's ergattert, der Serz hat ihm den Laufburschen des Felsecker zugebracht und ein Glas Braunes auf einen Schoppen Rothen hat vortrefflich Wirkung gethan. Abgemacht, wie ausgemacht! – Item: Am nächsten Sonntag ist Pfingsten; Tags darauf gehen Imhof, Holzschuher, Fürer und wir alle auf die Gritz, da gehst Du auch mit, Konrad, und da soll der Dichter leben, hoch und abermal hoch und nochmal hoch und das: »Bronder, wou bist Du denn g'steckt!« in den Mögeldorfer und Erlenstegener Wäldern wiedertönen, daß die alten Herren, Eichen und Buchen und Tannen benamset, gar sonderbar d'rein schauen sollen!« –

Vergebens war der Widerspruch Konrad's; vergebens, was er versuchte, gegen die Worte des Freundes geltend zu machen. Der alte Geuder, wie Minna, in deren Augen es aufleuchtete, gleich edelstem Stolz und höchster Wonne des Herzens, überzeugt, in Konrad den langgesuchten Dichter eines Liedes, das von einem Ende der Stadt zum andern erklang, gefunden zu haben, stimmten Siegmund unbedingt bei und fest beschlossen ward es, daß am zweiten Pfingstfeiertage Konrad an der »Partie« zur »Gritz« Theil nehmen müsse.

Und war er doch allerdings der Gesuchte! War er doch allerdings der Dichter, dessen Ersterzeugniß seiner Muse so unbedingte Gunst der Vaterstadt sich errungen. Johann Konrad Grübel, eben damals 22 Jahre alt und der einzige Sohn des wackern Harnischmachers und Flaschnermeisters Paul Grübel und dessen braver Hausfrau Magdalene, einer gebornen Rümlein, Jägerstochter von Georgsgmünd im Fränkischen Kreise, die ihn dem Gatten am 3. Juni 1736 geboren hatte. Schon in den Jahren der Schulpflichtigkeit hatte Konrad's Talent der Dichtkunst in einer Satire auf seinen Lehrer, Buchner hieß der Gestrenge, sich manifestirt; doch nur zum Schaden seines Rückens, der wochenlang die Spur des für seine Verse bezogenen Honorars zeigte, wodurch ihm die Muse ziemlich verleidet worden war, bis eben zu jenem Abend, von dessen verhängnißvoller Stunde wir Kunde gegeben und deren Zeuge Grübel selbst gewesen, wenn auch nicht, wie in dem Gedichte gesagt ist, mit seiner Liebsten, sondern nur mit einigen Freunden und Altersgenossen, bei welchen Siegmund von Geuder, der Jugendfreund Konrad's, nicht fehlte. Das Weichen der Tragbalken der Agnesbrücke und die schier komischen Scenen, welche dasselbe hervorgerufen, hatte in Grübel von Neuem die poetische Ader geweckt, ihn das Lied fertigen lassen, dessen wir bereits gedacht und sollte die Bahn ihm brechen, seinen Namen der Mit- und Nachwelt ehrenvollst zu wahren.

Nur wenige Häuser entfernt vom Grübel'schen, im Schießgraben, nahe der Insel Schütt gelegen, in dem auch Konrad bei seinem Vater das Flaschnergewerbe erlernte und um Ostern des Jahres 1753 zum Gesellen gesprochen wurde, wohnte Magister Seefried. Derselbe ertheilte dem Sohn des Senators von Geuder, gleichen Alters mit Konrad, Unterricht, deßgleichen dem, jedoch um einige Jahre jüngeren Bäschen, Wilhelmine Waldstromer, deren Eltern längst gestorben und welchem bei dem Vormunde, dem Senator, ein Asyl geworden war. Der Magister hatte den muntern und regsamen Sohn seines Nachbarn Grübel lieb gewonnen und seinem Ansuchen, wie den Bitten Siegmund's und Minna's nachgebend, hatte Geuder zugelassen, daß Konrad mit seinem Sohne und dem Mündel bei dem Magister die Lehrstunden theilte.

So waren die Dreie in seliger Freundschaft der Jugend aufgewachsen, und Siegmund, der den Stolz seines Vaters auf Adel und Namen nur sehr bedingt guthieß, liebte seinen Konrad innig und wahr.

Siegmund bezog die Universität Altdorf; Konrad, wie schon gedacht, lernte das Gewerbe seines Vaters, der mit nicht geringerem Stolze die Ehre des Bürgers wahrte als der Senator die seines Adels, und Minna blieb nach wie vor bei dem früh verwittibten Vormunde, den Haushalt desselben treuer Hand und kundigen Auges führend. Aber nur selten verging ein Sonntag oder Fest- und Feiertag, an dem Konrad zu Geuder nicht auf Besuch gekommen wäre und so mochte es leicht geschehen, daß allmählich die Freundschaft der Kinder, der Liebe der Jungfrau und des Jünglings wich, ohne daß sie in Reinheit ihres Herzens bis jetzt dessen nur irgend wie gedachten. Erst als Siegmund den Konrad für den Verfasser des auch Minna gar wohl bekannten Gedichts erklärte, als dessen Purpurwange, dessen Stottern und endliches Verstummen des Freundes Wort bestätigte und widerwillig sie sich gestand: Du fühlst Dich glücklich, weil Konrad der Dichter ist! da entfaltete sich die Knospe zur blühenden Rose und das Geheimniß des Herzens erschloß sich Minna zum schönsten Verständnisse! – Aber Rosen tragen Dornen und welken schnell und wir welken langsam! – Seliges Loos der Rose! –

Und als der alte Geuder, dessen Kern milder als die Schaale, Konrad die Hand schüttelte, wie er noch nie es gethan und ihn aufmunterte, doch fortzusetzen, was er so schön begonnen, und des Jünglings Auge das Minna's suchte und fand – da war auch ihm die schönste Stunde des Lebens und ihm bewußt geworden, daß er liebe, daß er geliebt werde! –

Es kam der zweite Pfingstfeiertag. Zu früher Morgenstunde wanderte sie hinaus zum Lauferthore, die frohe Schaar der Patriziersöhne Nürnbergs und in ihrer Mitte hatte sie den Dichter und Flaschnergesellen Konrad Grübel genommen und singend und fröhlich zog sie des Weges dahin. Und ihr nach, der heitern Jugend, fuhren sie heute, Väter und Mütter, mit Töchtern und Nichten, den Söhnen und Brüdern, nach auf die Gritz und unter ihnen auch der alte Geuder und neben ihm die schöne Waldstromerin. Und als sie nun droben auf waldiger Höhe saßen und tranken, kosten und scherzten, just wie noch heute, wenn am genannten Tage das Ziel der Nürnberger der Schmausenbuck ist, hatte Freund Siegmund, der wohl das stille Augenspiel Minnas und Konrad's bemerkt, es so schön zu ordnen verstanden, daß Beide neben einander Platz nahmen. Die Hände Konrad's und Minna's hielten sich gefaßt, Blick um Blick wechselte, und da es allgemach stiller ward und sie sich von den Uebrigen geschieden sahen – wie es gekommen, wußten sie selbst nicht sich zu sagen –, da gestand auch die Lippe sich zögernd, was längst sich das Herz vertraute und der süßeste Kuß – es war ja der erste – besiegelte ihren Bund. Sie liebten sich, deß' gedachten sie, eines andern nimmer! – Abends kehrten sie heim; er mit den Freunden, sie mit dem Vormunde. Vor den Carossen der Eltern her trugen die Söhne weithin leuchtende Fackeln, jetzt Altdorfs und des Rektor Magnificus gedenkend, das » Gaudeamus« anstimmend, dann frohe Weisen der Jugend und endlich Konrads neckische Verse singend. Der aber trennte sich von den Fröhlichen, in die Stadt gekommen, am Lauferplatze und wandte sich links hinab zum Schießgraben, einen Himmel in seiner Brust.

Nicht minder glücklich fühlte sich Minna. Beiden hatte erster Liebe, erster und reinster Liebe Wonne geflammt und Beide hofften vom Leben, was dieses hinieden wohl zu versprechen, aber nicht immer zu halten weiß. Beide täuschten sich, wie Tausende sich getäuscht vor ihnen, wie Tausende sich täuschten nach ihnen.

3.

Ein Jahr und darüber war die Liebe Konrads und Minnas Geheimniß geblieben. Der alte Senator von Geuder kümmerte sich wenig des Mündels. Siegmund, der Vertraute der Liebenden, suchte in den Augen der Pellers Meta, was Konrad in denen Mimms längst gefunden und war überdies viel zu gutherzig, dem Freunde den Genuß eines Glückes zu stören, das ihm bald selbst werden sollte. – So tagte der Morgen des Johannisfestes. Freundlicher Leser! Wenn Du im Monate Juni einmal nach Nürnberg kommen solltest und St. Johannisfest nahe wäre, versäume nicht, hinaus zum stillen Friedhöfe Sankt Johannis zu gehen und siehe Dir die Gräber an, die heute Liebe und Erinnerung mit den Blumen der Natur geschmückt und den Gottesacker zum freundlichen Garten des ewigen Friedens gewandelt haben. Kranz an Kranz, geweiht von der Wehmuth süßer Gedanken, liegt auf den Grabsteinen, unter denen so sanft ruhen sie, die Gott vor Dir zu sich berufen, und in ihrem Erschauen wirst Du wohl nimmer der Trennung gedenken, doch eines Wiedersehens droben in jenen Räumen, wo »jenem schönen, gläubigen Gefühle« gewiß Wort gehalten werden wird! –

Und wenn am Nachmittage um den alten Friedhof und längs des »Kirchenweges«, – wie sie ihn nennen, den Pfad, der zur letzten Ruhe uns führt, – Bude an Bude sich hebt und Nürnberger Tand und Nürnberger Naschwerk den jubelnden Kleinen geboten wird und die Bratwürste schmoren und die Ratsche kreischt und das Caroussel den Knaben und Mädchen stolze Pferde und sichere Wagensitze beut und drüben von den festlich geschmückten Wirthschaftsgärten her, von dem »heiligen Kreuz«, frohe Musik ertönt und ringsum Alles lustig und froh gesinnt, und dann ist hingegen drinnen im Kirchhof noch Leid und Klage und nasses Auge um das, das einst dem unsrigen entgegen gelächelt, und nun drunten im Grabe ist und geschlossen für immer. Und wenn in dem Augenblicke dort der Freude, hier des Schmerzes Erinnerungen Dir wach werden wollen, so sind das die Wirkungen des so eigenthümlichen Bildes! – Das läßt sich nicht so beschreiben, das läßt sich nicht so sagen – aber wenn Du im Monate Juni einmal nach Nürnberg kommen solltest, dann besuche auch St. Johannis Kirchweih, und Wehmuth und Freude wird Deine Brust erheben und den Tag wirst Du nicht zu den verlornen Deines Lebens zählen, an denen meinem Worte Du willfahrtest.

Auch heute besuchten Tausende und Tausende den St. Johannisfriedhos. Es wankte das Mütterchen den steilen Pfad herauf vom St. Sebastians-Spital und hin zu dem Grabe, in dem der Mann ihrer Liebe schläft; denn auch es hat einst geliebt, wie die blasse Jungfrau, die jetzt entsagend neben ihm den Kranz niederlegt, der dem zu früh geschiedenen Geliebten gewidmet ist; es benetzte mit Thränen der Liebe und der Verlassenheit die treue Gattin die Ruhestätte des Gatten, der vor kaum einigen Monaten heimgegangen, der Welt zurückgelassen, was ihm theuer gewesen; und als das Knäbchen neben ihr nach dem Vater frug, und frug, warum denn Mütterlein weine, preßte sie es an sich, wie auch das gar ernst dreinschauende zwölfjährige Mädchen, das recht wohl weiß, warum die Mutter weint, – und weint noch mehr.

Es steht der Gatte am Grabe der Lebensgefährtin und die Thräne quillt aus dem Auge und er fühlt, daß er und die neben ihm stehen und ihn Vater nennen, viel verloren an ihr, deren Grab er heute Morgen mit Blumen geziert. Es beweinen Kinder die Eltern und Eltern den früh entschlafenen Sohn, die zu bald geschiedene Tochter.

So ist es aber auch noch in unsern Tagen am St. Johannisfeste zu Nürnberg draußen auf dem stillen Friedhofe; so war es damals schon, als hinter der Kapelle derer von Holzschuher jetzt eine Jungfrau vorüber an einen Jüngling huschte, ein Zettelchen ihm in die Hand drückte und schnell sich wieder unter den nicht weit entfernten Freundinnen verlor, die vor dem Wandgemälde standen, das dem Andenken des im Jahre 1696 bei dem Brande der Egydienkirche zu Nürnberg verunglückten Lehrjungen des Meßners auf dem Friedhöfe errichtet war.

Der Jüngling aber schlich seitwärts, entrollte das Zettelchen und las, die Handzüge der Geliebten zum erstenmale erschauend: »Bis halb neun Uhr Abends hinter'm Tetzel. Ich besuche Pellers Meta.« – Die Wonne des Himmels spiegelte sich in den treublauen Augen des Jünglings. – War doch zum erstenmale es, daß seine Minna ein Stelldichein ihm gewährte; hatte er doch seit vier Wochen sie nicht mehr gesprochen, ja selbst sie nicht mehr gesehen, weil sie zu Heroldsberg auf Geuders Schloß geweilt! –

Er wußte sich aber auch schier gar nicht mehr zu fassen, recitirte den Freunden, denen er sich wieder beigesellt, ganze Stellen seines vor Kurzem erst veröffentlichten zweiten Gedichts: »Das Kränzlein«, das er nach langem Zögern und Bangen hatte drucken lassen, und als Siegmund von Geuder ihn liebevoll, der finstere Ernst von Eglofstein dagegen spottend ihn ob der Ursache solche plötzlicher Freude befragten, tanzte er, lustig die Finger schnalzend, des Weges dahin und sang, um die Freunde irre zu führen:

»Lusti weil mer liedi senn,
Es werd uns scho vergöih,
Wenn dreie in der Wöig'n senn
Und 's vört' ko nonni stöih!«


Doch von dem Zettelchen Minnas sagte Konrad Grübel Keinem – auch nicht seinem Geuder.

4.

Schon seit acht Uhr Abends beging Konrad den Weg vom Paniersberg herab, hinterm Tetzel und bis zur Dielinggasse einmal und wieder und zum dritten und viertenmale. Bereits war es dunkel geworden und nahe dreiviertel auf Neun, als ein leises Rufen hinter ihm ihn veranlaßte, umzuschauen. Es war Minna, die von Pellers Meta kam. Wohl mußte es Wichtiges sein, das sie, die sittsame Jungfrau, weibliche Scheu so sehr vergessen hatte, lassen können, den Geliebten aufzusuchen draußen auf dem Friedhofe, wo sie, durch Siegmund es erfahrend, allerdings voraussetzen durfte, ihn zu finden, ihn selbst zu einem Stelldichein auf offener Straße einzuladen. Und Wichtiges war es auch, das alle Rücksicht sie hintansetzen ließ, um den Geliebten zu vertrauen, was bange sie beschwerte! – Entzückt trat Konrad ihr entgegen. Doch nicht wie sonst weilte ihr Auge mit der Wonne der Liebe auf seinen Zügen. Es lag ein düsterer Ernst in dem Antlitz, es lag wie finstere Ahnung in ihm. Konrad erschrak und frug mit der Stimme der zärtlichsten Besorgniß: »Was ist Dir, Minna? Sprich, um Gotteswillen, sprich! – Traf Dich ein Weh? Oder belastet Unglück Dich? –«

»Kann ich unglücklich sein, wenn Du mir nah?« flüsterte sie mehr als sie sprach, einen Blick der Liebe ihm zuwerfend, hing sich an seinen Arm und ging schweigend mit ihm dahin, seine weiteren ängstlichen Fragen nur einsilbig beantwortend.

So durchgingen sie langsamen Schrittes die Bindergasse, hinauf den Dielinghof, wieder herab hinterm Tetzel, jetzt durch ein schmales Gäßchen in ein zweites kommend, das an dem Burgberg und nächst dem Predigerkloster sich befindet. In diesem blieb Minna stehen. Sie nahm die Hände Konrads, hielt sie fest in den ihren, blickte ihn lange thränenden Auges an und brach in die Worte aus: »Liebster Konrad! Ich glaube, daß unsere schönsten Tage gewesen sind. Mein Vormund hat mich zur Gattin dem Eglofstein bestimmt. Derselbe war heute vor acht Tagen bei uns draußen auf dem Schloß. – Erschrecke nicht Konrad, zürne mir nicht, ich konnte ja nicht anders: Ich werde die Verlobte Eglofsteins! – Nun weißt Du Alles!« – Und an seine Brust warf sie sich und ihr liebliches Gesichtchen barg sie an ihr und von seinem Arm umschlungen, weinte sie heiß und weinte sie bitterlich!

Konrad war nicht vermögend, auch nur ein Wort zu sagen. Es war ihm, als ob seine Kehle zugeschnürt sei. Endlich löste er sanft Minna aus seiner Umarmung. Noch fanden sich in einem Kuße, in einem glühenden Kuße der Liebe die Lippen Beider, und stillschweigend deutete er zum dunkeln Himmel auf, an dem die Sterne erglänzten und eben des Mondes volles Licht sich erhob.

Minna wußte, was der Geliebte sagen wollte, doch auch selbst sie hatte keine Worte. Nun gingen sie hinab den Burgberg, an der St. Sebalduskirche vorüber und gedachten an der Ecke der »Füll«, sich zu trennen.

»Ich werde Dich wieder sehen Minna,« sagte jetzt Konrad, eben als sie in der Mitte der Straße, und in dem Tone seiner Stimme lag etwas, das wie Hoffnung klang. Doch ehe Minna antworten konnte, deuchte es ihr, als ob an ihnen vorbei der alte Senator von Geuder, in dunklem Regenmantel gehüllt, schreite. Schreckerfüllt blieb sie stehen und deutete auf die Gestalt, deren Auge ihren Blicken folgte, den Arm Konrads fest erfassend. Sie hatte richtig gesehen. Es war der Vormund, der zweifelsohne auch sie erkannt hatte. Er sperrte das Haus auf und verschwand in ihm. »Nun ist Alles verloren!« jammerte Minna, drückte die Hand Konrads in unsäglichem Weh und blickte in Thränen zu ihm empor. –

»Noch lebt ja der alte gute Gott. Ist es sein Wille, ist nichts verloren, Minna!« entgegnete dieser. »Komm', Minna, ich habe noch Einiges mit Dir zu reden. Es ist ja doch entdeckt! Erkannt hat er uns gewiß. Unsere Liebe, die so lange Geheimniß, sollte nicht länger verborgen bleiben. Komm, meine Liebste!« – Willenlos nahm sie von Neuem seinen Arm und folgte.

Sie gingen die Füllstraße zurück, den Milchmarkt hinauf, vorbei am Hause des Meisters Dürer, in dem auch ein Herz geschlagen, das seiner Liebe entsagen mußte, und schritten langsam die Zisselgasse hinunter.

Konrad sprach viel von seinen Hoffnungen, von seinen Plänen. Minna war nicht reich; sie liebte ihn und der Unterschied des Standes war ihr keiner. Er hielt nicht minder in der Ehre des bürgerlichen sich, als der Senator von Geuder sich in dem des Adels. Zudem war dieser nicht Vater Minnas, nur Vormund. Konrad hoffte viel, er hoffte Alles.

 

Gern theilte Minna das Glück seiner Träume, wie seiner Hoffnungen; sie gab zu, daß er wohl thue, andern Tags zu Herrn von Geuder zu gehen und offen um ihre Hand zu werben; mit Freuden wollte sie das Nichtige des Namens von sich streifen, um ihm zu gehören, denn daß sie ihn liebte und einzig nur ihn, ja, daß sie in seltener Stärke des Gefühls ihn liebte, das ward ihr klar, jetzt, als die Stunde des Scheidens ihr drohte. Doch – ihm verschwieg sie es – sie selbst hoffte nichts! – Sie kannte den Vormund, sie kannte seinen Ahnenstolz und nicht fremd war ihr seine Hartnäckigkeit bei einmal Beschlossenem. Sie ahnte, daß Konrad mit dem letzten Kusse, für heute Abend, wie er vermeinte, von ihr schied, daß auch der letzte Kuß seiner Liebe ihr geworden sei. Noch einmal preßte sie in voller Liebe ihn an ihr Herz, noch einmal suchten und fanden ihre Lippen die seinigen – es sollte ja für das ganze Leben sein! – Dann hielt sie das Taschentuch vor die Augen, winkte stummen Abschied ihm und während er, von den Fittichen der Hoffnung getragen, hinunter am »rothen Roß« eilte, über den »Weinmarkt«, am »schönen Brunnen« vorbei und durch die »neue Gasse« heim in die elterliche Wohnung, trat sie ein in das Haus ihres Vormundes, entsagend dem Glücke ihres Lebens und ihrer Liebe. –

Als am andern Tage Konrad festtäglich gekleidet, den Eltern, die darob gar sonderbar dreinschauten, geheimnißvoll und schelmisch bemerkte:

»Nur noch ein bischen Geduld, guter Vater, wie Du, liebe Mutter, bald sollt Ihr Alles erfahren und erfahren, wie glücklich Euer Konrad ist!« schüttelte der alte Grübel zwar gewaltig das weiße Haupt, doch schwieg er und begnügte sich, ein »Gott sei mit Dir!« dem braven Sohne nachzurufen, der bereits das Haus verlassen hatte und nun fast denselben Weg dahin ging, den er gestern Abend durchschritten.

Bald stand er an dem Hause des Senators.

Er zog die Klingel und in demselben Augenblicke schien rein ihm Alles entschwunden, was er bis jetzt gedacht, Geuder sagen zu wollen. Wenn nicht der schrilltönende Klang der Schelle ihm gekündet hätte, daß nun geschehen, was zu erstreben er doch eigentlich gekommen, er wäre vielleicht selbst wieder umgekehrt und hätte zuvor draußen auf St. Johannis hinter der Holzschuher-Kapelle, wo sie den Zettel ihm in die Hand gedrückt, sich Muth geholt. Es war zu spät. Die Thüre öffnete sich und ein ihm wohlbekannter, alter und vieljähriger Diener Geuders trat ihm entgegen. Kaum vermochte er über die Lippen zu bringen: »Ich wünschte den verehrten Herrn Senator von Geuder –«.

»Ah, Sie, Herr Grübel!« fiel ihm der Diener ein, dem auch er nicht unbekannt war, »für Sie hab' ich einen Brief des gnädigen Herrn, den ich Ihnen geben sollte, wenn innerhalb 8 Tagen Sie zu uns kommen würden; nach dieser Zeit sollte ich Ihnen denselben zubringen. Warten Sie doch ein klein wenig!« – Der Alte entfernte sich schnell und ließ Konrad allein. Diesem überkam es wie schlimme Ahnung. Was hat nur der Senator mir zu schreiben und nicht zu sagen? dachte er. Beängstigend stille war es im Hause; es deuchte ihm wie im Grabe. War's doch die Stelle des Grabes seines Glückes!

Da kam der Diener zurück.

Er behändigte ihm ein großes Schreiben.

»Kann ich denn aber nicht den Herrn Senator selbst sprechen?« gewann jetzt Konrad über sich, zu fragen.

»Ja, der gnädige Herr ist heute Morgen in aller Frühe auf sein Gut nach Heroldsberg gefahren und kommt zurück, er wisse selbst nicht wann, hat er gesagt.« – Konrad schwindelte. Er mußte den Pfosten am Aufgang der Treppe fassen, um nicht zu stürzen.

»Und Fräulein Minna und Siegmund?!«

»Sind Beide mit ihm fort!« antwortete der Diener. Dem Konrad ward es, als ob die Decke des Hausflurs über ihn herabfallen müsse. »Weiß nicht, was gestern Abend noch gewesen! – Der gnädige Herr polterte und schrie gewaltig, das Fräulein hörte ich weinen und schluchzen, den lieben Junker bitten und flehen, – und heute früh, kaum graute der Tag, stand die Reisekutsche bereit und fort find sie!« –

Konrad wankte zum Hause hinaus, geleitet von den theilnehmenden Blicken des Dieners. Er fühlte, daß seine Lebensblüthen gebrochen, und dahin, was Glück ihm gewesen.

An der treuen Vaterbrust weinte er jetzt und Thränen linderten des Herzens Weh. Die frommen Eltern, denen er alles offenbarte, suchten zu trösten; helfen konnten sie ja doch nicht. Endlich öffnete der Vater das Schreiben. Es waren harte, sehr harte Worte des Senators. Sie drohten ihm mit Anzeige bei Gericht, wenn er noch einmal wagen werde, dem Freifräulein Wilhelmine von Waldstromer sich zu nähern. Der Stolz des beleidigten Patriziers und Senators hatte die Worte diktirt und ließen sie Konrad nur zu sehr erkennen, daß eine Verbindung von Bürger und Adel nicht so leicht stattfinde und Name doch mehr als Schall und Rauch! – –

Der Arme war vernichtet. –

Einige Wochen trug er still sein Leid. Er wollte sich überreden, daß Minna ihn nicht mehr liebe, ja nie ihn geliebt habe, sonst müsse sie, vermeinte er, ihm wenigstens schreiben, zu ihm kommen, mit ihm entfliehen wollen und was noch mehr dergleichen Träume der Jugend, darob das Alter lächelt, vergessend, daß auch es einstens gleich ihr geträumt habe.

Konrad blieb freilich damals noch lange unbekannt, bis ein ehemaliger Diener Geuders ihm Mittheilung davon machte, wohl erst, als längst es zu spät geworden war, daß Minna wirklich ihm geschrieben, daß aber die Briefe auf Veranlassung des Vormunds stets in dessen Hand gelangten; daß ein Falscher die Schrift Konrads nachahmte und durch trügende Korrespondenz versucht wurde, Minna glauben zu machen, Konrad sei ihr untreu geworden. Man hat ja so viele Mittel, solche Arme zu bedrängen, die Armen keines als Verzweiflung! –

Minna sah die Worte, die Konrad geschrieben haben sollte, aber sie glaubte nicht diesen Worten; sie kannte das treue Gemüth ihres Geliebten besser. Doch war sie Vieles dem Vormunde schuldig: Erziehung, Bildung und gewissenhafteste Verwaltung des unbedeutenden Vermögens ihrer Eltern und zu dem allen stand sie allein in der Welt. –-

Als der Herbst sich näherte und die Blumen welkten und das Laub sich färbte, vermochte Konrad es nicht mehr zu ertragen. Eines Morgens – es war ein Sonntag, ging er hinaus zum Lauferthore, wandte sich links und schritt die Landstraße hin gegen den Wald, jenseits dessen das Gut derer von Geuder, das Pfarrdorf Heroldsberg liegt.

Eben läuteten sie zur Kirche, als Konrad aus dem Walde trat. Er war müde, sehr müde geworden. Er setzte sich in die Wirthsstube »zum Bären«, am Eingänge des Dorfes und zunächst der Straße gelegen. Jetzt frug er sich erst, was er denn eigentlich hier wolle. Sie sehen, einmal noch, zum letztenmale und dann wieder heim und vergessen oder doch zu vergessen suchen! –

Da klangen von Neuem der Kirche Glocken und Schießen aus Flinten und Pistolen begann zur Rechten und Linken. Konrad horchte einen Augenblick auf und sank dann wieder zurück in seine Träume. Nach einer Weile traten einige Bauernbursche jubelnd und jauchzend in die Stube. Sie setzten sich dicht neben Konrad und sprachen von einer soeben stattgehabten Trauung. »Da schlag' das Wetter drein!« sagte jetzt der Eine, »für so eine Braut bedanke ich mich! – Wenn ich und meine Liese einmal vor dem Herrn Pfarrer stehen, die macht's nicht so zimperlich mit ihrem »Ja!« und schaut Euch gewiß nicht so aus wie Die! – Da meint man ja wahrhaftig, die wollte in's Grab, statt –« »Ei, was verstehst Du von der Geschichte?« fiel jetzt ein anderer ein: »Ein Fräulein aus der Stadt und Deine Liese ist zweierlei!« – »Ja,« setzte ein Dritter fort, »da hat der Michel recht; und wenn sie erst Den nicht mag, den sie heirathet, dann ist's bald Mathäi am Letzten. Sie sagen ja, das Fräulein Minna habe einen Stadtherrn gern, der aber unserm gnädigen Herrn Baron nicht vornehm genug gewesen sei, und da habe sie halt den Eglofstein heirathen müssen!« –

Konrad hörte nichts mehr; es summte ihm vor den Ohren. Er stürzte hinaus und vor auf die Landstraße und hinein in den Wald wieder gen Nürnberg und da, wo es am finstersten und dichtesten im Walde, warf er sich nieder und weinte, wie damals er weinte, als er zum erstenmale erfahren, daß unser Leben ein großes Räthsel und jenseits einzig dessen Lösung ist.

Lange, lange blieb er liegen. Erst als es Abend wurde und der Mond und die Sterne aufzogen, just wie sie aufgezogen, als Minna im Gäßchen am Predigerkloster zu ihm gesagt: »Liebster Konrad, ich glaube, daß unsere schönsten Tage gewesen sind!«, raffte er sich zusammen und schlich heim in das väterliche Haus am Schießgraben und nahm seine Flöte und blies ein altes, altes Lied. Das hatte Minna am Klavier gesungen und er begleitet mit der Flöte in den Tagen, die Beiden ihre schönsten gewesen.

Draußen zu Heroldsberg aber war an jenem Abend und in der Nacht hell und festlich das Schloß erleuchtet – man beging ja das Fest der Trauung des Freiherrn Ernst von Eglofstein mit Fräulein Wilhelmine von Waldstromer.

5.

Wieder schwand ein Jahr. Konrad sah Minna von Eglofstein in dieser Zeit nur einmal; an einem Abend bei dem Verlassen der Sebalduskirche begegneten sie sich. Ein Blick war's nur, den sie getauscht, doch mit ihm tauschten sie auch Schmerz um Schmerz und Leid um Leid! – Ihr zur Seite war der Gemahl. Auch er hatte Konrad erblickt; auch er, wie Minna, ihn erkannt. Dem Auge des Freiherrn entschoß es wie Blitze! –

Eines Tages sitzt Konrad in der Werkstatt ruhig arbeitend. Der alte Vater liest den »Deutschen ordinari Friedens- und Kriegskurier«. Nun gibt er ihn seinem Sohne und deutet auf eine Stelle des Blattes. Der Freiherr Ernst von Eglofstein zeigte den Tod seiner »innigstgeliebten Gattin Frau Wilhelmine von Eglofstein, geborne von Waldstromer« den »lieben Verwandten, Freunden und Bekannten« an.

Stillschweigend beobachtete der alte Grübel seinen Sohn. Der aber las, las wieder und las zum drittenmale; darauf legte er den Hammer und Löthkolben beiseite, ging hinauf in seine Kammer und ward erst am späten Abende wieder gesehen, als er das Haus verließ und hinaus, um »das Garausläuten«, vor das Lauferchor schweigend schritt. Da wohnte der von Eglofstein in einem Garten. Konrad hatte richtig gerechnet. Am 20. Juni war Minna gestorben – heute, – am 22. – es war Montag und Johanniskirchweih – mußte sie begraben werden.

Als er angekommen in der Nähe ihrer Wohnung, trugen sie eben den Sarg auf den Leichenwagen, der in dem geöffneten Hausflur stand, und banden ihn fest. Drauf stellten sich Fackelträger und Einspänner um ihn und langsam ging es auf die Straße gen Heroldsberg, die Verstorbene beizusetzen in die Familiengruft derer von Geuder.

Konrad folgte dem Wagen; er folgte ihm weit, weit hinein in den Wald. Dann blieb er stehen, sah Fackeln und Sarg immer mehr von sich entfernen, rief noch ein letztes »Gott befohlen, Minna!« der Todten nach, deren letzter Gedanke Gott und Konrad gewesen, und wandte sich wieder heimwärts. Der Gatte Minnas führte nach Jahr und Tag eine Ebner heim und Minna war bald vergessen. Nicht von Konrad, nimmer von Konrad! –

Dreizehn Jahre kamen und gingen. Konrad stand ganz vereinsamt in der Welt. Vater und Mutter waren gestorben, er war längst Meister und über 37 Jahre alt geworden. Da gedachte er endlich auch daran, sich zu verheirathen. Ob er liebte, ob man ihn liebte – wer weiß es?! – Er allein! –

Bei einer Reparatur der Thürme von St. Sebald hatte er die Tochter des dortigen Meßners, Anna Maria Giebel, kennen gelernt. Man hatte ihn oft, ernstlich und scherzweise befragt, ob er denn als Hagestolz sterben wolle? In manchem seiner Gedichte, deren er nach dem Tode Minnas mehr und mehr veröffentlichte – gab doch Musik und Poesie ihm einzig Vergessen seines Leides, wenn auch für Stunden nur – findet sich hierüber Anspielung. So wollte er dem ewigen Fragen einmal ein Ziel setzen.

Er heirathete die Meßnerstochter von St. Sebald. Sie lebten lange mit einander und Grübel wurde Vater von neun Kindern, von denen aber eines um das andere wieder starb. Zuletzt ging auch die Mutter der Kinder ihm voran in das Land, wo Minna weilte.

Wie Grübel gelebt, einsam, so sollte er sterben, denn man kann einsam leben, wenn auch immer unter Menschen. Ob übrigens er mit Der, die er heimgeführt, glücklich lebte? – Die Strophe seines Gedichts: »Das Christkindlein«: »Und thät ih ihr'n (der Frau) Will'n nit, su wär im ganz'n Haus ka Fried'!« soll nach einem seiner Biographen nur Scherz sein, und auch ein Scherz, was verbürgt ist, daß er die Gattin nie anders als »Minna« nannte. –

Er überlebte, wie schon gedacht, Weib und Kinder, Gram des Herzens und Täuschung des Lebens lödten allein nicht. Wenn nur die Nerven fest und fest die Muskeln, wenn nur der Körper gesund, des Herzens Weh bricht ihn nicht! – Nur manchmal, am zweiten Pfingstfeiertage, oder am Tage der Johanniskirchweihe, die er nie mehr besuchte, wie nimmer er den Freund seiner Jugend, Siegmund von Geuder, suchte, so wenig, als dieser ihn; oder wenn es Herbst ward und die Blumen welkten und das Laub sich färbte, da nahm er die Zither oder die Flöte und spielte oder blies ein Lied, und frug ihn seine »Minna«, was das für ein Lied, frug er zurück, ob sie denn nicht mehr wisse, wie am Klavier sie es gesungen und er mit der Flöte sie begleitet – aber die Meßnerstochter von St. Sebald, der Klavier und Gesang fremd gebliebene Dinge, schüttelte den Kopf und sagte: »Du hast halt einmal wieder Deine Mucken!« Dann schaute er sie an, dann lächelte er so mild, so liebevoll und gedachte Minnas und anderer Tage! – Oder es faßte ihn auch mit unheimlicher Gewalt; dann eilte er hinauf in die Kammer und rasselte auf seiner Trommel bis zu dem wildesten Fortissimo, da er nicht nur trefflicher Flötenbläser war und Zither zu spielen wußte, sondern auch ein gar wackerer Trommelschläger. Und wenn die Schlägel der müden Hand entsanken, war auch er wieder ruhig geworden.

So ward er 73 Jahre alt. Am 12. März 1809 begruben sie bei St. Johannis den lebenssatten Greis, setzten einen Stein auf sein Grab, auf welchem die Nummer 200 eingemeiselt ist. Unter ihm schläft unser Konrad bis auf's Wiedersehen mit Minna.

6.

Und ob sie wahr, diese Erzählung? – ob sie nicht nur ein Gemälde der Phantasie des Dichters? Lese doch, Zweifler, die sämmtlichen Gedichte Grübel's. Aus dem Leben des Volkes Nürnbergs sind sie alle genommen. Es sind viele darunter, die komisch, soweit das Leben komisch – suche aber ein Gedicht der Niedrigkeit und rohen Posse, – Du wirst keines finden und – lieber Gott! man kann recht wohl komisch dichten, so recht aus dem Herzen und dennoch in der Hoffnung seines Lebens sich getäuscht finden und – das ist die Hauptsache – es fühlen. Das kann Niedrigkeit des Gemüthes nicht. Sie hat keine Hoffnung, sie hat keine Träume; sie fühlt nicht des Herzens Weh, und ihre Lust ist nicht des Herzens Lust; sie ist ein wilder Taumel der Sinne.

Und wenn Du wohl komische Gedichte Grübels, doch kein anstößiges gefunden haben wirst, dann lese das Gedicht: »An meine Zither«, das »An den Mai«, das, betitelt: »Alte Liebe rostet nicht«; lese den »Käfer«, die »Veränderung der Zeiten«, in welcher er sagt:

»Jeder glabt, ner er mouß trog'n,
Su viel trökt ka Mensch als er!
Wüßt' Du's ner, wos andri Mensch'n klog'n,
Tausend sen, döi trog'n doppelt schwer!«

»Und wenn in der Läng' der Zeit'n,
Werd des Härt'st amoal vergess'n sei,
G'wohnt mer's halt ah su von Weit'n,
Und lernt si geduldi geb'n drei.«

Und in jedem der Bezeichneten spricht sich ein Leben aus, dem nicht der Rosen, doch wohl der Dornen viele geworden, solcher, die nach Innen graben, – verborgene Wunden aber sind ja die gefährlichsten! Grübel genoß Ehre und Auszeichnung: er war Gewerbsvorgeher, Stadt- und Rathflaschner und in den letzten Jahren seines Lebens Mitglied des »Pegnesischen Blumenordens« – äußerer Glanz deckt oft ein krankes Herz. Und aus diesem Grunde halte ich nicht für zu viel gewagt, dem steinalten Pfründner von St. Sebastian, den ich vor einigen Jahren im »Riesenschritte«, dem Wirthshause in der Nähe des Johanniskirchhofs, getroffen, ein gläubiges Ohr geliehen zu haben.

Ich war von dem Besuche des Grabes Nr. 200 zurückgekehrt und erzählte hiervon diesem Greise. So kamen wir auf Grübel zu sprechen. Er hatte, wohl der letzte der ehemaligen Stadtknechte und Einspänniger, den Dichter des »Kränzleins« noch recht gut gekannt, und wußte sich, obschon an achtzig Jahre auf ihm lasteten, noch genau des Gerüchts erinnern, das in den Tagen seiner Jugend im vertrauten Freundeskreise umlief und von der Liebe Grübels zu einem »Gschlechters-Fräul'n« sprach.

Möge nun meinen Worten der Glauben beigemessen werden, den ich dem Worte des alten Nürnberger Stadtknechtes beimaß, oder mit ungläubig verächtlichem Sinne die Geschichte des Herzens des ersten Volksdichters Nürnbergs apodiktisch in das Gebiet der Sage verwiesen werden – auch in diesem bleibt sie immer eine wehmüthig-liebliche Erinnerung und wird vielleicht, mit neuen Farben aufgefrischt, nicht ungern dem Staube der Vergangenheit entzogen gesehen werden.


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