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XI.

Konferenzen hatten den Geheimrat längere Zeit in Berlin aufgehalten, und Barbara hatte ihn, wie sie es oft tat, begleitet. Seit Theodor von Gordon Witwer war, liebte er es, die Tochter viel um sich zu sehen. Berlin schätzte Barbara wenig, sie war zu sehr Hamburgerin, zu sehr an traditionelle, feste Gesetze gewöhnt, um sich in der Hauptstadt einleben zu können.

Heute war der Vater schon früh zu einer Sitzung abberufen worden, und Barbara, die ihm Gesellschaft geleistet hatte, saß allein am Frühstückstisch. Ohne den gewohnten Komfort mochte der Geheimrat auch auf Reisen nicht leben, so bewohnte er mit seinen Kindern eine Reihe von Zimmern in einem der alten Hotels Unter den Linden.

Barbara sah gedankenvoll in die Morgenzeitungen und wartete auf Rainer. Der Vater hatte schon nach ihm gefragt und leise mißbilligend den Kopf geschüttelt, als der Platz leer blieb.

Jetzt ging die Tür, und der Bruder trat ein. »Guten Morgen.« Er küßte die Schwester auf die Stirn. »Papa ist schon fort – ich habe mich verspätet.«

»Du verspätest dich jetzt sehr oft, Rainer.«

Der sah müde aus. Ein abgespannter Zug, der sonst nicht dagewesen war, lagerte um Augen und Mund. »Man muß sich wieder an das städtische Leben gewöhnen.«

»Früher hast du nicht soviel Gefallen an Dingen gefunden, die sich in der Nacht abspielen.«

»Moralpredigten, Barbara?«

Sie sah ihn ruhig an. »Nein, nur Verwunderung. Ich bemühe mich, Dinge zu verstehen, die ich früher nicht an dir kannte, und den Wechsel zu begreifen, dem du jetzt unterliegst.«

»Ich weiß nicht, was du willst, Barbara«, seine Stimme wurde scharf. »Es ist doch begreiflich, die langen einsamen Wochen dort oben auf der Nehrung und nun die Stadt.«

»Wo warst du, Rainer?« Sie wußte, wie es in seinem Zimmer auszusehen pflegte, ehe das Mädchen kam, aufzuräumen. Achtlos fortgeschleuderte Kleidungsstücke, zerknüllte Frackhemden, schwarze Seidenstrümpfe, die durchgetanzt waren.

»Ich habe alte Freunde getroffen, aus Hannover und aus Hamburg, Wernicke und ein paar andere. Ich weiß kaum mehr, wer es alles gewesen ist. Aber damit du im Bilde bist – Abendessen in irgendeinem Revuetheater, Wernicke hat da ein Mädel vom Chor.«

»Bitte, keine Weibergeschichten.«

»Gut, na, dann Kabarett und zuletzt ein Klub.«

»Ich kenne Wernicke aus Hamburg, er spielt viel.«

»Wenn er nicht gerade anders beschäftigt ist, entschuldige, aber du hast ein Kapitel seiner Lebensauffassung selbst vorhin ausgeschaltet – ja, dann spielt er wohl.«

»Und das Leben macht dir Freude?«

Er schwieg eine Weile, dann brüsk, impulsiv. »Freude, nein, es ekelt mich an, es …«

»Papa sprach heute früh über deinen Kursus in Staaken. Er begreift nicht, warum du das von Tag zu Tag hinausschiebst.«

»Weil es alles doch keinen Zweck hat«, das klang jungenhaft trotzig. »Ich kann nicht mehr, und ich will nicht mehr.«

Sie war aufgestanden und neben ihn getreten. »Es hat eine Zeit gegeben, in der hast du solche Dinge mit mir besprechen können, Rainer.«

»Das kann ich nicht mehr, denn du verstehst mich doch nicht. Schon seit Monaten ist's so, schon ehe ich nach Ostpreußen ging. Du hast ja auch nicht verstanden, warum ich das tat.«

»Doch, Rainer.«

Er sah erstaunt zu ihr auf. »Und warum hast du mich damals wie ein Kind behandelt, über dessen Ideale man lachen muß?«

Ihre Augen suchten auf den gleichgültigsten Dingen im Zimmer herum. »Rainer, das kann ich dir nun wieder nicht erklären. Du mußt es mir schon glauben, daß es nicht böse gemeint war.«

Sein Jungentrotz wachte von neuem auf. »Aber ich soll in mich hineinsehen lassen, damit du mich dann später wieder auslachen kannst, wenn es dir so paßt. Es ist besser, du fragst erst gar nicht.«

»Und wenn das nun schon gar nicht mehr notwendig ist, wenn ich schon weiß?«

Er suchte in der Westentasche nach seinem Etui, nahm eine Zigarette heraus, klopfte sie nervös, zerbrach das Streichholz, rauchte dann hastig und unachtsam.

»Als du aus Ostpreußen zurückkamst, hast du dich auf den neuen Kursus gefreut, denk' doch an den Abend mit Papa und an den Vormittag, ehe Truckbrott kam. Da hast du uns von deinen Kameraden erzählt – aber nicht alles, Rainer.«

Er wurde dunkelrot. »Jetzt behandelst du mich wieder wie ein Kind.«

»Weil ich Worte höre, die nicht ausgesprochen wurden, Rainer, wenn du mehr vom Leben gesehen hast, wirst du wissen, daß Frauen das können. Es ist eine von ihren natürlichen Waffen. Du siehst, ich rede ganz ernsthaft mit dir. Papa hat's wahrscheinlich gar nicht gemerkt, für ihn ist der Studiengang seines Sohnes mehr eine praktische, geschäftliche Frage, die er nicht gern mit Gefühlsmomenten verquickt. Nun, und ich habe nicht gefragt, denn es ist dein Erlebnis gewesen, Rainer; aber jetzt möchte ich eins wissen, gehört das mit in die Kategorie, die so eine Pause ist, na, sagen wir einmal, zwischen Revuetheater und Spieltisch? Etwas, das du Wernicke anvertrauen würdest?«

»Barbara!«

»Siehst du, und deshalb ist das, was du jetzt hier tust, nicht recht, deiner nicht würdig.«

»Das Leben läuft nicht so hin, wie's im Bilderbuch steht«, polterte Rainer. »Es ist alles Unsinn, und wenn man dran glaubt, macht man sich nur lächerlich.«

»Sagt Wernicke.«

»Barbara, wen soll ich denn sonst fragen?« So rasch, wie er gekommen war, verflog der Trotz wieder. »Mit Papa kann man von solchen Dingen nicht reden. In Ostpreußen, ja, da war's anders. Da haben wir in den Dünen gelegen oder im Walde, da haben wir aufgebaut und disputiert –«

»Auch Dinge, die sich um das persönliche Verhältnis von dir zu deinem – Disputkameraden handelten?«

»Nein, davon habe ich mit Gisela nicht sprechen dürfen.«

»Also Gisela heißt sie.«

»Ja, nun weißt du es, nun kannst du lachen über mich! Es ist mir so herausgefahren. Aber Gisela ist ein wirklicher Kamerad gewesen, einer, aus den man sich verlassen konnte. Und dann war der Hauptmann da – und ich Dummkopf habe gedacht, hier könnte es ebenso werden. Ich habe immer von Truckbrott erzählt und habe an ihn gedacht, als an den, bei dem ich weiterlernen wollte. Und nun –«

»Truckbrott ist fort.«

»Wem soll man denn nun noch glauben, Barbara? Truckbrott ist für mich die Fliegerei gewesen. Papa versteht ihn ja auch nicht, er sagt, Truckbrott hätte eine große Zukunft gehabt, die hat er sich selbst verscherzt.«

»Das sagt Papa.«

»Papa sagt, wenn Männer Dummheiten machten, stecke immer eine Frau dahinter. Und die Fliegerei sei in einem entscheidenden Stadium, und in dem habe Truckbrott die Flinte ins Korn geworfen.«

»Papa sieht die Dinge so an, wie er sie ansehen muß«, sagte Barbara langsam. »So wie ein Mann sie erkennt, für den Äußerlichkeiten das Wichtige sind.«

Rainer sah die Schwester mit großen Augen an. »Barbara, du und Truckbrott, ihr habt euch doch früher einmal gut verstanden. Verstehst du denn, daß er nun fortgegangen ist nach Schweden? Diese Frau Linth soll ihn eingeladen haben. Witwe ist sie. Wernicke hat sie einmal gesehen, im Theater. Wernicke sagt, sie wäre eine pompöse Frau.«

»Laß dir von Wernicke dein Weltbild nicht trüben, Rainer.«

»Ja, aber du –«

»Nein.«

Er schwieg. Und Barbara, in deren Gesicht es eben noch gezuckt hatte, sprach plötzlich ganz gleichmütig weiter. »Ich muß meinen Besorgungsgang jetzt antreten, vielerlei, wie immer, wenn man hier erst einmal anfängt. Das Lunch werde ich wohl im Westen nehmen, du bist dann mit Papa allein. Ich glaube, es ist das beste, du sprichst mit ihm. Wenn du unter diesen Umständen vorläufig auf den Kursus verzichtest, wird es ihm lieber sein, wenn du deine Auslandsreise bald antrittst.«

»Davon wird er nichts wissen wollen.«

»Ich habe ihn vorbereitet.«

»Du?«

»Weil ich zu wissen glaubte, wie es bei dir liegt. Nur die Gewißheit hast du mir noch geben müssen. Auf Wiedersehen.«

Als sie um die Ecke der Wilhelmstraße bog, stieß sie fast mit einem Herrn zusammen. Der zog den Hut. »Sie hier, Fräulein von Gordon?«

Barbara streckte dem Legationsrat die Hand hin. »Papa sagte mir schon, daß Sie in Berlin sind, Herr von Lettau.«

»Aber mir hat er kein Wort gesagt, daß das Fräulein Tochter ihn begleitet. Ich hätte sonst bestimmt nicht verfehlt –«

»Ich weiß, ich weiß, Besuch, Blumen – aber wir wollen hier nicht Parade stehen. Begleiten Sie mich.«

Er nahm sofort ihre linke Seite. »Der heutige Tag gehört mir. Und die nächsten drei Wochen auch noch. Dann ist der Europaaufenthalt wieder einmal zu Ende.«

»Sie sind nicht mehr im Haag?«

»Ich reise als Kurier von einer Hauptstadt zur andern. Eine der zweifelhaften Freuden des diplomatischen Dienstes, mit der man besonders gern den Junggesellen beglückt. Nächte in Hotels und Schlafwagen in schöner Abwechslung, bewaffnet mit der in Roman und Film so oft umdichteten und umstrittenen Tasche. So romantisch und gefährlich ist's gar nicht. Jedenfalls aber gibt's ein paar Diners bei diversen Gesandten, immer kurz und schmerzlos, dann schwingt sich der rara avis wieder in die Wolken. Ich komme direkt aus Stockholm, wo ich übrigens einen alten Bekannten getroffen habe.«

Er merkte nicht, daß sie erblaßte und sprach weiter.

»Den Flieger Truckbrott, aber scheinbar ganz in Zivil. Er soupierte mit einer rassigen Schönheit, einer schwedischen Finanzgröße, wie man mir anvertraute.«

»So.«

»Aber von Stockholm gibt's sonst wenig Wichtiges zu berichten, von Paris und von Madrid eigentlich auch nicht.«

»Und wo gehen Sie nun hin?«

»Nach Mukden, auf drei Jahre oder länger. Mukden ist durch die Wirren in China ein wichtiger diplomatischer Platz geworden. Die Berufung bedeutet gewissermaßen eine Anerkennung.« Er zögerte. »Ich hätte Ihren Herrn Vater heute bestimmt aufgesucht, und von dem Ergebnis dieser Besprechung sollte auch eine Reise abhängen, die ich in Deutschland vorhatte.«

»Ich kenne Papas Interessen an dem fernen Osten, nur waren sie bisher nicht mit denen der Diplomatie verquickt.«

Der Diplomat blieb stehen. »Ebendarum handelt es sich. Und unser Zusammentreffen greift den Ereignissen ein wenig voraus.«

»So feierlich, Lettau?«

»Es handelt sich um Sie, Fräulein Barbara.«

»Bitte, lassen Sie uns gehen«, mahnte sie verlegen.

»Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen, Fräulein von Gordon, soll ich weitersprechen?«

Vor Barbaras Augen rasten Bilder vorbei, Erinnerungen an Amsterdam, an Hamburg, dann ein Neuartiges, Fremdes – eine Hotelhalle, die sie gar nicht kannte, und in ihr an festlich gedecktem Tisch zwei Menschen, einer mit scharfgeschnittenen Zügen und lichtgrauen Augen, eine Frau neben ihm, eine elegante, schöne Frau. Im Augenblick gewann sie ihre kühle, überlegene Ruhe wieder.

»Sprechen Sie, Lettau.«

»Sie kennen den Lebenslauf des Diplomaten von heute, Barbara. Er spielt sich in der großen Welt ab, in der Welt, die die Ihre ist. In der Sie leben. Mukden ist ein Sprungbrett, in ein paar Jahren wird man mir die Vertretung eines Gesandten anvertrauen oder einen Verwaltungsposten im Ministerium. Ich habe gute Verbindungen und das, was man eine tadellose Konduite nennt. Würde es Sie reizen, einmal Botschafterin in London oder Paris zu werden?«

»Wenn ich Sie recht verstehe, ist das ein Heiratsantrag, Lettau?«

»Ich wollte Sie nicht überrumpeln, heute hatte ich mit Ihrem Herrn Vater gesprochen. Unter voller Klarlegung meiner Verhältnisse. Wir Lettaus sind alt, begütert – ich bin kein Glücksritter. Und wenn ich mir die Frau vorgestellt habe, die einmal neben mir stehen würde, habe ich immer an Sie gedacht. Wenn mir auch manchmal Zweifel gekommen sind – wenigstens vor Monaten.«

»Sprechen Sie auch über Ihre Zweifel.«

Jetzt wurde er verlegen. »Sie wünschen es ausdrücklich, Barbara. Nun, in Amsterdam – und schon vorher einmal glaubte ich ein aufflackerndes Interesse in Ihnen zu bemerken, eine Neigung.«

»Ein aufflackerndes Interesse –?«

»Jetzt weiß ich, daß ich mich getäuscht habe.«

»Sie haben sich bestimmt getäuscht, Lettau«, sagte Barbara ruhig. »Und wenn Sie mit meinem Vater sprechen werden – ich nehme an, daß es heute mittag geschehen soll –, dann dürfen Sie ihn meines wärmsten Interesses für den fernen Osten versichern.«

Er drückte ihre Hand. »Barbara, Sie wollten –?«

»Die Wilhelmstraße ist kein geeigneter Ort für Verlobungen, nicht einmal, wenn es sich um Diplomaten handelt. Ich werde zu Mittag im Hotel sein.«

»Barbara, und wann darf ich hoffen?«

»Sie verbinden sich nicht umsonst mit der Luftunion. Was früher unmöglich war, ist jetzt eine einfache Reise. Auch der Generalkonsul in Mukden wird für seine Hochzeit eine Woche Urlaub bekommen, um nach Europa zu fliegen.« –

Ungeduldig ging Rainer in der Hotelhalle auf und ab und wartete auf den Vater. Die Lunchzeit war längst da. Endlich erschien der Geheimrat in der Drehtür.

»Man sieht dich selten, Junge.«

»Darf ich mit dir reden, Vater?«

Ein prüfender Blick. »So feierlich? Gut. Aber dann laß uns oben sitzen.« Er sah auf die Uhr. »Ich habe zwei Stunden Zeit.«

»Ich werde dich nicht aufhalten.«

Eine quälende Viertelstunde, während neben ihnen der Tisch gedeckt wurde, ausgefüllt mit gleichgültigen Gesprächen. Endlich ein Zeichen des Geheimrats. »Wir werden uns selbst bedienen.« Und dann zum Sohn. »Nun, Rainer?«

»Ich möchte meine Überseereise schon jetzt antreten, Vater.«

»Deine Wünsche hätten nicht mit einer Person zusammenhängen sollen. Man setzt sich für eine Sache ein.«

Rainer biß die Zähne unter dem Tadel zusammen. »Ich kann noch nicht.«

»Das wirst du lernen müssen. Wer zu sehr am Menschen hängt, fällt leicht mit dem Menschen. Auf so schwankendem Boden kann man große Unternehmen nicht aufbauen. Ich will es deiner Jugend zugute halten.«

»Und ich darf reisen?«

»Im Ausland wird sich das Allzujugendliche leichter abstreifen, deshalb erfülle ich deinen Wunsch. Du wirst bald reisen?«

Rainer wurde wieder ganz korrekt. »Ja, Papa.«

»Du wirst –« er unterbrach sich unwillig und sah zur Tür. »Was gibt's?«

Der Boy reichte ihm eine Karte. »Der Herr wünscht dringend …«

»Lettau? Haben Sie ihm gesagt, daß wir beim Lunch sitzen?«

Ehe der Junge antworten konnte, trat Barbara aus ihrem Zimmer. Sie hatte das Straßenkostüm mit einem festlicheren vertauscht.

»Es ist meine Schuld, Papa.«

Der Geheimrat winkte. »Bitten Sie den Herrn Legationsrat.«

Und Barbara. »Weil ich wußte, daß du ihn gut empfangen würdest. Ich habe mich mit Lettau verlobt.«


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