Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Den Spielmann hält man hoch in Ehren,
Der schöne Lieder, weise Lehren
Wohl ausdenkt und erzählet gern
Vor Herzögen und edlen Herrn.
Sie lauschen freudig seinem Sang,
Er spricht von List und Waffenklang
Und mancher Untat wird gedacht.
Cortebarbe hat dieses Lied gemacht,
Den Enkeln sei es unverloren.
Es kamen einst vor Compiègnes Toren
Drei Blinde still des Wegs geschritten;
Kein Knabe war in ihrer Mitten,
Der ihnen wies die rechte Bahn,
Sie waren ärmlich angetan,
Ein jeder seinen Becher trug.
So zogen mühsam sie genug
Nach einer Stadt, die Senlis hieß.
Just kam ein Pfaffe aus Paris,
Ein Gottgelahrter, schlecht und recht,
Mit seinem Lasttier, seinem Knecht
Auf stolzem Roß dahergesprengt.
Er sieht die Blinden und er denkt:
»Wie mögen sie so sicher gehn,
Und kann doch keiner etwas sehn,
Und niemand ist hier, sie zu führen;
Gewißlich soll der Schlag mich rühren,
Wenn binnen kurzem mir nicht klar,
Was an der Burschen Blindheit wahr.«
Die hörten nahen ihn von weitem,
Sie halten sich an Weges Seiten
Entweichend vor des Rosses Hufen.
Die Stimme heben sie und rufen:
»Vieledler Herr! Ach steht uns bei!
Gar unglückselig sind wir drei.
Elend sind alle, welche blind!«
Der Pfaffe eilig sich besinnt,
Wie er ein listig Mittel fände.
»Nehmt dieses Geld, spricht er am Ende,
Den Gulden schenke ich euch drei'n,
Geht hin und teilet euch darein.«
Drob danken sie dem edlen Herrn
Bei Gott und allen Heil'gen gern.
Ein jeder freuet sich der Gabe
Und denkt, daß sie der andre habe.
Der Pfaffe scheidet nun von ihnen,
Allein er reitet nicht von hinnen,
Er folgt zu Fuß sie zu belauschen
Und hört sie Red' und Antwort tauschen.
Der älteste der dreie spricht:
»Beim Himmel, er betrog uns nicht,
Der diesen Gulden uns beschert.
Ein Gulden ist so manches wert.
Laßt drum zur Stadt zurück uns eilen
In Lustbarkeit dort zu verweilen,
Ein jeder jubilieren soll,
Compiègne ist aller Güter voll.«
»Hört ihn, er spricht gar weises Wort!«
Ein jeder wendet sich sofort,
Und wie sie kamen, voller Glück
Ziehn sie desselben Wegs zurück.
Der Pfaff' folgt unfern ihrer Spur.
Fürs Leben gerne wüßt er nur,
Wie sich's begäbe mit den drei'n.
Schon ziehn sie in die Stadt hinein,
Durch alle Gassen, kurz und lang
Ertönte es mit lautem Klang:
»Hier gibt es Weine, jung und frisch,
Hier gibt es Fleisch und Brot und Fisch,
Hier bleibt am rechten Ort das Geld,
Hier mag sich ruhen alle Welt,
Hier finden Wandrer Dach und Fach.«
Dem Klange gehn die dreie nach
Und treten durch des Hauses Pforte.
»Herr Wirt, nun lauschet unserm Worte:
Seht uns nicht mit Verachtung an,
Die wir so ärmlich angetan,
Laßt uns geschwind ein Zimmer geben!
Wir zahlen mehr, Ihr sollt's erleben,
Als mancher schmucke junge Fant,
Drum öffnet willig Haus und Hand.«
Der Wirt sieht froh die reichen Gäste,
Er spricht und weist der Stuben beste:
»Wohl eine Woche, edle Herrn,
Mögt Ihr hier weilen gut und gern.
Es birgt die Stadt, Ihr sollt es wissen,
In ihren Mauern keinen Bissen,
Den ich nicht, so Euch's sollt' gelüsten,
Zum leckern Imbiß ließe rüsten.«
»So geht, Herr Wirt, vor allen Dingen
Und laßt von jedem etwas bringen.«
Er richtet alsobald das Mahl
Und holt Gerichte ohne Zahl,
Fleisch und Pastete, Brot, Kapaun,
Viel Weine von den besten traun.
Dann schüret er das Feuer frisch
Und führt die Gäste an den Tisch,
Ein jeder seinen Platz dort fand.
Der Knecht des Pfaffen ward entsandt,
Die Pferde in den Stall er reitet.
Sein Herr, der Pfaffe, schmuck gekleidet
Und fein gesittet hat indessen
Beim Wirte hoch am Tisch gesessen.
Laut tönte Freud und Lustbarkeit,
Viel guter Wein stand schon bereit,
Jedweder ihn dem Freunde bot:
»Nimm hin! hier hat es keine Not
Und reiche mir alsdann den deinen.
An edlem Weinstock will ich meinen,
Erwuchs uns dieser schöne Trank!«
Den Blinden ward die Zeit nicht lang,
Es wurden bis zur Mitternacht
In Lust die Stunden zugebracht,
Worauf sie sich zu Bette legen,
Um der willkommnen Ruh zu pflegen.
Und auch der Pfaffe zieht nicht fort,
Er weilt die Nacht am selb'gen Ort,
Eh' er der Stadt den Rücken wendet,
Will sehn er, wie sein Stücklein endet.
Der Wirt ward noch vor Morgengrau'n
Aufs neu beim Tageswerk zu schaun,
Er rechnet schon mit seinem Knecht.
Der spricht: »Besinne ich mich recht,
So ist die Rechnung gar nicht klein.
Das Brot, der Fisch, das Fleisch, der Wein
Sind mehr denn zehen Groschen wert,
Viel haben sie davon verzehrt.
Fünf Groschen fordern wir vom Pfaffen.«
»Der macht uns sicher nicht zu schaffen.
Doch geh und fordre von den drei'n
Mir alsogleich die Zeche ein!«
Es eilt der Knecht, sie zu bescheiden,
Sie möchten schleunigst sich bekleiden
Dem Wirt zu zahlen ihre Zechen.
»Seid unbesorgt,« die Blinden sprechen,
»Wir zahlen gern und aus dem Vollen.
Sagt an, wie viel wir geben sollen?«
»Ihr werten Herrn, der Groschen zehn!«
Und alle drei hinuntergehn.
Es hat der Pfaffe unterdessen
Aufhorchend auf dem Bett gesessen,
Und hat dies alles wohl vernommen.
Nun hört er sie zum Wirte kommen.
»Herr Wirt! seht her und laßt Euch zeigen,
Der Byzantiner ist uns eigen,
Es ist fürwahr ein schweres Stück.
Den Überschuß gebt uns zurück!
Auf und bezahlt den Biedermann.«
»Ich hab kein Geld, mich geht's nicht an.«
»So hat es Robert Barbe-Fleurie.«
»Nein, nein, Ihr habt's, ich hatt' es nie.«
»Wie? Nein! Wer hat's? Du hast's! Nein, du!«
Darauf der Wirt: »Ihr Herrn nun zu,
Sonst geht's Euch Schurken an den Kragen,
Ihr werdet kräftiglich geschlagen,
Und ehe Ihr erreicht die Pforte
Wohl eingesperrt an dumpfem Orte.«
Sie jammern: »Sehet unsre Qualen,
Um Gnade, Herr, wir werden zahlen!«
Aufs neue Zank und Streit begann.
»Du Robert, gingest uns voran
Und hast zuerst das Geld bekommen.«
»Nein, Ihr, Ihr Schurken habt's genommen,
Die Ihr mir folgtet und ich nicht!«
Der Wirt in großem Zorne spricht:
»Ihr Schelme kommt mir grade recht,
Wer mich betrügt, dem geht es schlecht.«
Den einen schlägt er mit der Hand
Und nach zween Stöcken ward gesandt.
Dem schlauen Pfaffen dieses Spiel
Indessen maßlos gut gefiel,
Daß er vor Lachen schier erstickte.
Doch als die Stöcke er erblickte,
Geht eiligst er zum Wirt zu fragen
Was sich denn habe zugetragen?
»Herr!« spricht der Wirt, »die dorten stehn,
Sie haben für der Groschen zehn
Böslich vom Meinigen gegessen,
Doch sollen sie sich nicht vermessen
Bei Gott, zum Narren mich zu halten,
Der Stock muß seines Amtes walten!«
Der Pfaffe spricht: »So übt Geduld,
Und schreibt es mir zu meiner Schuld,
Des wird sie fünfzehn Groschen zählen;
Ihr sollt nicht gröblich Arme quälen.«
Der Wirt entgegnet: »Herzlich gern,
Solch niedres Trachten liegt mir fern,
Ihr seid ein Herr mit hohen Sinnen.«
So ziehn die Blinden frei von hinnen.
Nun höret an und merket gut,
Was daraufhin der Pfaffe tut.
Zur Kirche grad die Glocken klangen,
Da kommt zum Wirt er frisch gegangen.
»Wirt,« spricht er, »sagt mir unverwandt,
Ist Euer Priester Euch bekannt,
Könnt felsenfest Ihr auf ihn bau'n,
Und würdet Ihr ihm wohl vertrau'n,
Wollt er sich heute noch bequemen
Die Schuld von mir auf sich zu nehmen?«
Der Biedre spricht: »Das läßt sich denken,
Ich würde ihm Vertrauen schenken,
Weiß Gott, und täte er mir schulden
Bei weitem mehr denn dreißig Gulden.«
»So geht, den Euren zu verkünden,
Ihr tätet mich der Schuld entbinden.
Kommt eiligst und verlaßt das Haus,
Man zahlt Euch in der Kirche aus.«
Dieweil dem Wirt dies alles recht,
Befiehlt der Pfaffe seinem Knecht
Den Schimmel aus dem Stall zu führen,
Die Habe weislich zu verschnüren,
Daß sie zu schneller Fahrt bereit.
Drauf lassen sie das Haus zu zweit.
Als in der Kirche angekommen
Der Pfaff beim Wirte Platz genommen,
Spricht er: »Ich bin in höchster Eile,
Verzeiht mir, wenn ich nicht verweile.
Doch werde ich mein Wort nicht brechen,
Gleich geh' ich mit dem Priester sprechen;
Hat er gesungen erst die Messen,
Soll er Euch wahrlich nicht vergessen,
Und baldigst Euren Wunsch erfüllen.«
»Herr handelt ganz nach Eurem Willen,«
Spricht er, der ohne Argwohn war.
Nun kommt der Priester im Talar,
Die heil'ge Messe abzuhalten.
Schon will er seines Amtes walten,
Da tritt der Pfaffe vor ihn hin.
Gar fein und edel er erschien
Mit offnem, redlichem Gesicht,
Des Wortes Gabe fehlt ihm nicht,
Die Börse hält er in der Hand,
Draus zieht er heimlich und gewandt
Zwölf Silberlinge flugs hervor:
»Nehmt hin und leiht mir Euer Ohr!
Stets sollen Priester Freunde sein,
Drum sei es also mit uns zwei'n.
Ich habe die vergangne Nacht
Bei einem Manne zugebracht,
Den unser sanfter Jesus liebt,
Weil es nicht seinesgleichen gibt.
Seht, dort saß er an meiner Seiten,
Zur Kirche tat er mich begleiten,
Ein Ehrenmann und ohne Fehle!
Allein Gott helfe seiner Seele,
Indessen wir beim Mahle waren,
Ist ihm groß Unheil widerfahren,
Und sinnverwirrt ward er zur Stund.
Zwar ist gottlob er nun gesund,
Ein wenig nur fehlt's ihm im Kopfe.
Ich bitt' Euch, lest dem armen Tropfe,
Wenn es mit Eurer Litanei
Und Eurer Messe ist vorbei
Ein Evangelium auf das Haupt!«
Der andre drauf: »Daß Ihr mir glaubt
Schwör ich Euch bei dem höchsten Wesen,
Vieledler Herr, ich werde lesen.«
Dem Wirte sagt er: »Seid fein stille,
Erfüllt wird Eures Freundes Wille,
Erst laßt jedoch mein Werk mich tun.«
Die Pfaffen nehmen Abschied nun:
»So lebt denn wohl, es ist schon spat!«
»Fahrt wohl, vielholder Kamerad.«
Zum Altar trat der Priester dann,
Die Messe alsobald begann.
Es drängte sich des Volkes Schar,
Da just ein hoher Festtag war.
Der Pfaff', ein Mann von guten Sitten,
Kommt auf den Gastwirt zugeschritten,
Des Abschiedsgruß' sich zu bequemen.
Der Brave doch läßt sich's nicht nehmen,
Da es noch frühe an der Zeit
Gibt er dem Gaste das Geleit.
Bis zu dem Gasthof bringt er ihn
Und sieht ihn auch von hinnen ziehn,
Worauf er stracks und unverweilt
Des Wegs zurück zur Kirche eilt,
Denn ungestüm ward sein Verlangen
Die fünfzehn Groschen zu empfangen.
Die Messe schon gesungen war,
Der Priester hatte den Talar
In Eil' und Eifer abgelegt.
Die heil'ge Schrift er mit sich trägt,
In seinen Händen hebt er sie:
»Kommt her, und fallet auf die Knie,«
Ruft er, »kommt eiligst Herr Nichole!«
Der Wirt darauf des Staunens voll:
»Nein, nein, das ist nicht mein Begehr.
Die fünfzehn Groschen gebt mir her!«
Der Priester spricht: »Seht sein Gebaren,
Der Böse ist in ihn gefahren,
O heil'ge Jungfrau, dir befehle
Ich dieses armen Mannes Seele,
Sie ist umnachtet und betört!«
Darauf der andre: »Hört nur, hört,
Wie dieser Priester Herz und Sinnen
Mir ganz verwirrt durch sein Beginnen,
Gänzlich mir raubet den Verstand!«
»Mein Freund, ist Euch denn unbekannt,«
Versetzt der Priester, »daß sofort
Befreit Ihr seid durch Gottes Wort,
Wenn Ihr ihm nur von Herzen glaubt?«
Die Bibel legt er ihm aufs Haupt,
Und will die Stimme schon erheben.
»Nein,« ruft der Wirt, »bei meinem Leben
Ich habe Wicht'gers zu vollbringen
Und frage nicht nach solchen Dingen,
Doch zahlt mir alsogleich mein Geld!«
Dem Priester selb'ges sehr mißfällt,
Die Gläub'gen sammelt er um sich
Und spricht: »Nun haltet männiglich
Und lasset ihn mir nicht entfliehn,
Der Böse hat umgarnet ihn,
Man sieht's dem Unglücksel'gen an!«
»Zahlt mir mein Geld! Ich bin ein Mann,
Mit dem es sich nicht spaßen läßt!«
»Faßt!« spricht der Priester, »haltet fest!«
Sie folgen alle ihm sogleich,
Mit Trostesworten sanft und weich
Den Biedermann sie ganz umspinnen.
Ihm war nicht möglich zu entrinnen,
Sie halten ihm die beiden Hände
Und nun, vom Anfang bis zum Ende
Das Evangelium ward verlesen,
Und er, der solch ein Tor gewesen,
Mit Weihewasser gut besprengt,
Daß er mit heißer Sehnsucht denkt:
»War ich entronnen und zu Haus.«
Nun war die heil'ge Handlung aus,
Und als der Segen auch vorbei,
Da lassen sie ihn endlich frei.
Drauf ist er still und stumm entwichen,
Und graden Wegs nach Haus geschlichen
Und hat in Zorn und Scham gedacht,
Wie man zum Narren ihn gemacht.
Cortebarbe sagt jetzund, daß sehr oft
Gar manchem Manne unverhofft
Viel nichtverdiente Schand' erstände.
Und somit hat sein Sang ein Ende.