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»Maimon«, so fing der Vater an,
»War gar ein Schalk und Grobian,
Ein Prahlhans und ein Leckermaul,
Voll Falschheit und unmäßig faul,
Auf allen Schleich- und Diebeswegen
All' andern höchlichst überlegen.«
»Viellieber Vater,« sprach der Sohn,
»Erzählt ein Stücklein mir davon.«
Darauf der Vater: »So vernimm:
Sein Herr sagt' eines Nachts zu ihm,
Er mög' die Türe wohl verschließen.
Maimon wollt' seine Ruh genießen
Und sprach: ›Hab selbst sie diese Nacht,
Eh' ich mich legte, zugemacht;
Seid darum, Herr, nur ohne Sorgen!‹
Der Herr befahl am nächsten Morgen
Zu früher Stund' sie aufzumachen.
›Herr,‹ sprach Maimon alsdann mit Lachen,
›Da ich schon gestern abend wußte,
Daß also es heut früh sein mußte,
Hatt' ich sie lieber aufgelassen!‹
Daß faul er über alle Maßen
Ward nun dem Herren schrecklich klar,
Worob nicht klein sein Schrecken war.
›He, Tagedieb! He Müßiggänger!
Ich glaube gar, du schliefst gern länger
Als ich, dein Herr, es selbst vermag!
Steh' auf, 's ist heller lichter Tag!‹
›Mir käme‹, sprach Maimon dagegen,
›Ein Bissen Brot nicht ungelegen.‹
›Ha, Schlecker! Kannst du dich vermessen?
Vor Tau und Tag willst du schon essen?‹
›Herr,‹ sagte ihm Maimon sodann,
›Gewiß ist's auch nicht wohlgetan
Und gälte es das eigne Leben,
Vor Tau und Tag sich zu erheben.
Dies ist der Sonne altes Recht,
Und wahrlich stünde es mir schlecht
Dasselbige ihr abzustreiten.‹
Frug morgens ihn sein Herr zuzeiten,
Ob Sonne wäre oder Regen,
Er war der Antwort nicht verlegen.
Den Hund, der stets im Freien schlief,
Der Schalk zu sich ans Bette rief,
Und tastete mit seiner Hand;
Wenn naß des Hundes Fell er fand,
So tat er Regenwetter kund.
Allein wenn trocken war der Hund,
Sagt' er, es gäbe keinen Regen.
Frug man ein andermal hingegen,
Ob schon geheizt der Ofen sei,
Rief er die Katze schnell herbei,
Die schlief des Nachts am Ofenplatze.
Und fühlte er, daß warm die Katze,
Sagt' er, daß schon geheizt man habe.«
»Wohl sollte er«, rief drauf der Knabe,
»Sich seiner großen Trägheit schämen!
Ich bitt' Euch, laßt mich nun vernehmen
Von seiner Bosheit noch ein Wort!«
Da fuhr der Vater also fort:
»Einst zog sein Herr mit leichtem Herz
Von einer Messe heimatwärts.
Er hatte reichlich eingenommen;
Von weitem sieht Maimon er kommen,
Und grüßt ihn froh und ruft ihm zu:
›Wie steht's daheim? Berichte du;
Nur bring mir keine Nachricht bei,
Die mir nicht lieb zu hören sei.‹
›Behüte‹, spricht Maimon erschreckt. –
›Doch, Herr, das Hündchen ist verreckt,
Der Hund, an dem Ihr so gehangen!‹
›Sag an, wie ist das zugegangen?‹
›Der Esel scheute und entsprang
Und ihn zu halten, mir mißlang.
Da half kein Locken und kein Rufen,
Der Hund starb unter seinen Hufen.‹
›Sag an, welch Wegs der Esel lief?‹
›Er stürzt' in einen Bronnen tief
Und mußte drin sein Leben lassen.‹
›Was schreckt' ihn so über die Maßen?‹
›Herr, Euer Sohn fiel von der Stiegen
Und blieb als Toter unten liegen.‹
›Was tat des Kindes Mutter, sprich?‹
›So weinte sie und grämte sich,
Daß jeglich Trostwort war verschwendet
Und sie an selb'gem Ort verendet.‹
›Doch wer behütet nun das Haus?‹
›Ach Herr, dort sieht es traurig aus!
Ergriffen ward es von den Flammen
Und fiel in Asche ganz zusammen.‹
›Wie ist das Feuer denn entstanden?‹
›Die Frau, die tot sie liegen fanden,
Sogleich ins Haus getragen war
Und ausgestrecket auf der Bahr.
Es sollt' die Magd bei ihr zur Nacht
Getreulich halten Totenwacht.
Gar lang sie bei der Toten saß,
Doch dann verließ sie das Gelaß.
Ein Licht sich drin vergessen fand,
Das setzt' das ganze Haus in Brand.‹
›Wo ist die Magd denn hingekommen?‹
›Die hat ein schlechtes End genommen.
Sie hat's im Haus so lang getrieben,
Daß in den Flammen sie verblieben.‹
›Doch du so langsam und so träg,
Wie fandest du hinaus den Weg?‹
›Hab's mit der Zeit so gut getroffen,
Daß just ein Türchen mir noch offen,
Durch das ich glücklich bin entkommen.‹
Als dies der gute Mann vernommen,
Zog er mit schwerem Herz und Sinn
Und tief betrübt des Weges hin.
Da kam fürbaß von ungefähr
Ein Freund desselben Wegs daher,
Der ihn nach seinem Leide frug.
Was schwer er auf dem Herzen trug,
Tat er alsbald dem Treuen kund.
Der ist des Mitleids voll zur Stund'
Und trostbereit er also spricht:
›Mein trauter Freund, verzage nicht!
Denn Torheit ist es wohl, sein Leben
So ganz dem Leide hinzugeben,
Um zeitlich Gut so hart zu klagen!
Hört' ich nicht schon von vielen sagen,
Die schweres Ungemach betroffen,
Daß sie mit Schmerz den Tod erhoffen,
Um bald ihr Herzeleid zu enden?
Da scheint ihr Los sich jäh zu wenden
Und ihnen kommt nach bittrer Zeit
Groß Reichtum und viel Fröhlichkeit.
Mit Freuden sehn sie nun im Glück
Auf überstandnes Leid zurück.
Oft kommen Schmerzen uns von oben,
Weil Gott will unsern Sinn erproben,
Wie es mit Hiob einst gewesen,
Den er zum Leiden auserlesen.
Auch ist's gar wandelbar bestellt
Mit allen Dingen dieser Welt.
Allein drob soll man nicht verzagen,
Zum Unheil führt zu lautes Klagen,
Wenn dir auch Gut und Habe schwand,
So blieb zurück dir der Verstand,
Und traust du Gott, wird er von neuem
Wohlstand und Freude dir verleihen.‹«
Da rief der Knabe, zornig sehr:
»Verflucht Maimons, des Schalken, Mär!
Daß drob sein Herr gar traurig war,
Scheint mir, bei Gott, nicht wunderbar.«
Der Vater sprach: »Kein Wunderding
War es, daß er sie schlecht empfing,
Doch soll man sich im Schmerze fassen,
Sich nicht Verzweiflung überlassen,
Denn alles Gut der Welt ist nichtig,
Wie Wolkenzug unstet und flüchtig.«