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Die Geschichte von der Gefahr, in die sich Fürsten begeben, wenn sie ihr Vertrauen Leuten schenken, die seiner unwert sind.

Ein junger Fürst, der in einem Alter, in, dem die Menschen kaum fähig sind, die Wahrheit zu erkennen, den Thron bestiegen hatte, fragte seinen Wesir, dem ein hohes Alter eine große Erfahrung gegeben hatte: »Welche Menschen sind würdig, daß sich Könige ihnen nähern?« »Ach,« antwortete ihm sein Minister, »Fürsten dürfen nur denen trauen, die am wenigsten bestrebt zu sein scheinen, ihnen zu gefallen. Die Menschenkenntnis, die für alle schwierig ist, ist Herrschern beinahe unmöglich zu erlangen. Ein Sultan von Aleppo, der das Unglück hatte, sich hierin zu irren, wurde glücklicherweise durch Tiere aufgeklärt.

Rustam – dies ist sein Name – überließ, in schlaffer Weichlichkeit versunken, seinen Wesiren die wichtigen Sorgen um die Herrschaft, für die er sich nicht befähigt hielt. Üppigkeit erfüllte sein Herz; ein Edelsteinhändler, der ihm die auserwähltesten Kostbarkeiten verschaffte, stand ihm näher als ein Feldhauptmann, der seine Schlachten gewann; und das wichtigste Amt im Palast war das des Schatzmeisters.

Ein Sohn wurde ihm von der Lieblingssultanin geboren. Rustam aber, der seinem Schatzmeister die Sorge um das, was ihm am teuersten war, will sagen, seine Geschmeide anvertraut hatte, glaubte nicht besser handeln zu können, als ihm auch die um den Thronerben anzuvertrauen.

Der neue Erzieher prägte der Seele des Prinzen alle Laster ein, die in seiner wohnten, oder vielmehr, er pflegte die Keime der Laster, die alle Menschen in sich tragen und die eine gewissenhafte Erziehung und gute Erwägungen allein unterdrücken können.

Der junge Behadirschah, dem niemals der geringste Widerstand geleistet wurde und dessen Kindheit die Schmeichler verdorben hatten, war heftig, ungerecht, ruchlos und betrachtete die Menschen, über die er einst herrschen sollte, nur als ein Gut, das ihm gehörte und mit dem er nach seiner Laune zu schalten und walten das Recht habe.

Der Beruf, den sein Erzieher ausgeübt hatte, ehe er Würdenträger wurde, hatte eine große Liebe zu Geschmeiden in ihm wachgehalten, die nun auch, wie alle andern Neigungen, in das Herz seines Zöglings eingezogen war. Sadi – so hieß der Erzieher – hörte, daß ein Jude aus Aleppo mit einer reichen Auswahl von Kostbarkeiten angekommen war; er wollte den jungen Prinzen veranlassen, davon zu kaufen, und für sich selbst die günstige Gelegenheit wahrnehmen.

Als der Jude ins Serail eingetreten war und sah, wie man sich seiner Kostbarkeiten bemächtigte, ohne daß der Preis, den man ihm dafür zahlte, seinen Erwartungen entsprach, beklagte er sich über das Unrecht und forderte seine Diamanten zurück. Behadirschah paßten seine Einwendungen wenig, und er gab Befehl, den Juden aus dem Serail zu werfen. Der über die Ungerechtigkeit erbitterte Unglückliche beklagte sich hart und in sehr wenig maßvollen Worten: der Prinz, den sein grausamer Erzieher aufhetzte, ließ dem Juden so böse zusetzen, daß er auf der Stelle seinen Geist aufgab.

Die Kunde von dieser Begebenheit brachte den König Eustam gegen Sohn und Erzieher auf; der junge Prinz wurde in einen vom Serail entfernt liegenden Palast verbannt; der seiner Würden entsetzte Sadi wollte sich vor seinem Zöglinge zeigen, aber er empfing da nur Vorwürfe und den Befehl, sich für immer aus seinen Augen zu entfernen, da man fürchtete, er könne neue Schandtaten veranlassen.

Der Elende zog ganz niedergeschmettert ab, und nachdem er sich des Nachts in einem dichten Walde verirrt hatte, kam seinen Füßen eine jener Gruben in die Quere, die man als Falle für wilde Tiere leicht mit Moos bedeckt. Er stürzte hinein und fand sich unter drei Tieren, die seinen Schrecken noch vermehrten: einem Löwen, einem Affen und einer Schlange; unser Mann kam mit der Angst davon, die ihm die schrecklichen Tiere verursachten. Das grausamste Tier wird sanft, wenn es sich gefangen sieht; der Tag überraschte Sadi inmitten der traurigsten Gedanken; er hatte sich schon darein gefunden, das Leben, das ihm die Tiere ließen, durch Hunger zu verlieren, als er auf dem Rande der Grube einen Menschen erblickte, der mit seinem Schicksale Mitleid zu haben schien. Dieser Anblick gab ihm wieder Hoffnung; die Zurufe des Unglücklichen bestimmten den Wanderer, ihm einen Strick zuzuwerfen, mittels dessen er aus diesem schrecklichen Aufenthaltsorte erlöst werden konnte.

Der Affe, gewandter als der Mensch, ergriff diese günstige Gelegenheit und erschien an Stelle dessen, den der Wanderer erwartete, am Rande der Grube: ›Du wirst dich vielleicht eines Tages nicht ärgern,‹ sprach der Affe zu ihm, ›mir das Leben gerettet zu haben; Tiere wissen ihre Wohltäter wiederzuerkennen und wertzuhalten; du willst diesen Mann retten, der mein Mißgeschick teilte, gebe es der Himmel, daß dich dieser Undankbare deinen Edelmut nicht bereuen läßt! Meine Behausung ist am Fuße des Gebirges, das du von hier aus siehst; vielleicht könnte ich dich dort wiedersehen und dir nützlich sein.‹ Der Wanderer, der die Versprechungen des Affen nicht ernst nahm, legte in einer Regung von Mitleid die letzte Hand an seine Rettung und beeilte sich dann, den Strick zurückzuwerfen, in der Hoffnung, nunmehr seinesgleichen zu befreien; als er bei der zweiten Unternehmung ein beträchtlicheres Gewicht fühlte, zweifelte er keinen Augenblick, daß es der Mensch wäre, der endlich den Strick erfaßt hätte; jedoch erschreckten ihn die ungeheure Mähne, die Zähne und die Klauen des Königs der Tiere so sehr, daß er die furchtbare Last fallenlassen wollte. ›Beruhige dich,‹ sprach der Löwe zu ihm mit süßer und gewaltiger Stimme, ›auf daß dein Schreck uns nicht allen beiden schadet; du erwirbst in mir einen Beschützer, der nicht zu verachten ist; ich kann dir auch einmal das Leben bewahren, das du mir gerettet hast; dein Kamerad, der in der Grube sitzt, wird dir niemals so viel Gutes tun!‹ Der Wanderer ließ sich durch diese beredte feierliche Ansprache bewegen, verdoppelte seine Kräfte, und es gelang ihm schließlich, den Löwen aus der Grube zu ziehen. ›O Freund,‹ sprach der Löwe mit Gönnermiene zu ihm, ›meine Höhle ist in dem Walde bei der Hauptstadt; ich hoffe, wir werden uns dort eines Tages sehen!‹

Es blieben noch zwei Gefangene zu befreien; der auf den Grund der Grube zurückgeschleuderte Strick wurde von der Schlange umwunden. ›O edler Retter,‹ sprach sie zu dem, der ihr das Leben wiedergab, ›ich will dir einen Rat geben, den du zwar nicht befolgen wirst: Schlangen haben die Klugheit von der Natur erhalten, den Menschen jedoch fehlt sie öfters: ich ließ auf dem Boden der Grube den größten aller Undankbaren zurück; denn ich weiß mit Charakteren Bescheid; dieser Unglücksmensch hat ein Verbrechen begangen, für das ihn die göttliche Vorsehung Strafen wollte. Überlaß ihn seinem Schicksale, wenn du deine Wohltaten nicht bereuen willst. Du siehst mir aus, als ob du ein harmloser Mensch wärest; ich verspreche dir, bei meinem Schlangenwort, dich aus der erstbesten Verlegenheit zu befreien, in die du ob deiner allzu großen Güte geraten wirst. Leb wohl, meine Heimat ist die lange Stadtmauer. Handle nach meinem Rat und zähle auf die Erkenntlichkeit eines Tieres, das zu aufgeklärt ist, um undankbar zu sein!‹

Der Wanderer war zu gutmütig, um einen vielleicht nützlichen Rat zu beherzigen, und warf den Strick zum vierten Male aus; der unglückliche Sadi hatte ihn endlich erwischt und sah sich wider alle Hoffnung gerettet. Es ist nutzlos, seine Freudebezeigungen auszumalen und die Dankbarkeitsergüsse, mit denen er seinen Befreier überschüttete; er versprach sehr viel mehr, als es die andern, die vor ihm gerettet waren, getan hatten; indem er den Wanderer unter Tränen der Rührung umarmte, begann er – um den Preis eines so wichtigen Dienstes –mit einer Täuschung. Freilich war Sadis Geschichte zu demütigend, als daß er sie durchaus wahr hätte erzählen können; er gab sich zwar als beim Sultan in Ungnade gefallen und vom Tische des Glücks herabgestoßen aus; aber er hütete sich wohl, die Gründe dafür anzugeben: Sadi sprach nur von der Undankbarkeit der Großen, von der Ungerechtigkeit, durch die sie sich unermüdlich der Schuld hingäben, und wiederholte dem Wanderer, daß er eines der Beispiele wäre, so die Menschen lehre, daß man nicht an Fürsten hangen sollte, und flocht in diese Rede eine Fülle von Moral und Tugend ein, die bewirkte, daß der gute Wanderer einen Weisen gerettet zu haben glaubte. ›Ich wohne in der Vorstadt von Aleppo‹, sprach Sadi zu ihm, ›und biete dir ein Obdach in meinem bescheidenen Daheim an!‹

Der Wanderer hatte ein anderes Ziel vor Augen; er zog nach Indien, um dort einiges Geld zum Ankauf mehrerer Warengattungen zu verausgaben. Und er setzte seine Reise mit der inneren Genugtuung fort, daß helfen immer eine gute Tat ist. In Indien angelangt, ließ sich ihm alles aufs schönste an, sein Geld wurde gut angelegt und verdreifachte sich in kurzer Zeit; reicher geworden, als er es je gedacht hatte, brannte er darauf, sein Vaterland wiederzusehn; er nahm den gleichen Weg, und den Wald durchquerend, in dem er wenige Jahre vorher sein Rettungswerk getan und die Unglücklichen aus der Grube gezogen hatte, erinnerte er sich mit Freude der schönen Reden des erkenntlichen Sadi. Die der drei Tiere hatten nur wenig Eindruck auf ihn gemacht; er war ihnen einzig und allein wohlgesinnt, weil sie ihren Wohltäter, dem sie das Leben dankten, nicht aufgefressen hatten. Als er so voll von diesen Erinnerungen war, begegneten ihm andere, sehr viel wildere Tiere: solches waren Räuber; sie faßten den unglücklichen Händler, zwangen ihn, vom Pferde abzusitzen, plünderten ihn und bereiteten sich vor, ihm das Leben zu rauben, als einer von ihnen den andern nachwies, daß dieses Verbrechen gänzlich unnötig sei. Man band den unglücklichen Reisenden an einen Baumstamm, wo er den Unbilden der Witterung ausgesetzt war; die Räuber schlugen sich ins Dickicht und überließen ihn keiner andern Hilfe als dem Tode, den er sich nicht allzubald bevorstehen sah.

Die kläglichen Schreie, die der Schmerz ihm entlockte, drangen einem großen Affen zu Ohren, der in einiger Entfernung von diesem Orte lebte; das Tier lief herzu und sah seinen einstigen Befreier in einem ebenso traurigen Zustande als dem, aus dem er es einst erlöst hatte. Zuerst lockerte es mit seinen Pfoten und Zähnen die Stricke, die Achmed – so hieß der Handelsmann – fesselten; es erstickte ihn fast mit seinen Umarmungen, und nachdem der Affe sein Unglück erfahren hatte, führte er ihn in eine Höhle, wo einige wilde Früchte Achmeds Hunger stillten; denn er hatte schon seit langem nichts genossen. Die Erzählung seines traurigen Erlebnisses rührte das Herz des dankbaren Tieres; beim Umherstreifen in dem Walde hatte es mehrere Tage vorher das Versteck der Räuber, die seinen Freund ausgeplündert hatten, entdeckt. Und es eilte mit der Gewandtheit und Leichtigkeit, deren Affen fähig sind, zu ihnen, überraschte sie, eingeschlafen mit der Sorglosigkeit von Verbrechern, die keine Züchtigung fürchten zu müssen glaubten.

Unser Affe erblickte die Säcke, und ihr Gewicht lehrte ihn, daß sie voll Goldes seien; mit Freuden belud er sich mit einer Last, die ihm die Dankbarkeit leicht machte; er schleppte die Gewänder mit, von denen er glaubte, daß sie seinem Gaste gehörten, und gelangte zu der Höhle mit der Freude, die eine edle Handlung erweckt. Als Achmed seine Habe wiedererlangt hatte, dankte er dem Affen und schickte sich an, seinen Weg weiterzuziehen.

Er wunderte sich selbst darüber, einen so wohltätigen Affen gefunden zu haben, und machte sich aufrichtige Vorwürfe über den geringen Glauben, den er stets diesem Falle beigemessen hatte, als ein schrecklicher Löwe vor seinen Augen auftauchte; er war schon wie gelähmt vor Furcht, doch statt Gebrüll vernahm er solche Worte aus dem gewaltigen Maule des Königs der Tiere: ›Komm, o mein Freund, komm, o mein Befreier; du hast mir das Leben gerettet; dafür will ich mich dir stets dankbar erweisen; gehen wir in meine Höhle, dort sollst du dich mit mir ausruhen!‹ Das Vorgehen des Affen hatte Achmed ein wenig mit den Tieren ausgesöhnt; welchen Schrecken ihm auch die Gemeinschaft mit einem Löwen einflößen konnte, so hoffte er, daß der König der Tiere nicht weniger hochherzig sein würde als der Affe; und sei es, um den König der Tiere zu unterhalten, sei es, um ihm eine gute Lehre zu geben, er erzählte ihm ganz offenherzig von der edlen Gesinnung, die der Affe gegen ihn bezeigt hatte. Der Löwe aber fand diese Handlungsweise sehr schön und dachte im stillen nach, daß es ihm nicht anstünde, weniger edelmütig zu sein als einer seiner geringsten Untertanen; und nachdem er seinem Gaste das Wort abgenommen hatte, nicht vor seiner Rückkehr seine Lagerstätte zu verlassen, begab er sich auf die Fährte.

Der Palast, in den der Sultan von Aleppo seinen Sohn Behadirschah verbannt hatte, lag nicht weit von dem Walde entfernt; der unglückliche Prinz hatte nur eine geringe Zahl Diener und lustwandelte oft allein in seinem Parke, der nur von einer niedrigen Mauer umgeben war. Seine Neigung für Geschmeide hatte sich nicht vermindert, er trug stets einen mit einer kostbaren Agraffe geschmückten Turban; dies war das einzige, was ihm von seiner früheren Pracht geblieben war. Kaum hatte der Löwe diese Kostbarkeit erblickt, als er durch den Überfall des Herrschersohnes zwei Fliegen mit einer Klappe zu fangen glaubte: ein gutes Frühstück für sich und ein beträchtliches Geschenk für seinen Gast, der ihn in seiner Höhle erwartete. Der Fürst der Tiere stürzte sich auf den Fürsten der Menschen, der Sieg war nicht lange zweifelhaft; die Vorsehung, die den ungerechten Tod des Juden durch die Löwenklauen rächte, bestimmte für den armen Reisenden die schöne Agraffe des Königssohnes, die der Löwe seinem Freunde voller Freude brachte.

Achmed, der sich mit Wohltaten von einem, vor dem er so große Furcht hatte, überhäuft sah, lenkte seine Schritte nach der Stadt, wo er seinen Freund Sadi zu finden hoffte, von dem er zum wenigsten gute Ratschläge erwartete. Denn, in der Tat: wenn Tiere Dienste so köstlich bezahlten, was mußten da erst Menschen tun!

Er betrat die Stadt bei Tagesanbruch; die Nachricht vom Tode des Prinzen war dort schon eingetroffen, man hatte im Parke seines Verbannungsortes Blut und Überbleibsel eines zerrissenen Mannes gefunden. War nun der unglückliche Behadirschah wilden Tieren oder Räubern zum Opfer gefallen, die einen Teil seines Körpers fortgeschleppt hatten, um ihr Verbrechen zu vertuschen ? Dies beschäftigte die ganze Stadt und bildete den Stoff zu allen Unterhaltungen, und hierzu nahm jedermann Stellung, ohne jedoch den wahren Sachverhalt zu ahnen, noch das geringste zu wissen.

Sowie Achmed in das Haus seines Freundes eingetreten und die erste Freude des Wiedersehens vorüber war, erzählte ihm der Reisende seine erstaunlichen Abenteuer: ein Affe hatte ihm seine von Räubern gestohlenen Güter wiederverschafft; ein Löwe, noch erhabener denn alle Fürsten, hatte ihm eine Agraffe geschenkt, die würdig war, den Turban des Beherrschers aller Gläubigen zu zieren. Der unglückliche Reisende ahnte das Elend nicht, das ihm die unheilvolle Agraffe einbringen mußte, wußte er doch nicht, daß sie dem Sultanssohne gehört hatte und Ursache des traurigen Endes des Prinzen gewesen war; da dieses unschätzbare Geschenk nicht leicht zu verkaufen war, fragte Achmed seinen Freund um Rat, was er mit so großen Reichtümern anfangen sollte, und beschwor ihn, ihm beim Verkaufe seiner Edelsteine zu helfen, deren Preis er mit ihm teilen wollte.

Sadi erkannte leicht die Diamanten wieder, die er selbst gefaßt hatte. ›Das ist die Agraffe des Prinzen, dessen Tod man beweint‹, sprach er zu sich selbst; ›welchen Lohn hat der Angeber zu erwarten, der dem Fürsten Kunde davon gibt und den Mörder oder zum mindesten den Mitschuldigen am Tode des Prinzen seiner Rache überliefert?‹ Nachdem er seinen Befreier zärtlich umarmt und rücksichtsvoll den ersten Pflichten der Gastfreundschaft Genüge getan hatte, führte der treulose Edelsteinhändler, als sich der Wanderer im Schoße des Vertrauens der Ruhe hingab, den Plan aus, den er gefaßt hatte. Er war nicht entsetzt ob des gräßlichen Verbrechens, das er zu begehen beabsichtigte; er achtete es für nichts, den zu opfern, der ihm das Leben gerettet hatte, wenn er für sich nur die frühere Gunst wiedererlangen könnte; er eilte nach dem Serail des Sultans, um ihm den anzugeben, den er für den Mörder seines Sohnes hielt. ›Hier ist der Nachlaß deines so hart bestraften und nun so beweinten Sohnes‹, hub er an. ›Diese Agraffe gehörte dem Prinzen, ich habe sie selbst gefaßt; der sie mir aber anvertraut hat und in meiner Gewalt ist, ist zweifelsohne der Mörder des Prinzen oder der Mitwisser derer, die ihn getötet haben!‹

Der Sultan ließ sich alsbald den angeblich Schuldigen vorführen; der unglückliche Reisende, der nicht um das Verbrechen wußte, dessen man ihn zieh, erschien vor dem Fürsten; Schrecken und Verwirrung war auf sein Gesicht geschrieben. Er erblickte seinen ungetreuen Freund und vermutete, daß er sein Übel verursacht habe: zu spät erkannte er nun den weisen Rat des Affen, des Löwen und der Schlange und rief aus: ›Ich verdiene das Schicksal, das über mich verhängt worden ist!‹

Der Sultan kannte den wahren Sinn dieser Worte nicht und nahm sie für das Geständnis des Schuldigen, dem die Wahrheit wider seine Absicht entschlüpfte; und er verurteilte ihn, daß er auf einem Esel durch die ganze Stadt geführt und dann in einem entsetzlichen Gefängnis festgesetzt werden sollte. Seine Hinrichtung jedoch wurde bis nach dem Leichenbegängnisse Behadirschahs verschoben.

Nachdem der unglückliche Reisende allem Volke dieses Schauspiel geboten hatte, wurde er in ein dunkles Gefängnis geworfen, wo er Zeit hatte, über sein Unglück und was es nach sich gezogen hatte, nachzugrübeln. Die Schlange, die eifrig über das Los ihres Befreiers gewacht hatte und Zeuge seines Schimpfes gewesen war, die auch den Verräter, der ihn verursacht hatte, kannte und ebenso eifrig darauf bedacht war, ihn zu strafen, wie Achmed zu retten, gelangte leicht in sein Gefängnis. Und sie sprach zu ihm: ›Habe ich dir nicht vorausgesagt, daß der Mensch das undankbarste aller Lebewesen ist und Gutes mit Bösem vergilt; ich war fest überzeugt, daß der Undankbare, den du wider meinen Rat erlöstest, eines Tages die Ursache deines Elends sein würde, und habe seither die Reihe von Übeln vorhergesehen, die du jetzt erleidest, weil du nicht auf Ratschläge gehört hast, die Weisheit und Freundschaft eingaben!‹

›O grausame Freundin,‹ rief der unglückliche Achmed aus, der die Schlange an der Stimme erkannte, ›ist mein Unglück nicht groß genug, als daß du es noch durch solch bittere Vorwürfe vermehren mußt? Denke vielmehr daran, meine Unschuld zu beweisen und mich, wenn es möglich ist, aus der grauenvollen Lage zu befreien!‹

›Ich habe dir versprochen,‹ entgegnete ihm die Schlange, ›deine Unklugheit wieder gutzumachen und halte mein Versprechen treulich; du hast mir das nicht glauben wollen; doch ist es an der Zeit, daß du mir ganz vertraust; ich werde vielleicht geschickter als der Verbrecher sein, der dein Verderben wollte; nimm dieses Kraut, es allein besitzt die Kraft, die Wirkung des Giftes, das ich eben den Adern der Lieblingssultanin eingeimpft habe, zunichte zu machen. Der Sultan wird gerade von dem heftigsten Kummer gepeinigt, du allein vermagst ihn zu besänftigen, man wird bald deine angeblichen Verbrechen vergessen; bei euch Menschen ist der, der sich nützlich zu machen weiß, immer schuldlos; rühme dich eifrig deiner Fähigkeiten, das ist das Mittel, um Glück zu haben; lege dein Kraut auf, und du wirst bald Wunder erleben!‹

Es war an der Zeit, folgsam zu sein, und Achmed bediente sich gern des Plans und Heilmittels; sobald man im Serail erfahren hatte, daß ein Gefangener um Kräuter wüßte, die das Schlangengift abtöteten, wurde der in das Gemach der Sultanin geleitet. Der erste auf die Wunde gelegte Verband heilte sie beinahe im Augenblick. ›O Gebieter,‹ sprach Achmed da zum Sultan, ›die Fürstin fühlt die grausamen Schmerzen, die sie erduldet hat, nicht mehr, und ihr Leben ist bereits in Sicherheit, ich aber bin nahe daran, das meine durch schimpfliche Strafen zu verlieren, die ich nicht verdient habe: du bist zu gerecht, um einen Unschuldigen bluten zu lassen. Wahrlich, ich bin nicht der Mörder deines Sohnes; der abscheuliche Sadi hat seine Jugend vergiftet, er ist es, der dem jungen Prinzen durch ruchlose Ratschläge, die er ihm gegeben hat, deine Ungnade bewirkte. Du wirst das Herz dieses Verbrechers kennenlernen, wenn ich dir bewiesen habe, daß er der undankbarste aller Sterblichen ist.‹ Darauf erzählte er dem Sultan die Begebenheit mit der Grube und alles, was darauf folgte.

Der Sultan ließ sich durch Achmeds Erzählung von dessen Unschuld und Sadis Verbrechen überzeugen und befahl, daß man Sadi die Martern erdulden ließe, die dem bevorgestanden hatten, der durch die falschen Anschuldigungen dieses elenden Angebers dazu verurteilt wurde. Der Treulose hingegen, der nichts um die Vorgänge im Serail wußte, wartete mit Ungeduld auf die Folgen seines schwarzen Verrates; er schmeichelte sich, die Gunst des Sultans wiederzuerlangen, und wiegte sich schon in den ehrgeizigsten Plänen, als er sich an Stelle der großen Luftschlösser, die er in seinen Träumen erbaut hatte, zur Richtstatt geführt sah, wo er sein ruchloses Leben unter Martern beschloß.

Diese Geschichte, o Gebieter,« fuhr der alte Wesir, an den jungen Sultan das Wort richtend, fort, »enthält eine wichtige Lehre für Herrscher; sie lehrt sie, wie gefährlich es für sie ist, ihr Vertrauen Menschen zu schenken, die ein böses Herz und ein verderbtes Gemüt haben!«


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