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Ali-Ibn-Abbas, der Günstling des Kalifen Maamún und Wachthauptmann des Fürsten, erzählt mit folgenden Worten eine Geschichte, die ihm selbst begegnet ist: »Ich war eines Abends beim Kalifen, als man einen an Füßen und Händen gefesselten Menschen vor ihn brachte. Maamún befahl mir, ein Auge auf den Gefangenen zu haben und ihn anderen Morgens vor ihn zu führen. Der Kalif war mir sehr erregt vorgekommen, daher gab mir die Furcht, mich etwa selbst seinem Zorne auszusetzen, ein, den Gefangenen in meinem Harem einzuschließen, welcher der sicherste Ort meines Hauses ist.
Ich fragte ihn nach seinem Vaterlande; er entgegnete, daß er in Damaskus geboren wäre und in dem Viertel der großen Moschee wohnte. ›Möge der Himmel‹, rief ich aus, ›seinen reichsten Segen über die Stadt Damaskus ausstreuen, und vor allem über das Viertel, das du bewohnst.‹ Er wollte den Grund der lebhaften Aufmerksamkeit wissen, die mich beseelte; ich sprach: ›Weil ich einem Menschen deines Viertels das Leben danke!‹
Solche Worte reizten seine Neugierde, und er beschwor mich, ihr genugzutun. ›Es sind mehrere Jahre her,‹ hub ich an, ›daß der Kalif, unzufrieden mit dem Statthalter von Damaskus, ihn seines Amtes entsetzte; ich begleitete seinen Nachfolger, den der Kalif ernannt hatte; im Augenblicke, als wir vom Palaste des Statthalters Besitz nehmen wollten, entbrannte ein Zwist zwischen dem alten und neuen Statthalter, ersterer hatte Bewaffnete angestellt, die uns überfielen; ich rettete mich durch ein Fenster des Palastes, und als ich mich von anderen Mördern verfolgt sah, flüchtete ich in dein Viertel. Ich erblickte einen offenen Palast, dessen Besitzer unter der Türe stand, ihn flehte ich an, mir das Leben zu retten; alsobald führte er mich in sein Frauengemach, und dort blieb ich einen Monat in Überfluß und Frieden.
Mein Wirt erzählte mir eines Tages, daß sich eine Karawane rüste, um nach Bagdad zu ziehen, daß ich also, falls ich willens sein sollte, meine Heimat wiederzusehen, keine bessere Gelegenheit abpassen könnte; Scham schloß mir den Mund; ich wagte ihm mein Unglück nicht einzugestehen; denn ich war gänzlich mittellos und durch die Notwendigkeit gezwungen, der Karawane zu Fuße zu folgen. Doch wie groß war mein Erstaunen, als man mir am Tage der Abreise ein sehr schönes Pferd vorführte und ein mit allen Arten von Vorräten beladenes Maultier, das ein schwarzer Sklave führte, der mir auf der Reise dienen sollte; mein Wirt überreichte mir zur gleichen Zeit eine goldgespickte Börse und brachte mich selbst zur Karawane, wo er mich mehreren Teilnehmern, die mit ihm befreundet waren, anempfahl. Solches ist die Wohltat, die mir in deiner Stadt erwiesen ist, und das macht sie mir so teuer; mein einziger Kummer ist, daß ich meinen gütigen Wohltäter noch nicht gefunden habe. Und ich würde zufrieden sterben, könnt ich ihm meine Dankbarkeit bezeigen!‹ Der Gefangene rief ganz entzückt aus: ›Deine Wünsche sind erfüllt, ich bin der, welcher dich in seinem Palaste aufnahm, erkennst du mich nicht wieder?‹ Die Zeit, die seit dem Ereignisse verstrichen war, und der Kummer, der ihn bedrückte, hatten sein Gesicht verändert, aber beim Betrachten seiner Züge erkannte ich ihn bald wieder, und die Umstände, die er mir wieder ins Gedächtnis rief, ließen keinen Zweifel mehr zu, daß dieser Gefangene, der darauf und daran war, sein Leben zu verlieren, mein lange gesuchter hochherziger Erretter war. Ich umarmte ihn tränenden Auges, nahm ihm die Fesseln ab und fragte ihn, durch welches Mißgeschick er den Zorn des Kalifen heraufbeschworen habe. ›Verachtungswerte Feinde‹, entgegnete er mir, ›haben mich ungerechterweise bei Maamún angeschwärzt, man hat mich Hals über Kopf aus Damaskus fortgeschleppt, ja die Barbarei so weit getrieben, mir den Trost, Weib und Kinder zu umarmen, zu versagen, und ich weiß nicht, welches Schicksal meiner wartet; sollte jedoch, wie ich fürchten muß, mein Tod gewiß sein, so bitte ich dich, ihnen dies Unglück mitzuteilen!‹
›Nein, du stirbst nicht,‹ sagte ich dawider, ›ich versichere dir, du sollst deiner Familie wiedergegeben werden: sei von diesem Augenblicke an frei.‹ Ich wählte mehrere Stücke der schönen Goldbrokatstoffe Bagdads aus und bat ihn, sie seiner Gattin zu schenken. ›Reise ab,‹ fügte ich dann hinzu, indem ich ihm eine Börse einhändigte, die tausend Golddinare enthielt; ›vereinige dich wieder mit den köstlichen Pfändern der Zärtlichkeit, die du in Damaskus zurückgelassen hast; möge der Zorn des Kalifen über mich kommen, ich fürchte ihn wenig, wenn ich glücklich genug bin, dich zu retten!‹
Mein Gefangener nahm das Wort: ›Welch einen Vorschlag machst du da, hältst du mich für fähig, ihn anzunehmen? Wie! Um mir das Leben zu retten, soll ich heute das Leben opfern, das ich ehemals gerettet habe? Versuche den Kalifen von meiner Unschuld zu überzeugen, keinen anderen Beweis fordere ich von deiner Dankbarkeit; wenn du ihm nicht die Augen öffnen kannst, will ich ihm selbst meinen Kopf darbieten, auf daß er nach seinem Willen über meine Tage beschließe, vorausgesetzt, daß die deinen in Sicherheit sind.‹ Ich lag ihm von neuem an, zu fliehen, doch ließ er sich nicht dazu bewegen.
Anderen Morgens versäumte ich nicht, mich vor Maamún zu zeigen. Der Fürst war zum Zeichen seines Zorns mit einem feuerfarbenen Mantel bekleidet; kaum hatte er mich erblickt, als er mich fragte, wo mein Gefangener wäre, und befahl gleichzeitig, daß man den Henker kommen lassen sollte. ›O Gebieter,‹ rief ich aus und warf mich ihm zu Füßen, ›es hat sich eine merkwürdige Sache in Angelegenheit dessen zugetragen, den du mir gestern anvertraut hast; erlaube, o Herr, daß ich sie dir verkünde!‹ Diese Worte brachten ihn in Wallung, und er sprach zu mir: ›Ich schwöre dir bei der Seele meines Ahnherrn, statt deines Gefangenen stirbst du, wenn du ihn mir hast entwischen lassen!‹ ›Mein Leben und seines‹, entgegnete ich, ›liegen in deiner Hand, o Gebieter, geruhe einzig, mich anzuhören!‹ ›Sprich!‹ erwiderte er. Ich erzählte dem Fürsten dann, auf welche Weise der Mann in Damaskus mein Leben gerettet hatte; daß ich mit dem Wunsche, mich gegen ihn dankbar zu bezeigen, ihm die Freiheit angeboten, er sie aber aus Besorgnis, meinen Tod dadurch zu verursachen, zurückgewiesen hätte. ›O Gebieter,‹ fuhr ich fort, ›er ist nicht schuldig; ein so edelmütiger Mensch kann es nicht sein; elende Verleumder haben ihn vor dir angeschwärzt; er ist das unglückliche Opfer des Hasses und des Neides gegen ihn Erbitterter.‹
Der Kalif schien gerührt; hatte er doch von Geburt an eine große Seele; und er konnte nicht umhin, das Benehmen meines Freundes zu bewundern. ›Deinetwegen verzeihe ich ihm‹, sprach Maamún; ›geh und melde ihm diese frohe Botschaft und bringe ihn zu mir!‹ Ich warf mich dem Fürsten zu Füßen, indem ich sie küßte, und dankte ihm in den lebhaftesten Ausdrücken, die mir die Dankbarkeit eingeben konnte; dann führte ich meinen Gefangenen vor den Kalifen.
Der Herrscher schenkte ihm ein Ehrengewand und ließ ihm zehn Pferde, zehn Maultiere und zehn Kamele aus seinem Marstalle geben; allen diesen Begünstigungen fügte er eine Börse zu, die zehntausend Dinare für die Unkosten seiner Reise enthielt; und er händigte ihm selbst einen Empfehlungsbrief an den Statthalter von Damaskus ein.«