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Das Christuskreuz zu St. Johannis.

(Sage.)


Du hast ihn ja schon kennen gelernt, freundlicher Leser, den stillen Friedhof der alten Reichsstadt Nürnberg, die traute Schlummerstätte St. Johannis, mit ihren Gräbern und Denkmalen, mit ihrem Kirchlein und ihrer Kapelle, mit ihrem Todtenhause und ihrer Todtengräberwohnung, mit ihren Linden und endlich mit ihren Baumalleen, deren Blüthenschmuck alljährlich im Frühling die im Grabe Ruhenden so freundlich grüßt. Auch so manches der tief eingesunkenen Grabmäler, unter welchen manches Herz Ruhe gefunden, dem sie auf Erden es hart gemacht, so daß es nicht mehr auf ihr zu weilen vermochte, sondern heim ging zu dem, der gnädig und barmherzig – weit mehr als es die Menschen in ihrer Härte und in ihrer Strenge – wirst Du vielleicht von mir noch kennen lernen.

Neben dem Portal des alten Friedhofs steht, wie Du wissen wirst, eine Kreuzigung Christi, welche mit der in der Holzschuher'schen Kapelle befindlichen Grablegung den Abschluß der Stationen bildet, welche vom Thore an bis zum Friedhof führen, und welche Adam Kraft's Meisterhand geschaffen im Jahre 1490 im Auftrag Martin Ketzel's. Martin Ketzel brachte das Maß der Entfernungen der Stationen nach Schritten bemessen hieher und er mußte nach der Sage die Reise in das gelobte Land zweimal machen, 1468 und 1472, da er das erste Mal unterwegs die gesammelten Notizen verlor.

An jene Kraft'sche Kreuzigungsgruppe knüpft sich die nachfolgende Sage an.

Schon an drei Jahre wüthete der verderbliche Krieg, der Deutschland auf Jahrhunderte in seiner Bildungsentwicklung zurückwarf, und den uns die Blätter der Weltgeschichte unter dem Namen des »Dreißigjährigen« mit blutbespritztem Griffel verzeichnen. Ueberall tönte schon seit jener Zeit die Werbetrommel des Soldaten, und auf Wegen und Stegen erschaute man, wo immer man nur hinkam im deutschen Vaterlande, Züge von Angeworbenen, dort Bayern der Liga, dem Bunde der katholischen Fürsten, hier Sachsen, der Union, der Vereinigung der Protestanten zu Schutz und Trutz, zueilend.

Auch zu Nürnberg hatten schon seit Längerem, mit eines hohen Rathes Bewilligung, unionistische Werbeoffiziere sich festgesetzt und im »Bitterolt« und in der »Goldenen Gans« Logement genommen, und gar manches Muttersöhnchen, das, als der letzte Spezies in flotter »Cumpani« dahin geflogen, nicht mehr gewußt, was thun und treiben, bestimmt, dem Kalbsfelle zu folgen, sich anwerben zu lassen und hinauszuziehen zum Thore auf Nimmerwiedersehen der Vaterstadt, wohl aber draußen sich zu betten bei Mord und Tod, auf einem der Schlachtfelder, deren Deutschland damals so viele zählte und im Laufe der Jahre noch viele mehr zählen sollte.

Hatte ja Nürnberg selbst dem Rittmeister Wersabe Auftrag ertheilt, Kriegsvolk zu werben für die Stadt und wahrlich! gar passend dazu den Mann sich erwählt; denn keiner wie er, verstand es, zu locken und zu girren, wenn's galt, dem mächtigen Mars die Opfer zuzuführen. Da war denn gar gewaltiger Kriegeslärm innerhalb der Mauern der sonst so ruhigen Reichsstadt, vom frühen Morgen an bis zu dem späten Abend, und die Werbetrommel und die Querpfeife wurde auf allen Straßen und Plätzen fein lustig vernommen. Daß nun heute Soldaten kamen und morgen Soldaten zogen, ist bei solchem Thun unschwer zu glauben, und daß hiebei es nicht an den Gelagen fehlte, die von den Bleibenden den Ziehenden und wieder abwechselnd Jenen gegeben wurden, nicht minder, wobei kein Unterschied mehr gemacht ward, zwischen dem Herrn und dem Diener, zwischen dem gemeinen Reiter und hohen Führer derselben.

So trug es sich auch an einem Tage des Monats August des Jahres 1621 zu; baß wacker hatten die Becher, des goldfarbigen Rebensaftes voll, gekreist in der Runde, als die frohen Kumpane, theils Unionisten, theils dem Regimente des Wersabe angehörig, aufbrachen endlich, um einem Gefährten, der in das bei Fürth errichtete Lager der Union noch heute einzutreffen hatte, eine Strecke weit das Geleite dahin zu geben. Sie hatten lustig gezecht bei »Bitterolt« und in der »Goldnen Gans«, in der gar viel der Fürsten und Herren damals Einkehr nahmen, in unsern Tagen aber der reichen Leute nicht mehr viele weilen, sondern ziemlich bescheidener Bürgerstand, und setzten zu Schniegling, einem Dorfe auf der Hälfte des Weges nach Fürth, lustig auch fort, was sie zu Nürnberg zuletzt getrieben hatten.

Schon dämmerte der Abend und über dem Reichswalde stieg hell und voll der Mond, als zum guten Ende die Weinseligen noch einmal und wieder die gefüllten Pokale zum Abschiede leerten und der Eine weiter hinab in das Lager, die Andern wieder zurück, Nürnberg zu, sich wandten.

Es waren der Gesellen gar schmucke und feine auf ihren Rappen und Schecken, mit breitem Federhute und Lederwehrgehänge mit blitzender Klinge hatten sie an den Halftern der Pferde die scharfgeladene Kugelbüchse hängen. Den Gäulen die Sporen in die Weichen einsetzend und herauf von Schniegling sprengend, mochten so manchem der müde und matt von schwerer Arbeit zur stillen Hütte heimkehrenden Landleute des Teufels Genossen oder Gefährten des wilden Jägers sie deuchen.

Schon stand am wolkenfreien, sternbesäten Himmel hoch der Mond; sein blasses Licht goß ringsum Dämmerhelle. In seinem Scheine waren die Reiter bis nahe zum Friedhofe St. Johannis über den Wiesenhang an der Pegnitz gekommen. Da erscholl von dem Thurme des Kirchleins des Gottesackers der Glocke Abendläuten, still und langsam, ihnen entgegen, wie grüßend sie und mahnend, doch auch des Endes des Menschen zu gedenken in wilder Lust und zügellosem Sinnentaumel. Für einen Augenblick, als ob sie Abrede genommen hätten, hielt die wüthende Hetze inne, ja über Diesen und Jenen kam es plötzlich, wie er wohl selten mehr und seit der Kindheit Tagen es nimmer gefühlt. Aber auf riß der an der Spitze der Reiter wieder das Roß, und unter »Hussah!« und »Halloh!« jagte er weiter die Straße hinan, und ihm nach die Andern. Nur wenige Minuten und sie waren angelangt da, wo jetzt das Schulhaus der Gemeinde St. Johannis erbaut. Eben warf der Mond den ungetheilten Schein auf das Kreuz des Erlösers an dem Eingang des Friedhofes, das klar und deutlich her von der Straße nun ersichtlich ward.

»Sieh da! läßt der sich auch noch sehen?!« rief jetzt laut auf in frechem Hohne der vorderste der Reiter, der schon bei dem Beginn des Abendgeläutes sein wildes Gemüth gezeigt hatte, die Hand, mit dem silberbefranzten Lederstulp bedeckt, gegen das Kreuz ausstreckend und, inzwischen bis gerade gegenüber demselben gekommen, den Gaul vor ihm parirend.

»Wen meinst Du, Bieberau? was soll's mit Dem und wer ist's, der sich am späten Abend noch sehen läßt?« erscholl es jetzt von den Gefährten, die an seine Seite gekommen, fragend ihn umringten.

»Wen ich meine und wer sich am späten Abend noch sehen läßt, fragt Ihr?« fuhr, mit seltsamem Zucken des düsteren Gesichts, das eine breite, tiefe Narbe, quer über die flache Stirne sich ziehend, noch finsterer erschauen ließ, als außerdem es sich zeigte, Jener fort, »wen Andern denn als ihn, der oben hier an seinem Galgen von Stein schon seit Jahrtausenden Euch zum Besten hielt und an der Nase herumführte,« wobei er wiederholt auf das Kreuz deutete.

»Um Gott!« fiel jetzt ein Jüngerer der Reiter dem Elenden in's Wort: »Was sprichst Du, Konrad? laß ab, laß ab, Dein Wort ist schwerer Frevel!«

»So gesegne mir der Teufel die That, wenn schon das Wort zum Frevel werden soll! Herab, Nazarener, wenn Du's vermagst und stelle Dich, Betrüger! Will Dir's beweisen, daß ich nicht scheue, mit Dir anzubinden!« brüllte jetzt, gleich einem Rasenden, das zitternde Roß zum Kreuze hin zwingend, der Reiter auf und ehe der Andere ihm wehrend in den Arm zu fallen vermochte, hatte er seine Kugelbüchse an sich gerissen und mit sicherer Hand sie angelegt gegen das Kreuz. »Halt' ein, Unseliger! – Reißt ihm die Büchse aus der Faust, schlagt ihn zu Boden, den Wüthenden!« schrieen nun auch die Entfernteren, wie die ihm näher Befindlichen, während diese zugleich versuchten, ihm die Waffe zu entreißen.

Aber schon blitzte es auf, schon krachte der Schuß und dichter Pulverdampf umzog das Kreuz. Nun aber hörten sie alle, die Zeugen waren des gotteslästerlichen Frevels, ein fürchterliches Hohngelächter ringsum, das nicht Menschenbrust entstiegen, gleich dem Hohngelächter Satans ihnen deuchte. Unmittelbar darauf erscholl: »Bei dem Fürsten der Hölle! Ich bin getroffen!« Zugleich sahen sie den Nichtswürdigen, der es gewagt, in Wort und That den Ewigen zu lästern, vom Pferde sinken, seine Faust gegen die Brust geballt, der unaufhaltsam Blut entströmte.

Das wie Espenlaub zitternde Roß, von den Beispringenden kaum seines Reiters entledigt, sauste dahin die Straße, gesträubter Mähne und funkensprühenden Hufes, am Thiergärtnerthor zusammenstürzend und an selbiger Stelle verendend.

Aber auch der, den es getragen, sollte nach wenigen Minuten nicht mehr dem Leben gehören. Die mit Einem ernüchterten Reiter, von den Pferden abgestiegen, waren nahezu wie zu Stein erstarrt; schaudernd umstanden sie den konvulsivisch am Boden sich Wälzenden. Erst nach einer Weile gelang es Jenem, der ihn zuerst gewarnt ob seines Frevelworts, sich doch in so weit zu fassen, das von der Kugel zerrissene Seidenwamms zu öffnen und nach dem Ursprungsorte der Wunde zu forschen. Im selben Augenblicke aber hob sich der Getroffene vom Boden; ein dunkler Blutstrom entstürzte seinem Munde, ein Reißen und Zucken, welches dem Körper überkam, trat ein, gewaltig ihn streckend, und die Blässe des Todes lagerte sich auf das fürchterlich verzerrte und gräßlich anzusehende Gesicht.

Die Reiter aber faßte Entsetzen; sie ließen den Gefallenen in seinem Blute, bestiegen wieder ihre Pferde und sprengten, wie von höllischen Geistern gejagt, heimwärts, dort die schauerliche Märe kündend.

Noch in derselben Stunde wurden Rathsdiener ausgesandt, den Todten zur Stadt zu schaffen; aber schon hatte sich auch unter ihnen das Fürchterliche, was geschehen, verbreitet. Und als sie zu dem auf der Landstraße in einer Lache schwarzen Blutes Liegenden traten und das schauderhaft verzerrte Antlitz mit dem halb umgedrehten Genicke erschauten und das weitaufgerissene, blutunterlaufene Auge sie groß anstarrte, wurde Jedem bang. Da einer der Knechte dem Kreuze sich näherte und sein Blick auf die Tafel über dem Haupte des Erlösers fiel und oben durch das in derselben ersichtliche Loch, genau, als ob eine Kugel es durchgeschlagen, des Mondes voller Schein drang und er den Kameraden die durchbohrte Tafel zeigte und keiner sich zu entsinnen wußte, daß bis zur Stunde sie dieses Zeichen getragen hatte, wohl aber sie sich baß erinnerten des Frevelwortes und Frevelschusses des Todten: da wandten auch sie schaudernd sich ab von der Stätte und flohen hin und ließen nimmer weder sich gebieten noch erbitten, den Erschossenen zur Stadt zu schaffen.

Da sandte man den Henker und er und sein Knecht zogen hinaus, umbanden den Todten mit Stricken, wie es der Rath, der noch in nächtlicher Stunde versammelt worden war, geheißen hatte und schleiften ihn nach Mitternacht, als der Mond geschwunden und es dunkel geworden war, dem Hochgerichte zu, unter demselben ihn verscharrend.

Von Allen aber, die mit dem Gotteslästerer und Frevler geritten waren und Zeuge seines Thuns gewesen, hatte man Keinen mehr lachen gesehen und ist einer um den andern auf den Schlachtfeldern in wenigen Jahren darauf – und wenige Jahre darauf gab es genug der Schlachtfelder im deutschen Lande – und nicht des leichtesten Todes, gefallen.

Also die Sage.

Die Tafel über dem Haupte des Heilands auf dem Calvarienberg am Friedhof St. Johannis zu Nürnberg zeigt noch heute, wie schon erwähnt, eine Oeffnung von der Größe einer Büchsenkugel und rund wie sie. Wer sie gebrochen – war es eine Kugel oder sonst was – und welches Ereigniß, verbrieft und beurkundet – hier wirksam gewesen – keine Chronik, keine Geschichte Nürnbergs, deren doch so viele vorhanden, gibt hierüber Auskunft auch nur annähernd. Aber die Sage, wie wir sie mitgetheilt, lebt noch im Munde des Volkes, wenn auch schon nahe dem Erlöschen. Würdig ihrer zu gedenken, fand sie auch ein Geistlicher aus der Familie der Michahelles zu St. Johannis, in seiner Beschreibung des Friedhofes und dessen Merkwürdigkeiten, wenn auch in wenigeren Worten als hier zu lesen, und des Rahmens entbehrend, welchem wir sie ein gefügt.


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