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XXIII.

Rainer machte rasche Fortschritte. Jeden Morgen fuhren sie nach Tempelhof, wo aus Gordons besonderen Wunsch eine Schulmaschine stationiert war, und stiegen auf. Wenn das Flugzeug dann seinen Weg über Berlin nahm, suchten seine Augen unten am Boden, als könne man einen einzelnen Menschen dort erkennen. Und oft parierte er dann eine Bö schlecht, und die Maschine bockte.

Truckbrott gab mit der Hand die Richtung, aber über der Havel wurde es nicht besser. Da waren soviel Landestellen, an denen die Gedanken hängen blieben, am liebsten wäre er im Gleitflug heruntergegangen und hätte da eine Stunde geträumt. Von vergangenen und kommenden Sonntagen.

»Sie lernen nicht, Rainer«, mahnte der Lehrer.

Da nahm er sich zusammen, achtete auf das Steuer, bediente die Verwindungen und freute sich, wenn Truckbrott ihn steigen ließ.

Bis in dreitausend Meter Höhe.

Dann mußte er den Motor abstellen und sein Flugzeug im Gleitflug heruntergehen lassen. Bis die Baumkronen immer näher kamen, bis man in den Bauernhöfen deutlich die Hühner erkennen konnte, die, verzweifelt mit den Flügeln schlagend, der sicheren Leiter zustrebten. In scharfen Kurven wurden dann Kreise in geringer Höhe gezogen, Notlandungen eingeübt, Reparaturen, bei denen die Hände schwarz vom Öl wurden und die Nägel brachen.

Oft ruhte Truckbrotts Blick forschend auf dem Schüler, wenn die Arbeit einmal zu schwierig war, wenn es sich um Reparaturen handelte, die der Schlosser von seinen Lehrlingen ausführen ließ. Von Barbara wurde wie in geheimer Verabredung zwischen ihnen niemals gesprochen.

Wenn sie sich oben in der Luft den Wind hatten um die Nase wehen lassen, zeigte Truckbrott oft die Richtung nach Staaken an und ließ Rainer auf dem Übungsfeld landen. Dann gingen sie in die Montagehalle, in der die Unionmaschinen regelmäßig überholt wurden, und Rainer wurde einem der Meister zugeteilt. Im blauen Kittel fuhr er auf dem niedrigen Wägelchen in die langen Flügel hinein, mit Lötlampe und Taschenlicht ausgerüstet, untersuchte die feinen Kabel, die zu den Verwindungen führten, arbeitete an den Verstrebungen und prüfte die Festigkeit jedes Niets.

Auf Stunden hospitierte er auch bei den Verkehrsfliegern, lernte morsen, schrieb Aufsätze über Wetterkunde. Und war am Abend oft so rechtschaffen müde, daß er alle Energie zusammennehmen mußte, um Gisela an der verabredeten Stelle zu erwarten.

Und sie schenkte ihm meistens nur eine kleine Stunde, Seminar und Kollegs nahmen ihre Zeit in Anspruch.

Nach vierzehn Tagen überraschte ihn Truckbrott. »Die eine Großmaschine für die Ostasienexpedition ist flugfertig und soll nach Berlin überführt werden, damit die letzten Einbauten vorgenommen werden können. Wir wollen sie in den Sturmvogelwerken abholen.«

»Morgen?« Ein Gedanke schoß durch Rainers Kopf. Morgen war Sonnabend, und der Tag gehörte ihm und Gisela. In allen Freistunden hatten sie die Karten vor sich ausgebreitet, um eine besonders schöne Partie ausfindig zu machen.

»Am Montag«, sagte Truckbrott gleichgültig. Als Rainer aufatmete, erstaunt. »Was hält Sie in Berlin?«

»Nichts, gar nichts.«

Der schien nichts zu bemerken. Nur, wie nebenbei, ließ er fallen: »Unsere Zeit in Berlin geht dem Ende entgegen.«

Davon wollte Rainer mit Gisela nicht sprechen. Sie waren nach Paretz gefahren, hatten in dem alten Schloß der Preußenkönigin gestanden und in einem einfachen Gasthof in sauberen Zimmern geschlafen. Als er am Sonntag morgen vor das Haus trat, saß Gisela schon frisch wie immer vor dem gedeckten Tisch und schalt ihn wegen seines langen Ausbleibens. An solchen Tagen ließ sie die Trauersachen im Schrank, der tote Vater würde ihr das Waschkleidchen nicht verübeln.

»Die Eier hab' ich selbst im Stall gesucht«, berichtete sie.

Er aß mit besonderer Andacht.

»Und jetzt müssen wir Frühstück einpacken für den ganzen Tag.«

Davon wollte er nichts wissen. Aal wollte er haben mit Gurkensalat, wie die richtigen Berliner. Und im Schloß-Café in Potsdam wollten sie den Nachmittag sitzen und am Abend draußen im Wildpark – und dann – so ein Tag durfte überhaupt kein Ende nehmen.

»Drei Tage bleibe ich ja fort«, sagte er.

In den drei Tagen erlebte er etwas Neues. Auf dem Flugplatz der Sturmvogelwerke stand die große Maschine schon startbereit, als sie eintrafen. Mit voller Besatzung. Zwei Piloten saßen an den Steuern, die Monteure in den Motorkammern an den Flügeln, die F.-T.-Leute in einer Kabine. Der Kommandantenstand war noch frei. Zum ersten Male betrat Rainer eine Flugmaschine, deren Führer nicht selbst Hand anlegte, der nur Befehlsstelle war.

»Sie werden die Beobachtung übernehmen, Rainer«, ordnete Truckbrott an und wies auf den Kartentisch. »Wir fliegen Leipzig an, nehmen Richtung auf Thüringen, um die Maschine im Gebirge zu erproben. Alles weitere im Fluge.«

Ein Signal an die Piloten und Maschinisten, ein Blick auf den Platzwächter.

»Anlaufen!«

Rainer sah keinen Menschen an den Propellern, die doch gleichzeitig ansprangen, hörte kein Motorengeräusch, nur der Stahlrumpf zitterte leise. Der Führer prüfte den Gang.

»Vollgas!«

Immer noch kein Geräusch, und doch rasten draußen vier Propeller. Vom Werk her kam ein Herr ohne Hut angelaufen, der Doktor.

Lachend stieg er ein. »Heute müssen sie im Konstruktionsbüro ohne mich fertig werden.«

»Vater, ohne Hut?«

Der ließ sich nicht stören. »Wozu? Also, bitte, der Fluggast ist da, wir können starten.«

Truckbrott schob das Fensterchen auf. »Fahrgestell frei, Tragflächen frei!«

»Frei.«

»Voran!«

Holpernd rollte die Maschine in die Ecke, wendete. »Vollgas!« Die Hand am Befehlstelegraphen, saß Truckbrott aufrecht da. Ein Druck, die Maschine hob sich, stieg.

»Gute Arbeit«, lobte der Doktor.

Und mit dreihundert Stundenkilometern brausten sie auf das Thüringer Land zu. –

Als sie wieder nach Berlin zurückgekehrt waren, konnte Rainer seine Ungeduld nicht bezähmen. Gleich am Mittag lief er in die Bücherei und stand vor Gisela.

»Du, du …«

Die fühlte neugierige Blicke der Kolleginnen. »Womit kann ich Ihnen dienen, Herr von Gordon?«

»Mit einer Mondkarte!«

Sie lachte. »Wollen Sie dahin fliegen?«

»Mir wär's schon recht«, meinte er treuherzig. Und als die Kolleginnen endlich verschwunden waren: »Gisela, ich muß dir heute abend erzählen.«

»Heut sind wir nicht allein.«

»Gerade heute?«

»Alwin Müller ist in Berlin. Weißt du, der Bauarbeiter aus Königsberg. Er will mit dir reden.«

Weil er ihre tadelnden Blicke sah, senkte er den Kopf. »Wenn du meinst, Gisela.«

Der Bauarbeiter war doch etwas befangen und fand den alten, kameradschaftlichen Ton nicht gleich wieder. Da mußte Gisela vermitteln. »Sagen Sie nur offen, weshalb Sie gekommen sind, Alwin.«

Der druckste. Dann im schönsten Königsbergisch: »Guten Tag, Rainer.«

»Guten Tag, Alwin.«

»Weil doch in der Verkehrsschule ein neuer Kursus beginnen soll, deshalb bin ich gekommen.«

»Du willst nun doch Flieger werden?«

»Ja, aber das Geld, viertausend Mark ist sehr teuer.«

Jetzt mußte Gisela helfen. »Alwin meint, es könnte ihm wohl gestundet werden, wenn sich jemand für ihn verwendet.«

»Truckbrott?«

Sie dankte ihm. »Tu das, Rainer.«

Er benutzte die nächste Gelegenheit. »Alwin Müller hat die beste Prüfung bestanden.«

Truckbrott ging nicht sofort auf seinen Wunsch ein. »Sie sind noch jung, Rainer, denken Sie daran, daß Sie nicht nur Kamerad sind, sondern auch der Sohn Ihres Vaters. Daß Sie beides vereinigen müssen.«

»Ich habe daran gedacht.«

»Dann will ich Ihrem Wunsch nachkommen, sagen Sie das Ihrem Freund.«

Wenige Tage später traf auch die zweite Großmaschine in Berlin ein und wurde in Tempelhof stationiert. Jeden Tag arbeiteten die Monteure daran, die beiden Flugzeuge startbereit zu machen, Kisten zu verstauen und wichtige Apparate einzubauen. Um die Kabinen nicht zu beschweren, hatte man die Sessel zum größten Teil ausgebaut und eine Einrichtung getroffen, Hängematten anzubringen, in denen die Besatzung schlafen sollte.

Am Tage vor der Abreise schenkte Rainer Gisela einen kleinen Hund, ein schwarzes, struppiges Tierchen mit spitzen Ohren und mächtigem Kopf, aus dem zwei große, gute Hundeaugen fragend in die Welt blickten.

»Damit du nicht so allein bist«, sagte er.

Sie streichelte den kleinen Kerl. »Das ist lieb, Rainer.«

»Morgen ist unser Reisetag. Ich soll mit der Maschine fliegen, die sofort durch bis Mukden geht, Truckbrott bleibt vorläufig in Krasnojarsk und stellt den Anschluß mit Moskau her. Papa meint, weil ich den Fernen Osten kenne. – Ich bleibe nun lange fort.«

»Dein Vater ist in Berlin?«

»Er ist heute gekommen.«

»Sprich nicht von mir«, bat sie.

»Ich möchte aber gern.«

»Ich habe ihn einmal gesehen, er versteht dich nicht« Und ich will nicht, daß dir etwas zerschlagen wird.«

»Mit Barbara aber kann ich doch reden?«

Sie lächelte. »Das solltest du tun.«

Am andern Tage hielt sie es in dem Zeitschriftensaale nicht mehr aus. Mit einer fadenscheinigen Entschuldigung lief sie hinüber in das Luftreisebüro, das direkten Anschluß mit Tempelhof hatte.

»Ich muß draußen anrufen.«

Eine fremde Stimme. »Flugleitung.«

»Ist die Ostasienexpedition –?«

Die draußen gleichgültig: »Bin nicht orientiert. Warten Sie, eben kommt ein Herr vorbei, der mitstartet.«

Und dann plötzlich Rainers Stimme. »Was ist?«

Gisela war allein. »Rainer, glückliche Fahrt!«

Sie hörte seine helle Antwort. »Schönen Dank, Gisela.« Dann donnerten Motoren dazwischen. Und noch einmal er: »Ich muß eilen, wir starten.«

»Haben Sie Verbindung bekommen?« fragte die Schalterbeamtin.

»Ja«, sagte Gisela.


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