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Von der Verschiedenheit des Menschenschicksals

Dieser selbe Sultan, der es so sehr liebte, mit seinem Wesir über Gut und Böse zu plaudern, wollte gern wissen, was er von der Verschiedenheit des Menschenschicksals hielt. Und er sprach zu ihm: »Warum seufzt der Weise fast immer unter Trübsal und Unglück, während der Törichte sehr oft inmitten von Ruhm und Freuden und Fülle lebt? Die Weisheit, die der Anteil des ersteren ist, läßt ihn die Übel weder vorhersehen noch vermeiden; und der zweite hingegen erfreut sich seiner Unklugheit zum Trotze doch eines beständigen Glückes.« Der Wesir antwortete ihm: »O Herr, Allah allein verteilt Gut und Böse, die Menschen müssen das Schicksal tragen, das mit der göttlichen Feder auf die heilige Tafel der ewigen Beschlüsse geschrieben steht; nichts vermag die Ordnung der auf diese wunderbare Tafel, die inmitten des siebenten Himmels aufgehängt ist, aufgezeichneten Begebenheiten zu ändern.

Die Geschichte, die ich deiner Erhabenheit erzählen will, möge zur Bekräftigung dessen dienen, was ich gesagt habe! Asfendiar, der zuletzt geborene Sohn eines Königs von Griechenland, zeigte seit seiner frühesten Kindheit eine bedächtige Sinnesart und ein nachdenkliches Gemüt, was seinen Vater fürchten ließ, dieser Sohn, der zu Seiten des Thrones geboren worden war, möchte sich seiner zum Schaden des erklärten Erben bemächtigen.

Der König war jedoch nicht grausam genug, seinen Sohn, der keines Verbrechens schuldig war, des Todes sterben zu lassen; da er aber keine Zuneigung zu ihm hegte, verbannte er ihn, in der Furcht, Asfendiar möchte ein Thronräuber werden, nicht nur aus seinem Palaste, sondern auch aus seinen Reichen, und trieb seine Härte so weit, daß er ihm nicht einmal eine Hilfe für seinen Unterhalt zukommen ließ, sondern ihn dem Schutze der Vorsehung überantwortete, die über die Unglücklichen wacht.

Selbst ein so wenig verdientes Mißgeschick war weit entfernt, den Prinzen niederzuschlagen, es betrübte ihn gar nicht einmal. Durch eine gewissenhafte Beschäftigung mit der Lehre Mohammeds von dem Verhängnis überzeugt, das niemand von sich abwenden kann und das die Ereignisse nach sich zieht, ohne daß Menschenklugheit ihren Lauf aufzuhalten vermag, beschloß er, es über sich ergehen zu lassen.

Planlos, über sein Unglück nachgrübelnd, schritt er aus, als ihm ein junger Mann von seltener Schönheit begegnete, dessen Höflichkeit seinem guten Aussehen glich; selbst durch das Äußere des Prinzen eingenommen, bat er ihn um die Erlaubnis, mit ihm reisen zu dürfen.

Die Notwendigkeit, Gelegenheit und Gleichheit des Schicksals vereinigte die beiden jungen Abenteurer derart, daß sie in weniger als einem Tage völliges Vertrauen zueinander gewannen; ein dritter Wandersmann gesellte sich anderen Tages zu ihnen: es war dies der Sohn eines Kaufmanns, der im väterlichen Berufe gut beschlagen zu sein schien; die Unterhaltung des neu Hinzugekommenen gefiel unsem Reisenden, die ihn gern ihrem Schicksale zugesellten.

Ein großer und kräftiger Landmann, dem sie am dritten Tage begegneten, hatte ihnen gesagt, daß er in der Stadt Laodike, der sie sich zu nähern begannen, Arbeit suchen wollte. Die drei Pilger nahmen ihn in ihren Bund auf, der bis zu diesem Augenblick nicht sehr ertragreich gewesen war; das wenige Geld, das die kleine Schar zu sammeln verstanden hatte, war bald durch die Bedürfnisse aufgezehrt.

Der Bauer sprach zu seinen Gefährten: ›Nun ist der Augenblick da, wo jeder die Gaben, die ihm der Himmel beschert hat, anwenden muß, wenn wir nicht die traurigen Opfer des Unglücks werden wollen!‹

Da sprach Asfendiar: ›Liebe Freunde, wozu uns mit einer Zukunft beunruhigen, die wir weder vorhersehen noch ändern können; unser Los steht auf der göttlichen Tafel verzeichnet, die inmitten des siebenten Himmels hängt. Wenn die Vorsehung uns ein Gutes bestimmt hat, werden wir seiner in Ruhe teilhaftig werden, ohne Mühe und ohne Arbeit; hat sie aber entschieden, daß Dürftigkeit unser Teil sein soll, werden all unsere Mühen machtlos sein, und nichts wird ihre Beschlüsse ändern können!‹

Der schöne Jüngling nahm das Wort, bestritt die Meinung des Prinzen und entschied, daß ein liebenswürdiges Äußere eines der günstigsten Mittel wäre, um in der Welt weiterzukommen. ›Du spendest da einem sehr zerbrechlichen Vorteile Lob,‹ hub der Kaufmann an, ›Schönheit ist ein Kapital, das schnell den Händen ihres Besitzers entrinnt und dessen Einkünfte ungewiß sind; die Begabung ist der wahre Quell der Reichtümer; der allein vermag das unbeständige Glück festzuhalten, der Klugheit und Wirksamkeit mit einer großen Geschäftskenntnis verbindet!‹

›Und ich, ich meine,‹ sprach der Landmann, ›daß jeder, der Arme hat und sie rühren mag, sicherlich nicht Hungers stirbt: Arbeit ist das sicherste Mittel gegen Armut, alle andern sind unsicher!‹

Asfendiar hörte zu seiner Betrübnis, daß sich seine Begleiter mehr auf ihre Talente als auf die Vorsehung verließen; er unterließ nichts, sie von ihrem Irrtum abzubringen, und sagte ihnen als Beispiel mehrere Stellen des Korans auf. Der Bauer hörte wenig auf den erhabenen Stoff, er hatte Hunger und wußte, daß der, der so weise Reden führte, nichts zu beißen hatte.

Während der schönen Rede des Königssohns aber ging unser Bauersmann in einen nahen Wald, um abgestorbenes Holz aufzusammeln, das er dort in großer Fülle liegen sah; der kräftige Landmann brachte es mit seinen Händen zusammen und machte mehrere Bündel und trug sie auf seinem Rücken in die Stadt, die sehr nahe war; dort löste er dafür einiges Geld, für das er Lebensmittel für die kleine weltweise Schar einkaufte; und unser Mann hatte das Verdienst, denen Nahrung zu geben, die sehr viel mehr Verstand als er zu haben glaubten.

Der wohlgestaltete Jüngling wollte seinerseits seinen Genossen nützlich sein; er ging in die Stadt, und wie er auf Mittel sann, wie er aus seinen Talenten Vorteil ziehen könnte, redete ihn ein altes Weib an und sagte ihm, daß eine reiche Frau, die ihn durch ein Gitterfenster erblickt habe, sehnlichst wünsche, sich mit ihm zu unterhalten. Unser junger Unglücksmann war nicht in der Lage, ein Abenteuer ausschlagen zu können, er ließ sich geleiten, gefiel, bezauberte; und mit Wohltaten seiner Geliebten überschüttet, eilte er zu seinen Kumpanen, mit reichlicheren Vorräten als die des Hirten beladen, zurück.

Der Kaufmannssohn, der die Gesellschaft mit den großen Aussichten des Handels und den wirksamsten Mitteln, wie man sein Glück machen könnte, unterhalten hatte, war im Grunde seines Herzens beschämt, bis jetzt so wenig nützlich gewesen zu sein, und beschloß, seinen Kameraden auf seine Weise zu helfen; dazu entlehnte er sich einiges Geld von dem schönen Jünglinge.

Mit diesen kargen Mitteln wußte sich unser Kaufmann sehr viel größere zu verschaffen. Gerade am Hafen von Laodike angelangt, erblickte er ein Schiff, das soeben den Anker auswarf. Er hatte in Erfahrung gebracht, welcher Waren man am nötigsten bedurfte, und hatte auch gehört, daß die Ölbäume beinahe sämtlich in diesem Jahre eingegangen waren und das Öl bereits zu fehlen anfing; und dieses Schiff, das glücklicherweise mit solcher Ware beladen war, wurde mit großer Ungeduld erwartet.

Unser junger Mann beeilte sich, mit dem Schiffseigner zu sprechen; zwar war er diesem unbekannt, doch seine Geschicklichkeit sprach für den Kredit. »Ich bin«, sagte er zu ihm, »der Teilhaber von Ibrahim, dem tüchtigsten Kaufmanne unsrer Stadt; der läßt dir durch mich sagen, daß du uns deinen ganzen Ölvorrat geben mußt, auf daß du neue Ladung holen kannst. Es ist billig, daß du aus der Seltenheit dieser Ware auch deinen Nutzen ziehst, wir wollen dir daher, je nachdem, zwei Golddrachmen mehr als im Vorjahre geben. Hier ist das Draufgeld, verschreib alles auf Ibrahims und meinen Namen!‹

Der Handel wurde abgeschlossen, der Abenteurer eilte spornstreichs zu Ibrahim: ›O Herr,‹ sprach er zu ihm noch im Laufen, ›ein Mensch, den du nicht kennst, bietet dir einen größeren Dienst an, als dir deine besten Freunde jemals haben leisten können; ich habe erfahren, daß dir der Ölvorrat auf deinem Lager ausgegangen ist, und glaubte dir einen Dienst zu tun, wenn ich zu einem mäßigen Preise auf deinen Namen alles Öl, das gerade ankommt, kaufte!› Ibrahim ist entzückt und heißt den abgeschlossenen Kauf gut; sie gehen zusammen an den Hafen und betreten das Schiff, das eine Menge Kaufleute umringen, die mit Schmerz sehen, daß man ihnen zuvorgekommen ist.

Ibrahim bezahlte treulich den Eigner, der mit einem solchen Glücksfalle wohl zufrieden war, und belohnte den findigen Mäkler, der sich, mit einem solchen Glücksfalle wohl zufrieden, davonmachte, um seinen Kameraden die köstliche Frucht seiner Geschicklichkeit zu überbringen.

Der Königssohn sprach: ›O Freunde, ihr seid alle drei glücklich gewesen, jeder in seiner Art, aber ihr irrt euch doch sehr, wenn ihr glaubt, etwas anderes getan zu haben, als die Beschlüsse der Vorsehung auszuführen, die alles dies gelenkt hat. Wir sind blinde Werkzeuge: ich habe weniger Talente als ihr drei, aber wer weiß, was der große Schöpfer mit mir vorhat; ich will morgen in die Stadt gehen, ganz dem Schicksal ergeben, das meiner wartet!‹ Gleich am folgenden Morgen nach einem heißen Gebete zu dem, der alles so weise leitet, begab sich der Königssohn unter der Führung seines Gestirns auf den Weg. Er trat in Laodike ein, und das erste Wort, das er hörte, war: ›Unser Sultan ist soeben gestorben, und wir haben keinen Nachkommen von dem guten Herrscher! Wer wird über uns so weise wie er regieren?‹ Die Klage war ebenso bitter wie allgemein; jeder weinte, raufte sich die Haare aus und bestreute sein Gewand mit Asche.

Asfendiar hörte es begierig; und da er nicht mit betroffen war, hielt er sich nicht für verpflichtet, Tränen zu vergießen; die frostige und neugierige Miene des Fremdlings mißfiel den Dienern des guten Herrschers und machte Asfendiar bald verdächtig. Schmerz ist ungerecht; er wurde für einen Spion gehalten; man schlug ihn in Ketten im Augenblicke, wo die Leiche des Sultans in das Grabmal gebracht wurde. Die Vorsehung, die der Fremde immer im Munde führte, brachte ihn in das dunkelste der Gefängnisse, wo man ihn mehr als zwei Tage ohne Nahrungsmittel ließ.

Der arme Prinz sprach zu sich selbst, daß Allah, der sich so weise der Werkzeuge bediente, die er erwählen will, oft die zerbricht, die ihm unnütz erscheinen; er trug sein Unglück mit dem Reste philosophischen Mutes, den sein leerer Magen zu leugnen bereit war, als er Menschen an sein Gefängnis kommen hörte, die ihm befahlen, im Diwan zu erscheinen.

Asfendiar folgte seinen Wachen, auf den Tod gefaßt, den er schon neben sich gesehen hatte. Die Großen von Antiochien, die in dem Thronsaale versammelt waren, konnten sich über die Wahl dessen nicht einigen, der ihr König sein sollte; der eine von ihnen, den die Folgen eines Bürgerkriegs besorgt machten, hatte ihnen dargelegt, daß der Feind Spione in der Stadt unterhalte; einer dieser Spione läge im Eisen, mehrere andere aber seien der Wachsamkeit der Wächter entgangen, und die Nachrichten, die sie ihrem Gebieter überbringen würden, könnten dem Vaterlande ohne Zweifel verderblich werden. Die durch diesen Bericht in Sorge versetzten Großen hatten den gefangengenommenen Spion vernehmen wollen, und deswegen erschien Asfendiar in der Versammlung.

Der Prinz verbarg weder Namen, noch Geburt, noch die Gründe, die ihn aus dem Vaterlande getrieben, noch seine Abenteuer, noch die Gedanken, die sie in ihm hervorgerufen hatten. Asfendiar drückte sich edel und gewandt aus; die Unbefangenheit seiner Erzählung, seine Festigkeit, sein Vertrauen auf das höchste Wesen, die Weisheit seiner Rede, die Härte seines Schicksals und der Adel seines Auftretens bewegten alle Anwesenden. Mehrere erkannten sein Gesicht wieder, das sie am Hofe seines Vaters gesehen hatten; in der Verlegenheit, in der sie sich alle befanden, einen ihresgleichen zu ihrem Gebieter zu bestimmen, kamen sie beinahe samt und sonders überein, Asfendiar zu erwählen. Und sie riefen aus: ›Der Himmel hat uns sicherlich diesen Fremdling gesandt, um all unseren Zwiespalt zunichte zu machen: der allein ist würdig, uns zu beherrschen, der, so aus königlichem Blute entsprossen, die Tugenden seiner Ahnen in sich trägt, um ihnen nachzuleben und in ihren Spuren zu wandeln. Das Unglück, das diesem jungen Fürsten anhing, die Erfahrung, die es ihm eingebracht hat, sein adliges und edles Wesen, all das kündet uns vorher, daß er ein großer Sultan sein wird, der sich einzig um das Glück und den Ruhm seiner Untertanen kümmert!‹

Die ganze Versammlung erkannte ihn nach diesem Ausspruche als ihren König an, und er kam in einem Augenblicke aus dem Gefängnis auf den Thron. Man bereitete schnellstens Asfendiars Krönung vor, bekleidete ihn mit kostbaren Gewändern, und nachdem man ihn nach heiliger Sitte auf einem weißen Elefanten hatte niedersitzen lassen, führte man den neuen Herrscher durch die Hauptstraßen der Stadt, um ihm die Ehrfurcht, ja fast die Anbetung seiner neuen Untertanen zuteil werden zu lassen.

Drei Tage waren verstrichen, seit Asfendiar die Genossen des Unglücks verlassen hatte; diese liebten den Königssohn und fürchteten für ihn als Fremden ohne jede Verbindung die schlechte Behandlung, der ihr Kamerad in der Tat ja anfangs ausgesetzt war, und waren voll der lebhaftesten Unruhe in die Stadt geeilt.

Sie erfuhren bei ihrer Ankunft, man habe einen neuen Sultan ausgerufen; sie hofften daher, daß der Krönungstag ein Gnadentag für alle Unglücklichen sein würde. Als nun Asfendiar auf dem weißen Elefanten die Hauptstraße Antiochias durchritt, wagten es die drei Fremden, ihre Blicke auf ihn zu werfen.

Ihr Kamerad, ganz Herrscher, der er ja geworden war, geruhte sie zu erkennen; er ließ sie sich nähern, sobald sie aus ihrer äußersten Überraschung zu sich gekommen waren. ›Seht hier, o meine Freunde,‹ sprach er zu ihnen inmitten allen Volkes; ›eine der größten Handlungen der Vorsehung. Glaubt ihr, daß ich mich zum Sultan von Laodike gemacht habe? Und wenn ich euch die Wohltaten erweise, die euch meine Dankbarkeit schuldet, glaubt ihr dann von mir zu erhalten, was der Allmächtige euch aufgespart hat? Wir alle sind Sklaven des höchsten Wesens, doch keiner von uns weiß um das Schicksal, das seiner wartet!‹ Und in der Tat, der Fürst ließ sich selbst von der Vorsehung leiten, die beschlossen hatte, ihn zu einem der besten Herrscher der ganzen Welt zu machen: er begabte die Gefährten seines Unglücks reichlich und machte sein Volk durch eine weise und gute Herrschaft glücklich.

»O Herr,« fuhr der alte Wesir fort, indem er das Wort an den jungen Sultan richtete, »diese Geschichte muß deine Zweifel, zerstreuen und dich überzeugen, daß kein Mensch seinem Schicksal entrinnen kann!«


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