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Was einem Bauern widerfahren
Aus unserm Land vor langen Jahren,
Das steht in alter Schrift geschrieben
Und ist uns somit hinterblieben.
Gar seltsam meldet uns die Kunde,
Daß, als in seiner Todesstunde
Die Seel' vom Leibe Abschied nahm,
Kein Engel und kein Teufel kam,
Sie von der Erde fortzutragen;
Da sie sehr furchtsam, laßt Euch sagen,
Sie war darüber hoch beglückt.
Wie sie nun froh gen Himmel blickt,
Da sieht in Glanz und Freude eben
Hinauf sie eine Seele schweben,
Geführt vom Engel Michael;
Ihm folgt die arme Seele schnell
Bis an des Paradieses Tor.
Sankt Peter wachsam steht davor
Und schließt es auf und frägt nicht lang
Und nimmt die Seele in Empfang
Eilfertig aus des Engels Hand;
Darauf zur anderen gewandt
Frägt er, mit wem sie denn gekommen,
Hier werde niemand aufgenommen,
Der nicht darauf ein gutes Recht.
Die Bauern paßten ihnen schlecht,
Sie seien eine grobe Rotte.
Die Seele drauf: »Beim ew'gen Gotte,
Bin sicher nicht so grober Art,
Herr Petrus, als Ihr's einstmals war't!
Ihr seid, ich hab' es wohl gelesen,
So manchen Tag steinhart gewesen.
Daß Gott Euch zum Apostel macht',
Hat wenig Ehre ihm gebracht.
War't Ihr es nicht, der seinen Sohn,
Als er erduldet Schmach und Hohn,
Verleugnet habt zu dreien Malen?
Kleingläubig floht Ihr Schmerz und Qualen.
Das Paradies Euch nicht gebührt,
Noch daß Ihr seine Schlüssel führt.
Geht zu den Schelmen und den Schlechten,
Ich zähle mich zu den Gerechten,
Da Ihr es also strenge nehmt.«
Da schleicht Sankt Peter sehr beschämt,
Klagt Thomas all sein Herzeleid.
Der ist zum Helfen gleich bereit
Und sagt, er soll' nur ruhig bleiben,
Er woll' den Bauern schon vertreiben:
Sankt Thomas darauf nicht verzieht
Und frägt, als er die Seele sieht,
Sogleich: »Wie bist du hergekommen?
Im Paradiese aufgenommen
Wird keine Seele ohn' Geleite,
Laß diesen Ort und such das Weite.«
»Gemach, Herr Thomas, nur gemach!
Euch sagt man größre Unbill nach.
Als Gott den Jüngern war erschienen,
Da dünkt mich, sprachet Ihr zu ihnen,
Ihr glaubtet ihrem Worte gern,
Doch erst, wenn selbst Ihr säht den Herrn.
Kleingläubig wart' Ihr und nicht klug!«
Nun hatte Thomas auch genug.
Gesenkten Hauptes, unverweilt
Voll Kummer zu Sankt Paul er eilt.
Als der vernimmt die Wundermär,
Spricht er: »Bringt nur den Bauern her,
Ich werd ihn schon zur Rede stellen!«
Inzwischen sieht er den Gesellen
Im Paradiese sich ergehen.
»He, Bauer,« ruft er, »bleibe stehen.
Wie fandest du die Türe offen?
Du hast es wunderbar getroffen,
Es gab dir niemand das Geleite,
Drum laß den Ort und such das Weite!«
»Wie?« ruft der Bauer auch nicht faul,
»Ihr seid's, der also spricht, Sankt Paul?
Und waret Ihr und Eure Mannen
Nicht harte, schreckliche Tyrannen?
An Grausamkeit tät's Euch nicht fehlen,
Sankt Stephan kann davon erzählen,
Den einstmals Ihr gesteinigt habt!
Manch bravem Mann den Tod Ihr gabt.
Ich bräucht' Euch nicht so gut zu kennen,
Um manches Stücklein Euch zu nennen.
Ha! Solch ein Heiliger fürwahr
Noch nie im Paradiese war!«
Sankt Paul, in Schmerz und Grimm entbrannt,
Hat alsogleich sich fortgewandt,
Er braucht nicht gar zu weit zu gehn;
Sankt Thomas und Sankt Peter stehn
Beratend vor des Himmels Tor.
Er flüstert beiden in das Ohr,
Wie von dem Bauern ihm geschehen,
Er könnt' sich nicht dazu verstehen,
Ihn aus dem Paradies zu jagen.
Sie gehn zu dritt vor Gott zu klagen,
Und Petrus zögert nicht zu sagen,
Wie allen dreien es ergangen,
Und wie's der Bauer angefangen,
Zu überwinden einen jeden
Und zu beschämen durch sein Reden.
Sie könnten nicht mehr zu ihm gehn;
Es spricht der Herr: »Den muß ich sehn,
Denn solches hab' ich nie vernommen.«
Da sieht er schon die Seele kommen
Und frägt: »Wie konnt' es dir gelingen,
Hier ohn' Geleite einzudringen?
Die Jünger hast du mir gescholten,
Die von der Tür dich weisen wollten,
Geschmäht, beleidigt meine Knechte.«
»Herr, bin ich doch mit gleichem Rechte
Allhier, so scheint es mir, wie sie!
Verleugnet habe ich Euch nie,
Hab niemals Euren Leib verkannt,
Kein Mensch fiel je durch meine Hand.
Und taten sie nicht alles dies
Und sind heut doch im Paradies?
Ich führte einstmals in der Welt
Ein Dasein, wie es Euch gefällt,
Den Armen gab ich Speis und Trank
Und ließ sie, müde, kalt und krank,
An meinem Herde sich erwärmen,
Sie brauchten nimmer sich zu härmen
Und litten wahrlich keine Not.
Ich pflegte sie bis in den Tod
Und ließ begraben sie in Ehren.
Treulich befolgt' ich Eure Lehren,
Bin stets mit Fleiß zur Beichte gangen,
Hab' gläubig Euren Leib empfangen,
Sind dem die Sünden nicht vergeben,
Der also schied aus jenem Leben?
Ihr wißt's, ich tat die Wahrheit sprechen,
Ihr werdet Euer Wort nicht brechen,
Das aufzunehmen den verhieß,
Der Eintritt fand ins Paradies.«
»Es sei,« spricht Gott, »dir ist's gelungen,
Du hast das Paradies errungen,
In gute Schule bist du 'gangen,
Gar feine Lehr' hast du empfangen,
Denn trefflich weißt du zu erzählen
Und sehr geschickt dein Wort zu wählen,
Dabei dein' Vorteil auch zu wahren.«
Ein Bauernsprichwort wohlerfahren
Sagt: List kann selbst das Recht besiegen.
Gar mancher Mann mußt' unterliegen,
Der schlaues Wort nicht führen tat.
List macht schlecht gut, und krumm gerad,
Und jeder sieht im Leben bald
Daß List mehr wert ist als Gewalt.