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XIX.

Die heruntergelassenen Gardinen ließen das Hotelzimmer im Dämmerlicht. Barbara sah auf den Mann, der neben ihr schlief. Ruhig und mit gleichmäßigen Atemzügen, den Kopf ein wenig auf die Seite gelegt. Leise, um ihn nicht zu wecken, stand sie auf, schloß die Tür des Ankleidekabinetts hinter sich zu und ließ, wie sie das jeden Morgen tat, das kalte Wasser der Dusche über ihren Körper fließen.

Ein paar ordnende Griffe ins Haar, ein Spitzenmantel, der ihre Gestalt einhüllte, und sie stand wieder im Zimmer.

»Alfred!«

Der fuhr in die Höhe, sah sich um, verstand nicht.

»Du Langschläfer!«

Mit einem Sprung war er neben ihr. »Barbara!«

Sie dachte an all die Sorgsamkeit, mit der er sie seit gestern umgab, an die Zartheit, mit der er ihr die ersten Stunden erleichterte. Sie legte ihm den Arm um den Hals und sah ihm tief in die Augen.

»Nun beginnen wir unser Leben.«

Er zog sie an sich. »Ich habe mich oft gefragt, wie gerade ich dazu gekommen bin, in den Augen der stolzen Barbara Gordon Gefallen zu finden.«

»Bin ich so stolz?«

»Vollkommen bist du mir vorgekommen, wenn ich an dich dachte. Und ich habe dich immer in einer Umgebung gesehen, deren Mittelpunkt du warst.«

»Ich will nur deine Frau sein.«

»Und ich verstehe es kaum, daß wir nun hier in einem Hotelzimmer stehen, du und ich, und daß Barbara Gordon jetzt Barbara Lettau heißt.«

Als er den Namen nannte, zuckte sie einen Moment zusammen, nur einen Herzschlag lang. Dann ruhig mit ihrer tiefen, klangvollen Stimme. »Das Bad wartet, unser erster Tag bringt uns sofort Pflichten.«

Er seufzte. »Leider.«

»Aber dann sind wir allein. Deshalb habe ich dich ja um die Seereise gebeten. Wie ein richtiges Hochzeitspaar reisen wir im Nachtschnellzug über den Brenner nach Venedig, haben dort drei Tage, bis das Schiff nach Alexandrien abgeht. Und du wirst mir alles zeigen. Ich kenne den Orient nicht, und von Indien habe ich nur vage Begriffe, die recht sehr mit der Landkarte zusammenfließen. Von China weiß ich gar nichts. Das Neue, das uns erwartet, macht aus der vernünftigen Barbara ein neugieriges, suchendes Kind. Und du, der alles kennt, wirst viel an Würde gewinnen.«

Der alte Spötter erwachte in ihm. »Und ich werde doch, langsam aber sicher, zum ergebenen Kuli der Frau Generalkonsul von Lettau werden. Du weißt ja, wie es auf den Schiffen ist, Salons, Gesellschaft, das holt einen immer wieder, besonders eine schöne Frau.«

»Dann werden wir ein Komplott mit dem Kapitän schließen und uns auf sein Privatdeck verschanzen.«

»Worüber der eine kindische Freude haben wird.«

»Macht nichts.« Das war wieder ganz die alte Barbara Gordon, die verwöhnte Tochter eines einflußreichen Vaters.

Während sie beim Frühstück saßen, entwickelte sie ihm ihren Plan. »Arbeitsteilung, Alfred, ich besorge unser Material bei der Luftunion, du verabschiedest dich von dem Minister.«

»Der dich sicher gern sehen wird.«

»Sag' ihm, daß ich ihn zum Lunch erwarte.«

Er lachte. »Du, jetzt ist er unser Vorgesetzter.«

Eine unwillige Kopfbewegung.

»Es war nur ein Scherz.«

Ohne darauf einzugehen, sprach sie weiter. »Zum Lunch, bis dahin habe ich meine Liste absolviert.« Er wollte auf das Blatt sehen, aber sie steckte es rasch in ihre Handtasche.

Kaum eine Stunde später stand sie im Zeitschriftensaal der Luftunion. Der Bibliothekar trat ihr entgegen. »Also, alles, was sie über Ostasien haben, Herr Doktor.«

Der tastete nervös nach den Katalogen. »Wir sind immer noch in der Umstellung, gnädige Frau, es wird eine Zeitlang dauern, eine Stunde, vielleicht zwei.«

Seine Verlegenheit schien sie nicht zu bemerken. »Sie sind stark beschäftigt, vielleicht ist eine der Damen so liebenswürdig –«

»Natürlich stehe ich ganz zur Verfügung«, er erschrak. »Ich meinte nur – Fräulein Northmann und Fräulein Doktor Ginsburg verwalten das ostasiatische Archiv.«

»Fräulein Northmann? Ich erinnere mich doch – ich weiß nicht recht –«

»Die Dame sitzt drüben am Pult.«

Flüchtig streifte Barbara den schwarzen Kopf Giselas. »Ich will das mit Fräulein Northmann besprechen. Aber, um hier nicht zu stören, Sie haben wohl ein Konferenzzimmer?«

»Bitte, zu dienen«, er verbeugte sich schon wieder. »Fräulein Northmann.«

Gisela hob den Kopf.

»Ostasiatische Abteilung, darf ich Sie bitten?«

Zum ersten Male standen sich Barbara und Gisela gegenüber. Barbara wußte, daß sie eine Waffe in der Hand hatte, die der Überraschung, denn die andere war unvorbereitet. Sie sah in offene Züge und in ein hübsches, energisches Gesicht, das jetzt im Trauerkleid blaß und eingefallen aussah. Aber die Augen hatten nichts von ihrem alten Glanz eingebüßt. Gisela war kein Mensch, der sich vom Leben unterkriegen ließ. Sie hatte den Vater geliebt und die Heimat gern gehabt. Die ersten Wochen des Alleinseins waren ihr nicht leicht gefallen, und doch sagte sie sich, daß es ja einmal so hatte kommen müssen. Sie hatte nur zu lange geträumt und den realen Dingen nicht ins Auge gesehen. Jetzt tat sie es – und fand sich immer mehr wieder.

Sie breitete ihre Katalogblätter auf dem Konferenztisch aus. »Was soll zusammengestellt werden?«

»Bitte, lassen Sie das vorläufig für später, ich möchte etwas anderes mit Ihnen besprechen. Ich bin Rainers Schwester.«

Gisela zuckte zusammen. »Fräulein Barbara von Gordon?«

»Barbara von Lettau, seit gestern. Also hat Rainer meinen Namen genannt.«

Gisela konnte ihre Verlegenheit kaum verbergen. »Ja, das heißt, flüchtig. Damals auf der Nehrung. Seitdem –«

»Brüder pflegen nicht gerade an ihre Schwestern zu denken, wenn sie ihr erstes Erlebnis haben.«

»Da ist Rainer anders«, Gisela wurde eifrig. Aber Barbara beachtete die Unterbrechung nicht.

»Ich weiß, daß Sie ihn seit damals nicht gesehen haben. Ich bin auch nicht ganz unschuldig daran, daß Sie jetzt hier sind. Durch einen Zufall fiel Ihr Name, als mein Bruder aus Ostpreußen zurückkehrte, und ich erinnerte mich seiner, als später der Brief kam.«

»Er hätte nicht von mir reden sollen«, sagte sie leise.

»Rainer ist noch jung, ein Mensch, der ihn kennt, wie ich, durchschaut ihn leicht. Aber ein Schwätzer ist er nicht.«

Gisela bemühte sich, abzulenken. »Darf ich Ihnen jetzt die ostasiatischen Kataloge vorlegen, gnädige Frau?«

»Ich will offen mit Ihnen sprechen, Fräulein Northmann. Ich brauche die Bücher, aber ich hätte sie mir auch schicken lassen können. Ich bin gekommen, um mit Ihnen zu reden. Über Rainer. Es ist möglich, daß Sie ihm in den nächsten Wochen wieder begegnen, hier in Berlin. Und ich möchte Ihnen und ihm eine Enttäuschung ersparen.«

»Ich weiß nicht, wie ich das verstehen soll?«

Jetzt suchte Barbara nach den rechten Worten. Der Bruder stand vor ihr, wie er gestern mit ihr gesprochen hatte, und die tapferen, klugen Augen des Mädchens nahmen sie wider Willen gefangen. Kühler, als sie wollte, kam es heraus. »Rainer ist der Erbe einer Tradition, der zukünftige Chef eines weitverzweigten Betriebes.«

Giselas Augen flammten. »Gnädige Frau, ich habe Rainer in Rossitten kennengelernt als Kameraden und Menschen, nicht als zukünftigen Großkaufmann. Als er mir zum erstenmal gegenübersaß, habe ich das nicht einmal gewußt – und später habe ich es wieder vergessen. Eben weil er ein guter Junge und ein treuer Kamerad war. Und lieb habe ich ihn gehabt, eben als Kameraden. Aber damit wollte ich ihm nicht im Wege stehen, und das will ich jetzt auch nicht. Ich habe nichts von ihm gefordert, kein Versprechen, kein Wort, nur als er dann so weit weggefahren ist, und mir nur selten geschrieben hat, da habe ich angefangen, nachzudenken. Aber mich und ihn. Da erst – früher haben wir wohl gar nichts gedacht. Und all das, was Sie mir jetzt eben gesagt haben, das habe ich bald gewußt. Deshalb hätten Sie es mir nicht mehr sagen müssen. Und jetzt darf ich wohl Fräulein Ginsburg rufen, damit sie Ihnen die Karten heraussucht.« Gisela kämpfte mit den Tränen, aber die andere sollte es nicht sehen.

In Barbara war eine merkwürdige Veränderung vorgegangen, sie schämte sich. Zum erstenmal in ihrem Leben für sich selbst und für die Anschauungen, in denen sie groß geworden war. Nun hatte man eine richtige Erfahrung hinter sich, war sich überlegen vorgekommen – und so ein Mädel warf alles über den Haufen.

»Gisela, wollen Sie Rainers Schwester nicht einmal die Hand geben?« bat sie.

Die zögerte.

»Gisela, wenn zwei Frauen anfangen, sich zu verstehen, können die dann nicht vergessen, daß die eine in der Wahl ihrer Mittel zu weit gegangen ist.«

Die gab die Hand. »Sie haben nichts Gutes von mir gedacht.«

»Ich kannte Sie nicht, Gisela.«

»Aber Rainer ist Ihr Bruder, den mußten Sie kennen.«

»Jetzt sind Sie hart.«

Gisela schüttelte den Kopf. »Es hat ein bißchen weh getan – und an den Verhältnissen ändert es doch nichts. Lieber wäre es mir schon, Rainer käme nicht nach Berlin. Oder ich könnte wieder fortgehen.«

»Können Sie nicht auch hier sein guter Kamerad sein, Gisela?«

Die tonlos. »Ich weiß es nicht.«

»Von uns Frauen verlangt das Leben oft merkwürdige Dinge«, sagte Barbara. »Wir haben unsern Pflichtenkreis, als Schwester, als Frau, als Mutter und als Kameradin. Vielleicht ist das sogar alles dasselbe. Jetzt gehe ich nach Ostasien. Wollen Sie mir nicht schreiben?«

Gisela lächelte.

»Ich werde antworten, ganz bestimmt«, Barbara verstand. »Ich habe zu lange Jahre in einer Idee gelebt, Hamburg und wir Hanseaten sind mit ihr groß geworden. Wir haben gelernt, daß wir uns einfügen müssen. Nun sitzt es fest und will seinen Platz nicht kampflos räumen. Und vielleicht ist das Neue doch besser.«

»Welches Neue, gnädige Frau?«

»Jetzt könnten Sie Barbara sagen«, bat sie.

Und Gisela schwer. »Welches Neue, Barbara?«

»Das Kameradschaftliche. Wir müssen das miteinander überlegen, weil es uns beide angeht.«

»Sie auch, Barbara?«

Der schoß das Blut in die Stirn. »Mich auch, kleine Gisela, und vielleicht schreibe ich Ihnen darüber auch einmal. Und wenn Rainer kommt, dann seien Sie ihm derselbe gute Kamerad, der Sie waren?«

»Wenn er nun ebenso denkt wie Sie?«

Barbara lachte. »Das wird die kluge Gisela selbst erforschen.« Und ehe die es sich versah, fühlte sie zwei warme Lippen auf den ihren.

»Und jetzt müssen wir arbeiten. Ich denke, wir können es nun doch ohne das Fräulein Doktor machen.«

Kurz vor dem Lunch traf sie mit ihrem Mann zusammen. »Der Herr Minister wird nicht verfehlen –«

Sie sah ihn komisch entsetzt an. »Lieber Gott, den habe ich ganz vergessen.«

»Frau Generalkonsul, ein Minister«, er ahmte mit Pathos nach.

»Ich lerne es noch.«

»Zerknirscht bist du nicht«, er sah sie an. »Irgend etwas lacht in dir.«

»Du, Alfred, wenn man einem ganz richtigen Menschen begegnet ist, so einem, der gar nicht in die Schablone paßt, die man sich zurechtgezimmert hat, dann kann man darüber schon einmal einen Minister vergessen.«

»Soll ich eifersüchtig werden?«

Und sie. »Tu's nicht, Alfred.«


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