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Der Fünfundneunziger.

Nürnberger Geschichte.

(1806.)

Von G. Winter.


Im Jahre 1806 war die alte freie Reichsstadt Nürnberg von zahlreichen, wenn auch ungebetenen Gästen, heimgesucht; es war nämlich am 7. März unter dem General Frère das 95. Regiment des französischen Kaiserreichs eingerückt, und hatte, wie es schien und der Erfolg es auch lehrte, sein Quartier auf längere Zeit genommen und dadurch ein reges Leben in die Stadt gebracht. Besonders fand der weibliche Theil der Bevölkerung viel Wohlgefallen an den schmucken Fremdlingen, die in ächt französischer Galanterie jeder jungen Frau, jedem hübschen Mädchen die Kur machten, und durch Augen- und Geberdensprache den Mangel an Kenntniß des Deutschen hinreichend ersetzten, auch zum großen Verdrusse der schlichten Bürgers- und Meistersöhne gar häufig nicht unerhört blieben. Freilich sahen die kräftigen Söhne des Mars in den eng anschließenden weißen Beinkleidern, den hohen Stiefeln, den blauen Fracks mit weißen rothvorgestoßenen Ravers- und Aufschlägen, den blanken mit der Regimentsnummer verzierten Knöpfen, den mächtigen rothen Epaulettes, und den dreieckigen unternehmend aufgesetzten Hut mit dem wehenden rothen Busch, stattlicher und bestechender aus, als der Bürger in seinem schlichten Rock, und wenn der Sage zu trauen ist, und die Nürnbergerinnen schöne Männer in schöner Uniform damals so gerne sahen, als es noch jetzt zuweilen der Fall sein soll, so war es kein Wunder, daß hinter den Fünfundneunzigern, wie die Nürnberger in beliebter Kürze die Soldaten des 95. Regiments titulirten, manche Verwünschung hertönte, die wohl oft zu ernsthaften Zwist hatte führen können, falls die heißblütigen Franzosen mehr deutsch oder vielmehr nürnbergerisch verstünden, welch letzteres übrigens, wie dem nicht nürnbergischen Leser dieser Zeilen zur Notiz dienen möge, eine ziemlich verstümmelte Abart des ersteren ist, die selbst den gebornen Deutschen in ihrer Art so unverständlich sein dürfte, als die plattdeutsche Sprache des Nordens.

Einer der liebenswürdigsten Burschen im ganzen Regimente aber war Laurent, der Tambour, ein Sohn der heiteren Provence, gerne gesehen von Jung und Alt, von den Kameraden geliebt, aber nichts desto weniger doch oft beneidet um das Glück, was er, so sagte das ganze Regiment, bei den Mädchen habe, und gar nicht einmal benützen möge. Wer wäre auch dem freundlichen Krauskopf mit den funkelnden braunen Augen, mit seiner liebenswürdigen jovialen Persönlichkeit nicht gut gewesen? Seine Dienstfertigkeit und Liebe für seine Kameraden, und ein Lebenswandel, wie ihn in jenem wüsten, wilden Kriegsleben wohl wenige Soldaten geführt haben mögen, machten ihn zum Liebling des ganzen Korps, und nur Moulins, ein Vendéer, war der Einzige, der sich an ihm stets zu reiben, und ihn so viel als möglich zu kränken suchte.

Moulins, ein starkknochiger, hagerer, schwarzgelber Mann, von fast riesenhafter Gestalt, sollte, so erzählten sich die Kameraden, nur zu häufig der unglückliche Nebenbuhler des niedlichen Laurent gewesen sein und wer einen Vergleich zog zwischen der anmuthigen Freundlichkeit des Tambours, und dem finstern herrischen Wesen Moulins, dessen stechende Augen schon verriethen, daß die in den letzten Jahren des verflossenen Jahrhunderts leider! – welthistorisch gewordenen Greuel seiner Landsleute auch seiner mordgewohnten Faust nicht fremd geblieben, der mußte diesen Erfolg ganz natürlich finden. Hiedurch war denn auch zwischen beiden eine Spannung entstanden, die den Kameraden bei erster Gelegenheit einen heftigen Streit, aber mit diesen auch einen schlimmen Stand für den kleinen Tambour voraussehen ließ, denn er mußte gegen den rauflustigen Goliath, den man ohnedies nachsagte, daß er in muthwillig herbeigeführten Händeln als ausgezeichneter Fechter schon sechs Kameraden geliefert habe, offenbar den Kürzern ziehen. Eines Nachmittags saßen ein Trupp Fünfundneunziger, unter ihnen auch Moulins in der Bierschenke »zur Laus«, einer schon Jahrhunderte unter diesem trivialen Namen bekannten Kneipe mit einem Gärtchen ohnweit der Insel Schütt, und wo noch jetzt, den Ansprüchen der Zeit mehr genügend, und unter dem neuen Schilde des »geharnischten Ritters« Nürnbergs edler Gerstensaft in ausgezeichneter Qualität getrunken wird; einige junge Soldaten plauderten über Laurent und lachend meinte der Eine: »Ein Satanskind ist und bleibt der Tambour einmal. Ihr kennt doch Alle das hübsche Mädchen, meinem Quartier gegenüber; ich habe schon meine schönsten Blicke vergeblich an sie verschwendet, und siehe da, eben als ich hier hergehe, plaudert der Teufelsjunge freundlich mit ihr, greift ihr zärtlich an's Kinn und sie wird röther im Gesichte als meine Epaulette. Na, tröstet Euch mit mir, Moulins, lachte er zu diesem herüber, der ein schiefes Gesicht zog, – Ihr seid nicht allein bei dem schönen Mädchen abgeblitzt, der Laurent hat uns alle ausgestochen.

Der Teufel hole den Gelbschnabel, brummte Moulins, mit sammt der schnöden Bürgerdirne. Ich habe sie mir längst aus dem Sinn geschlagen und Etienne Moulins dünkt sich viel zu gut, um mit dem bartlosen Tambour aus einer Schüssel zu essen.

Aus Euch spricht Neid und Mißgunst, oder das ungewohnte Bier des fremden Landes, entgegnete Claude, der erste Sprecher, – aber schimpft nicht über den abwesenden Kameraden, denn das macht Euch wenig Ehre. Und daß das Mädchen brav ist, vielleicht mehr als manchem unseres lockern Gelichters lieb sein mag, bestätigen alle Nachbarn, die hier, wie überall, von ihrem Nächsten meist mehr böses als gutes wissen und darum befleckt ihren guten Namen nicht.

Parbleu! brauste Moulins auf, ich glaube gar, Ihr wollt mir eine Strafpredigt halten. Glaubt Ihr ein Kind vor Euch zu haben? Schweigt, bis Ihr Euch selbst zu vertheidigen habt, denn bei Gott! zieht Euch Moulins vor die Klinge, so könntet Ihr leicht der Siebente sein, der den Boden mißt, um nimmer wieder aufzustehen. – Euere Fechtkunst allein ist auch noch kein Zeichen des wahren Muthes und mancher hat ein großes Maul, wenn er mit dem Raufdegen in der Faust vor einem Neuling steht, und macht linksum, wenn die Kanonen anfangen zu brummen. Ich könnte Euch eine Geschichte von Austerlitz erzählen, – setzte Claude hinzu, einen festen Blick auf den Vendéer werfend, der bei diesen Worten seinen Schnurrbart verlegen durch die Hand laufen ließ; Ihr versteht mich wohl und wißt, daß ich Euch nicht fürchte, so wenig als ich Euch liebe, und es soll mir nicht darauf ankommen, für den abwesenden Kameraden einen Gang zu machen. »Der Kamerad dankt Dir!« sprach Laurent vortretend, der die letzte Rede unbemerkt mit angehört hatte, »aber er ist jetzt da, und er wird die Sache für sich selbst ausmachen. Laßt's jetzt genug sein des Gewitzels über mein sogenanntes Glück bei Mädchen. Kann ich dafür, daß Artigkeit in dieser alten Stadt, wie überall, besser aufgenommen wird als brüskes Wesen, das als Huldigung verlangt, was nur gewonnene Freundschaft bieten mag? und ein Schuft ist, wer unserer braven Nachbarin zu nahe tritt, die mich fesselt als das Ebenbild meiner Louison, die ich zurückließ in der schönen Provence und heimzuführen gedenke, wenn ich einst die Wellen der Rhone wieder sehe und mir zuvor das Kreuz der Ehrenlegion aus dem kalten Deutschland heimgebracht habe.

Nimmt mich nur wunder, daß der Kaiser Dir nicht schon das Kommandeur-Kreuz gesandt hat, zum Lohn Deiner Heldenthaten, – höhnte Moulins. Am Ende thust Du doch am Besten, so lange zu warten, bis es als Belohnung kommt für einen neu komponirten Marsch; hast's ja ohnedem schon weit gebracht und bist ein wahrer Virtuos auf Deinem Instrumente, das so viele Abwechslung darbietet.

Höhnt doch meine Trommel nicht, bat Laurent, die doch so nothwendig ist; ich halte mich als braver Tambour für so gut, als meine andern Kameraden, und ich wüßte nur eine Stunde, in der es mir leid thun würde, Tambour zu sein, – wenn ich den bis jetzt siegreichen Kameraden zum Rückzug schlagen müßte. Seht doch! spöttelte Moulins weiter, wie stolz der Junge seine Haut zu Markte trägt und wie tapfer er sein Trommelfell vertheidigt; man sollte am Ende glauben, es finde verwandtschaftliche Beziehung zwischen Euren Häuten statt. Auffahren wollte Laurent ob der Gemeinheit, aber sich fassend, sagte er: »Lasset jetzt mich zufrieden und meine Trommel dazu, mit der ihr am Ende mehr Aehnlichkeit habt, als Ihr glaubt« und gelassen setzte er sich zu den Uebrigen.

Wie so, Bürschchen? – brauste Moulins auf, gieb Antwort und sorge für Deinen Hirnkasten, wenn mich auch nur eine Silbe beleidigt. Und mit drohender Miene stellte er sich Laurent gegenüber. Nun, sagte Laurent keck – wenn Ihr es denn durchaus wissen wollt, Ihr und meine Trommel macht Beide um so mehr Lärmen, jemehr ihr geschlagen werdet.

Ein schallendes Gelächter tönte durch die Wirthsstube, aber wüthend riß Moulins den Säbel aus der Scheide, und wollte auf Laurent eindringen, da warf sich ein alter bärtiger Sergeant dazwischen, »zurück, Moulins, donnerte er, »ist das Manier? – Du hast's an ihn gebracht, und Laurent ist ein zu wackerer Kerl, als daß er Dir Genugthuung verweigern würde, als Franzose und Soldat vom fünfundneunzigsten.

Von Herzen gern, Kameraden! – sagte Laurent, und zwar lieber heute als morgen.

Wohlan, so folgt mir, ich weiß einen prächtigen Platz zu einer solchen affaire d'honneur, und nicht weit von unseren Quartieren! sprach der Sergeant, den abgelegten Säbel wieder umhängend, und den Hut auf den Kopf werfend.

Nun denn, – grollte Moulins, so mache Dein Testament, Bürschchen, denn in einer Stunde bist Du kalt!

Wie Gott will! entgegnete Laurent ruhig, – falle ich, so falle ich für die Ehre meines Standes, und eines braven Mädchens, und meine Kameraden schenken mir ein freundliches Andenken.

En avant, Messieurs! – kommandirte der Sergeant und der Haufe Krieger stürmte an den bestürzten Wirthsleuten zur Thüre hinaus, dem voranschreitenden Führer nach, über die beiden Stege an den Werkstätten der Rothschmiede vorbei, und raschen Schrittes, doch still und schweigend über die Schütt dem Kampfplatze zu.


Ueber den Hinterplatz der Insel Schütt am Fechthause vorüber, wo jetzt das wohleingerichtete Wildbald sich befindet, über die Agnesbrücke bewegte sich der Zug. Dort zeigte sich ein kleiner, wenigerbesuchter Platz, begrenzt vom sogenannten Nonnengarten und der Stadtmauer und ihren kleinen, größtentheils als Wohnung benützten Thürmen, deren einst so viel als Tage im Jahre, die Stadt sollen umgeben haben.

Hier seid Ihr ungestört – sagte der Sergeant, und reichte den beiden Gegnern die Stoßdegen, die ein Kamerad im Vorbeigehen aus seinem Quartier geholt. Macht Eure Sache nun ab, als ein paar brave Bursche! – und nun zurück, Jungens, schließt den Platz oben und unten, und drangt die Neugierigen zurück.

Und die Kameraden stellten sich oben und unten in einiger Entfernung auf, dadurch den ohnedies fast stets menschenleeren Platz für jede Passage sperrend und theils mit guten Worten, theils mit militärischen Kernflüchen die wenigen Gaffer zurückdrängend, die aus Neugierde, ohne zu wissen warum, dem über die Schütt eilenden Trupp Krieger sich angeschlossen hatten, ihnen jede Einmischung in den blutigen Handel streng untersagend. Selbst der Besitzer des Nonnengartens, den das Geräusch veranlaßt hatte, über die Umzäunung seines Gartens, in dem er sich eben erging, zu schauen, schreckten einige durch die Luft geführten Säbelhiebe Claudes alsbald in sein Eigenthum zurück, ihn zu dem festen Vorsatz bewegend, sich durchaus nicht weiter in diese Angelegenheit zu mischen. Die beiden Gegner hatten die Degen ergriffen, und der alte Sergeant ihnen ihre Plätze angewiesen. »Nochmals Ruhe! und stört die Duellanten nicht,« rief Claude den Gegnern zu.

»Empfiehl Deine Seele Gott,« brummte Moulins höhnisch auf Laurent zu.

»Sie steht in seiner Hand,« entgegnete dieser ernst, aber gefaßt; Claude, mein Freund und Landsmann, falle ich, so grüße die schöne Nachbarin und führt Dich einst, wenn auch als Invalide, doch sieggekrönt, der Weltfriede der Heimath zu, so grüße mir in der Provence die lieben Eltern und meine Louison, sage ihr, ich sei ein braver Kerl und ihr getreu geblieben bis an'sEnde, und jetzt, Moulins, zur Sache! –

Die Klingen kreuzten sich und mit scheuen Blicken hingen die benarbten Krieger, die so manche Scene des Schreckens erlebt hatten, am Verlauf des Kampfes, denn allen war bange um den freundlichen Laurent; zu bekannt war Moulins' Meisterschaft im Fechten; aber der kleine Tambour zeigte, daß er nicht bloß seine Trommelschlägel, daß er eben so gewandt wie diese das Rapier zu führen wisse. Die gefährlichsten Stöße wehrte er mit Gewandtheit und Sicherheit ab und allen Finten des Gegners gelang es nicht, ihn zu einer Blöße zu veranlassen.

Ein freundliches Gemurmel ertönte unter den Zeugen, aber in den Ohren des Vendéers klang es wie Hohn; der unansehnlichste seiner Gegner, mit dem er so leichtes Spiel zu haben glaubte, machte ihm so viel zu schaffen; mit erneuerter Wuth drang er auf Laurent ein, und bald fühlte dieser, daß die bloße Abwehr nicht mehr lange genügen dürfe. Und fest nahm er Hand und Auge zusammen und verwandelte sich muthig aus den vertheidigenden Theil in den angreifenden.

Ueberrascht von dieser vermeintlichen Raserei wurde Moulins wüthend, Tod sprühten seine Augen, und Laurent sah wohl, hier gilt es Leben um Leben, und suchte den Kampf zu Ende zu bringen.

Wenige Minuten und sein Degen bohrte sich tief in Moulins' Brust, der mit einem »Diable« brüllend zu Boden stürzte.

Erschöpft und zitternd sah Laurent auf sein Opfer hin, besorgt stützte ihn Claude und einige treue Kameraden; der alte Sergeant aber, der sich zu dem Sterbenden nieder gekniet hatte, rief vom Boden empor: Kinder, eilt in Eure Quartiers und schweigt über den Vorfall, wie das Grab, uns kennt Niemand; das Bekanntwerden würde viele Weitläufigkeit machen, und zu ändern ist die Sache doch nicht mehr. Sehet, wie die wenigen Bürger, die ungebeten Zeugen des Gefechts waren, sich erschüttert von der Schauderscene rasch entfernen; wie lange wird's dauern, wird die Sache ruchbar und der Platz hier könnte lebendiger werden, als uns Allen lieb wäre; diesen hier laßt liegen, zu retten ist er nicht mehr, und man wird ihn schon holen. Und Du, Laurent, sei ruhig, Du hast ihn gefällt im ehrlichen Streit, und Deine Ehre verwahrt, als Franzose und Soldat; Du hast Dein Leben so gut eingesetzt wie er, und hast, zum Glück für Dich, gewonnen, und an diesem da, setzte er, sich erhebend und zum Fortgehen anschickend, in den Bart brummend hinzu, hat die Welt noch überdieß nicht viel verloren.

Rasch zerstreuten sich, die Soldaten, zwei reichten dem betäubten Laurent den Arm, und bald war der Platz einsam und menschenleer, und nur das Röcheln des riesigen Moulins, der verlassen und sterbend am Boden lag, tönte schauerlich durch die Stille.


Einige Monate später saßen in der hintern Katharinengasse indem Wirthshause »zur gelben Rübe« verschiedene Bürger aus der Nachbarschaft in regem Gespräch, denn es war eine gar merkwürdige Zeit für die Nürnberger; die ehemalige freie Reichsstadt war dem neugeschaffenen Königreich Bayern einverleibt worden und somit unter des vielgeliebten Maximilians Scepter gekommen, und Stadt und Bürgerschaft hatten ihm feierlich am 15. September gehuldigt. Vielfache Aenderungen traten ein, manche veralterte Gebräuche wurden abgeschafft und dies, so wie die neuern Einrichtungen gaben den Nürnbergern beim schäumenden Bierglase gar reichlichen Stoff zur Kannegießerei, und fast immer brummte die Glocke 11 Uhr, die neugeschaffene Polizeistunde, deren Uebertreten von dem Kommissär der neuen Regierung unnachsichtlich geahndet wurde, den vielen Gästen der zahlreichen Wirthshäuser Nürnbergs zu bald, jeden Meinungsstreit mit dem letzten Zuklappen des Deckels ein Ende machend.

Einer der gewöhnlichen Gäste machte sich heute ganz besonders breit, denn er hatte einen weitgereisten Herrn Vetter mit in die »Compagnie« gebracht, und ließ vor diesem sein Licht möglichst leuchten. Ja, sagte er, indem er einen langen Sermon beschloß, seinen Krug leerte und durch Klappern mit dem Deckel eine neue Maaß kommandirte, – das sind Teufelskerle, die 95er, wie der Satan auf die Mädchen, aber auch mit der Klinge schnell bei der Hand; ich stand von Weitem dabei, denn näher ließen einem die Mosjehs nicht hin, und ich sage Euch, er lag dort, wie ein geprellter Frosch und sein Gegner war ein kleiner unansehnlicher junger Mensch. Ihr glaubt nicht, wie wir erschraken, als der lange Ding so mit eins auf der Erde lag. Wir nahmen auch Alle gleich reißaus. – Wie? sagte der Herr Vetter erstaunt, – Ihr sprangt dem Unglücklichen nicht zu Hilfe? – Nein! war die Antwort, und eine große Rauchwolke verbarg das etwas verlegen gewordene Gesicht des Erzählers, aber wir machten gleich die Anzeige und dann wurde das Weitere schon verfügt. Man trug ihn auf einer Leiter in der Geschwindigkeit in dieses Wirthshaus hier, allein da war alle Hilfe zu spät und ganz unmöglich. In kurzer Frist war er verschieden und dann haben sie ihn draußen auf Sankt Rochus begraben. Ob eine Untersuchung erfolgt ist, hat man nie erfahren. Was kümmern sich auch die hohen Herren um einen Soldaten mehr oder weniger, und verdient soll er es auch haben, wie es heißt. Was Gewisses ist nie bekannt geworden.

An dem Fleck, wo er fiel, hat man in einer Nische in der Mauer ein Kreuz eingehauen, als Erinnerung an die blutige Thal, und wenn Ihr mit dem Herrn da heimgeht, dessen Eltern wohnen in dem nächsten Thurm am Kreuz, wir haben heute eine Mondscheinnacht, da könnt ihr Euch noch heute das Kreuz besehen.

Danke, sprach der Reisende, ich bin im wilden Mann abgestiegen und logire auch heute Nacht dort, da führt mein Weg mich doch anders. – Wenn Ihr nicht vorbei müßt, so thut Ihr auch am Besten, es sein zu lassen, die Nacht ist keines Menschen Freund, verehrter Herr! so rief ein wohlbeleibter Mann, sich in das Gespräch mischend, von einem Seitentischchen herüber; der Erstochene war ein unruhiger Kopf und soll noch nicht zur Ruhe gekommen sein. –

Ihr meint also, sein Geist spukt? lachte der Fremde. – Na, da ist nichts zu lachen, antwortete der frühere Redner, das ist stadtkundig, und es gibt genug Leute, die ihn gesehen haben. Ihr aber scheint freilich von Euren Reisen so freigeisterische Ideen mitgebracht zu haben, aber ich kann Euch versichern, mein Gevatter, der Mittelwächter war, bis vor Kurzem, wo wir bayrisch geworden sind, hat ihn selber gesehen und beinahe den Tod davon gehabt vor Schrecken. Nun, wandte sich der Fremde lächelnd an den bezeichneten jungen Mann, dessen Eltern an der Schauerstätte wohnen sollten: Und Ihr fürchtet Euch nicht, junger Freund?

Ich weiß nicht – versetzte dieser ruhig, – was ich von so etwas denken soll oder nicht. Ich bin ein schlichter Zimmermannsgeselle, und gehe gewöhnlich um 10 Uhr nach Hause. Umgehen soll aber der Franzose erst um Mitternacht, und so treffen wir nicht zusammen, was ich auch gar nicht wünsche, wenn ich's auch nicht mit Absicht vermeide. – In diesem Augenblick schlug die Glocke 10 Uhr, der Sprecher zahlte sein Bier und einen Kreuzer für das Licht, griff zu Stock und Mütze, wünschte gute Nacht und ging.

Das Gespräch wurde allgemeiner, und der Fremde fühlte wohl, daß hier sein Bekehrungssystem nicht viel helfen würde, Zeugen über Zeugen wurden citirt, die den 95er selbst gesehen hatten und, – so war der Grundsatz der Anwesenden, – was die Augen sehen, glaubt das Herz. Der Fremde wollte keinen Mohren weiß zu waschen versuchen und schwieg zuletzt, und als es eilf Uhr brummte, gingen die Anwesenden vergnügt auseinander, in der festen Ueberzeugung, einen Freigeist von seinem Wahn geheilt und ihm den Glauben an den gespenstigen Franzosen glücklich eingeimpft zu haben.

Der Weihnachtsabend war herangekommen. In dem uns wohlbekannten Wirthshause war es aber nicht so gefüllt, wie gewöhnlich, denn bei gar vielen Nürnbergern kommt das »Christkindla« schon am heiligen Abend und veranlaßt sie, diesen Abend im häuslichen Kreise zuzubringen. Unter den gewöhnlichen wenigen Gästen gewahren wir unsern Zimmergesellen und einen Freund desselben; mit diesen Beiden scheint der Wirth der Schenke auf einem besonders freundschaftlichen Fuß zu stehen, was sich noch mehr bestätigt, als gegen zehn Uhr hin die wenigen Gäste alle sich entfernen und so der Wirth zu Beiden spricht:

Wenn's Euch beiden Herren nichts verschlüge, so könntet ihr wohl zum besten meiner Kleinen heute ein Stündchen länger als gewöhnlich bei mir bleiben, wenn auch gerade nicht im Wirthszimmer.

Ich habe meinen Kindern auf Morgen einen prächtigen Baum versprochen und Ihr seid wohl so gut, mir ihn putzen zu helfen? –

Die beiden Hausfreunde sagten zu, tranken langsam aus, während der Wirth die Schenke schloß und stiegen mit diesem in sein Familienzimmer hinauf, fleißig und still, um die nebenanschlafenden Kleinen nicht zu wecken, den Baum stattlich mit Marzipan und kandirten Figuren, Aepfeln, Gold- und Silbernüssen und einem »fetzenmächtigen Christkindla« reich und herrlich in Goldlahn schimmernd, putzend und die Tanne mit unzähligen farbigen Wachslichtern beklebend, um Alles beim Anbruch des Morgens reich strahlend beleuchten zu können. – So war Mitternacht herangekommen; leise und still, bedankt für die gütige Hülfe, und mit dem vielfachen Anwunsch glückseliger Feiertage von dem dankbaren Vater und Wirth versehen, entfernten sich die Freunde, und gingen Arm in Arm ihrer Wohnung zu. Die Nacht war hell und klar. Sieh, Herr Bruder, begann des Zimmermanns Freund, jetzt kommst Du doch einmal um die Mitternachtstunde nach Hause. Auch ist ja heute noch obendrein der heilige Abend und in den zwölf Nächten sieht man ja besonders gern Gespenster. Nimm Du Dich nur heute vor dem Fünfundneunziger in Acht! – Der wird sich heute unsertwegen auch nicht inkommodiren, spaßte der Zimmermann, schlimmstenfalls, wenn er mir nichts thut, will ich ihm auch nichts thun. – Nun, ich begleite Dich auf jeden Fall nach Hause, – sprach sein Freund – und will die schöne Nacht, sowie die Gefahr mit Dir theilen. Sie schritten an der Mauer des Nonnengartens fürbaß, und da, wo der Weg sich krümmt, erblickten sie des Zimmermanns elterliches Haus, deutlich in der hellen Nacht gewährten sie in der benachbarten Nische das Kreuz und vor dem Hause klar und hell steht mit verschränkten Armen in voller Uniform – – –


der Fünfundneunziger. Bei Gott, da ist er! So ist's doch wahr, was die Leute sagen, flüsterte der Eine erschrocken stehen bleibend. Das ist keine Täuschung, kein Bild der Phantasie, entgegnete leise der Freund und mit pochenden Herzen überlegten sie, was zu thun sei. Indessen begann der Franzose mit festen aber klanglosen Schritten auf und ab zu wandeln.

Wohl hätte der Freund des Zimmermannes seine Begleitung aufgeben, umwenden und seine Wohnung suchen können, dem Freund überlassend, sich mit dem Gespenst zu verständigen, aber der ist kein echter Nürnberger, der seinen Freund in der Noth verläßt und so beschlossen sie denn Beide nach kurzem Ueberlegen, darauf los zu gehen. Es geschah, nicht ganz so geschwind, als wenn die Attacke auf eine Portion »Schwemmkniedla und Peiterla« hätte gehen sollen, sondern wie die beiden Männer später selber ausgesagt, mit einigem Herzklopfen und hat Jeder später gemeint, wenn er sich nicht vor dem Anderen geschämt, er hätte das Hasenpanier ergriffen. –

So gingen sie langsam auf den Franzosen zu und ermannten sich zu einem kleinlauten »Wer da?«

»Wem geht das an?« fuhr sie der Fünfundneunziger grimmig an, setzte aber sogleich etwas höflicher hinzu: »Gehört Ihr etwa hier in's Haus?« – Da dachten beide zugleich: Ein Fünfundneunziger spricht nicht deutsch, am wenigsten so geläufig wie dieser; – und in der Ueberzeugung, hier habe man es mit keinem Grabbewohner, sondern mit einem Wesen von Fleisch und Bein zu thun, wurde ihre Sprache freier und das Herzklopfen war verschwunden, denn nun wußten sie, es würden im Fall der Noth ein paar Zimmermanns- und Feilenhauers – Fäuste ein deutliches Wort mitsprechen.

Doch bei weiterm Wortwechsel wurde ihnen die Stimme des Fremden bekannter und sah er auch aus wie ein Fünfundneunziger und trug hohe Stiefel und enge weiße Hosen mit blauem Frack und Federhut, so zeigte sich doch in der Nähe, daß diese der französischen ziemlich ähnliche Uniform die der seit Kurzem im Katharinenkloster garnisonirenden bayerischen Kanoniere und der Träger derselben ein ihnen gar wohlbekannter Fourier derselben Waffengattung sei.

Aber alle Teufel! – Wie kommen denn Sie dazu, sagte der Zimmermann, hier bei der Nacht als das Gespenst des langen Franzosen herum zu steigen und die Leute zu ängstigen?

Kinder, Ihr seid ein Paar brave Jungens, ich will mich Euch vertrauen, Ihr werdet ein liebendes Pärchen nicht unglücklich machen wollen; ich liebe ein Mädchen aus der Nachbarschaft, sollt auch noch erfahren, wer sie ist, die Eltern dulden unsre Liebe nicht und darum dient dieser abgelegene Ort seit länger schon um die mitternächtige Stunde uns zum Rendezvous. Gespensterfurcht hält diesen Platz leer. Und als ich die Sage erfuhr, beschloß ich, sie für mich und meine Geliebte zu benützen, die Aehnlichkeit der Uniform kam mir besonders gut zu statten, und wer mich hier erblickte, eilte ohne weiteres davon; so blieben wir stets ungestört und bleiben es vielleicht so lange, bis wir der Eltern Herz erweichen werden, wenn Ihr das jetzt entdeckte Geheimniß nicht verrathen wollt. Die Freunde versprachen es mit Hand und Mund und eilten nach Hause, den verliebten Kanonier allein lassend. Eine glückliche Constellation der Dinge gab bald dem Fourier seine couragirte Schöne zum Weibe, die beiden Freunde wurden Bürger und Meister, Gatten und Väter, hielten aber treulich Wort.

Jahrelang wurde das Räthsel nicht gelöst und mancher Nürnberger ist mit dem Glauben an das Franzosengespenst in's Grab gegangen und viele Lebende haben eher bei Nacht einen Umweg gemacht, als sie an des Herrn Zimmermanns Haus und dem Kreuz vorbeigegangen wären, denn lang nach der Abreise des Fouriers ließ sich der Fünfundneunziger nach wie vor sehen, wenn auch, wie zu vermuthen steht, nur in den Köpfen der Gespenstertollen.

Der Fourier hat es zu einem guten Civildienst und zu einer zahlreichen Familie gebracht, der Zimmergeselle ist vor Kurzem als ein geachteter Meister gestorben, dem unbekannten Freund jedoch, einem fleißigen und geschätzten Bürger Nürnbergs, verdanken wir die Mittheilung dieses einfachen Geschichtchens, was wir hiemit zu Nutz und Frommen aller Gespensterseher mittheilten. Das Kreuz aber, eingehauen zur Erinnerung an den im Jahre 1806 erstochenen Fünfundneunziger, war noch zu sehen, wenn man über die Agnesbrücke vom Wildbad auf den Hornszwinger ging.


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