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Mittelfränkische Sage.
(1632.)
Von G. Winter.
Schon dreizehn Jahre hatte der wilde Krieg, entsprungen durch die Unduldsamkeit der Bekenner des Glaubens Christi, dessen erstes Gebot Liebe ist, gedauert. Wohl nur wenige Gaue Deutschlands konnten sich der Sicherheit erfreuen, fast alle hatten ebenso von den Drangsalen der schweren Zeit ausgestanden, wie das Nürnbergische Gebiet. Zwar war das kaiserliche Heer unter Altringer, aus Italien nach Deutschland marschirend, um den Helden von Mitternacht, den Schwedenkönig Gustav Adolf, zu bekriegen, mehrere tausend Mann Reiter und Fußvolk stark, im Gebiete der Reichsstadt eingerückt, hatte sich's um die Stadt herum und in den sie umgebenden Dörfern, Weilern und Herrensitzen auf Kosten der rechtmäßigen Eigenthümer sehr bequem gemacht und sich mancherlei Gewallthätigkeiten erlaubt, war jedoch bald wieder abgezogen, nachdem Nürnberg große Geldopfer gebracht hatte, der ungebetenen und beschwerlichen Gäste sich zu entledigen. Zwar war kurz darauf der gefürchtete Tilly mit seiner Armee angelangt, die des Altringers
entartete Soldateska noch überbot, doch auch diese Prüfung ging nach einigen Wochen vorüber, da die Truppen nach dem von Schweden besetzten Bamberg zogen, um es diesen zu entreißen. Schon glaubten die Bewohner der Dörfer und kleineren Orte, die den Turbationen der Soldaten am Meisten ausgesetzt waren, freier aufathmen zu dürfen, als die gewitterschwangere Wolke sich über ihren Häuptern entlud.
Im März des Jahres 1632 langten die Schweden unter ihres Königs eigener Führung in Nürnberg an und zogen, nachdem sie die Stadt hinlänglich befestigt hatten, um vor feindlicher Eroberung gesichert zu sein, nach Donauwörth, den Krieg in das Herz Bayerns zu tragen. Alsbald aber führte Wallenstein, der den gefährlichen Gegner entfernt wußte, ein starkes Heer gegen Nürnberg, um der protestantischen Stadt Magdeburgs Schicksal zu bereiten. Allein als Gustav Adolf dieses Vorhabens inne wurde, rückte er rasch aus München über Augsburg heran und bezog vor Nürnberg ein festverschanztes Lager; kurz darauf erschien auch der Friedländer mit 60 000 Mann und setzte sich mit seiner Armee zwischen Altenberg und Zirndorf fest. So lagen beide Heere sich gegenüber, wie zwei Tiger, jeder die Tatzen des Gegners fürchtend, ihn belauernd und selbst immer bereit, den für den Gegner tödtlichen Sprung auf diesen zu wagen.
Anfangs kam es nur zu kleinen Scharmützeln und Plänkeleien, aber als gegen Ende des Augustmonats unter Bernhard von Weimar Verstärkung für den Schwedenkönig ankam, die dessen Streitmacht auf 50 000 Krieger erhöhte, ungerechnet 10 000 kampffähiger Nürnberger, die jeden Augenblick bereit waren, die schwedischen Waffen zu unterstützen, da beschloß Gustav Adolf, den Entscheidungskampf zu wagen, – obgleich auch der Wallenstein noch mehr Truppen an sich gezogen hatte und ihm mit 80 000 Mann schlagfertig gegenüber stand –, um so mehr, als in natürlicher Folge des Zusammentreffens solcher Menschenmassen und der schlechten Nahrungsmittel ansteckende Seuchen, gefährlicher als das Schwert des Feindes, unter den Truppen zu wüthen begannen. Gustav Adolf schlug die Mordschlacht bei der alten Veste nächst Zirndorf; zwar fielen dieser Tausende zum Opfer, aber auf keine Seite neigte sich der Gewinn und die beiden Gegner blieben auch nach dieser Schlacht lauernd einander gegenüber, jeder in der Erwartung, durch starrsinniges Ausharren den Feind zum Aufbruche zu nöthigen.
Mit jedem Tage schmolz der Vorrath von Lebensmitteln, wuchs das Drangsal des Hungers und mit ihm die Verwilderung des Soldaten, dessen thierischer Raubsucht das Landvolk rings umher zum Opfer wurde. Das erbarmte den König von Schweden. Nachdem er die Stadt Nürnberg mit hinlänglicher Besatzung versehen wußte, überließ er dem Feinde das Feld, brach sein Lager ab und marschirte mit klingendem Spiele und wehenden Fahnen an den Gezelten des Feindes vorüber, der den Abzug nicht hinderte, und 5 Tage darauf, nach erfolgtem Abbruch, auch sein Lager den Flammen übergab und nach Forchheim marschirte.
20 000 Schweden ließen ihr Leben auf Nürnbergischem Gebiete. Wallenstein's Verluste mochten nicht viel weniger zählen. Zertreten lagen die Felder, die Dörfer in Asche, das ausgeplünderte Landvolk verschmachtete auf den Straßen, die Modergerüche der verwesenden Leichname verpesteten die Luft und dazu brütete die Gluth der Hundstage schreckliche Seuchen aus. Zu dieser ernstlichen Noth kam noch die Auflösung aller Ordnung; Streifschaaren von Schweden und Oesterreichern durchzogen die Gegend, sie dienten in keinem Heere, sie lebten auf eigne Faust und der Landmann zitterte vor jeder Kriegerschaar, gleichviel, welche Farbe sie trug. Freund oder Feind war jetzt einerlei, von beiden wurden die Einwohner beraubt und mißhandelt. Die Menschen waren auf einer beständigen Flucht, wohl zehnmal des Tages verliefen oder verkrochen sie sich, aber selbst die Wälder gewährten keine Sicherheit mehr, denn die Krieger fingen an, sie mit Hunden zu durchhetzen, um ihre Opfer aufzuspüren. Die wenigen, die noch in dumpfer Verzweiflung, und den Verlust des nackten Lebens mehr hoffend als fürchtend, in ihren jammervollen Wohnungen blieben, oft auch durch Siechthum darin festgehalten wurden, sahen Schattengestalten und Gespenstern ähnlicher als dem Ebenbilde Gottes. Im ganzen Amte Neustadt blieben 32 Mann am Leben, ja in Langenzenn nur ein einziger Mann.
Auch das zunächst dem Städtchen Lauf gelegene Pfarrdorf Rückersdorf war den Drangsalen des Krieges nicht entgangen, auch in ihm waren wenige der sonst so freundlichen und wohnlichen Häuser, welche nicht die Spuren der Verwüstung getragen hätten, und der kleine Kirchhof hatte seit Jahren nicht den Zuwachs an schlichten Holzkreuzen gehabt, als in den letzten Monaten. Umsonst bemühte sich Magister Samuel, des Oertleins wackerer Pfarrherr, durch die Tröstungen des Glaubens die Einwohner aufrecht zu erhalten, der Drang der Zeit löste die Bande des Gottvertrauens und von Tag zu Tag wurde das Dörflein stiller und stiller; denn größere Orte boten doch noch immer einen leidlichen Schutz und so wanderte dahin aus, wem zur Fristung seines jammervollen Lebens an einem fremden Orte nur noch die entfernteste Aussicht durch einen dort wohnenden Freund oder Verwandten blieb.
Der Pfarrer war ein würdiger Diener des Herrn; er labte die Kranken mit Wein und den kargen Bissen, welche ihn die in besserer Zeit aufgesparten Vorräthe, die trotz der unzähligen Einquartierungen wie durch ein Wunder im sicheren Versteck den Spürnasen des Feindes entgangen waren, mitzutheilen gestatteten und darbte sich das Nöthige ab, um die der Pflege Bedürftigen, und fast waren es Alle, zu erquicken. Aber sie siechten immer mehr und mehr dahin und der Magister konnte berechnen, daß der nächste Gottesdienst nur noch wenige Häupter der Gemeinde um ihn versammeln würde.
Da kam an einem Sonnabend ein Trupp österreichischer Marodeurs in das Dorf und vor die Schenke, die den gastlich grünen Kranz schon längst nicht mehr mit Fug und Recht aufgepflanzt trug; ihre Forderungen zu befriedigen war nicht möglich und da sie nicht die Schlimmsten waren, so wollten sie gegen ein Dutzend Bauern, welche die Verzweiflung zum Aeußersten hätte treiben können, den Kampf auch nicht wagen. Sie bezahlten die empfangenen wenigen Bissen trockenen Brodes und reichten den hohlwangigen Bewohnern des Dorfes die wohlgefüllten Feldflaschen. Der Geist des gebrannten Wassers wirkte schnell auf die jedes kräftigen Stoffes längst entwöhnten Landleute und als nun einer der Krieger, ein trotziger Graubart, ihnen die Worte hinwarf: »Ihr führt ja ein wahres Hundeleben, kommt mit uns, in ein paar Tagen stoßen wir wohl zu einem kaiserlichen Fähnlein, da nehmt Dienste, wenn Euch auch ein Paar blaue Bohnen in die Rippen fahren sollten, so ist es doch besser, als so langweilig des Hungertodes zu sterben; gehts aber gut, so macht Ihr Beute und könnt Euch, wenn der Krieg einmal zu Ende ist, wo anders ein Paar Hufe Landes kaufen.«
Da war bald einer der Jüngsten entschlossen; das Beispiel wirkte und taumelnd folgte der größere Theil den Kriegern, den Schluß eines von diesen gesungenen Soldatenliedes in ihrer Aufregung nachjohlend. Selbst der Wirth hatte sich ihnen angeschlossen und als der Trupp am Pfarrhause vorüberzog und der Magister sein Fenster öffnete, um nach der Ursache des Lärmens hinauszusehen, schrie ihm der Schenkwirth zu: »Lebt wohl, Herr Pfarrer! Der lustige Martin und sein Weinschank waren Euch immer ein Dorn im Auge, fürder werde ich Euch keine Veranlassung zu Strafsermonen mehr geben und der Feldprediger wird uns hoffentlich kürzere Reden halten als Ihr. Lange genug waren wir die Geschundenen, jetzt wollen wir schinden helfen. Vivat der Soldatenstand!«
Ein rohes Gelächter der Schaar, in dem das mahnende Wort des Pfarrherrn verhallte, begleitete den Schluß der Rede, und dahin taumelte die trunkene Rotte, die vielleicht in wenigen Tagen unter den aus dem Auswurf aller Nationen zusammengetrommelten Söldnern des Friedländers gegen ihre Glaubens- und Landesbrüder fechten, oder als Kanonenfutter den heimischen Boden mit ihren Leibern düngen sollte.
Mit einer Thräne im Auge, den Verirrten gewidmet, wandte sich der Pfarrherr um und schritt hinab in das Dorf, von Haus zu Haus wandelnd. Fast Alles stand verödet, nur am Ende des Dörfchens kam er noch gerade recht, einer jungen Mutter, die den kaum erkalteten Leichnam ihres neugeborenen Kindes in den Armen hielt, die Augen zuzudrücken. Der junge Bauer, ihr Mann, trat mit stummer Verzweiflung hinaus auf die Straße, wo der Rest der Einwohner, unter ihnen der Küster Mathias, in Berathung stand und dem nahenden Magister den Entschluß mittheilte, sich mit den wenigen Resten ihrer Habe nach Nürnberg zu wenden; denn es war durch Einen vom Dorfe, der beim Pfleger zu Lauf diente, bekannt geworden, daß die böse Seuche auch unter dessen Knechten gar manches Opfer gefordert, und so wollten sie dort ihr kärgliches Brod suchen, hinter den Mauern der Stadt besser geschützt, als auf plattem Lande. Vergeblich war des Magisters Einrede und nur das Versprechen rang er ihnen ab, noch einmal, am morgenden Tage des Herrn, aus seiner Hand die Tröstungen der Religion zu empfangen und daran ernste Betrachtungen an das Scheiden vom Vaterhause zu knüpfen.
Betrübt ging er dann seiner Wohnung zu, sein kärgliches Mahl zu genießen, aber Sabine, die ehrliche Alte, sonst so pünktlich, war nirgends zu gewahren und auch nicht die kleinste Vorbereitung zu dem bescheidenen Mahle war gemacht. Besorgt ging der Pfarrherr in die Kammer zu ebener Erde, da lag die gute Alte, nicht mehr im Stande, das Bett zu verlassen, und bat in leisen, abgebrochenen Sätzen, der Herr Pfarrer möge ihr die heilige Speise reichen, denn sie fühle, ihr Ende sei gekommen. Und der Pfarrherr that, was seines ehrwürdigen Amtes und drückte der treuen, durch die vieljährigen Dienste bewährten Magd, als die Lampe des Lebens durch Mangel an Oel erloschen war, die Augen zu; dann ging er betrübt in sein Schlafkämmerlein und betete, ehe er sich zur Ruhe legte: »Herr, Dein Wille geschehe.«
Als er am andern Morgen erwachte und auf die Sonnenuhr des Kirchleins sah, fehlte nur noch kurze Frist, bis, seiner Berechnung nach, das Glöcklein des bescheidenen Gotteshauses zum Dienste des Herrn rufen würde; er warf sich daher in seine Amtskleidung und als wieder eine geraume Zeit vergangen war, eilte er, den lässigen Küster, der sich noch immer nicht sehen ließ, zu mahnen. Als er das Thor seines Hauses überschritt, erblickte er einen Streifen Pergamentes auf der Schwelle. Ihm ahnete nichts Gutes, er entfaltete und las: »Wenn Ihr diese Zeilen erblickt, Hochwürdiger Herr, so habe ich mich meines Dienstes begeben, den Schlüssel zur Sakristei findet Ihr in meiner Wohnung; sie ist offen, denn in ihr findet sich so wenig etwas zu stehlen, wie im Kirchlein selber. Die heiligen Bücher stiehlt weder der Kroat noch der Schwede, sei es denn, um Patronen daraus zu machen. Daß wir die Predigt nicht abgewartet haben, mögt Ihr mir und den Andern verzeihen, wir haben aber die Nacht benutzt, um den kurzen Weg auf der, seit einigen Tagen leidlich sicheren Straße zurückzulegen und das gehoffte Asyl zu erreichen, wer weiß, was uns in der Heimath wieder bedroht hätte. Gott erhalte Euch! Der Küster Mathias.«
Ein Gang durchs Dorf belehrte den Ueberraschten von der Wahrheit des Schreibens. Alles war öde und leer, er, der einzige Lebende im Dorfe, seine Gesellschaft kalte Leichen. Schwer gebeugt und rathlos, doch im Herzen voll Gottvertrauens ging er nach Hause. Das heilige Bibelbuch vor sich, das Tröstungen in seine schwer gebeugte Seele goß, saß der Magister in seinem Studirstübchen, darüber nachdenkend, wie nun den Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen sei; da weckte ihn Hufschlag und durch das Dörflein rasten im Galopp zwei Pferde herbei, deren eines einen bewaffneten Reiter, das andere aber ein goldgelocktes Frauenbild trug. Als fühle er sich sicher unter dem Palladium der Kirche, parirte der Reiter, an dieser angelangt, sein Pferd und das der Dame, dessen Zügel um seinen linken Arm geschlungen war, sprang ab, half der Dame aus dem Sattel, band rasch die Zügel um ein Kreuz des kleinen Gottesackers und führte so schnellen Schrittes, als es die sichtliche Schwäche der Dame erlaubte, diese aufs Pfarrhaus zu.
Der Pfarrer, befremdet von der neuen Erscheinung, die er vom Fenster aus wahrgenommen hatte, ging ihnen entgegen und führte sie in sein kleines Gemach mit den Worten: »Der Friede des Herrn sei mit Euch! Was sucht ihr Fremdlinge in der Wohnung des Jammers?«
»Schutz und Hilfe,« lispelte die Dame; und ihr Begleiter, ein hochgewachsener stämmiger Jüngling, der die skandinavische Abkunft unmöglich verhehlen konnte, fiel mit kräftiger Stimme ein: »Wo sollten wir auch diese besser finden, als im Hause des Friedens bei einem Diener der Kirche.«
»Sie wäre Euch gewiß,« antwortete der Magister Samuel, »aber ich bin selbst ein hilfloser Greis, allen Schrecken des Krieges Preis gegeben.« Und er schilderte in kurzen Worten die traurige Lage des Dörfleins und wie er nun der einzige Bewohner desselben sei und selbst noch nicht wisse, ob er der Dinge harren solle, die da kommen würden oder mit dem Stab in der Hand suchen solle, Nürnberg zu erreichen, wo er zwar sicher ein Asyl finden könne, aber ihn vielleicht auch Gefahr, Noth und Tod bedrohe, ehe er dahin gelange.
Die Dame war zusammengeschaudert bei der Erzählung des großen Unglücks, der Reitersmann aber nahm das Wort und sprach: »Noth macht gleich und wir sind Beide in derselben Lage. Vernehmt in kurzen Worten unsere Geschichte und Ihr werdet uns gewiß auf einige Tage Versteck geben, wenn Ihr hört, daß die Kroaten uns auf den Fersen und wir Kinder des Todes sind, wenn sie uns sehen. Ich bin ein Krüppel, müßte aber auch als kräftiger Mann der Übermacht erliegen; und wenn ich fiele, welches Loos stünde meiner geliebten Margarethe bevor? Nein, sie falle eher von meiner Hand, als in die Gewalt der entmenschten Schaaren Isolan's.«
»Eure Lage scheint gefährlich,« sagte der Pfarrer, »lasset uns denn unsere Leiden und Gefahren theilen, stehen wir doch alle in Gottes Hand. Vor Allem aber bringt das edle Frauenbild, um ein wenig zu rasten, auf mein Lager. Wir aber wollen die Gäule abzäumen und sie ihrem Schicksale überlassen; denn sie würden am ersten Eure Spur verrathen, falls wieder Streifgesindel unser Dorf heimsuchen sollte.«
Sie führten die Dame zum dürftigen Lager des Alten und gingen hierauf zu den Pferden, von denen der Reiter die schweren Mantelsäcke abschnallte und aus den Halftern des einen Sattels zwei Flaschen Wein, aus denen des andern ein paar tüchtige Reiterpistolen zog.
»In Gottes Namen denn,« sprach er wehmüthig, abwechselnd dem Goldfuchs und dem Schimmel den Nacken klopfend, »es thut mir weh, mich von den wackern Thieren zu trennen, die mich zu manchem Ritt in Ernst und Scherz getragen. Fahre wohl, Ajax, fahre wohl Achilles, bescheere Euch Gott bald wieder einen wackern Reiter und Herrn.« Und ein Schlag auf die Kruppe der Thiere, das Kommandowort »Marsch«! und sie jagten im Galopp auf der Landstraße dahin, bald den Augen der beiden Männer entschwindend, welche mit dem Gepäck in's Haus zurückkehrten.
Als sie sich überzeugt hatten, daß die ermüdete Dame in die Arme des Schlummers gesunken war, füllte der Schwede die Becher aus den mitgebrachten Flaschen, schob die Sessel zurecht, ermahnte den Pfarrer ihm Bescheid zu thun, da wohl er auch der Erquickung benöthigt sei und begann folgende Mittheilung: »Ich bin ein schwedischer Edelmann Namens Olaf Lysbörn. Als König Gustav nach Deutschland zog, trat auch ich unter seine Fahnen und errang mir auf dem Schlachtfelde den Rang eines Cornets im Regimente Truchseß, aber in der mörderischen Schlacht am Altenberg zerschmetterte mir eine Kartätschenkugel die rechte Hand und ich war nach kurzer Laufbahn zum Dienste im Krieg untauglich. Nach Nürnberg gebracht, ward ich dorten geheilt, aber in demselben Hause, wo ich durch das Messer des Wundarztes meine rechte Hand verlor, verlor ich zugleich auch mein Herz. Ich war in das Haus eines wohlhabenden Kaufherrn geschafft worden, der in dem Schweden den Glaubensfreund liebte und nebst Gattin und Nichte die Stelle des Samariters bei mir vertrat. Ihr saht Margarethen, das Alter wird Euch den Sinn für Schönheit nicht geraubt haben, ihre Reize fesselten mich, sie schien meine Neigung zu theilen, ich warb um ihr Herz und ihre Hand und war so glücklich, nirgend ein Hinderniß zu finden. Sie war die Waise eines wackeren, aber arm gestorbenen Malers, und nichts fesselte sie an die Vaterstadt, als die Liebe zu dem Ohm und der Muhme, sonst stand sie in der Welt ganz allein. Ich bin nicht unbemittelt, in Schweden habe ich der einträglichen Güter viele und finde auch wackere Brüder und liebe Schwestern, die die deutsche Schwägerin mit offenen Armen empfangen werden. Das Mädchen entschloß sich, dem Manne ihrer Wahl zu folgen und in der St. Laurenzikirche erhielt der Bund unserer Herzen die priesterliche Weihe. Ich reiste ab, nicht beachtend, was in der Stadt hie und da von der Unsicherheit der Straßen gesprochen wurde und hielt es für Uebertreibung, wohl aber sehe ich jetzt deutlich ein, daß der Einzelne, und besonders der nicht mehr kampffähige in diesen Strudel sich nicht wagen darf. Schon am Hammer gewahrte ich einen Trupp Kroaten, als ich aber auf der Fortsetzung meines Weges einzelnen Reitern begegnete, die offenbar zu diesen Nachzüglern gehörten, beschloß ich, mich möglichst mit meiner jungen Frau in Sicherheit zu bringen. Denn wagten es die Einzelnen auch nicht, mich anzugreifen, so waren mir doch die verdächtigen Blicke auf meine schönen Pferde auffallend genug, um nicht zu erwarten, daß mir, der ich mit Margarethen nur langsam fürbaß kommen kann, die Bande nachsetzte, um mich auszurauben. Wäre ich jetzt nur wieder in Nürnberg, gerne wollte ich dort noch einige Wochen weilen, bis das Kriegsgetümmel sich gelegt hat und die Straßen wieder sicher sind. Allein der Rückweg ist leider so gefährlich, wie die Fortsetzung der Reise.«
Die junge Frau war derweil auch aufgestanden und trat, durch den stärkenden Schlaf neu ermuthigt, zu den beiden Männern, als der Pfarrherr eben sprach: »Leider ist das Dorf in einem Zustande, daß es der Raubsucht streifenden Gesindels keine Nahrung mehr gibt. Aber auch die Wuth getäuschter Erwartung hat sich unter diesen rohen Horden manchmal Fürchterliches erlaubt; vor Allen vergönnt mir d'rum, daß ich die junge Frau in einer dunklen Hinterkammer, mit altem Gerülle angefüllt, verberge, Euch aber will ich Kleider eines Knechtes geben, denn Ihr habt so doch weniger zu befahren. Vielleicht geht das Ungewitter an uns vorüber oder der Herr sendet mir seine Erleuchtung von oben, wie wir dieser Fahrniß uns entreißen.«
Des Schweden junge Gemahlin folgte dem Pfarrherrn in das Versteck, während der Junker Olaf den Kleidertausch vornahm, und mit dem Scheermesser des Pfarrers den kriegerischen Bart beseitigte und dann zu seiner Gemahlin eilte, um ihr in ihrer Einsamkeit Gesellschaft zu leisten.
So verging der Tag, so schlich die Nacht langsam dahin und öde blieb es und wie ausgestorben im Dorfe; als aber am andern Morgen Olaf in seiner Verkleidung durch die unbelebten Häuserreihen sich geschlichen hatte, um den Stand der Dinge auszukundschaften, kehrte er schnell zurück mit der Nachricht, daß ein Trupp Kroaten vor dem Dörflein hause und ihr wüstes Geschrei ihn noch rechtzeitig gewarnt habe, um unentdeckt den Rückzug zu nehmen.
Die Frau kehrte rasch in ihren Zufluchtsort zurück und als der ängstliche Kriegsmann das Haus verschließen wollte, sprach der Pfarrherr mild: »Lasset das, lieber Herr, eine Belagerung können wir nicht aushalten, das Haus mag immer offen bleiben; nur zu sehr weiß ich aus Erfahrung, wie die verschlossenen Häuser minder sicher sind, als die mit offenen Thüren. Wie das Gesindel solche findet, glaubt es, seine würdigen Genossen seien schon vorher dagewesen.« Und er schritt hinab und warf im Vorplatz allerlei Geräth unter- und übereinander, es teilweise zerschlagend, so daß es fast aussah als wäre erst ein Trupp Plünderer abgezogen; dann kehrte er in's Zimmer zurück, bleich und erschrocken, denn schon hörte man das rohe Jauchzen der Kroaten näher und näher kommen.
»Geschwind verbergt Euch, es ist die höchste Zeit,« rief er, die Treppe hinankeuchend, dem Schweden zu, »die höchste Gefahr ist da, aber, will's Gott, auch die Hilfe. Wie ein Blitzstrahl hat's mich durchzuckt, zur Rettung von Ehre, Leben und Gut muß man zu einem Aeußersten schreiten und Gott wird mir nicht für Frevel anrechnen, wozu unverschuldete Noth mich gebieterisch treibt.«
Mit schnellen Schritten verschwand der Junker und mit der Behendigkeit der Angst riß Magister Samuel einige Leintücher aus den Schrank und wickelte sich große Binden um sein Silberhaupt und hüllte sich ein in die Weißen Laken, daß es schier aussah, als hätte er sich nach langer Grabesruhe dem engen Sarge entrungen. Da ertönte zornigen Klanges das verworrene Geschrei der Freibeuter, denn sie waren schwer getäuscht worden in ihrer Absicht, auf Plünderung und gute Beute. Angstvoll ob des gewagten Spiels öffnete der Pfarrer mit zitternden Händen das Fenster und selbst die kampfgewohnten Krieger stutzten ob der Jammergestalt, die sich herausbeugte.
»Holla, Pfaff, schaff' Wein, Brod und Geld!« schrieen ihm die Verwegensten im gebrochenen Deutsch hinauf.
»Wackere Krieger,« flehte der Pfarrherr hinab, »gern wollte ich Euch reichen, was Ihr begehrt, gäbe es derlei in meinem Hause, aber öde ist es und leer, wie in den andern Häusern des Dorfes und Hunger und Fieberfrost durchschauern mein Gebein, so daß ich nicht hinab kann. Erbarmt Euch eines armen Seelenhirten, laßt mir ein paar Bissen hier aus Euren Brodbeuteln, daß sich zu der Krankheit Qual nicht auch noch der nagende Hunger geselle. Huhuhu! mich schüttelt das Fieber. Wehe! Wehe! mich ergreift der schwarze Tod, er holt mich nach. Die alte Sabine wurde gestern dahin gerafft von der Pest, sie faßt auch mich, schon zeigen sich Flecken auf Arm und Brust. Wehe! wehe! o schreckliche Pestilenzia!«
Nicht ganz verstanden hatten die Reiter den Sinn der Rede, aber betroffen stutzten sie vor der Jammergestalt, denn die ausgestandenen Ereignisse früherer Tage, die Angst des Augenblicks, ob seines gewagten Spiels hatten das Antlitz des Pfarrers aschengleich gefärbt, dazu die schneeweiße Todtenhülle, der Anblick konnte selbst die Mannheit eines Kriegers erschüttern. War ihnen aber auch die Rede des Pfarrers nicht ganz klar geworden, so gab doch das Donnerwort Pestilenzia mehr als genügenden Aufschluß; scheu prallten sie zurück und die Angst vor der entsetzlichen Krankheit drängte die Habgier in den Hintergrund.
Nur ein frecher Bursche meinte, er wolle nicht ganz leer abziehen aus dem verfluchten Neste, und stürmte in's Haus; folgten die Andern seinem Beispiel, so war der Magister und seine Schützlinge verloren und in wahrer Todesangst, von Schauern geschüttelt, heulte er fortwährend die Worte hinab: »Pestilenzia! Pestilenzia!«
Der junge Kroat war indessen in's Haus gedrungen und hatte sich durch die umliegenden Geräthschaften Bahn gebrochen in die Kammer zu ebener Erde, in der wenigstens das dastehende reinlich gedeckte Bett ihm ein paar gute Beutestücke zu versprechen schienen. Rasch riß er das Leintuch hinweg, da starrte ihn das Leichenantlitz der alten Sabine an, auf dem sich durch die in der Hitze des Sommers schnell eintretende Verwesung schon blaue Flecken zeigten. Mit einem Fluch, den der Schreck nicht ganz über seine Lippen ließ, prallte der Reiter zurück und kreideweiß, mit emporgesträubtem Haar, taumelte der Reiter aus der Thüre. »Wahr spricht der verfluchte Pfaffe, die Pest wüthet im Hause, drinnen liegen die Leichen, rette sich, wer kann!« und er, der Muthigste der Schaar, warf sich rasch auf's Pferd und jagte, als säße die Pest ihm schon in dem Nacken, mit verhängtem Zügel zum Dorfe hinaus, ihm nach die Kameraden in grimmiger Angst vor dem Würgengel des Herrn, dem schwarzen Tod, und nach wenigen Sekunden waren die Hufschläge ihrer Rosse in der Ferne verhallt.
Nach einer langen qualvollen Pause warf der Pfarrer seine seltsame Vermummung ab und mit einem tiefgefühlten: »Herr Gott, Dich loben wir,« eilte er zu dem jungen Paare, das in nicht geringerer Angst als er des Ausgangs geharrt hatte, ihm verkündend, daß die Wetterwolke diesmal, ohne sich zu entladen, vorübergezogen sei. In Dankgebeten, ernsten Betrachtungen und neuen Befürchtungen schlichen die Stunden des Nachmittags dahin, nur unterbrochen durch die letzte Ehrung, die der würdige Pfarrer und sein Gastfreund den irdischen Resten der treuen Sabine erwiesen, die selbst noch nach dem Tode ihren Herrn und seine Pfleglinge aus so großer Gefahr gerettet hatte. Sie betteten sie unter dem kühlen Rasen des schlichten Dorfkirchhofs und sprachen ein andächtiges »Vater unser« für die Ruhe ihrer Seele.
Da klangen wieder von ferne her Trompeten und auf's Neue erbebte der Pfarrherr. Aber hochauf horchte Junker Olaf und mit Freude blitzendem Auge rief er: »Muth, würdiger Mann, die Stunde unserer Erlösung hat geschlagen, das sind schwedische Trompeten, das ist der Feldmarsch eines geregelten Reitertrupps, wie ihn keine Freibeuterhorde führt.« Mit mächtigen Sätzen flog er die Treppe des Pfarrhauses hinauf, auszuschauen nach den nahenden Reitern und freudig kam er zurück und rief jubelnd: »Ja, es sind schwedische Reiter und obendrein noch Kameraden aus meinem Regiment; o, nun ist Alles gut,« und mit beschwingten Sohlen eilte er der Schaar entgegen, die im Schritt in's Dorf einrückte und ward alsbald von dem Führer des Zuges, einem alten Wachtmeister, staunend und freudig zugleich begrüßt.
»Ei, Herr Junker, wie kommt Ihr in das verwetterte menschenleere Nest?«
Mit wenig Worten schilderte Olaf dem Alten seine Abenteuer und fügte seiner Erzählung hinzu: »Aber, alter Rasmus, wie kommst Du wieder auf diesen Grund und Boden, ich wähnte Dich im Sachsenlande mit den andern Kameraden, auf die Kaiserlichen tüchtig zuklopfend.«
»Bin diesmal zu einem Ehren- aber gar traurigen Dienst ausersehen,« murmelte der Alte. »Ihr wißt ja, daß Euer wackerer Kriegskamerad, der Rittmeister Gyllenhjelm in der Schlacht am Altenberge gefallen ist und sein Leichnam in einer Klosterkirche zu Nürnberg bis auf Weiteres beigesetzt ward. Da haben sich nun nach der empfangenen Trauernachricht die gebeugten Eltern an den Generalissismus gewendet und um eine Reiterabtheilung gebeten, die den Sarg mit den Ueberresten des geliebten Sohnes abhole aus dem Klosterhofe zu Nürnberg und ihn sicher heimgeleite bis an das baltische Meer, durch das Kriegsgetümmel, auf daß er nach seiner kurzen Laufbahn ruhen möge in der Gruft seiner Ahnen. Hätte wahrlich nicht gedacht, daß ich dereinst noch vor ihm herreiten solle, der uns so oft zum Siege geführt. War er doch immer beim Einhauen der Erste!« Der Alte fuhr über die grauen Augenwimpern, die ihm feucht geworden waren und sprach ferner: »Nun kommt doch das Euch wieder zu gut, vielleicht wäret Ihr ohne diesen traurigen Anlaß verloren gewesen und draufgegangen, und es wäre doch schade für einen so wackern jungen Herrn, zu sterben von den Händen solchen Gesindels und er – nun er starb doch, bei Gott! einen herrlichen Reitertod.«
Sie kamen vor das Pfarrhaus, wo des Junkers Weib und der Magister mit frommgefalteten Händen der Reiter harrten und der wackere Reiter ehrfurchtsvoll den Pfarrherrn und die Gattin seines gewesenen Führers und Kampfgenossen begrüßte.
Rasch waren die Anstalten zum Abzuge getroffen, drei Reiter stiegen ab und führten gar bescheidentlich die Rosse am Zügel, auf denen Olaf, Frau Margarethe und Magister Samuel, nichts von seiner Habe mit sich nehmend als seine Bibel, Platz genommen hatten. Olaf ritt an der Spitze der Schaar, wie in jener Zeit, als die Kartätschenkugel ihm seine Heldenlaufbahn noch nicht verschlossen und als die Sonne, herrlich als wie von Gold und Purpur gemalt, niedersank, da waren sie aller Gefahren quitt in sicherem Gebiete angelangt.
Dankerfüllten Herzens stimmte der Pfarrherr, begleitet von Margarethens Silberstimme, Luthers herrliches Lied an: »Eine feste Burg ist unser Gott« und die wackeren Schwedenkrieger, trotz des rauhen Handwerks von ihrem König stets zur Mannszucht und Gottesfurcht gewöhnt, fielen mit ihren kräftigen Baßstimmen ein. –
Geleitet von der Schwedenschaar und unbesorgt nun um die Sicherheit seines treuen Weibes zog nach wenig Tagen, der Mittheilung und der Erholung von den überstandenen Plagen gewidmet, Herr Olaf hinaus aus dem schönen Nürnberg, begleitet von den Segenswünschen der Verwandten Margarethens und des würdigen Seelsorgers, der ein schützendes Asyl gefunden bei einem befreundeten Amtsbruder zu St. Sebaldus. Nach einer mühsamen, aber glücklich vollbrachten Reise, bestieg er mit seiner jungen Gattin, wohlbehalten den Bord des Schiffes, das ihn mit ihr und den Ueberresten seines Waffenbruders nach der geliebten Heimath trug. Reich beschenkt zog der alte Rasmus mit seinen Reitern wieder dem ehernen Würfelspiel des Krieges zu.
Der Pfarrherr weilte noch in Nürnbergs schützenden Mauern, als ihm einst vom fernen Schwedenlande ein Andenken seines Freundes, ein herrlicher Silberpokal übersandt wurde. Der Pokal trug das Datum des Schreckenstages und den Vers:
»Mit unserer Macht ist nichts gethan,
Wir sind gar bald verloren;
Es streit't für uns der rechte Mann,
Den Gott hat selbst erkoren.«
Als nun nach Jahr und Tag die Friedenssonne wieder schien über die neu erblühenden Fluren, als die Bewohner des Dörfleins sich allmählich wieder sammelten in der trauten Heimath und Ordnung, Recht und Sicherheit wieder hergestellt war im Lande, da zog auch Herr Samuel wieder hinaus, zum freundlichen Ziel seines segensreichen Wirkens, beim Abendtrunk aus dem Silberpokale mit freudiger Wehmuth der treuen Sabine, des bestandenen Abenteuers und der lieben Freunde im Schwedenlande sich erinnernd und ein treuer Hirte bleibend seiner Heerde, bis er in hohem Alter einging zu seines Herrn Freude.