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Die Meister-Probe.

Nürnberger Erzählung.

1524.

Von Ernst Weyden.


1.

Es war im Jahre des Herrn Anno 1524, als an einem Tage des Blüthen-Monds, da eben die Sonne den stattlichen Thürmen und Giebeln der altberühmten freien Reichsstadt Nürnberg in rosiger Gluth den Abschiedskuß reichte, ein gar wunderholdes Mägdlein am Steig, bei den zwölf Brüdern, den blanken Kupfer-Eimer auf den Rand des Brunnen-Beckens gestellt, zu warten schien, bis der steinerne Lindwurm, der das Wasser spie, den Eimer gefüllt haben würde. Das Wasser plätscherte aber schon über den Eimer, und noch immer blickte das Engelsköpfchen mit den blonden Locken und reichen Flechten, die sich unter dem rothgeschlitzten schwarzen Sammthäubchen hervordrängten, in das in dem Becken in reichen Farben schillernde Wasserspiel, und schien den Eimer und alle Welt um sich her vergessen zu haben.

Plötzlich fuhr die Jungfrau mit einem halblauten Freudenschrei auf, und ließ den Eimer in das Becken fallen, aus dem ihr ein Paar Männergesichter freundlich entgegenschauten – und gerade auch der, an den sie eben gedacht, für den sie eben still gebetet hatte.

»Gott zum Gruße in der Heimath, der lieben Stadt Nürnberg, herztraute Schwester Margarethe!« sagte der ältere der beiden Männer, wie der reiche krause Bart kund that, der sein Kinn umschattete, und reichte mit herzlichem Kusse der Jungfrau die derbe Hand, die dem Zeichen des Rothschmieds, das auf seinem Ränzel hing, entsprach. Als der Jüngere ihr auch sein herzliches Willkommen gebracht, flüsterte Margarethe leise: »Viel schönen Dank!« und das flüchtige Roth ihres Antlitzes verrieth den verstohlenen Händedruck des Jünglings, der kaum zwanzig Jahre alt schien, und frei unter den braunen Locken, die seine Schläfe umspielten, ihr in's schöne Antlitz schaute.

Kein Zeichen irgend eines Gewerkes zeigte sich an seinem Ränzel, doch hing über seiner Schulter an silberner Kette eine schön gearbeitete Laute, und auf seiner Brust glänzte an schwerer Goldkette eine große Schaumünze, so daß man ihn wohl für einen fahrenden Sänger halten konnte. Schnell hatte er den Eimer gefüllt, und schritt mit demselben die Straße aufwärts neben der Jungfrau, die an dem Arm des Bruders hing und auf ihrem Antlitz die Freude mit dem Schreck der Ueberraschung noch im schönsten Kampfe zeigte. Leicht und schnell hob sich der jungfräuliche Busen unter dem ihn züchtig verhüllenden Mieder, und nur zuweilen stahl sich aus den vergißmeinnichtblauen Augen ein Blick zu dem schönen Jünglinge, wenn die Vorübergehenden mit biederem Willkommengruß die Käpplein rückten, und einer dem andern zurief: »Schau zu, was der Gerla ein stattlicher Gesell geworden, die Wanderschaft ist ihm wohl bekommen!« und die Nachbarinnen leise sich vertrauten, »daß der junge Gerla aussehe, wie ein welscher Junkherr.«

2.

Im Hause des wohlberühmten Rothschmieds Peter Vischer, der mit seinen sechs wackern Söhnen das kunstreiche St. Sebaldsgrab in Erz gegossen, wurde das Willkommenfest seines ältesten Sohnes Herrmann auf's höchlichste begangen, wozu alle Künstler und Werkleute Nürnbergs geladen waren.

Herrmann Vischer war, als seine Eheliebste durch frühen Tod ihm entrissen, nach Italien gezogen, um im Anschauen und Bewundern der dortigen Kunstschätze sein Herzleid zu beschwichtigen, und war jetzt nach mehrjähriger Fahrt mit dem jungen Hans Gerla, einem kunstsinnigen Sänger Nürnbergs aus dem Welschlande heimgekehrt.

Auf dem schweren eichenen Tische glänzten die blankgeputzten zinnernen Weinkrüge und die schön gearbeiteten silbernen Becher. Obenan saß Meister Peter Vischer in seinem gewöhnlichen Werkkleide, dem hohen Schurzfelle und dem braunen ledernen Käpplein; Freude sprach aus seinen großen lebendigen Augen, die zufrieden und stolz auf seinen sechs Söhnen, alle tüchtige Rothschmiedmeister, welche das untere Ende des Tisches einnahmen, ruhten. Ihm zur Rechten saß der vielerfahrene Edle Willibald Pirkheimer, zu seiner Linken Albrecht Dürer, in ihren reichausgeschlagenen Festmänteln. Hans Sachs, die Orgelschläger Sebastian Imhoff, Wilhelm Haller, Lorenz Stauber, der Posaunenmacher Hans Meuschel, der Lautner Jakob Elßner und mehrere Künstler und Werkleute der freien Reichsstadt Nürnberg, die ihr zum Ruhm und zur Zier, und der Welt zu Nutz und Frommen, um diese Zeit allda lebten, schmückten die gastfreie Tafel Vischers. Hans Gerla saß bei seinem Freunde Herrmann, wo er die das Amt der Hausfrau verrichtende Margarethe am besten und ungestörtesten beobachten konnte.

Munter kreisten die Becher, laut wurde auf das Wohl der hohen Kunst getrunken, und Meister Dürer brachte seinen Meistern Martin Schön und Michael Wohlgemuth, seinem Schwiegervater Hans Frey, einem gar berühmten Harfenschläger, und dem Vater des jungen Gerla, ebenfalls ein bewunderter Lautner, die schon alle das Zeitliche gesegnet, nach deutscher, reichsstädtischer Weise, laut einen Trunk, zur Erinnerung, den Alle in tiefer Rührung erwiderten.

Bald wurden die Gespräche, durch den leichten Frankenwein gewürzt, immer lebhafter. »Was dünkt Dich, Du junger Gesell, in Italien gibt's solche blauäugigte Schöne, so züchtige Jungfrauen nicht!« sagte Dürer zu dem jungen Gerla, als ihm Margarethe hocherröthend, den eben gefüllten Becher kredenzte, und strich sich lächelnd den Krausbart, zugleich das sorgsam gepflegte, lange Lockenhaar mit einer Hand, von der Stirne zurückstreichend.

»Darüber könnt Ihr, ehrsamer Meister,« entgegnete Gerla, »am besten urteilen, da Ihr Meister des Schönen seid.« »Beim St. Sebaldus!« scherzte Meister Vischer, »Hans, Du sprichst wie ein welscher Prokurator, für Dich können Nürnbergs Jungfrauen wohl ihre Herzen in Hut nehmen.« »Besonders da ihm die Frau Musika den Zauberschlüssel zu aller Frauen Herzen schon an die Wiege hing,« sagte Hans Sachs, und hob den Becher zum Trinken, um das schalkhafte Lächeln, das sich um seinen Mund zog, zu verbergen.

»Aechte Kunst wirbt Frauen-Gunst!« sprach Herr Willibald Pirkheimer! »Doch wie dem sei, wenn der junge Gesell seinem, in dem Herrn seligen Vater folgt, so hat die Kunst des Gesanges in ihm einen würdigen Jünger gefunden, und Trost über die Meister, wie Conrad Gerla und Hans Frey, die ihr hier gestorben.«

»Ganz gewiß,« fiel Sachs ein, »aber die welschen Frauen, unter denen sich sogar noch die heidnische Göttin Frau Venus herumtreibt, die thun es manchem jungen Gesellen an, und besonders den Deutschen, die dort aus Eiszapfen zu Gluthflammen werden, so daß sie aller Kunst, weß Namens sie sei, vergessen, und oft sogar des lieben alten deutschen Landes. Ich kenne hievon gar seltsame Historien.« »Bei Gott, da sprecht Ihr wahr, Meister Sachs,« sprach bedächtig Meister Hans Meuschel. »Weiß Gott,« fuhr er fort, »wie es mir selbst manchmal zu Muthe war, als ich nach Rom gezogen, um dem heiligen Vater die mir bestellten silbernen Posaunen zu überbringen. Oft wenn ich in der Peterskirche mit im Orchester spielte, und alle die Instrumente und Singstimmen so herrlich ineinander griffen, und ich selbst von der Allgewalt der Töne fortgerissen, nicht mehr auf der Erde war, mußte ich wohl die Augen auf dem Notenblatt halten; denn schaute ich hinab in die Kirche, wo die schönen Frauengestalten, gleich Engeln, im Gebete den Herrn lobten, verlor ich gewöhnlich die Mensur; mein Liebling, die Posaune, entsank meinen Händen, ich war rührungslos, bis mich mein Nebenmann anstieß. So ging mir's, war ich doch schon ein alter Knabe; kann mir so wohl denken, wie es den jungen Gesellen geht, wenn die einer italienischen Frau ins Auge schauen; sie müssen taumeln und blinden, als ob sie in die Sonne schauten. Nicht wahr, Hans?«

»Ich muß da meines Bruders Partei nehmen,« sprach Herr Vischer, »wie Hans den deutschen Sitten treu geblieben, also auch den deutschen Frauen, obwohl er durch seine Kunst in die Nähe der Huldreichsten und Holdesten des Welschlandes gelangt, daß ihn wohl, wie Ihr sprecht, Meister Meuschel, die Sonnen blenden und gar versengen konnten.«

»Nun, so arg meinten's die Meister nicht,« sagte Dürer, »ich glaub' auch, das liebe deutsche Land hat auch liebe deutsche Frauen, die Jeder ehren und achten muß, denn glaubt mir, Frauen, wie die deutschen, so züchtig sittig, so jungfräulich schön, findet ihr nirgendwo.«

»Drum stoßt an auf das Wohl der holdseligen deutschen Frauen!« rief Hans Sachs, und die Becher der Männer erklangen. »Nun Junker Hans,« fuhr der Meister Sachs, zu Gerla gewandt, fort: »Du trinkst auf das Wohl unserer schönen Wirthin; uns gibst Du ein Lied zum Besten, weil Du so gar mißmuthig traurig dreinschaust. Du weißt, wie das Reimlein heißt:

›Wo Saitenspiel und Musik klingt
Und Weines Kraft im Becher blinkt,
All' Traurigkeit und böse Tück
Verschwinden in ein' Augenblick.‹«

»Ja, ja! schön! Gerla muß singen,« riefen die Männer einstimmig, und Margarethe brachte ihm schon seine Laute, mit derselben Bitte, sich neben ihm niederlassend.

Rasch griff Gerla in die Saiten, und alle lauschten seinem Liede, das er mit einem kräftigen Tenor sang:

Als im Schlaf einst hielt gefangen
Süß der Traum des Sängers Leib,
Kam zu ihm dahergegangen
Ein gar wunderholdes Weib
Mit gar lichten Augen, Wangen,
Schön geschmückt mit reichen Spangen.

Und sie thät zu ihm sich neigen,
Küßte sanft des Sängers Mund,
Thät der Töne Macht ihm zeigen,
Ihm des Sang's Geheimniß kund;
Staunend horcht er, und mit Schweigen
Ihr, der alle Schönheit eigen.

Als der schöne Traum entschwunden,
Nimmt die Laute er zur Hand,
Und sein Spiel thät bald bekunden,
Welch groß' Glück im Traum' er fand, –
Was er je gedacht, empfunden,
Singt sein Spiel seit jenen Stunden.

Der Sänger schwieg, mit lautem Jubel dankten ihm einige der Gäste, einige schwiegen still in sich gekehrt, und als er die Rechte von der Laute sinken ließ, fühlte er den schüchternen leisen Druck von Margarethen's Hand, was ihn mehr beseeligte, als aller Dank, den er ob seiner Kunst je empfangen.

3.

Aeußerst geschäftig ging es in der Gießhütte des Rothschmieds Vischer zu, hoch wirbelte der Dampf über dem Schornsteine, und die einzelnen Stimmen, die sich in der Werkstätte vernehmen ließen, kündeten geschäftiges Wirken.

Zuweilen trat Meister Peter Vischer mit ernster Miene vor die Thüre in den Garten, in dem die Werkstätte lag, und dem Schütteln des Bartes, dem Hin- und Herschieben seines ledernen Käppchens merkte man es sogleich ab, daß er ein bedeutendes Werk vorhatte.

»Vater, die Speise wirft Blasen, sie wird bald gußrecht sein,« berichtete sein Sohn Herrmann, zu ihm tretend und sich mit dem Schurzfelle das Gesicht abtrocknend.

»Nun dann, mit Gott und seiner Gnade, laßt uns zuerst den Himmel um das Gedeihen uns'res Werkes anflehen,« sagte ernst Meister Vischer; und seine Söhne traten zu ihm, er entblößte sein Haupt und alle beteten.

Rasch ging's an's Werk, der Kran war geöffnet, und der Glutstrom des Erzes floß in die Form, zischend vor Wuth, daß ihn das Feuer gebändigt. Als er nun die Form gefüllt, und sich prächtig gehalten, sprach Meister Vischer mit seinem derben Baße aus voller Brust: "In alle Ewigkeit, Amen!«

Jetzt trat der Meister mit freudigem Antlitz in den Garten und jubelnd folgten ihm seine Söhne. »Margareth«, rief er nach dem Hause, »einen deutschen Trunk, wir haben's verdient,« und ließ sich im Schatten einiger Kastanienbäume auf den sanft schwellenden Rasenteppich nieder.

Margarethe kam mit der hohen Kanne und füllte den silbernen Ehrenbecher, ihn mit sittigem Gruße dem Vater reichend. »Mädel, Gott sei gedankt, es ist geschehen, ich will den hochfahrenden Welschen zeigen, daß wir Deutschen auch etwas können, und magst nun Du, Herrmann, mit Deinem Kumpan, den Hans Gerla, mir noch so viel von der Kunst Italias plaudern und predigen. Schön ist's, doch kommt mir Manches so gar heidnisch vor in ihren Gebilden, Das darf nicht sein, durchaus nicht.«

»Aber Vater,« erwiderte Herrmann, »ich sollte doch meinen, Italia sei die Wiege der Kunst!« –

»Was, Wiege der Kunst!« fuhr der Meister auf, »sprich, wo ist die Wiege des Frühlings? Allenthalben, in allen Landen mag der Frühling sein Eigenthümliches haben – aber allenthalben ist es doch immer derselbe Frühling – und wo die Kunst in ein Land Einkehr genommen, da ist auch der Frühling desselben hereingebrochen, und der bringt jedem Lande seine eigenthümlichen Blüthen, die aber wollen begriffen sein, sie wollen verstanden sein. Könnten die meisten deutschen Kunstkundigen die hohen deutschen Meister in ihren Werken verstehen, sie brauchten nicht nach dem Welschlande hinauszuziehen. Sind die Deutschen doch gewöhnlich wie die Kinder und Affen, was fremd und neu, Das gefällt, und ist es noch so pudeltoll, wie auch in ihren Trachten. Ich will damit nicht sagen, daß Italia keine wackern Meister gehabt, die Tüchtiges geschaffen – aber ich lasse mir nichts auf das liebe deutsche Land kommen!«

»Da sei Gott für!« erwiederte Herrmann, »doch da kommt unser Freund Hans, dem ist die Gabe der Rede, der wird's Euch schon sagen, was Italia Schönes besitzt.«

Hans Gerla trat in den Garten; Margarethe ging ihm entgegen und bat ihn, doch nur Einiges vom schönen Welschlande zu erzählen. Gerla trat mit freundlichem Gruße näher und that dem Meister Vischer Bescheid, als dieser ihm den Becher reichte.

»Wenn unser Freund Gerla erzählt,« sprach Margarethe zu ihrem Vater, »so werdet Ihr, Vater, schon anders reden. Es muß gar so schön draußen sein in dem fernen Lande mit den goldenen Aepfeln, den reichen Städten und Kirchen, den holden Frauen in so prunkvoller Kleidung, denn dort tragen sie nur goldgewirkte Hauben und Mieder und goldene und silberne Pfeile in den Haaren.«

»Beim St. Sebaldus!« rief lächelnd Meister Vischer, »Hans, Hans, Du machst es noch so arg, daß das Mädel eine Wallfahrt nach Loreto oder gar nach Montcassin anstellt. An unsern Speisen hab' ich schon gemerkt, daß ihr etwas im Kopfe spukt, bald zuviel Spezerei, bald zu wenig. Ja, ja, Italia,« fügte er hinzu mit einem Seitenblick auf Gerla und seine Tochter.

Schüchtern schlug die Jungfrau den Blick nieder, und die Farbe ihrer Wangen wechselte, wetteifernd mit den Rosen, die ihre Brüder schäkernd nach ihr warfen; Gerla, der sich nach dem Willkommgruße auch in's Gras niedergelassen, wurde ebenfalls verlegen und begann auf Hermann's Nöthigen, von Italien und dessen Kunstschätzen zu erzählen. Alle horchten; doch je feuriger des Jünglings Rede, um so düst'rer wurde das Antlitz des Meisters.

»Geselle,« sprach er endlich, »Du sprichst, wie ein Knabe über seine Weihnachtsbescheerung, also über Italien, kennst Du den Spruchreim:

Der Venediger Macht,
Der Augsburger Pracht,
Der Nürnberger Witz,
Der Straßburger Geschütz,
Der Florenzer Geld,
Sind berühmt durch alle Welt!

Hörst Du? der Nürnberger Witz. Was Nürnberg, die liebe Stadt, geleistet in aller Kunst, magst Du wohl nirgend finden, Gesell.«

Gerla fuhr fort, und schilderte einige Kunstgebilde, die er in Italien gesehen, mit der größten Begeisterung, und kam auch so auf die Tonkunst zu sprechen.

»Wenn Du das deutsche Land känntest,« fuhr Meister Vischer drein, »so würdest Du nicht so reden. Zieh nur von der Pegnitz nach dem Rhein, gen Basel, Straßburg, Mainz, Cöln und wie die Städte heißen, da wirst Du finden, was ich meine.«

»Aber gewiß, Meister, Das nicht, was man in Italien findet, denn dort im Garten, dem Paradiese der Welt, ist jedweder, möcht' ich sagen, Künstler, denn allen ist die schöne Kunst zum Bedürfniß geworden. Die Lieder, die Ihr auf den Straßen von Einzelnen aus dem Stegreife hört, welche die Schiffer in ihren Kähnen singen, tragen alle das ächte Gepräge, sie sind tief empfunden, und sprechen daher auch zum Herzen.« –

Gerla wollte fortfahren, aber zürnend fiel ihm Meister Vischer in die Rede: »Für Euch Fiedler mag's da das rechte Leben dein, denn Ihr seid wie die Zugvögel, die auch eigentlich keine Heimath haben, und nur dem Futter nachziehen.«

»Aber lieber Meister!« bat Gerla, »Ihr verkennt mich, und das schmerzt.«

»Was verkennen? was schmerzen?« sprach entrüstet Meister Vischer »der ist ein Gauch, ein elender Wicht, der sein Vaterland, sein Nest verachtet. Solch' eine niederzüchtige Kuckuksbrut mag es im Welschlande wohl geben, und dort geduldet werden, ich mag sie aber nicht, verstehst Du mich, Geselle?«

Mit diesen Worten erhob sich Meister Vischer. Bittend, die Thränen kaum verhehlend, sah Margarethe zu ihm empor, zugleich zu dem Jüngling den Blick wendend, um bei ihm für das vom Vater gethane Unrecht Abbitte zu thun. Gerla hatte sich indeß erhoben und war zum Garten hinaus geschritten.

»Der Narr,« sprach Meister Vischer, ihm, den Kopf schüttelnd, nachsehend – »und ich bin noch ein größerer Narr,« fügte er lächelnd hinzu, »daß ich mich über den Gelbschnabel ärgere.«

Er schritt ruhig zur Gießhütte, wohin ihm seine Söhne, nur mit den Blicken sprechend, folgten. Margarethe eilte nach dem Hause, um dem Jünglinge vielleicht noch für den Vater Abbitte thun zu können.

4.

Todtenstille herrschte in Gerla's Werkstätte; seine alte Mutter saß in dem hohen Polsterstuhle mit andächtig gefalteten Händen, bald in die vor ihr aufgeschlagene Bibel blickend, bald herüber zu ihrem Sohne, der stumm, in sich gekehrt an seiner Werkbank saß, eine beinahe vollendete Laute auf dem Schooß haltend; doch schien er an keine Arbeit zu denken und blickte nur zuweilen auf die Straße hinaus durch die kleinen runden Fensterscheiben, welche der Kammer ihr spärliches Licht spendeten.

Seit einiger Zeit war Gerla, der sonst immer pfiff und sang, und so die ganze Nachbarschaft erheiterte, so ruhig und still, nur am Abende im Zwielichte das Haus verlassend. Mit mütterlicher Besorgniß hatte Frau Gerla ihn zu verschiedenen malen um die Ursache seiner Trauermüthigkeit gefragt, aber auf alle ihre Fragen, gegen seine Gewohnheit, nur ein kurzes Ja oder Nein zur Antwort erhalten oder gar keine. Selbst, als sie ihm erzählte, daß sie am frühen Morgen Margarethe im St. Sebalds-Münster gesehen, und diese nach ihm gefragt, schwieg er, und nur ein Seufzer entwand sich seiner Brust. Wenn sie sonst von Margarethen gesprochen, und sie eine Zierde und ein Muster der Jungfrauen Nürnbergs genannt hatte, Den glücklich preisend, der sie dereinst als Hausfrau heimführe, hatte er immer mit in das Lob des Mädchens eingestimmt und nach seiner Weise mit der größten Lebhaftigkeit zu hundertenmalen ihre Vorzüge, ihre anmuthvollen Reize geschildert, so daß die gute Frau sich schon stolz als Margarethens Schwiegermutter sah, und sogar schon manche Einrichtung zum künftigen Haushalt des Sohnes getroffen hatte.

So saß jetzt auch die besorgte Mutter, ganz mit dem Kummer ihres einzig geliebten Sohnes beschäftigt, als plötzlich die Thüre aufging, und Meister Hans Sachs im stattlichen Festkleide mit einem biedern »Gott zum Gruße Frau Gerla!« hereintrat.

»Tausend dankschön, Meister, daß Ihr kommt. Dachte ich doch, Ihr hättet unsres Hauses ganz vergessen,« sprach Frau Gerla, dem Meister, einen Sitzschragen hinschiebend.

»Wer könnte das, Frau Meisterin?« entgegnete Meister Sachs, und fuhr, zu dem jungen Gerla, der sich zum Gruße aus seinem Brüten erhoben, gewandt, fort, »flugs Geselle, in die Sonntagswat, es geht hinaus nach Neunhof. Herr Willibald Pirkheimer läßt Dich durch mich dahin entbieten, wir geh'n mitsamt.«

»Aber Meister seht,« sagte der Jüngling verlegen, »mein Meisterstück muß gefördert werden, und dabei bin ich unpaß, laßt mich bleiben.«

»Mit dem Meisterstück hat's noch Zeit, flink und flugs in die Gewänder, was das unpaß sein angeht, da heißt es:

Sonnenschein und frisch Element
Sind das beste Medicament,

und das wirst Du erproben,« sprach Hans Sachs, »und Ihr, Frau Gerla,« fuhr er fort, »werdet mir nicht zürnen, daß ich Euch den Sohn für heute entziehe.«

»O, behüte der Himmel, theuerer Meister, er bedarf der Zerstreuung, denn er ist seit einiger Zeit gar so trauermüthig stille und trübe,« erwiderte Frau Gerla.

»Das hat Nichts zu bedeuten,« sagte lächelnd Hans Sachs, »es ist nur eine Gewitterwolke, drüben in Neunhof scheint ein Sönnlein, das diese bald durchdringen wird, und ich wette, zu Abend bringt er Euch lichtes, freundliches Wetter.«

Auf Dringen des Meisters und seiner Mutter hatte sich der Jüngling bald in seinen Feststaat geworfen

doch vermißte seine Mutter gar Manches an seinem Anzuge, dem sie kopfschüttelnd mit sorgsamer Hand nachzuhelfen suchte. Als Hans Sachs sich zum Aufbruch schon empfohlen, bemerkte er noch, daß Gerla seine Laute mitnehmen müsse, und suchte sie an ihrem gewöhnlichen Platze, fand sie aber in einer Ecke der Werkstätte ganz bestaubt und ohne Saiten.

»Gesell, Gesell!« sprach verweisend der Meister, »Du wirst wohl der edlen Sängerkunst nicht abtrünnig werden; aber nur rasch, draußen gibt's auch Saitenspiel!« Mit herzlichem Gruße, den Jüngling nach sich ziehend, verließ er die Werkstätte.

Still schritt der Jüngling neben dem Meister über den Fußsteig des St. Sebaldwaldes, der nach Neunhof führte, wo Herr Willibald Pirckheimer ein Landhaus besaß. Meister Sachs war nach seiner Gewohnheit in dem frischen Walde gar guter Dinge, erzählte bald Märlein und Schwänke, bald sang er lustige Lieder oder ahmte die Stimmen der Vögel nach, die in den luftigen schattigen Laubgezelten, in den hohen Gipfeln ihr schäkerndes Wesen trieben und mit ihrem Zwitschern und Singen des traurig daherschreitenden Jünglings zu spotten schienen.

Am hohen Mittage kamen sie nach Neunhof, doch hatten sich die Gäste des Pirkheimer schon in der reizenden Umgebung zerstreut, um den schönen Nachmittag im Freien zu genießen.

Nachdem sie sich etwas erlabt und von den Mühen des Weges und der Hitze des Tages ausgerastet, suchten sie die Gesellschaft auf und stille ließ der Meister den Trauermüthigen seiner Wege gehen.

Gerla folgte einem lustig dahin rieselnden Bächlein, welches lüstern die Küsse der über ihm schwebenden Blumen naschte und sich einen Schlangenweg durch die grüne, mit bunten Farben besäete Matte bahnte.

So kam er bis zur sogenannten Klause, einem schattigen Plätzchen, welches tiefer als der Grund lag, und zu dem einige Treppen hinunterführten. Mehrere Bächlein und Brünnlein liefen hier plätschernd zusammen und harmonisch stimmte mit ihnen das Säuseln der Blätter und Blumen und der Gesang der Vögel. Der Jüngling ließ sich unter der Linde, die sich in der Mitte der Klause erhebt, nieder und war gar bald wieder ganz verloren in seinen Gedanken an Margarethe und den Zorn ihres Vaters, der alle seine Pläne, seine schönen Träume zerstört; selbst hatte er noch nicht gewagt, sich Margarethens Bruder, seinem Freunde Herrmann, zu erklären, als dieser ihn um die Ursache seines Kummer befragte. Mit der so reizend zur Jungfrau emporgereiften Margarethe hatte er die schönen Tage der Kindheit kindlich verlebt, doch war er schüchtern befangen, als ihm nach der Heimkehr von der Wanderschaft statt der Knospe schon ein zartes Blümlein begegnete und sie selbst die frühere Unbefangenheit ganz gegen ihn verloren hatte, wiewohl sein Herz sich immer freudiger gestand, daß sie ihm zugethan sei in Liebe – sie als Hausfrau heimzuführen, war daher sein höchster Wunsch, sein schönster Traum, den er jetzt entschwunden und zerstört glaubte.

Aus seinen Träumen erwachend, sah er an einem nahen Bächlein Margarethe stehen, die ihm den Rücken zugekehrt und etwas zu suchen schien in den hüpfenden Wellen. Anfangs schien es ihm ein Traum, doch erhob er sich, sich ihr leise nähernd und sah, wie sie eine Blume pflückte und die Blätter des Blumensternes auspflückte mit den Worten: »Treulieb bin Dein eigen, Blümlein sollt nicht schweigen, ob er liebt mich, von Herzen.« »In Schmerzen«, rief der Jüngling, auf sie zustürzend, um sie zu umarmen. Der Jungfrau entsank die Blume, hohes Roth überflog ihr Antlitz, stumm sank sie an seine Brust; doch verkündete ihm ihr schönblaues Auge sein Glück, als er ihr den ersten Weihekuß der Liebe auf die frischen Rosenlippen drückte und sie sein theures Herzlieb nannte. Eine Thräne aus tiefstem Herzen stahl sich in das Auge der Jungfrau, mit dem sie, mild lächelnd, in höchster Wonne zu ihm hinaufblickte. »Ich glaubte, Du hättest mir gezürnt,« flüsterte sie, als ein zweiter Kuß des Jünglings sie aus ihrem stillen Entzücken erweckte. »Dir zürnen, Margarethe? Wüßtest Du, was ich gelitten, seit ich Dich nicht sehen durfte.« – »Vater zürnt nicht mehr,« sagte Margarethe, sich an den Jüngling schmiegend, »komm' nur zu uns.«

Gerla wollte etwas erwidern, da rief des alten Vischers Stimme laut: »Heida, das ist gewiß Sitte des Welschlandes, Geselle! Margarethe, hieher!«

Die beiden Liebenden fuhren bei dem ersten Tone auseinander; über und über mit glühendem Schamroth bedeckt, schlug die Jungfrau die Augen zur Erde, und wankte neben Gerla, der frisch nach der steinernen Treppe schritt, die aus der Klause führte, und an die gelehnt Meister Vischer mit ernstem, doch nicht zürnendem Antlitz stand. Als der Jüngling mit der Jungfrau vor den Meister getreten, sprach er mit fester Stimme: »Meister, seid nicht ungehalten, gebt mir Euer Töchterlein zur Hausfrau, ich kann sie auf ehrsame, bürgerliche Weise ernähren, und sie ist mir, und ich bin ihr in herztreuer Liebe zugethan.«

»Hat noch Zeit,« erwiderte Meister Vischer, sich zu seiner Tochter wendend, die es jetzt wieder gewagt, den Blick zum Vater zu erheben, um des Jünglings Gesuch zu unterstützen. »Es hat noch Zeit, sage ich, wenn Du Geselle einmal Meister bist und den welschen Gast im lieben deutschen Lande nicht mehr spielst,« sprach der Meister, und schritt mit seiner Tochter fürbaß.

Allein blieb der Jüngling stehen, der an der Hand des Vaters dahinschreitenden Jungfrau nachsehend, als ihm Jemand auf die Schulter klopfte, er drehte sich um, und Hans Sachs mit seinem feinlächelnden Gesichte stand hinter ihm, und sprach:

»Wir wollen jetzt nach Nürnberg ziehn,
Da Dir allhier Dein Sönnlein schien,
Der Mutter wird nach trüber Nacht,
Das schöne Wetter heimgebracht.«

5.

Die blaue Himmelsdecke, die sich über die freie Reichsstadt Nürnberg in reinster Klarheit wölbte, die von den Sonnenstrahlen leicht vergoldeten Giebel der Häuser und Kirchen, die vielen, in ihrem Feststaate über die Straßen dahinziehenden Menschen, alles stimmte zu der Ruhe des Tages, den jeder für einen Feiertag halten mußte. Es war Mariens Himmelfahrttag, den alle Glocken froh von den Thürmen begrüßten. Die Straßen wurden allmählig belebter, und die festlich angethane Menge strömte nach der St. Katharinen-Kirche, wo Singschule der alten Meistersänger und Meisterprobe gehalten werden sollte, wie es der ehrsame Meister Hans Sachs nach langer Zeit wieder aufgebracht hatte, damit die hochseelige Kunst des Gesanges wieder ihre Blüthen treibe, und die Menschen erlabe, erfreue und belehre.

Rings auf dem Chore saßen die Bürgermeister, Rathsherren und Edlen der Stadt, rechts war eine Erhöhung angebracht für die Merker, links für die ältesten Meistersänger und in der Mitte ein erhöhter Sitz für die Sänger, die sich hören lassen wollten. Die Kirche war gedrängt voll, links in den Seitengängen und in dem Schiffe die Frauen, rechts die Männer, in der gespanntesten Erwartung.

Plötzlich ertönten die Pauken und Posaunen von oben herab, und aus der Sakristei schritten die ältesten Meistersänger paarweise in stattlichen Festkleidern, dann kamen die drei Merker, unter denen Hans Sachs, und zuletzt die Gesellen, unter denen Hans Gerla, Lautenmacher, Jakob Elßner, Briefmacher, und Hans Springinklee, Maler und Dürers Schüler, ihre Meisterprobe ablegen sollten.

Auf einen Wink des ältesten Meisters nahmen alle ihre Plätze ein, die Orgel intonirte, und in andächtigem dreistimmigen Choral flehten die Sänger den Himmel an, daß er ihrer Kunst Fortblühen und Gedeihen schenken möge zum Nutz und Frommen der Menschheit.

Hans Sachs erhob sich, nachdem der Gesang verstummt, und erzählte, wie die holdselige Kunst des Gesanges schon lange in den deutschen Landen geblüht, und wie unter Kaiser Otto dem Großen zwölf ehrsame Sänger in trautem Bündniß gelebt, und durch die Welt gefahren seien, um die Menschen mit ihrer Kunst zu erfreuen. Wo sie nur hingekommen, habe sie das Volk mit Jauchzen und Freuden empfangen, und sei immer von ihrer Kunst ganz bezaubert gewesen. Darauf habe der Papst diese Sänger der Ketzerei beschuldigt, und sie mit dem Banne bedroht; Kaiser Otto habe sie aber vor sein Gericht gefordert und sie unschuldig befunden, ihnen daher auch das Privilegium ihrer Kunst ertheilt, und so bestehe seitdem in deutschen Landen die hochselige Kunst des Meistergesanges noch immer und werde blühen in alle Ewigkeit, so lange die deutsche Zunge klinge. »Und darum, ehrsame Meister, wackere Gesellen und Jünger der Kunst«, fuhr er fort, »laßt uns wirken zu ihrer Verherrlichung. Ihr Gesellen, Hans Gerla, Jakob Elßner und Hans Springinklee, ehrenfeste Bürger der freien Reichsstadt Nürnberg, die Ihr Euch um den Meisternamen bewerbt, wollet also singen im Regenbogenton und in dem des hochgepriesenen Heinrich Frauenlob von Mainz; beachtet die Gesetze und die Tabulatur, worauf wir drei geschwornen Merker merken wollen und sollen nach Pflicht und Gewissen. Der, der da sei gelobt jetzt und in alle Ewigkeit, steh' Euch bei zu Eurer Probe.«

Die Orgel intonirte und die Sänger stimmten ein kleines Lied an.

Hans Springinklee trat zuerst auf und sang zum Lob Nürnbergs und der edlen Malerkunst, ohne alle Begleitung. Als er geendet, kündeten die Merker, daß er in den Gesatzen gefehlt und die stumpfen und klingenden Reime nicht gehörig habe wechseln lassen. Er bot keinen eigenen Ton.

Jakob Elßner läßt sich jetzt hören und begleitete sich mit der Laute; seine Lieder besangen den Frühling und dessen Freuden, doch auch er hat zweimal gegen die Töne gefehlt und bot auch keinen eigenen Ton.

Jetzt war die Reihe an Hans Gerla, ein Geflüster durchlief die Kirche und der Frauen Blicke hingen besonders an dem schönen Jünglinge, der mit sittiger Verneigung gegen die Edlen und Meister hervortrat. Die Laute hing an seiner Brust, frei schweifte sein Auge in der Halle umher und fand bald, was er suchte; Margarethe saß in einer der Bänke, mit Wohlgefallen den Geliebten betrachtend, und doch konnte sie sich des Erröthens nicht erwehren, als ihre Blicke sich trafen und muthig, freudig der Jüngling ihr zulächelte. Da er noch nicht Meister, so fragte ihn Hans Sachs: »Was sein Gewerbe?« und er antwortete:

Gut Lauten hab ich lang gemacht
Aus Tannenholz, gut und geschlacht.
Erstlich über die Form gebogen,
Darnach mit Saiten überzogen,
Und angestimmt mit süßem Klang,
Eben gleich figurirtem Gesang,
Gefirnißt Kragen, Boden und Stern,
Auch mach ich Geigen und Quintern.

Auf das gegebene Zeichen hob er seinen Gesang an und zum Lobe der Sängerkunst und der Musik in Frauenlobston und dann in Regenbogenton ein Lied über das Vergnügen des Reisens. Als er geendigt, erklärten die Merker, daß er nur einmal im ersten Ton gefehlt. Als Meister Sachs ihn fragte, ob er auch einen eignen Ton bieten wolle, antwortete er, wenn es die ehrsamen Meister erlauben, und auf ein Zeichen, das er gab, ertönte von der Orgelempore eine gar angenehme Harfen- und Flötenmusik. Aller Augen ruhten auf dem Jünglinge, der, nachdem das Vorspiel in vollen Akkorden allmählig leiser und leiser verhallte, selbst in die Saiten seiner Laute griff und folgendes Lied sang:

Blüthen gleich, so kehren wieder
Lieder mit dem Frühling zu den Auen.
Bieten Wonne, Lust den holden Frauen
Trauen sie dem Klang der Lieder.
Sonnen lachen, Flur und Auen,
Bauen anmuthreich der reinen Minne
Wonnig unter Blüthen Schloß und Zinne.
Sinne diese zu erschauen!
Müde nimmer horch dem Liede
Sehnend durch die Auen klingend;
Ringend, Dich am Ziel nicht wähnend,
Blühet noch Dir doch die Zinne,
Wo dann Königin thront, die Minne,
Herrschend, durch die Macht der Lieder,
Ueber Mägdlein hold und Frauen,
Fesselnd durch den Schmuck der Auen
Alle, die ihr fromm vertrauen,
Tönen mit in ihre Lieder.

Sowie die letzten Klänge der Strophe verhallt, fielen die Flöten und Harfen wieder ein. Leise Seufzer mancher Anwesenden vereinigten sich mit den lieblichen Tönen! Margarethe weinte still vor Freude, wundersam durch das Lied des Jünglings erregt, von dessen Lob aller Herzen voll waren und der, nachdem das Zwischenspiel beendigt, mit seiner männlich vollen und umfangreichen Stimme also fortfuhr:

Schützend, die ihr treu ergeben,
Leben einzig ihr in süßer Frohne,
Stützend nicht auf Hoffnung sich zum Lohne.
Ohne andres Erden-Streben,
Spendet Kronen sie den Treuen,
Freuen will sie sich in ihrem Glücke,
Wendet ab von ihnen alle Tücke,
Tücke muß die Minne scheuen!
Nimmer, nimmer Glanz und Schimmer,
Minne nur der Minne wegen,
Hegen sollst Du treue Sinne. –
Schlimmer noch als böse Tücke,
Störend jedem süßen Glücke
Ist ein ungetreues Streben;
Denn es lachet nur den Treuen,
Die sich still der Minne freuen,
Nicht des Lebens Qualen scheuen,
Stets der Minne schönstes Leben.

Der Jüngling schwieg und lauter Jubel erscholl durch die Kirche. Nachdem die Merker laut den Ton als kunstgemäß anerkannt, trat Herr Willibald Pirkheimer vor und setzte dem Sänger einen einfachen Kranz auf und die Meistersänger begrüßten ihn mit Handschlag und Kuß als Meister der holdseligen Kunst.

Von der Orgelempore wirbelten die Pauken und schmetterten die Posaunen dem neuen Meister zum Gruße. Die Menge drängte sich aus der Kirche, um den Jüngling im Zuge nach dem Rathhause, wo die Stadt, nach allem Herkommen, dem Meister zu Ehren einen Schmaus hielt, noch einmal zu sehen. Als Gerla vor die Kirchthüre trat, im Geleite der andern Meister und Herren, ertönte ein dreifacher Zuruf und lauter Jubel begleitete den Zug bis zum Rathhause. Die schönsten Frauen und Mädchen der Stadt, und unter ihnen auch Margarethe, empfingen dort den Jüngling. Nachdem die festliche Tafel aufgehoben, fingen die Stadtgeiger und Pfeifer recht lustig an zu musiziren, und Gerla führte mit seiner Geliebten den Ehrentanz auf. Als er sich mit ihr im deutschen Tanze herumschwang, flüsterte er der Hochbeglückten zu: »Jetzt, Margarethe, bist Du mein!«

6.

Hans Gerla hatte auch sein Meisterstück als Lautenmacher abgelegt und war in die Zunft aufgenommen worden. Frohen Muthes ging er daher schon in den ersten Tagen darnach mit seiner Mutter nach dem Hause des alten Meister Vischer, um jetzt förmlich um die Hand seiner Tochter anzuhalten.

»Ich kann sie Dir nicht verwehren, Gerla,« sprach der Meister, »Du hast Deine Proben redlich und tüchtig bestanden, bist fleißig und bieder, und Margarethe wird hoffentlich glücklich mit Dir sein, wenn Du nur den welschen Gast daheim gelassen.«

Mit diesen Worten öffnete er die Thüre des Gemaches und rief seiner Tochter und seinen Söhnen. Als alle eingetreten, fragte er die Jungfrau, ob sie wirklich dem jungen Gerla in Liebe ergeben und seine Hausfrau werden wolle.

»Ja,« flüsterte Margarethe mit einem seelenvollen Blicke und reichte dem Jünglinge die Rechte.

»Nun dann, in Gottes Namen,« sprach der Meister, »so nimm sie hin und sie möge Dir sein, was ihre Mutter mir war, ein treues, deutsches Weib, der höchste Schatz auf Erden, das höchste Kleinod, das der Himmel dem Manne verleihen kann.« Thränen glänzten in des Meisters Augen, als er die Hände des jungen Paares ineinander legte und beide dann mit väterlicher Herzlichkeit umarmte.

Vor Freude schluchzend umarmte Frau Gerla Margarethen, einen Kuß auf ihre Stirne drückend.

»Ich bin überzeugt,« sagte Meister Vischer, sich die Augen trocknend, »daß meine Tochter in Euch, liebe Frau Gerla, ihre Mutter wieder gefunden, und sich gewiß auch Euerer Liebe würdig zeigen wird.«

»Gewiß, gewiß,« schluchzte die ganz in Freude selige Mutter, »hab ich doch immer gesagt, als Eure selige Frau Irmtrude noch lebte, daß die Beiden ein Pärlein würden. Sie sagte dann immer, so Gott will, und Hans ein Rothschmied wird, denn sonst würdet Ihr sie ihm nicht geben. Aber es war Gottes Wille, denn die Engel im Himmel schließen die Ehen und wachen über dieselben, wenn sich so zwei ganz und gar lieb haben.«

»Hans ist zwar kein Rothschmied worden,« erwiderte der Meister, »aber tüchtig in seiner Kunst und er wird mir's nicht nachhalten, daß ich zuweilen ein wenig derb.« – –

Erst nach 14 Wochen sollte die Vermählung gefeiert werden; denn wie Meister Vischer meinte, habe der Brautstand auch seine eigenen Reize, besonders für die Frauen, deren ganzer Charakter eben in diesem Stande sich meist zu ihrem Vortheile ändere.

Die 14 Wochen gingen schnell vorüber, und im St. Sebaldus-Münster wurde die Vermählung gefeiert. Während der Feier wetteiferten die berühmtesten Orgelschläger in ihrer Kunst miteinander auf der herrlichen Orgel, ein Werk des hochberühmten Meisters Burkhard. Alle Anwesenden mußten sich freudig gestehen, daß sie nie ein so schönes Paar gesehen, als Gerla sammt der Braut, in Begleitung der angesehensten Jünglinge und Jungfrauen Nürnbergs, zum Altar schritt, um von Priesters Hand die Einsegnung zu erhalten.

Lange und glücklich lebte das Paar in Nürnberg, und Meister Peter Vischer erfreute sich noch an manchem rüstigen Enkel, ehe seine Tochter Margarethe ihm den letzten Kindesdienst erwies im Jahre 1529.

Wie sein Schwiegervater Vischer berühmt ob seinen mannigfaltigen Gußwerken in Erz, die er für seine Vaterstadt, nach Breslau, Regensburg, Bamberg, Magdeburg, Wittenberg, Prag und weiter bis hinein nach Polen gefertigt, also berühmt war Gerla ob der schönen Lauten, die er fertigte, ob seiner Dichtungen und Meisterlieder und wunderschönen Tonweisen, welche er dazu erfand. Von allen Bürgern geliebt und beweint, schied hochbetagt er zu einem bessern Leben, um dort seine Freunde, seine Margarethe, die einige Jahre vor ihm heimgegangen, wieder in Liebe zu umfangen.


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