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Maria und der Schüler

Maria, die Getreue,
(So kund euch werd' aufs neue)
Den Freunden spendet vollen Lohn.
Es war – in frühern Zeiten schon –
Ein Jüngling, der zur Schule ging.
Dem Studium fleißig er nachhing,
Und seines Herzens weise Art
War mit der Tüchtigkeit gepaart;
Vor allem war die Schrift ihm wert;
Daher Maria er verehrt
Von Kindheit an und innig liebt,
Die Welt ihm keine Freuden gibt.
Der Keuschheit hat ergeben
Er durch Marie sein Leben.
Und einst im heimlichen Gebet
Der Mutter Gottes zugesteht
Ave Maria siebenmal
Früh jeden Tag in voller Zahl
Knieend vor ihrem Bilde
Zu sprechen, daß die Milde
Auf ihrem Antlitz er erschau –.
Und dies Gelübde ganz genau
Er hielt und nimmer davon ließ.
Da man ihm Almosen verhieß,
Ging er zu betteln in die Stadt,
Denn früh er schon verlassen hat
Die Heimat und die Seinen.
So blieb er treu dem Reinen,
Bis er kam an die fünfzehn Jahr;
So daß sein Wandel frömmer war,
Als der der andren Knaben,
Die sich der Lust ergaben.
Und unsre Frau, die gütig, hold
Der Armut frei ihn machen wollt'.
Nun fand in einem Dorfe statt
Die Kirchweih, und ein jeder hat
Begierde, hinzukommen.
Dort sammeln sich die Frommen.
Ein jeder Ablaß dort erhält;
Und armen Schülern ohn' Entgelt
Man Speise dort gewährt und Trank.
Auch morgens früh bei Sonnaufgang
Ging unser Schüler aus der Stadt,
Die Ave doch vergessen hat.
Sie sind noch ungesprochen
Und so der Schwur gebrochen.
Da Lauterkeit ihm ward zur Pflicht,
So ging er mit den andern nicht.
Allein er wandert hinterher.
Die Sonne brannte immer mehr;
Noch war nicht zu entdecken
Das Dorf, als er mit Schrecken
Gewahrte die Vergeßlichkeit.
Dies füllte ihn mit solchem Leid,
Daß er in schwerer Reue groß
Sein Antlitz kummervoll begoß.
Sein Herz ward ihm so schwer bedrückt,
Daß er gedachte, unverrückt
Den Weg nach Haus zu lenken.
Doch mocht' er nicht dran denken,
Den Ablaß aufzugeben heut'.
So den Entschluß er gleich bereut,
Und nimmt sich vor, in der Kapelle
Gebet zu sprechen auf der Stelle,
Und ist die Tür verschlossen,
Dort wartend unverdrossen
Zu fasten bis zur Vesperzeit,
Wo man zu öffnen ist bereit.
Dann würde er dort schauen
Das Bildnis unsrer Frauen
Und vor ihm sprechen sein Gebet.
Nun weiter er in Kummer geht;
Und seine Augen beide,
Sie waren feucht vom Leide.
Nun führte ihn der Weg alsbald
In einen dichten kleinen Wald.
Als er zur Seite schaute hin,
Da sah er mit erstauntem Sinn,
Wollt' kaum den Augen trauen,
Ein Bildnis unsrer Frauen.
Ein Kunstwerk solcher Wohlgestalt,
Daß keines Meisters Allgewalt
Es schöner mochte jemals bilden.
Er sah die Züge an, die milden,
Da ward sein Herz vor Freude hell,
Und er vergaß den Kummer schnell.
Und da bemalt die Schnitzerei,
So glaubt' er, daß vergessen sei
Von einem Maler hier das Bild,
Und Andacht sein Gemüt erfüllt.
Das Werk auf einem Baumstamm ruht;
Er wirft sich hin in frommer Glut
Zur Erde vor Marien
Und betet auf den Knien
So lange, als sein Herz ihn trieb.
Doch andres ihm zu tun noch blieb,
Er sollte voller Sorgsamkeit
Die schönen Blumen weit und breit
Zu duft'gem Kranze sammeln ein,
Ein Schmuck zugleich und Schutz zu sein
Dem Bilde vor der Vögelschar;
Daß jenes, das so strahlend war,
Vor Flecken er behüte.
In seines Herzens Güte
Vollbrachte er sein frommes Tun
Und wollte, ohne auszuruhn,
Dann weiter nach dem Dorfe schreiten.
Doch neue Sorgen ihn begleiten.
Es blieb das schöne Bildwerk dort
An jenem unbeschützten Ort
Dem Regen preisgegeben,
Und war doch voller Leben,
Mit Gold und mit Lasur verziert.
»O weh,« sprach er, »wenn nun passiert,
Daß Regenflut herniedergeht,
Nun ohne Dach das Kunstwerk steht,
Wie wird der Künstler klagen
Und bittern Kummer tragen.«
So überlegt er hin und her,
Wie Schaden zu verhüten wär'.
An Kleidern war er arm genug:
Besaß den Mantel, den er trug
Und nur zwei Linnenkleider,
Auch brauchte er nichts weiter,
Da dieser Sommer glühend heiß.
Der Jüngling schnelle Hilfe weiß:
Reißt durch sein Hemde ohn' Besinnen
Und wickelt in das eine Linnen
Der holden Jungfrau schönes Bild,
Das andre dient ihm selbst, er hüllt
Sich in den Mantel sorglich drauf
Und nimmt die Wand'rung wieder auf.
Da er nun schreitet seine Bahn,
Ruft ihn das Bildwerk plötzlich an;
Erschrocken kehrt er wieder,
Fällt auf die Kniee nieder:
»Hier bin ich, worauf steht dein Sinn?
Gebenedeite Königin?
Den Ruf hab' ich vernommen,
Du, Jungfrau, ließest kommen
Zu deinem Bildwerk mich aufs neu,
Daran erkenn' ich deine Treu!«
Maria schickt den Schüler aus:
»Geh eilig in des Priesters Haus,
Dort findest du beim Essen
Den Bischof, nicht vergessen
Darfst du, zu bringen Grüße
Von einer solchen Süße,
Wie er verdienet hat um mich.
Und dann verlange, daß er dich
Zum Priester weihe morgen.«
Der Schüler sprach voll Sorgen:
»Maria, holde Königin,
Er wird nicht glauben, daß ich bin
Dein Bote, und mit Hohn und Lachen
Wird er mich zum Gespötte machen;
Auch ist es jetzt nicht an der Zeit,
Daß man die jungen Priester weiht,
Unkundig bin ich noch der Art,
Wie man den Brauch der Messe wahrt.«
Die Jungfrau fiel ihm schnell ins Wort:
»Geh eilig hin an jenen Ort,
Die Zeit ist wohl gelegen,
Daß du den Priestersegen
In Fülle kannst erreichen;
Ich gebe dir ein Zeichen,
Damit der Bischof auf dich hört,
Bist alt genug, genug gelehrt.
Sag ihm, daß in der ersten Zeit,
Da man zum Amt ihn eingeweiht,
Er still im Herzen mir versprach
Wohl fünfzig Ave jeden Tag.
Doch hat er mich belogen,
Mit seinem Eid betrogen.
Nie hat er mehr daran gedacht,
Mir nie sein Herze dargebracht
Aus freiem Willen im Gebet.
Daß ihm die Mahnung nahe geht,
Des sei gewiß, dann glaubt er dir,
So sag' die Botschaft ihm von mir.«
Der Schüler neigt der Werten
Sich nieder bis zur Erden
In andachtsvoller Frömmigkeit
Und schied. Als eine Strecke weit
Er nun den Ort verlassen,
Konnt' kaum das Wunder fassen:
Da er den Blick zurückgewandt,
Er nimmer dort das Bildnis fand.
Sprach sein Gebet mit frommem Sinn
Und endlich kam zum Kloster hin.
Zuerst sein adliges Gemüt
Ihn schnell in die Kapelle zieht.
Dort neue Andacht er vollbringt
Und dann zum Hof des Priesters dringt.
Die rohen Hüter jagten dort
Mit Schlägen alle Armen fort.
Der Schüler vor dem Tore stand,
So arm, wie ihn die Botschaft fand.
Ein Bettler schien er von Gestalt;
Die Hüter suchten mit Gewalt
Durch manchen Schlag und manchen Stoß
Den Lumpigen zu werden los.
Doch blieb er fest bei seinem Willen,
Er müßte seine Pflicht erfüllen,
Zum Hof des Priesters dringen,
Die Botschaft überbringen.
Er kam auch endlich in den Saal,
Allwo der Bischof saß beim Mahl
Mit seinen Untertanen,
Den Priestern und Kaplanen.
Der Bischof war kein treuer Mann.
Der Bote trat zu ihm heran,
Erhob im günst'gen Augenblick
Die Stimme, denn zu seinem Glück
War ihrer aller Wille,
Zu lauschen ihm in Stille;
Man glaubte, einen Lustigmacher
Zu sehn, es freuten sich die Lacher.
Als unser Schüler dies erkannt,
Sprach er, zum Bischof hingewandt:
»Herr, höret, was ich sagen muß:
Durch mich entbietet ihren Gruß
Die Königin des Himmels Euch;
Der Gruß Marias sei so reich,
Wie Ihr verdienet habt um sie!«
»Was schwatzt der Tor?« der Bischof schrie.
»Nun laßt mich, was mir aufgetragen,«
Fuhr jener fort, »zu Ende sagen:
Noch ist die Botschaft nicht vollendet;
Denn morgen wünscht, die mich gesendet,
Von Euch zum Priester mich geweiht.«
»Ihr habt ein gar zu feines Kleid,
Als daß man dürfte weihen Euch,«
Der Bischof sprach mit Hohn sogleich,
»Ihr solltet drauf verzichten,
In Euren Scherzgeschichten
Zu treiben mit der Jungfrau Spott,
Wo nicht, Euch arge Strafe droht:
Ihr werdet, eh' Ihr es gedacht,
Mit Knüttelschlägen reich bedacht!
Wollt' spaß'ges Schauspiel treiben,
So laßt gefälligst bleiben
Aus Eurem Spiel die reine Magd,
Weh' jenem, der zu spotten wagt!«
Der Schüler sprach: »Vor allem
Laßt Euch ein Wort gefallen,
Darauf Ihr werdet glauben mir;
Bei Gott, die mich gesandt nach hier
Gab mir des sichres Zeichen.«
»Könnt' Ihr es so erreichen,«
Der Bischof fiel ihm schnell ins Wort,
»Zu nehmen meine Zweifel fort,
So will ich gerne hören,
Wes Ihr mich wollt belehren.«
Da hub der Schüler wieder an:
»Marie, die Jungfrau,« er begann,
»Erinnert Euch, daß in der Zeit,
Als Ihr zum Priesteramt geweiht,
Ihr wart der Holden so ergeben,
Daß Ihr im eifrigen Bestreben,
Zu dienen ihr von Herzensgrund,
Ihr gabt den Wunsch im Eide kund,
Zu sprechen – in der Zeit danach –
Ihr fünfzig Ave jeden Tag.
Nun höret weiter, was ich künde:
Ihr bracht den Eid, begingt die Sünde
Zu lügen, und der Eid ward lahm!«
Sobald der Bischof dies vernahm,
Ergriff ihn tiefster Schrecken.
Die Tische er abdecken
Ließ, da der Appetit verschwand;
In einem Winkel an der Wand
Ließ er sich traurig nieder.
Erinnrung kam ihm wieder,
Als es der Schüler ausgesprochen,
An seinen Schwur, den er gebrochen;
Doch war er sicher, nie sein Mund
Gab einem Menschen davon kund.
So nahm den Schüler er beiseit
Und bat ihn, ganz in Heimlichkeit
Ihm alles zu erzählen
Und gar nichts zu verhehlen,
Was er im Walde jüngst erfuhr.
Der Schüler, kindlich von Natur,
In einfältiger Weise
Erzählt ihm seine Reise,
Wie dort die Gottesmutter mild
In eines Meisters Werk und Bild,
Die hohe Himmelskönigin,
Auf seinem Wege ihm erschien.
Wie sich die Sache zugetragen,
Dies alles ließ er sich erfragen,
Vom Anfang an bis zu dem Schluß,
Bis zu der heil'gen Jungfrau Gruß.
Da sank der Bischof in die Knie,
Neigt sich in Demut vor Marie.
Sein Zweifel war nun unterdrückt,
Und er gelobte, unverrückt
Die Mahnung zu erfüllen.
Er ließ den Schüler hüllen
Am andern Morgen früh bereit
In reiches priesterliches Kleid,
Und man zum Amt ihn weihen sah.
Als alles nach Befehl geschah,
Der Bischof sprach zu ihm sofort:
»Hör, Kapellan, nun auf mein Wort:
Daß dich die Himmlische gesandt,
Des gib mir noch ein Unterpfand,
Unvorbereitet muß gelingen
Dir, gleich die Messe abzusingen.«
Der neue Priester spricht dagegen:
»O Herr, das mußt du überlegen;
Brauch ist, daß erst man wird belehrt,
Eh' man sich zum Gesange kehrt.
Ein Laie bin ich heute noch,
Gibst du mir ein'ge Stunden doch
Frist, daß ich es erlerne,
So sing ich herzlich gerne.
Die Messe les ich aus dem Buch,
Das sei dir vor der Hand genug!«
Der Bischof sprach: »Um keinen Preis!
Die dich gesandt, dich lehrend weiß
Sie Wunder zu vollbringen;
Gott lobend sollst du singen!«
»So sei es,« sprach der Priester fromm,
»Nun, liebe Frau, zu Hilfe komm!«
Er trat nun zu dem Altar hin,
Die Beichte sprach er zum Beginn
Und »Indulgentia« folgte nach;
Dann weiter es an nichts gebrach:
Es hub der neue Kapellan
Das »Salve, sancta parens« an,
So sorglos und in freiem Mut,
Wie jemand, der dies täglich tut.
Dann fiel er auf die Knie nieder,
Und feierlich im Chore wieder
Ertönte priesterlicher Sang.
Doch bei des ersten Tones Klang
Da sah der neue Kapellan,
Der Bischof auch, dem Altar nahn
Die allerschönsten Frauen,
Die je sie durften schauen.
Kein Auge schön're je erblickt;
Vor allem doch das Herz entzückt
Die edle Himmelskönigin.
In Samt und Seide sie erschien,
Durchwirkt mit lauterm Golde.
Am Mantel trug die Holde
Ein gleich den Sternen leuchtend Schloß.
Von einer hellen Krone floß
Ein solcher Glanz hernieder,
Daß man die Augenlider
Ganz unwillkürlich senkte schnell,
Dem Auge war der Strahl zu hell!
Nur diese beiden durften schaun
Den Zug der königlichen Fraun.
Die fromme Jungfrau hielt den Kranz
Wie frischgeflochten noch und ganz,
Den ihrem Bild – wie Ihr gehört –
Der Schüler jüngst im Wald verehrt.
Sie brachte ihn als Opfer dar,
Wie sie sich nahte dem Altar;
Den Kranz erkannte der Kaplan,
Und froh sah ihn der Bischof an,
Da ihm von jenem schon gesagt,
Wie er das Bild der reinen Magd
Mit diesem Blumenkranz versehn.
Nachdem das Opfer nun geschehn,
Sahn sie die Frauen scheiden.
Doch kurz darauf die beiden
Aufs neue holdes Wunder sahn.
Sobald der Opfersang begann,
Die Jungfraun wiederkehrten
Mit Maria, der werten.
Aufs neue sie zum Altar ging,
Das Hemd, das jüngst der Schüler hing
Zum Schutze ihrem Bilde,
Das halbe, nahm die Milde
Mit ihrer schneeigweißen Hand,
Und dem Altare zugewandt,
Sie sich, wie Zucht gebot, verneigte,
Zum Opfer dieses Hemde reichte.
Und niemand weiter ward gewahr
Die edle Frau und ihre Schar,
Der Bischof einzig und allein
Und der Mann Gottes, fromm und rein,
Der zu des Amtes Pflicht bereit,
Sank auf die Knie in Frömmigkeit,
Wie es die Priester pflegen,
Und das durch Gottes Segen
Zum Heiligtum geweihte Brot,
Den heil'gen Leib, den Leuten bot,
Wie es sich ziemte nach dem Brauch.
Und als er hob die Arme auch –
Da ward ein neues Wunder klar,
Der Priester stand an dem Altar
Bewegungslos und ohne Ton.
Die Seele war dem Leib entflohn,
War von der Jungfrau aufgenommen.
Als dieses Wunder ward vernommen,
Erfüllt die ganze Priesterschar
Von Dank und Lobe Gottes war.
Der Bischof und die Priesterschaft,
Sie priesen hoch der Allmacht Kraft.
Die Jungfrau zu verehren,
Mit priesterlichen Ehren
Begruben sie den guten Mann.
Nun höret wohl und sehet an,
Wie selig ist, zu loben
Die Königin dort droben!
Wohl ihm, der in das Herze sein
Läßt unsre liebe Frau hinein,
Mit »Ave« jeden Tag sie grüßt!
Denn wer sein Herze nicht verschließt,
In dem entbrennt ein frommer Sinn
Aus Gnaden; dauernd zum Gewinn
Wird Liebe ihm im Herzensgrund,
Die treibet ihn zu jeder Stund
Zur heil'gen Mutter Gottes hin!
Des sei gelobt die Königin!


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