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XVIII.

Barbara hatte das weiße Hochzeitskleid mit einem dunklen Reisekostüm vertauscht. Nun lag der Stoff leer und tot auf einem Sessel ausgebreitet. Morgen würde die Schneiderin kommen und die alten Spitzen abtrennen, die die Frauen des Hauses Gordon seit Generationen an ihrem Hochzeitstag trugen und die immer wieder sorgfältig verwahrt wurden –

– – für die nächste.

Dieses Mal wahrscheinlich für eine Frau Rainer Gordon – oder für ein Wesen, das noch ungeboren war.

Es klopfte draußen.

Richtig, jetzt kam ja noch der Abschied. Der Vater würde sie sehr vermissen, seit Jahren war sie unmerklich in die Stellung der Hausfrau hineingerückt, hatte die vielgestaltigen Repräsentationspflichten des großen Hauses auf sich genommen, den Vater auf seinen Reisen begleitet. Und hatte Sicherheit und Erfahrung gewonnen, die junge Mädchen in ihrem Alter sonst nicht besaßen.

Und doch, diesem Neuen gegenüber hätte sie gern noch einmal in die Augen einer Mutter gesehen, Worte gehört, die nur das Weib zum Weibe findet. Wäre für kurze Zeit noch einmal das Kind geworden, ratsuchendes, anschmiegbedürftiges Kind.

Eine Kopfbewegung. Ein Wort für die packende Zofe, »Öffnen Sie.«

Rainer trat ein, korrekt im Frack. »Störe ich dich, Barbara?«

»Nein. Else, ich will allein bleiben.«

»Gnädige Frau, die Zeit drängt.«

Barbara wollte nicht erinnert sein. Sie zog den Bruder auf das kleine Ecksofa und legte vertraulich, wie sie es sonst nicht war, ihre Hand auf seinen Arm. »Es ist hübsch, daß du gekommen bist, daß wir noch einmal nebeneinander hier in dem alten Hause sitzen können. In ein paar Wochen sehen wir uns in Mukden wieder, aber dann ist alles anders.«

Weil es ihr wohl tat zu sprechen, tat sie es. »Rainer, dies war einmal unser Kinderzimmer. Erinnerst du dich noch? Die helle Tapete klebte damals hier, und oben zog sich ein breiter Fries entlang, aus lauter komischen, bunten Bildern. Ich habe oft dabeigesessen, wenn du auf der Erde herumkrochst und mit den Fingerchen zeigtest. Ich war so stolz, wenn Mama mir auftrug, ich solle dich bewachen. Ich war ja so alt.«

Er lachte. »Vier Jahre älter als ich.«

»Ja, du warst zwei und ich sechs. Das ist viel. Später, als du acht wurdest und ich zwölf, da war's beinahe anders. Da wolltest du plötzlich von Mädelkram nichts mehr wissen.«

»Und du wärst lieber ein Junge geworden.«

»Bis mit sechzehn das ganze Mädchen wieder in mir aufgewacht ist und deine zwölfjährige Männlichkeit meinen mütterlichen Einfluß kaum ertragen konnte. Rainer, wir sind immer in den Lebensaltern aneinander vorbeigeglitten. Einmal warst du weiter, einmal ich.«

»Und nun, Barbara?«

»Jetzt werde ich zuerst einmal viel, viel älter. Ich werde Frau, und du bleibst ein ganz kleines bißchen zurück, denn das größte menschliche Erlebnis, das der Zweisamkeit, werde ich dir voraushaben. Es dauert nur wenige Jahre. Einmal trittst du an Papas Stelle, wirst Chef des Hauses Gordon, dann bin ich wieder die kleine Schwester und muß mich nach dir richten. Denn dann werde ich nur die Tochter sein.«

»Du solltest mich heute auch schon verstehen – in meinem Erleben.«

Sie forschte. »Rainer, weshalb bist du gekommen – nicht meinetwegen?«

»Wir haben gestern von Berlin gesprochen, weil Alfred und du durchfahren werdet.«

»Bleiben, Rainer, zwei Tage.«

»Ja, bleiben. Du sollst mir etwas versprechen, Barbara. So, wie gestern mit mir, darfst du mit Gisela nicht reden.«

»Warum nicht, Rainer?«

»Es ist anders, wie du es dir denkst.«

Sie schwieg eine Weile, dann leise. »Tiefer?«

Er warf den Kopf zurück, mit derselben Gebärde, die der Vater hatte, die unbewußt auf ihn übergegangen war. »Es gibt Dinge, über die man nicht gerne spricht.«

»Ich will nicht in dich dringen. Laß mich nur ein paar Worte sagen, Gedanken aussprechen, die mir gekommen sind, als ich über Menschen nachdachte, die einmal in mein Leben getreten sind. Ich habe oft nachgedacht in den letzten Wochen. Zuerst, wenn wir noch jung sind, sind wir weich und schmiegsam. Wir verträumen unsere Zeit und setzen oft Phantasien an die Stelle der Wirklichkeit. Es wäre schön, wenn man das immer könnte – aber der Alltag erlaubt es nicht – und die andern auch nicht. Denn schließlich sind wir nicht allein auf der Welt. Dann bekommen wir Stöße, und je weicher wir sind, desto schmerzhafter fühlen wir sie. Aber härter werden wir doch davon. Und wir verstehen, daß jedes Ding seinen Zweck hat, daß nicht einmal die Blumen nur auf der Wiese blühen, weil es ihnen Freude macht, sondern daß eine große Maschinerie da ist, bei der alles ineinandergreift. Und daß auch wir Menschen dahinein gehören. Es ist eine harte, böse Erfahrung, die wir da machen müssen. Auch wenn wir ganz klug geworden sind, verstehen wir es immer noch nicht ganz. Besonders wenn es in unsere heimlichen Hoffnungen nicht hineinpaßt. Andere, die schon weiter sind, tun uns weh, und wir müssen ihnen wieder weh tun – ohne es zu wollen. Dann legt es sich leicht wie ein Panzer um uns, weil wir uns schützen müssen – um unsrer selbst willen. So werden aus warmblütigen Menschen kühle, maschinelle Naturen, die ihren Weg gehen und die alles von sich weisen, was den Panzer durchstoßen will. Die Rüstung fehlt dir noch, Bruder Rainer.«

»Du sollst aber andere, die noch weich sind, nicht verwunden, Barbara.«

»Gisela meinst du.«

»Versprich mir es heute, Barbara, wenn du sie siehst, du darfst sie nicht kränken.«

»Ich bin zuerst deine Schwester und denke an dich, als an den zukünftigen Mann.«

»Was zwischen mir und Gisela steht, hat nichts mit meinem Beruf zu tun. Wir Gordon sind reich genug, um nicht auf Geld oder Verbindungen sehen zu müssen. Wenn ich nichts anderes in Ostpreußen gelernt habe, ich habe erkannt, daß es erbärmlich ist, wenn man nicht höher von einem Menschen denken kann.«

»Der Weg außerhalb der Schranken ist schwerer, nur starke Naturen können ihn gehen.«

»Hältst du mich für weichlich?«

»Nein, ich will dich nur vor Dummheiten bewahren, und sie vor zu großer Klugheit.« Ungeduldig. »Was ist denn, Else?« Das Mädchen war schon zum zweitenmal in der Tür erschienen. »Der Herr Generalkonsul läßt melden, der Wagen sei vorgefahren, die Zeit dränge.«

»Ich komme.«

»Barbara, versprich mir –«

»Ich werde selbst sehen, Rainer.«

Erstaunt sah der Geheimrat auf die Geschwister, die nebeneinander heraustraten, sah die erregten Züge seines Sohnes, den gleichmütigen Ausdruck der Tochter. Barbaras Natur stand ihm näher, aber nie würde er die Tochter dem Sohn vorziehen. Beide waren seine Kinder.

Aber Rainer der Erbe.

Lettau küßte seiner Frau die Hand. »Unsere Gäste wissen nicht, daß wir jetzt reisen.«

Ein Blick dankte ihm.

»Du wirst Abschied nehmen wollen.«

»Das ist vorbei, Alfred, jetzt sehe ich nur noch dem Neuen entgegen.«

Der Geheimrat küßte sein Kind und sah Barbara tief in die Augen. Sprechen mochte er nicht. Staunend beobachtete Rainer den Vater. Aber nichts geschah, ein kurzer Augenblick, ein fester Händedruck für Lettau, dann fiel der Schlag zu, und das Auto glitt lautlos in die Nacht hinein.

Nur ein Wort fiel, mehr im Selbstgespräch als für den Sohn bestimmt. »Es wird einsam werden um mich.«

Rainer hätte gern etwas gesagt, aber der Geheimrat war bereits zurückgetreten.

»Unsere offiziellen Gäste werden uns bald verlassen, solange bleibe ich. Später wirst du die Pflichten des Gastgebers übernehmen.«

»Gewiß, Papa.«

»Rufe in Fuhlsbüttel an, man soll das Flugzeug in zwei Stunden startbereit halten.«

»Jawohl.«

»Und vergiß in Berlin nicht, daß mein Sohn nicht einmal Vermutungen aussprechen darf über Dinge, die in Köln noch nicht reif sind. Daß man in dir immer den zukünftigen Nachfolger sehen wird.«

»Ich werde es nicht vergessen.«

»In jeder Beziehung, geschäftlich – und menschlich.«

Der Sohn antwortete nicht.

»Auch menschlich, Rainer.«


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