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XV.

Von den Briefen, die Truckbrott erwartete, kam kein einziger in Malmö an. Nur einmal eine Karte von irgendeinem Fest mit vielen, gleichgültigen Unterschriften. Die las er, schob sie in die Ecke seines Schreibtisches und ließ sie da liegen. Und schon nach wenigen Tagen war ihm Pias Welt fremd geworden.

Dagegen wehrte er sich. Er suchte in den Stunden, die sie gemeinsam in Linthbakken verlebt hatten, in denen, die die erste Zeit ihrer Bekanntschaft ausgemacht hatten. Er suchte Dinge und Gedanken, die ihnen zusammen gehörten, schmückte sie aus und mühte sich, sie zu idealisieren, zu vertiefen. Und wußte nicht, daß er eine Danaidenarbeit unternahm.

Denn immer wieder stand die Frau vor ihm, die ein anderer Mensch geworden war, als die Stockholmer Gesellschaft sie zu ihrem Mittelpunkt machte. Die Pia Linth, die sich von jungen Leuten aufdringliche Schmeicheleien sagen ließ und dazu lachte, die aus Kleiderfragen und Gesellschaftskleinkram Hauptaktionen machte.

Und als verginge ein Nebel, so erschien ihm plötzlich mancher Abend auf Linthbakken in anderm Licht. Wenn sie mitten im Gespräch aufgesprungen war, zum Flügel gelaufen und eine der Melodien gespielt hatte, die sie in den Dielen der großen Hotels jeden Nachmittag herunterleierten – wenn die Füße unvermittelt Tanzschritte auf dem Boden begannen, wenn sie mit irgendeiner Belanglosigkeit eine ernsthafte Unterhaltung blitzartig unterbrach.

Oder wenn sie unvermittelt am Vormittag in das Herrenzimmer getreten war, ihm ein neues Kleid, einen Mantel zu zeigen – und wenn sie dann stundenlang am Spiegel vor Christa probierte, alle Schränke auspackte, alle Schübe durcheinanderwarf – vor Christa, weil ihr ein anderes, dankbares Publikum fehlte.

Er dachte an die kleinen Diners, die sie gegeben hatte, und zu denen Lynge oder höhere Beamte aus Haparanda geladen wurden. Oft so unvermittelt, daß er es erst wenige Stunden vorher erfuhr. Die sie mit auserlesenem Geschmack ausstattete, und bei denen sie eine Welt heraufzauberte, die nicht die von Linthbakken war.

Jetzt verstand er es – die Welt, nach der sie sich sehnte.

Was als Neues reizvoll und eigenartig gewirkt hatte, erschien ihm jetzt launenhaft, kapriziös. Diese Frau mußte in Kontrasten leben, sich durch Gegensätze steigern.

Eine Wahrheit dämmerte in ihm auf, gegen die er sich wehrte: vielleicht war es nur ein Gegensatz gewesen, was sie zusammengeführt hatte.

Schemenhafte Bilder: die modern eingerichtete Kabine des Flugzeuges, das Neue, das Entfernungen überwand, das man mit einem Schimmer von Romantik überkleiden konnte – und unvermittelt daneben die armselige Hütte in den Schären, ein offenes Herdfeuer, an dem man sich in die Einsamkeit dieser Menschen auf Stunden hineinversenken konnte, ein primitives Bauernbett, eine Ungewißheit, die nervenkitzelnd – aber das Filmband rast weiter – ein Sonnentag, in den sie hineinflogen, das trag buckelnde Meer unter sich.

Dann wieder das lichtglänzende Berlin mit seinen tausend Abwechslungen, die Abende in hellen Lokalen zwischen gepflegten, gut angezogenen Menschen.

Eine Blende: wieder Einsamkeit – großartige Natur, Besinnlichkeit, in die von fern noch das Leben von gestern hineinklang, aus der ein buntschillerndes Morgen lockte. Die Gewißheit, daß eine Laune genügt, das alles abzuwerfen. Phantasie, die seinen Plänen folgte, wenn es ihr gerade gefiel, die bereits vollendete, was langsam wachsen soll. Dann Ungeduld, die nicht warten kann. Verwöhnte Gewohnheit, die es nicht anders kannte, als daß man mit Geld alles kaufen könne.

Und nüchtern, besonnen daneben er selbst –.

Der Direktor des Werkes in Malmö beobachtete ihn oft, wenn sie miteinander hastig im Nebenzimmer des Kasinos ihre Mahlzeiten einnahmen.

»Sie arbeiten zu viel, Herr Truckbrott.«

Und als er nicht antwortete. »Zu viel Theorie, Sie sollten fliegen.«

»Das habe ich aufgegeben, um mich ganz konzentrieren zu können.«

Der redete mehr für sich als zu dem andern. »An uns moderne Menschen stellt das Leben hohe Anforderungen. An unsere Nerven und an unsere physischen Kräfte. Es spannt uns ein, treibt uns, und manchmal will es uns scheinen, als überhetze es uns. Als müßten wir uns gegen das ungeheure Tempo wehren, in das es uns zwingt. Dann fliehen wir in die Besinnlichkeit. Das ist gut, aber es ist auch gefährlich. Denn es mag vorkommen, daß wir eines Tages erkennen, daß wir zurückgeblieben sind.«

Er straffte seine sehnige Gestalt. »Nur, wenn wir die Kontrolle über uns selbst verlieren.«

Und stand am andern Morgen vor der neuen, großen Maschine, mit der das Werk die letzten Probeflüge machte, weil sie in kurzer Zeit die direkte Seestrecke nach England übernehmen sollte.

Der blonde schwedische Pilot saß bereits im Führersitz. »Wollen Sie mitkommen?«

»Ja.«

Der Schwede lachte. »Das Ding gehorcht wie ein Zirkuspferd, ich freue mich darauf, wenn ich zum ersten Male drüben in Croydon lande. Im Winter wird gearbeitet, und im Sommer heimst man die Erfolge ein.«

Hoch oben in der Luft wachte manches auf, was in den letzten Monaten eingeschlafen war. Sie flogen nach Norden über Karlskrona, Truckbrott führte selbst, er ließ die Maschine steigen. Die Orientierung war leicht, er kannte den Kurs, er war ihn im vergangenen Jahr ja oft geflogen – und das letzte Mal im Herbst.

Der Pilot beugte sich zu ihm. »Wir haben nicht genug Benzin. Wenn Sie nach Stockholm fliegen wollen, können wir dort neu tanken – sonst –«

Unwillkürlich hatte er den Kurs über die Halbinsel eingeschlagen, hatte in den Sund einbiegen wollen – jetzt zog er die Maschine in scharfer Kurve herum.

»Wir haben nichts in Stockholm zu suchen.«

Am Mittag fragte ihn der Direktor. »Sie erzählten mir von Bekannten in Stockholm. Sie wissen, es ist gleichgültig, wohin unsere Maschinen fliegen.«

»Meine Bekannten sind nicht mehr dort.«

Der musterte ihn. »Aber nach der Einsamkeit von Malmö?«

Stundenlang konnte Truckbrott an den Bremsständen stehen und den Lauf der neuen Motoren beobachten, und in dem Rasen der Maschine fühlte er, wie er immer mehr der alte wurde.

###

Als er eines Tages in sein Büro trat, meldete ihm das junge Mädchen, das seine Schreibarbeiten erledigte, einen Herrn.

»Werkangelegenheiten erledigt der Direktor.«

»Es wäre persönlich.«

Drinnen erhob sich Lynge und verbeugte sich korrekt. »Sie werden erstaunt sein, mich hier zu sehen.«

Truckbrott machte eine einladende Bewegung. »Sie haben mir etwas zu bringen?«

»Ja – und nein. Ich stehe vor Ihnen als Bevollmächtigter der Frau Linth. Sie wissen, daß ich seit dem Tode des Herrn Magnus Linth die geschäftlichen Angelegenheiten der Firma erledige. Das persönlich-freundschaftliche Verhältnis, in dem ich zu dem Verstorbenen gestanden habe, läßt es verständlich erscheinen, daß ich über diese geschäftlichen Dinge hinaus auch persönlichen Fragen nicht ganz fern gestanden habe.«

»Und diese letzteren sind der Zweck Ihres Besuches?«

Der Direktor konnte eine Unsicherheit nicht ganz verbergen. »Die persönlichen, Herr Truckbrott.«

Der machte mit der flachen Hand einen Strich. »Hat Ihnen Frau Linth einen Brief für mich mitgegeben?« Ohne den Ton zu verändern. »Ich frage, weil es mir einfacher erscheint, wenn ich ihn zuerst lesen würde.«

»Nein, ich komme mit einem mündlichen Auftrag, eigentlich nur mit einer Nachricht. Frau Linth ist in Stockholm mit alten Freunden ihres Mannes zusammengetroffen, die auf einige Monate nach dem Süden reisen werden. Frau Linth hat in den letzten Jahren den Winter nicht auf Linthbakken verlebt. Das rauhe Klima scheint ihre Gesundheit angegriffen zu haben.«

»Das Klima.«

»Ich habe Ähnliches bereits befürchtet und habe im Herbst vor einem längeren Aufenthalt im Norden gewarnt – leider ohne Erfolg.«

»Ich glaube mich an das Gegenteil zu erinnern.«

Der stotterte. »Das ist unmöglich. Jedenfalls, die Herrschaften haben vor einigen Tagen Stockholm verlassen, ihr derzeitiger Aufenthalt ist mir unbekannt, da für die erste Zeit ein öfterer Quartierwechsel vorgesehen ist.«

»Das heißt, Sie wollen ihn mir nicht sagen.«

»Ich weiß ihn nicht. Frau Linth glaubt sich zu erinnern, daß einige Gegenstände, die für Sie von Wichtigkeit sind, noch in Linthbakken liegen. Ich soll nun ihre Wünsche entgegennehmen, wohin die Sachen geschickt werden sollen.«

Truckbrott war aufgestanden und ging erregt auf und ab. Blieb plötzlich stehen. »Herr Direktor Lynge, das ist eine Maskerade, wer garantiert mir, daß Sie wirklich die Ansichten Frau Linths vertreten und nicht Ihre eigenen.«

Eine spöttische Verbeugung. »Vielleicht dieses Schreiben.«

Er entfaltete umständlich einen Bogen und gab ihn Truckbrott.

Der las. »Ich ernenne hiermit Herrn Direktor Lynge zu meinen bevollmächtigten Vertreter in allen geschäftlichen und privaten Fragen. Herr Lynge ist von allem unterrichtet und handelt in meinem Auftrage.«

Das Wort »von allem« war eigenhändig unterstrichen.

»Ich bin ermächtigt, eine Entschädigung –« er sprach nicht weiter, die eiskalten grauen Augen faszinierten ihn.

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Falls gewisse Hoffnungen – oder Andeutungen, die falsch verstanden sein könnten –«

Schneidend: »Es liegt kein Mißverständnis vor.«

Der Direktor war bis zur Tür zurückgewichen. »Soweit ich unterrichtet bin, steht Frau Linth vor einer neuen Verlobung.«

»Mit Ihnen?«

»Ich wiederhole, Sie verkennen mich, ich bin nur der Geschäftsträger.«

»Dann – dann – sagen Sie –« Er machte eine Pause. »Lassen Sie mein Eigentum nach Malmö schicken, sonst – sonst, ich wüßte nicht, was wir weiter miteinander zu besprechen hätten.«

Immer noch lag ein unerledigtes Schreiben der Luftunion auf dem Tisch. Ein nüchterner Aktenbogen: »… fragen wir an, ob Sie mit der beginnenden Sommersaison Ihre Tätigkeit im Dienst der Union wieder aufnehmen werden, oder –«

Er rechnete nach. In vierzehn Tagen waren die sechs Urlaubsmonate, mit deren Bewilligung man sein plötzliches Ausscheiden im Herbst möglich gemacht hatte, abgelaufen. Und aus dem, das ein Neues hatte werden können, wurde eine Episode.

Er klingelte nach der Sekretärin. »Schreiben Sie – Brief, nein, Telegramm: Ich stehe zu jedem Dienst wieder zur Verfügung.«

Er atmete auf, als er allein war. Der alte Günter Truckbrott hatte sich wiedergefunden.


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