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Der Hof im Paradiese

Gott stärke meiner Rede Kraft,
Die meinem Werk Gelingen schafft.
Zu sagen treibt mich innrer Ruf
Von ihm, der alle Welt erschuf,
Und doch in unsrer Knechtsgestalt
Für uns auf Erden ist gewallt.
Der Herrscher über alle Welt
Hat sich dem Menschen zugesellt;
Er schätzte so und liebte ihn,
Daß er in seinem Bild erschien;
Und hohe Freude ward zuteil
Dem Sterblichen und ew'ges Heil,
Da Gott ihm Bruder ward, dem Schoß
Entstammt der Jungfrau makellos.
Schmerz sollte sie um ihn erleiden,
Doch fühlte sie die höchsten Freuden,
Als sie die Gottheit in sich spürt',
So zart, wie Tau das Gras berührt.
Zum Kummer ward sie auserwählt,
Wie uns die heil'ge Schrift erzählt,
Am Kreuze sah sie ihren Sohn,
Geschmückt mit einer Dornenkron.
Doch jetzt herrscht Jubel, nimmer Schmerz,
Sie nimmt den lieben Sohn ans Herz,
Und alle Heil'gen dienen gern
Der holden Mutter unsres Herrn.
Nun sei die Dichtung vorgeführt,
Die ich erdacht und ausgeführt.
Gott lud zum Allerheil'gen-Feste,
Zu einem großen Hof sich Gäste.
In Eile sollte es geschehn,
Denn Gott begierig war, zu sehn,
Wer ihm in Liebe zugetan.
Er stellte darum Simon an,
Der ihm als Bote sicher schien;
Mit sanfter Stimme ruft er ihn,
Auch den Apostel Judas nicht
Vergißt er, und zu ihnen spricht:
»Kommt einmal her, o Freunde wert,
Und seid durch mein Gespräch belehrt:
Geht schnell durch alle Höfe, Zellen,
Durch alle Räume, zu bestellen,
Daß alle Heil'gen männiglich
Bei mir zum Feste treffen sich.
Und keiner halte sich zu Haus,
Ob Mann ob Weib. Nun führt es aus,
Genau, wie ich es Euch gesagt.
Sagt ohne Umschweif unverzagt,
Daß ich den großen Hof will halten;
Gerecht und milde werd' ich walten,
Den Mond nach Sankt Remigius
Sich alles hier versammeln muß.«
Sankt Simon blickte zu ihm auf
Und sprach zu unserm Herrn darauf:
»Bis nächsten Samstag wird vollbracht,
Was du uns heut zur Pflicht gemacht.
An jeden geht der Ruf sogleich
In deinem großen Himmelreich.«
Der Herr läßt Simon freie Hand,
Er rüstet drob sich unverwandt,
Macht früh am Morgen sich bereit,
Nimmt seine Glocke, und zu zweit
(Da er Sankt Judas mitgenommen)
Sie in die erste Wohnung kommen.
Sie finden eine Engelschar,
Die über alles lieblich war,
Voran den heil'gen Gabriel
Und neben ihm Sankt Michael,
Die hielten sanft sich bei der Hand.
Der erste ward zum Heil gesandt,
Manch armer Seele Trost zu bringen.
Sankt Simon ließ die Glocke klingen;
Man schweigt und sieht ihn vor sich stehn,
Den Boten Gottes, fromm und schön,
Der nun mit sanfter Stimme sagt,
Als Gabriel ihn schnell befragt:
»Gott schickt Euch Botschaft, lieber Herr,
Und durch uns beide redet er.
Er wünscht Euch allesamt zur Stell',
Drum sammelt Eure Scharen schnell,
Da Hof zu halten er gewillt.«
Von Eifer Gabriel erfüllt
Entgegnet: »Ja, wir kommen gern,
Bringt diese Botschaft unserm Herrn!«
Sankt Simon eilt zum zweiten Ort,
Setzt seinen Auftrag treulich fort.
Er sieht der Patriarchen Schar,
Und Abraham wird ihn gewahr;
Der lauscht gespannt auf seine Kunde.
Dann jeder, wie aus einem Munde,
Erwidert: »Lieber Bruder mein,
Zum Feste finde ich mich ein.«
Sankt Simon lenkt nun seine Schritte
Sofort in seiner Brüder Mitte,
Und die Apostel er ermahnt,
Zum Feste, das der Herr geplant,
Sich ausnahmslos dort zu vereinen.
Auch sie versprechen, zu erscheinen
Und Gott zu loben unentwegt.
Sankt Simon seine Botschaft trägt
Schnell weiter einem andern Gast.
Er gönnt sich keine Ruh noch Rast,
Denn er ist eifrig und gewandt.
Die Märtyrer, die, wie bekannt,
Für Gott erduldet Schmerz und Leid,
Spricht er nun an voll Heiterkeit:
»Kommt allzumal, durch meinen Mund
Gibt Euch der Herr des Himmels kund,
Der Tod und Hölle überwand,
Daß er ein Fest am Hofe plant,
Wo, wie er Euch zur Freud ersonnen,
Er spielen läßt den Liebesbronnen.«
Sankt Stephan sprach in Eile drauf:
»Wir kommen gerne allzuhauf,
Und nicht ein einzger bleibt zurück.«
Sankt Simon keinen Augenblick
Mehr zögert, wendet seine Schritte,
Sieht sich in der Bekenner Mitte,
Die in Sankt Martinus Geleit
Voll Frieden und voll Heiterkeit.
Das Glöckchen dreimal nun erklingt
Und jenen still zu stehen zwingt.
Sankt Simon spricht: »Verzieht ein wenig,
Euch lädt durch mich des Himmels König
Auf Allerheil'gen bei sich ein.«
»Ich werde bei dem Feste sein
Und die Bekenner gleicherweis«
Sprach Martin; jener drauf: »So sei's.«
Die unschuldigen Kinderlein
Lädt Simon nun zum Hofe ein,
Die hundert, tausend sind an Zahl;
Auch sie versprechen allzumal
Zu kommen auf des Herren Wort.
Sankt Simon schreitet weiter fort,
Da ihm gegönnt kein Aufenthalt.
Ein schönes Zimmer sah er bald,
Darin manch holde Jungfrau saß,
An Schönheit über alles Maß,
Und jede trug das Haupt gekrönt,
So durch Geschmeide noch verschönt,
Ward jedes Antlitz auserwählt,
Und Reichtum meiner Sprache fehlt,
Zu schildern solche Herrlichkeit.
Hier herrschet die Jungfräulichkeit.
Die Glocke tönt das dritte Mal,
Da ruft Sankt Simon in den Saal:
»Erlaubt, hört an, Ihr Jungfrau'n schön,
Gott hat Euch Freude ausersehn!
Ich darf von diesem Glück nicht schweigen,
Gott will Euch seine Gunst erzeigen;
Er sendet mich als Boten her,
Denn Hof zu halten denkt der Herr;
Besinnt Euch nicht, kommt allzuhauf!«
Und jene auch erwidern drauf:
»Wir kommen, lieber Bruder, gern
Und loben dankbar unsern Herrn.
Daß er uns hält des Kommens wert,
Drob ist uns hohe Freud beschert.«
Sankt Simon schaute nun nach rechts
Und sah des weiblichen Geschlechts
Die Schönsten, Lieblichsten vereint;
Die Sprache jedes Landes scheint
Mir viel zu schwach, um diese Frau'n
Zu schildern, herrlich anzuschau'n.
Sie sind es, die dem Herrn geweiht
Bewahrten streng ihr Witwenkleid.
Sankt Simon schellte dreimal gleich
Und sprach: »In unsres Herren Reich
Ruft er Euch bald zu hohem Feste!«
Sie sagten: »Willig sind wir Gäste!«
Nun sei das weitre kurz gefaßt:
Jedweden Simon lud zu Gast,
An alle Heil'gen, Mann und Frau,
Bracht' er des Herren Ruf genau,
Ob ledig jemand, ob vermählt,
Sie alle waren auserwählt.
Zurück nun der Apostel eilt
Zu Jesus Christus unverweilt:
»Ich führte deine Botschaft aus,
Lud groß und klein in jedem Haus.«
»Du tatest recht,« sprach Jesus Christ,
»Laßt sehen, wer gehorsam ist.« –
Sankt Gabriel nicht zögert' mehr,
Mit ihm erschien der Engel Heer;
Selbst Cherubin und Seraphin,
Sie flogen durch die Luft dahin,
Umschlangen sich in Zärtlichkeit,
Das Herz voll Treu und Ehrlichkeit.
Es tönt ein Chor, dem Herrn zum Gruß,
Ganz laut: Te Deum laudamus.
Und zu des Himmels höchsten Stufen
Gelangen sie, durch ihn gerufen,
Nun Hand in Hand vor Gottes Thron;
Dort wohnt die Mutter mit dem Sohn.
Es bringt des Himmels Engelschar
Erwidernd seine Grüße dar.
Und Gott spricht die Besucher an
Mit sanfter Stimme: »Wohlgetan
Habt Ihr, zu meinem Fest zu gehn,
Ihr werdet große Wunder sehn!«
Die Schar der Patriarchen kam,
So Jakob, Moses, Abraham,
Nebst dem Propheten Sankt Johann,
Sie heben auch zu singen an,
Das Antlitz hell, die Stimme klar:
»Ich leb' in Hoffnung immerdar;
Auf große Liebe hoffe ich!«
So singen alle feierlich.
Sankt Petrus und Sankt Thomas kommen,
Ich sah Andreas auch, den Frommen,
Philippus und Jakobus und
Der heiligen Apostel Bund,
Und jeder zu dem andern hält,
Es tönt der Sang durchs Himmelszelt:
»Ein redlich Lieben müßt Ihr nimmermehr bereun!
Den Liebenden wird Trost erfreun!«
Jetzt nahn dem Feste Hand in Hand
In lilienweißem Festgewand,
Von Antlitz weiß, im Herzen rein,
Die unschuldsvollen Kinderlein.
Und sanft ertönt aus ihrem Kreis:
»Wohl dem, der Lieb empfängt und wohl zu lieben weiß!«
Hierauf erscheint die heil'ge Schar,
Die für den Herrn gemartert war,
Sankt Stephan, Clemens und Vincent
Und Sankt Lorentius. Jeder kennt
Die Qualen dieser Helden gut;
Lorentius in der Feuersglut
Erduldet' Schmerz an jedem Glied.
Auch sie begrüßen Gott im Lied:
»Dem blüht die Freude, wer in bittern Schmerzen Freude sät!«
Nun von der rechten Seite geht
Zum hohen Fest Sankt Augustin,
Sylvestrus, Nikolas, Martin,
Ambrosius und Hieronymus,
Roms Schüler, nebst Benediktus,
Der fromm und liebevoll im Walten;
Noch viele heilige Gestalten,
Kurz, der Bekenner treue Schar,
Ägidius, der Einsiedler war,
Franziskus und Dominikus;
Der heil'ge Bernhard führt zum Schluß
Herbei die ihm verwandte Sippe,
Und laut ertönt von frommer Lippe:
»Nie war mein Herz von Liebe leer, noch wird es je im Leben sein!«
Jetzt treten ein die Kinderlein,
Die durch Herodes' hart Gebot
Erlitten unschuldsvoll den Tod.
Es tönt aus reinem Kindermund
Gesang aus tiefstem Herzensgrund:
»Die Freude, Herr, die wir empfinden, lieber Vater, kommt von dir!«
Von schöner Freundin sanft geleitet,
Zum Herrn jetzt Magdalena schreitet;
Und andre Jungfrau'n folgen nach,
Die für den Herrn erlitten Schmach;
Sankt Agnes, Sankt Cäcilia;
Und auf den frommen Stirnen sah
Man eine Krone, hoch an Wert;
Und jedes Antlitz schien verklärt,
Ein helles Licht umstrahlte sie,
Und hell erklang die Melodie:
»Ich nahe meinem Freunde hoch beglückt!«
Jetzt kommt die Witwenschar, geschmückt
Und mit Gewändern angetan,
So reich verziert, daß jedermann
Ein Steinchen schätzt an Werte gleich
Dem Gold im ganzen span'schen Reich;
Auf ihren Häuptern weich gerafft,
Als Zeichen ihrer Witwenschaft,
Die Schleier weiß und duftig wallen,
Und Stimmen laut und leise schallen:
»Wenn einst ich liebte treu,
So ist heut weise meine Reu.«
Die Ehegattin nun erscheint,
Die sich dem treuen Mann vereint;
Auch sie ist reich geschmückt und trägt
Ein Hemd, das Schnee an Weiße schlägt.
Und heiter singt sie ohne Weilen:
»Dem liebsten Freund wir froh entgegen eilen!«
Voll holder Anmut grüßen sie
Die Jungfrau mit Ave Marie!
Empfangen ihre Segnung drauf
Und schaun zu Jesu Christo auf,
Der ihnen herzlich Willkomm bringt.
Die Ehrfurcht sie zum Knieen zwingt;
Sie sagen: »Herr, wir danken Euch,
Daß Ihr uns rieft in Euer Reich,
Und Euch zu Dienst sind wir zur Stell!«
Darauf der Herr: »Erhebt Euch schnell,
Und seid zu Lust und Fröhlichkeit
Mit heitrer Miene nun bereit.«
Der Herr ruft Petrus nun herbei
Und sagt: »Mein Freund, der Monde zwei
Bin ich dein Vater; hör' mein Wort
Und lasse durch die Himmelspfort'
Hinein nur, wer mir wohlbekannt;
Jedweder andre sei verbannt.
Die Schlüssel wahr' zum Paradies.«
Gehorsam Petrus ihm verhieß.
Er stimmte an den Festgesang,
Der allen laut vernehmlich klang:
»Ihr Liebenden zur Rechten geht, links Ihr, die liebeleer!«
Alsdann kam Christus, unser Herr,
Sprach seine holde Mutter an:
»Du siehst hier, festlich angetan,
Zahllose, die Sankt Simon lud,
Für sie vergoß ich einst mein Blut,
Für sie kam ich zur Welt herab,
Für sie entstieg ich düsterm Grab,
Sie sind voll Liebe, sind mir treu,
Sie bitten herzlich: Komm herbei,
Eröffne diese Festlichkeit!«
Maria sprach: »Bin gern bereit,
Dir zu willfahren, süßes Kind,
Der du so liebevoll gesinnt.«
Zu Magdalena nun gewandt,
Ergreift sie deren zarte Hand,
Und beide singen voller Glück:
»Wer liebt, der schließe sich dem Reigen an, der andre bleibt zurück!«
Bei diesem Rufe stell'n sich ein
Die unschuldigen Kinderlein,
Apostel, Märtyrer und Frau'n,
Die Damen, Dämchen und Jungfrau'n.
Wär' mit fünfhundert Zungen ich
Versehn, sie reichten sicherlich
Nicht aus, die Schönheit aufzuzeigen,
Die dem Geringsten noch zu eigen.
Die vier Evangelisten froh,
Belebten die Versammlung so,
Daß jeder nahm ein Horn zur Hand,
Ob Gold, ob Silber dran verwandt,
Was sonst – ich nicht zu sagen weiß,
Fröhlich ertönte sanfte Weis':
»Ich bin bedacht, daß niemand ohne Liebe trägt den Blumenkranz.«
Und nun erscheinen auch zum Tanz
Die Engel, köstlich eingehüllt,
Und Räucherwerk den Raum erfüllt.
Der Herr vor allem drauf bedacht,
Wie er den Seinen Freude macht,
Er wendet seinen Blick hinauf
Und sieht, wie alles kommt zu Hauf,
Bereit, dem Frohsinn sich zu weihn,
Nimmt bei der Hand die Mutter, rein
Von Sünde, schön, sanft von Gemüt,
Und diese singt ein zartes Lied:
»Wer bin ich denn? Schaut mich nur an! Wer wird mir nicht ergeben sein?
Was braucht es noch der Worte mein?«
Die Lust zur höchsten Höhe steigt,
Wie sie bei keinem Fest erreicht;
Noch Fürst und König je erfuhr
Von solchem Jubel eine Spur.
Die Mutter Gottes ist bemüht,
Daß reinste Freudigkeit erblüht;
Für ihren Sohn sie dieses tut,
Denn sie ist ihm von Herzen gut,
Und zu erfreun ihn stets gewillt.
Die heilige Jungfrau, rein und mild,
Hob ihres zarten Kleides Saum,
Sang lieblich durch den weiten Raum:
»Zu wiederholten Malen
Umgeben hier von Liebe, von meinen Lieben allen!«
Auch Magdalena ist bereit,
Mit holder Freundin im Geleit;
Sieht ihren Herrn, der für sie litt,
Der mit der Hölle Mächten stritt,
Der Durst und Hunger überstand,
Der seinen Tod am Kreuze fand,
Gegeißelt wurde, dorngekrönt,
Und sie mit ihrem Gott versöhnt. So sang sie voll Ergebenheit;
Da sie ihm ganz ihr Herz geweiht:
»Niemals will ich vergessen dein!«
Und als sie ruhte von dem Sang,
Ertönte wieder neuer Klang
Der Märtyrer und der Bekenner,
Und der der andren frommen Männer.
Und Jesus Christ ergriff die Hand
Der Frau, der einst er zugewandt
Den Blick voll Milde und Verzeihn,
Als ihre Sünden zu bereun
Sie ihm genaht; auch er begann
Zu singen nun und stimmte an:
»Ich führe an der Hand mein Lieb!
So gehn wir froh vereint.«
Frohsinn aus jedem Antlitz scheint.
Ob früh, ob spät, Tag oder Nacht,
Hier wird gejubelt, hier gelacht;
Jedweder Ärger ist vermieden;
Man fühlt den liebevollen Frieden,
Der von dem Antlitz Gottes strahlt,
Der unsre Schuld mit Blut bezahlt,
Der für uns starb und auferstand
Und Tod und Hölle überwand,
Gemeinsam singen sie voll Dank,
Und Liebe klingt aus ihrem Sang:
»Vor Freude lacht mein Herz, wenn meinen Gott ich schau!«
Da hörten diesen Sang genau
Die armen Seelen, die verbannt,
Die in des Fegefeuers Brand.
Sie rufen weinend, bitterlich:
»Ruhmreicher Herr, erbarme dich!
O hilf uns, lieber Vater, heut,
Die wir die schwere Schuld bereut;
Der du als Kindlein kamst zur Welt,
Du Sohn der Jungfrau auserwählt,
Die Kummer litt und trug Beschwerden
Wie keine andre Frau auf Erden.
Befrei uns, Herr, aus dieser Pein,
Laß uns in deinen Himmel ein!«
Sankt Petrus, der am Ausgang war,
Vernahm die Klagen dieser Schar,
Die weinend Gott um Gnade fleht;
Ihr Flehen ihm zu Herzen geht.
»Herr Jesus Christ, der uns erschuf,
Der für uns starb«, – so klingt ihr Ruf, –
»Der für uns stieg in Grabes Ruh,
Ach, decke unsre Sünden zu!«
»Ach, holde Jungfrau, ruhmvoll groß,
Ach, süße Jungfrau, makellos,
Befrei, es steht in deiner Hand,
Uns aus dem grausen Feuerbrand,
Der uns an Leib und Seele dringt.
Und all ihr Heil'gen, die ihr singt
In Jubel, eurem Gott zu willen,
Beschwört ihn, unsre Qual zu stillen.«
Als sie beendet ihr Gebet,
Sankt Petrus zu dem Heiland geht,
Und spricht zu ihm: »Herr Jesus Christ,
Der du der Fürst voll Gnade bist,
Voll Milde und Sanftmütigkeit,
Die Sünder draußen, die bereit
Zur tiefsten Reue, bitten dich
Und deine Mutter inniglich,
Daß du erleichterst ihre Qual
Und führst sie in den Festessaal.«
Die Heil'gen fügen bittend zu
Ein Wort für der Gequälten Ruh.
Die Jungfrau'n schließen auch sich an;
Umsonst wär' alles dies getan,
Wenn nicht Marie, die reine Magd,
Mitleidig Fürbitte gewagt.
»Sohn,« sprach die Jungfrau, »sieh, mit Schmerzen
Trug ich dich unter meinem Herzen,
Ich nährte selbst dich, liebewarm,
Ich wiegte dich in meinem Arm,
Ich legte dich zu Bett zur Nacht,
Ich zog dich an, wenn du erwacht;
Bist du auch König auf dem Thron,
Mir bist du Herr, mir bist du Sohn.
Mein lieber Vater, liebes Kind!
Und jene dort mir Brüder sind
Und Schwestern, für die ich dich bitt'
Bei allem, was ich für dich litt,
Bei deiner heil'gen Dankesschuld,
Gewähre diesen Seelen Huld,
Die dort mit trüber Miene flehn;
Kein Fest kann auf der Höhe stehn,
Wenn nicht der Armen Schmerz gestillt,
Die Hoffnung Leidender erfüllt.
Kurzum, gib diese Seelen frei
Zum Feste für der Tage zwei!«
Er sprach: »Zwei Tage sind gewährt,
Sogar ein dritter noch beschert.
O süße Mutter,« sagt der Christ,
Da er ihr gut von Herzen ist,
»Was du gewünscht, geschieht zur Stund!«
Er küßt sie auf den schönen Mund,
Die Augen und die Wange leicht,
Die einer zarten Rose gleicht.
Das Feuer mildert sich sogleich
Und wird wie Milch so sanft und weich.
Erfüllt mit namenloser Freud
Sind jene Sünder, die bereut,
Sie treten ohne Zweifel ein
Ins Paradies, wo sonder Pein
Sie fühlen reine Seligkeit.
Sankt Michael gibt das Geleit,
Sankt Petrus, der das Tor bewacht,
Hat ihnen freudig aufgemacht.
Sie schreiten angefaßt zu zwein
Und sind so schön, so weiß und rein,
Wie Blütenschnee auf grünem Zweig.
Sie folgen Michael sogleich,
Da sie Begier aufs Paradies.
Der singt in Tönen hell und süß:
»Ich führe Jubel im Geleit.«
Und alle Heil'gen sind erfreut,
Und unsre liebe Frau zumal
Empfängt sie in dem Freudensaal
Und spricht: »Willkommen, lieben Leute,
Seid alle froh und glücklich heute;
An Freude es heut keinem fehlt,
Und Gram und Sorge niemand quält.«
Nun war der Hofstaat erst beisammen,
Apostel, Märtyrer und Damen,
Jungfrauen, Heil'ge insgesamt.
Und daher auch der Name stammt.
Auf Allerseelen folget nach
Sofort der Allerheil'gen-Tag.
Und dessen seid versichert fest,
Daß Gott die Seelen ruhen läßt
Im Fegefeuer diese Tage.
Und glaubet mir, was ich Euch sage:
Wer ohne Gnade ist verdammt,
Für den das Höllenfeuer flammt
Beständig ohne Aufenthalt.
So bitten Gott wir, der Gewalt
Hat über alles in der Welt,
Daß er in seinem Schutz uns hält,
Daß wir am Feste haben Teil!
Maria, bitt' für unser Heil!


Dieses Werk wurde im Auftrage von Georg Müller Verlag in München in der Buchdruckerei von M. Müller & Sohn in München in einer einmaligen Auflage von 1200 in der Presse numerierten Exemplaren hergestellt. 50 Exemplare wurden auf echt Van-Geldern-Bütten abgezogen

Dieses Exemplar trägt die Nummer

1036


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