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Die goldenen Nüsse.

Nürnberger Sage.

Von J. Ettinger.


Wenn man von dem Standpunkte aus, wo einst Ritter Eppelein von Gailingen auf der Burg zu Nürnberg seinen bekannten Meisterritt gewagt haben soll, nach Norden lugt, so stellt sich dem Auge das berühmte Knoblauchsland dar, welches mehrere anmuthige Dörfchen in sich begreift, die von den Nürnbergern recht fleißig besucht werden.

In einem dieser Ortschaften lebte vor vielen, vielen Jahren ein kleines Bäuerlein, Nußkaspar genannt, weil er die schönsten Nüsse auf seinen Nußbäumen hatte. Er trieb, wie seine Nachbarn, Gärtnerei und legte sich vorzüglich auf die Kultur jener Wurzel, die der Gegend den Namen gab.

Allein der gute Mann war kein Schoßkind des Glücks und so sehr er sich abmühte und absorgte, sein Hauswesen emporzubringen, ebenso unfreundlich wandte ihm die parteisüchtige Frau Fortuna den Rücken, weil sie einmal, eigensinnig genug, sich nicht erbitten oder mit Erfolg aufsuchen läßt, sondern ihre Günstlinge selbst wählt.

Was unser Kaspar auch anfing, alles mißglückte ihm. Bald hatte er bedeutende Verluste durch böse Schulden, bald wurde er von Menschen heimgesucht, die es bequemer finden, auf Anderer Kosten aus dem Stegreif zu leben, bald zerstörte der Wind und böses Wetter seine schönsten Garten- und Feldfrüchte, oder wurden ihm von neidischer Bosheit seine Nüsse in unreifem Zustande abgeschlagen, kurz, ihn äffte ein Unstern nach dem andern und schleuderte ihn stets von dem kaum erklommenen Gipfel seiner Hoffnungen wieder herab in die rauhe Wirklichkeit.

Dieses andauernde Mißgeschick mußte Kasparn endlich verdrießen und ihm die Lust nehmen, sich umsonst zu plagen, zumal wenn er bemerkte, wie bei seinen Ortsnachbarn Alles aufs Beste gedieh und ihr Wohlstand täglich mehr emporblühte.

Daher wurde er nach und nach in der Ausübung seines Gewerbes immer lässiger, fluchte und schwor mehr, als er betete und ergab sich zuletzt dem Trunke so, daß er meistens, wenn er mit Knoblauch und anderen Gemüsearten beladen zur Stadt gefahren war, leicht an Geld, und statt mit dem erlösten Gelde und Gute, nur mit schwerem Kopfe nach Hause kehrte.

Durch diesen Lebenswandel wurde nicht nur sein Körper, sondern auch sein Vermögen so zerrüttet, daß er ein Kapitälchen nach dem andern aufnehmen mußte, dann von seinen Gläubigern hart bedrängt wurde und zu ihrer Befriedigung bald ein Grundstück oder das Werthvollste seines ohnehin kärglichen Hausraths zu veräußern sich genöthigt sah.

Nach längerer Zeit war er am Tage vor dem neuen Jahre, wie gar oft, bis zum späten Abend in der Stadt geblieben, hatte sich im Waizenstübchen eilten tüchtigen Rausch angetrunken und taumelte den Burgberg herauf, um durch das Vestnerthor heimzugehen. Ohnweit der Stelle, wo Christus am Oelberge in betender und seine Jünger in schlafender Stellung in Stein abgebildet und bis auf den heutigen Tag noch gut erhalten sind, setzte er sich rechts auf einen beschneiten Steinblock des felsigen Oelberges, um auszuruhen, und schlief ein. Die Zerrbilder getäuschter Hoffnungen, die Schläge des launenhaften Schicksals des unvermeidlichen Sturzes und des gähnenden Abgrundes der Verzweiflung umgaukelten ihn in lebhaften Träumen, so daß er öfters konvulsivisch auffuhr und gräßliche Flüche lallend ausstieß.

Eben zeigte die Glocke vom nahen Sebaldusthurme den Eintritt der Geisterstunde durch zwölf dumpfe Schläge an, als er abermals auffuhr und in einem Zustande zwischen Schlaf und Wachen zähneklappernd für sich hin murmelte. »Will mich Gott nicht retten, so muß mir der Teufel helfen.« –

Mit diesen Worten entwand er sich dem Schlafe, rieb sich die Augen und wollte aufstehen, allein ein gewaltiger Schrecken donnerte ihn auf seinen kalten Sitz zurück, denn vor ihm stand urplötzlich ein Mann in Jägertracht, der ihn mit giftigem Lächeln anredete: »Ei, ei, Alterchen, was treibst Du hier in frostiger Winternacht?« –

Kaspar gähnte und fragte: »Wo bin ich, Herr, und was begehrt Ihr von mir?« Darauf der Jäger: »Ich hörte im Vorübergehen, daß Du der Hülfe bedarfst, und bin erbötig, sie Dir zu leisten, wenn es in meinen Kräften steht, aber – ich will von Dir recht schön darum gebeten sein.« –

Kaspar wurde durch das schmeichelnde Zureden des Fremden allmählich zutraulich, schilderte unter beständigen Verwünschungen seine traurige Lage, fiel auf die Knie und rief in unbegreiflicher Herzensangst: »Ich flehe Euch fußfällig an, helft mir, helft mir, und wäret Ihr der Böse selbst, mir gleich, wenn mir nur geholfen wird; denn Gott hat mich ja ohnedies verlassen!« –

»Nun wohl,« fiel der Gebetene ein, »wenn Du mir versprichst, zu schweigen wie das Grab, und weder Deinem Weibe noch einem anderen Menschen auch nur eine Silbe davon zu sagen, so will ich Dein Beschützer sein und Dir helfen. So kehre denn getrost heim, pflücke von dem großen Nußbaume, der in der linken Ecke Deines Gartens steht, der Nüsse so viele, als Dir beliebt, dieselben werden sich in Gold verwandeln und Dich in den Stand setzen, nicht nur Deine Schulden zu bezahlen, sondern auch Dir ohne Mühe und Arbeit gut zu thun. Doch wisse, geht nur ein Wort von der Geschichte Deines Glücks Dir über die Lippen, so ist der Zauber gelöst, Du sinkst in Deine frühere Armuth zurück, wirst ein Raub der Verzweiflung und sollst auch im Grabe keine Ruhe finden. Du wirst dann aus demselben in jeder Sylvesternacht hervorgehen und an dieser Stelle hier ewig goldene Nüsse feil halten, ja auch Andere noch mit hinabziehen in den Abgrund des Verderbens und Deine Seele ist mir alsdann verfallen!«

Sprach's und verschwand. – Daß der freundliche Helfer der leibhaftige Gott sei bei uns war, ist leicht zu errathen.

Kaspar war demnach in sehr schlimme Hände gefallen. Er ging also durch das Vestner Thor, noch halbtrunken mit schlotternden Knien nach Hause. Sein Weib, das ohnehin zu denjenigen Ehehälften gehörte, welchen Zanken und Murren zur anderen Natur geworden ist, und die in die Kategorie der friedfertigen Gattin des weisen Sokrates gestellt werden können, empfing ihn vom Bette heraus mit Zank- und Schimpfreden. Er aber war stumm, wie ein Fisch, und dachte »Schreie, Du Zankteufel, so viel Du willst, habe ich nur einmal die goldenen Nüsse, da wirst Du bald anders singen!« Somit nahm er eine Laterne, zündete das Licht an und begab sich in das Gärtchen, stellte sich vor den bezeichneten Baum mit beklommener Brust und schielte hinauf, um zu sehen, ob die Nüsse wirklich Gold seien.

Endlich besiegte die Habgier auch die letzte Bedenklichkeit und er bestieg zagend den Baum, als hing ihm eine Zentnerlast an den Füßen, griff zitternd nach einer der Früchte, füllte dann so schnell als möglich alle seine Taschen damit und siehe, sie wurden reines, funkelndes Gold.

Hierauf versteckte er seinen Schatz in die Scheune und legte sich zu seiner Bettgenossin, die durch sein Schweigen noch mehr gereizt, das alte Lied anzustimmen begann, bis sie sich endlich müde gekeift hatte und ihr Entschlummern eine Generalpause herbeiführte.

Mit Tagesanbruch schlich der steinreiche Ehemann, dessen Gewissen nun schon eingeschläfert war, still von der Seite seiner Xantippe zum Geschenke des höllischen Regenten, um es theilweise in der nahen Stadt versilbern zu lassen, zahlte dann unter falschen Vorspiegelungen seine Schulden und lebte herrlich und in Freuden.

Aber dieses Glück sollte von nicht sehr langer Dauer sein; denn der gute Nußkaspar vergaß im Taumel der Ausschweifungen nur zu bald, was er dem Meister Pferdefuß versprochen hatte.

In einem traulichen Stündchen beichtete er seiner Gattin, welche indeß der unvermuthete Wohlstand ganz kirre gemacht und vollkommen versöhnt hatte, den ganzen Hergang der Sache. Als er nun nächsten Morgens da zu schlemmen anfangen wollte, wo er gestern aufgehört hatte, und daher sein Geld herbeiholen wollte, siehe, da war der Beutel federleicht, und als er eine Untersuchung anstellte, fand er statt harter Thaler nur Kohlenstaub und statt der goldenen nur natürliche und größtenteils wurmstichige Nüsse im Schranke.

Von der Glanzhöhe der Schwelgerei und Ueppigkeit in das bitterste Elend herabgeschleudert und verdienter Schmach von allen Seiten preisgegeben, war ihm das Leben eine unerträgliche Last und er entledigte sich desselben durch Selbstmord.

Herr Diabolus hielt besser Wort, als Kaspar: denn es ging Alles in Erfüllung, was er ihm für den Fall des Treubruchs an Seiner infernalischen Majestät vorausgesagt hatte.

Denn, als der Sylvesterabend wieder herbeikam, stand wirklich zur Mitternachtsstunde ein kleines Bäuerlein in der Tracht des Knoblauchslandes, mit einer Kätze am Oelberge und ächzte leise unter verzweifeltem Händeringen: »Kauft Nüsse, kauft Nüsse!« –

Dieser Nußbauer war Niemand anders, als der unglückliche Kaspar, der jetzt alle Sylvesterabende die nämliche Procedur vornehmen mußte.

 

Viele Jahre nach diesem Ereignisse saßen an dem verhängnißvollen Sylvesterabende mehrere ehrbare Bürger nicht weit vom Oelberge in dem Gasthause zum Burggrafen traulich bei einem Krüglein Waizenbieres und sprachen von diesem und jenem.

Unter den fröhlichen Zechern befand sich auch ein redseliger Zinngießermeister aus der oberen Söldnersgasse, der wegen seines reellen Charakters und, seiner Klugheit in Ansehen stand und daher das Faktotum der Gesellschaft war.

Der Faden der Unterhaltung drehte sich an diesem Abende zuletzt auch um die alte Sage vom Nußkaspar am Oelberg, und die Debatten wurden immer heftiger, je mehr sich Meinungen pro und contra entwickelten.

»Alfanzerei, Aberglauben, heidnische Finsterniß!« – eiferte Meister Zinngießer, der Wortführer. »Wer wird so albern sein, an einen Teufel, an Gespenster und Geister zu glauben? Hat nicht Christus dem Teufel die Macht genommen und sind nicht die Geister körperlose Wesen, welche kein irdisches Auge sehen kann?«

»Was, Nachbar?« fuhr ihm ein belesener Zirkelschmied in die Rede, »habt Ihr denn nicht gelesen, daß Dr. Martin Luther dem Teufel das Tintenfaß nachgeworfen hat? Ist Euch nicht bekannt, daß der Satan selbst Jesum öfters erschienen ist, ihn zu versuchen? Habt Ihr –« »Das ist etwas ganz Anderes,« – unterbrach ihn hitzig der Zinngießer, und, indem er weiter reden wollte, erscholl von der Wanduhr die zwölfte Stunde. Da schlug er unwillig in den Tisch hinein und schrie: »Damit Ihr aber seht, daß an der Sache nichts ist, und ich Jeden für einen Narren halte, der solche unsinnige Dinge glaubt, so wollen wir uns an Ort und Stelle begeben, um uns zu überzeugen. Mein Hab und Gut setz' ich daran, daß ich Euch verlachen werde!« –

Hierauf nahm er seine Pelzmütze und eilte der Thüre zu; aber von den übrigen Gästen machte Keiner Miene, aufzustehen und ihn zu begleiten; daher fuhr er sie trotzig an: »Ihr Memmen, mit Euren Ammenmärchen, Ihr furchtsamen Hasen, die Ihr seid! Seht, nun gehe ich alleine hinauf, beschwöre den Geist und bringe Euch von ihm goldene Nüsse mit!« –

»Frevelt nicht, Nachbar!« riefen ihm die Anderen zu; allein er war schon zur Thüre hinaus. Stockfinster war's und nur der schimmernde Schnee erleuchtete die Gegend, da dünkte ihm wirklich, als ob er in der Nähe des Oelbergs die Gestalt eines Menschen gewahre und er blieb stehen. Es fröstelte ihm allerdings nun etwas unter dem Brustflecke, aber die Vorstellung, von den Freunden weidlich verspottet zu werden, wenn er unverrichteter Sache zu ihnen zurückkäme, flößte ihm den verzweifelten Muth ein, der Sache auf den Grund zu forschen.

Langsam ging er daher näher und rief mit lauter Stimme: »Wer da?« – Keine Antwort! Plötzlich stand ein kleines unheimliches Wesen ganz nahe vor ihm, stierte ihn mit Grabesaugen an und deutete mit dem Zeigefinger der rechten Hand in die vor ihm stehende Kätze.

Unser Held war wie an den Boden geheftet und kreischte mit kaum verständlichen Lauten: »Alle guten Geister loben Gott, den Herrn!«

Fast besinnungslos griff er alsdann in die Kätze, nahm aus derselben, was er mit seinen zehn Fingern fassen konnte, und stürzte ohnmächtig zusammen.

Als er wieder zur Besinnung gekommen war, blickte er um sich, und als er weder vor noch hinter sich etwas mehr sah, bekam er wieder Muth und schämte sich seines panischen Schreckens.

Welch freudiges Erstaunen aber nahm die Stelle der Furcht ein, als er auf den beschneiten Boden blickte, und glänzendes Gold ihm entgegenfunkelte. Schnell raffte er dasselbe zusammen, und ging langsamen Schrittes dem »Burggrafen« zu, aus dem ihm seiner Freunde fröhliche Lieder entgegenschallten.

Die ganze Gesellschaft begrüßte ihn wie einen dem Leben Wiedergegebenen und war sehr auf die Erzählung seines Abenteuers gespannt, die er auch sogleich jedoch mit Verschweigung seiner Angst zum Besten gab, und seinen Bericht mit den Worten schloß:

»Um Euch von der Wahrheit dieser Geistergeschichte, die ich natürlich nicht mehr, wie vorher, in Zweifel ziehe, vollkommen zu überzeugen, so sehet hier die faktischen Beweise!«

Hiermit nahm er einige goldene Nüsse aus der Tasche und rollte sie auf den Tisch.

Beinahe mit scheuer Befangenheit und mit unbesiegbarem Grauen untersuchten die Zechfreunde dieselben und ließen nun jeden Argwohn der Großsprecherei fahren. Von den Einen um diesen zufällig erworbenen Reichthum beneidet, von den Anderen aber wegen seiner Theilnahme an dem teuflischen Spender dieses Ueberflusses bedauert, entfernte sich der Zinngießer und suchte fast schwindelnd vor Freude sein Nachtlager.

Allein der Schlaf floh ihn diese und noch manche Nacht, denn ihn quälten die Pläne, die er für die Zukunft schmiedete, die Sorge um die Erhaltung und Vermehrung des unheilvollen Mammons.

Mit seinem Glucke war zugleich das Unglück in seine vier Pfähle eingezogen, und aus dem zufriedenen Meister, der früher Alles im rosenfarbenen Lichte sah, dem die Arbeit sonst unter lustigem Gesange munter von der Hand ging, war jetzt ein griesgrämiger Sauertopf geworden, den sein Geschäft aneckelte, dem die Mücke an der Wand ärgerte. Durch falsche Spekulationen und unkluges Zutrauen verlor er manches schöne Kapitälchen und nach einigen Jahren bewahrheitete sich an ihm das Sprichwort: »Wie gewonnen, so zerronnen!«

Er sank immer tiefer und tiefer, und da der fressende Wurm nicht aufhörte, an seinem irre geleiteten Herzen zu nagen, und er kaum mehr hatte, wohin er sein Haupt legen konnte, so zog er es vor, sein elendes Leben zwischen Himmel und Erde mit Hülfe eines Stricks an einem Balken auszuhauchen, um so eigenmächtig in das Rad des Schicksals zu greifen.

Vorstehende Sage kursirt zwar noch im Munde betagter Leute, ist aber dem Erlöschen nahe, daher sei sie hier aufgezeichnet, um dem gänzlichen Vergessen entrissen zu werden.


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