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XVI.

In der alten Michaeliskirche in Hamburg waren Gärtner beschäftigt, den Altarraum mit immergrünen Bäumen und Topfpflanzen in einen blühenden Garten zu verwandeln. Oben auf der Empore hatte der Organist den großen Kirchenchor um sich versammelt und übte die Gesänge, die morgen zur Hochzeitsfeier gesungen werden sollten. Zwischen Büro und Börse ließ der Geheimrat seinen Wagen einen Umweg machen, fuhr am Kirchenportal vor, um die Vorbereitungen selbst zu besichtigen.

Am Ausgang traf er mit seinem Sohn Rainer zusammen. Das halbe Jahr in den Tropen hatte aus dem unfertigen Jungen einen Mann gemacht. Das Gesicht war schmaler geworden, die Augen leuchteten aus dem sonnenverbrannten Teint, in den Bewegungen lag eine selbstsichere Überlegenheit.

Der Geheimrat streifte die Arbeiten mit einem Blick. »Die Leute geben sich Mühe.«

Und der Sohn artig. »Ich werde Barbara berichten, wie schön du alles zu ihrem Ehrentag herrichten läßt.«

»Du hast sie heute noch nicht gesehen?«

Aber Rainers Züge irrlichtete etwas von der früheren Weiche. »Ich bin seit dem frühen Morgen unterwegs. Bin am Hafen entlang gebummelt, an den Speichern. Ich habe meinen alten Erinnerungen wieder guten Tag gesagt.«

Der Geheimrat war längst bei andern Dingen. »Die Herren von der Union interessieren sich für die Fortschritte der Arbeiten im Osten. Ich habe heute telephonisch mit Berlin gesprochen. Da du ja doch in den nächsten Wochen nach Ostasien zurückkehren wirst, habe ich deinen Besuch angesagt. Übrigens ein merkwürdiges Zusammentreffen, ich erwarte heute nachmittag Truckbrott.«

Rainer hatte gelernt sich zu beherrschen, so zuckte jetzt keine Miene in seinem hübschen Gesicht. »Er wollte damals aus den Diensten der Union ausscheiden?«

»Das hat sich geändert.« Dinge, die ihm unbequem waren, konnte Gordon rasch übergehen. »Ich habe ihn für eine wichtige Mission ausersehen.«

Rainer fragte nicht, und der Geheimrat schien nicht weiter darüber sprechen zu wollen. »Du wirst mich in den gesellschaftlichen Verpflichtungen unterstützen, Junge. Dinge, die sich nicht aufschieben lassen, nehmen mich bis zum letzten Augenblick in Anspruch. Wann kommt Lettau?«

»Ich denke am Nachmittag.«

»Die Herren vom Auswärtigen Amt lassen sich die Gelegenheit nicht entgehen, den diplomatischen Vertreter des Reichs selbst über die Lage im Osten zu befragen – selbst kurz vor der Hochzeit nicht«, Gordon runzelte die Stirn.

»Alfred Lettau setzt sich auch für unsere Ideen ein.«

»So?« Das klang kühl. Dann rasch. »Die Zeit für eine diplomatische Zusammenarbeit scheint mir noch nicht gekommen.«

Rainer benutzte die Gelegenheit zu einem Vorstoß. »Willst du mich nicht über deine Ziele unterrichten, Papa?«

»Später.«

Als er dann der Schwester in der Villa an der Elbchaussee gegenübersaß, dachte er an die Unterhaltung. »Papa ist überarbeitet«, sagte er.

Barbara blätterte in Briefen und Gratulationen, die heute schon einzulaufen begannen. »Er spricht nicht viel über Dinge, die ihn beschäftigen. Das hat er nie getan, und jetzt noch weniger als früher.«

»Sind Schwierigkeiten aufgetaucht?«

Barbara zuckte die Achseln. »Ich weiß weniger als du.«

»Er hat sogar heute noch eine Konferenz – Truckbrott.«

»Das ist nicht möglich, Truckbrott ist in Schweden, du mußt seinen Namen falsch verstanden haben«, sie sprach hastig und überstürzt.

»Ich weiß gar nicht, was ihr habt, du und Papa. Es braucht nur der Name Truckbrott zu fallen, dann bekommt ihr sofort etwas Merkwürdiges.«

Barbara hatte sich längst wieder in der Gewalt. »Wenn Herr Truckbrott zu Papa kommt, kann es sich schließlich nur um geschäftliche Fragen handeln. Deshalb ist nicht davon gesprochen worden. Und du, Rainer, siehst Dinge, die gar nicht vorhanden sind.«

»Ihr behandelt mich immer wie ein Kind.«

»Nein, Rainer«, sie lächelte. »Nur du fragst, wo es nichts zu fragen gibt. Wirst du nun mit uns nach Ostasien zurückreisen?«

»Ich soll in Berlin bleiben«, trotzte er.

»In Berlin?«

»Gibt's da auch wieder etwas Merkwürdiges?«

»Ich weiß nicht. Jedenfalls sollst du nicht unvorbereitet sein – du wirst dort mit Gisela zusammentreffen.«

Er wurde rot. »Ich habe dir nie davon gesprochen.«

»Erinnere dich nur, einmal doch, viel war es nicht, denn du hast mich an dem, was du in Ostpreußen erlebt hast, nicht teilnehmen lassen. Trotzdem glaube ich in deinem Sinne gehandelt zu haben, als ich Papa vor einiger Zeit bat, ihr eine Stellung in der Union zu verschaffen, um die ihr Onkel – ich glaube, Wilhelmy heißt er – bat.«

»Wilhelmy – bei Papa?«

»Papa weiß nichts davon, daß ihr euch kennt. Es wäre wohl auch alles seinen geschäftsmäßigen Weg gegangen, wenn eine Ideenkombination mich nicht hineingezogen hätte. Und da glaubte ich im Sinne meines Bruders zu handeln, als ich das Gesuch unterstützte.«

Rainer wurde nachdenklich. »Ich weiß nichts davon.«

»Habt ihr euch nie geschrieben?«

»Nein. Ja, doch, ich habe geschrieben, einige Male, wenigstens zuerst. Nachher – du weißt ja selbst, wie alles gekommen ist. Papa schickte mich ins Innere. Da liegt man in Zelten, reitet den ganzen Tag, und wenn man einmal mit Europäern zusammenkommt, ist man froh, einmal Menschen zu sehen, mit denen man ein paar vernünftige Worte reden kann.«

Barbara ließ ihn keinen Augenblick los. »Und dann – vergißt man Briefe zu schreiben – das wolltest du doch sagen, Rainer?«

»Ja.«

»Ich habe mich auch nicht eingesetzt, um meinem Bruder ein Mädchen gewissermaßen aufzubewahren. Es geschah aus einem Reinlichkeitsgefühl heraus. Wir lassen uns nichts schenken, Rainer.«

»Barbara, glaubst du –«

»Nichts, Brüderchen. Du hast zwar in den letzten Monaten manches gelernt, aber der klare, nüchterne Blick, den der große Kaufmann braucht, fehlt dir noch. Du denkst immer noch als Mensch und nicht als Sohn und Erbe eines einflußreichen Vaters. Du erlebst eine jungenhaft romantische Episode, die aber eine Kette von moralischen Verpflichtungen nach sich zieht. Verpflichtungen, denen man nachkommen muß. Deshalb habe ich Papa gebeten, der Nichte deines Lehrers – so weiß es Papa – behilflich zu sein. Das ist alles.«

»Und Gisela hat angenommen?«

»Es wird ihr kein anderer Weg übriggeblieben sein. Ohne die junge Dame zu kennen, will ich sie auch deshalb nicht niedriger einschätzen. Du warst fort, schriebst nicht mehr, sie hat die geschäftlichen Vorteile einer persönlichen Bekanntschaft ausgenutzt.«

»Du würdest nicht so urteilen, wenn du Gisela je gesehen hättest.«

Barbara dachte nach. »Das kann immer noch geschehen. Alfred und ich bleiben einen Tag in Berlin, nicht zuletzt um literarisches Material für Ostasien mitzunehmen. Das ist ihr Fach.«

»Wenn du so mit ihr reden wirst, wie mit mir, jagst du sie wieder fort.«

»Du hast mich selbst aufgefordert, sie anzusehen.«

»Aber nicht mit so kalten, berechnenden Augen, nicht so verstandesmäßig, Barbara. Du bist nicht wie andere Frauen.«

»Hast du soviel Erfahrungen gesammelt, Rainer«, lächelte sie. Und dann leise. »Du hast deine erste Enttäuschung noch vor dir. Ehe ich die gemacht habe, dachte ich auch offener.«

»Willst du nicht reden, Barbara?«

»Dazu ist heute keine rechte Zeit. Und du, Rainer, bist auch nicht der Beichtvater, den ich mir wünsche.«

Und die kühle, überlegene Barbara hätte doch gerne gewußt, warum Truckbrott heute, gerade heute nach Hamburg kam. Als sie dem Vater gegenübersaß, fragte sie.

»Du erwartest noch Gäste?«

»Nein.«

»Rainer erzählte mir …«

»Von einem geschäftlichen Besuch, den ich erwarte«, der Geheimrat vermied, den Namen zu nennen. »Der Herr wird kaum zu uns kommen. Eine kurze Besprechung, dann reist er weiter.«

Trotz der abweisenden Miene des Vaters ließ sie das Thema nicht fallen. »Zurück nach Schweden?«

»Nach Köln.«

»Und er bringt seine Frau mit?«

»Ich glaube nicht.« Der Geheimrat sah die ängstlich fragenden Augen der Tochter. So offen ließ Barbara sonst nicht in ihre Gedankenwelt hineinblicken. Und um der Ruhe seines Kindes willen wich er aus. »Herr Truckbrott vertritt die Interessen der Luftunion, für die er jetzt wieder tätig sein wird, auf einer internationalen Konferenz, das ist alles.«

Barbara atmete schwer. »Alfred würde sich sicher freuen, den alten Bekannten aus Amsterdam wiederzusehen. Wenn du von morgen sprichst –«

»Herr Truckbrott fährt heute noch nach Köln weiter. Es ist eilig.«

Sie stand auf. »Bilder von alten Freunden trüben sich, wenn man sie lange nicht gesehen hat. Ich dachte an den Kameraden Truckbrott und vergaß den Pflichtmenschen. Du kannst ihm von den diplomatischen Aufgaben erzählen, die Alfred und mich im Osten erwarten. Auf unsern Grenzposten ist auch die Frau nicht ganz nutzlos, das wird er verstehen.«

Der Geheimrat sah sie forschend an. »Ich werde wenig Zeit für solche Dinge haben.«

»Das ist das beste«, sagte Barbara.


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