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XX.

Köln stand im Zeichen der großen Konferenz. Mit den modernsten und neueren Maschinen waren die Kongreßteilnehmer draußen auf dem Flugplatz eingetroffen. Immer wieder brummte ein anderer Typ heran, wendete über der großen Rheinbrücke zur Ehrenrunde um den Dom. Begrüßt von einer Menschenmenge, die den Platz vor dem Hauptportal füllte.

Andere waren in unabsehbarem Zuge nach dem Flugplatz hinausgepilgert, drängten sich an den Barrieren des für Zuschauer bestimmten Platzes und sahen zu, wie die Riesenvögel in scharfer Kurve die Landerichtung einnähmen, sich senkten, aufsetzten, wie die Fahrgestelle noch zwei-, dreimal in langen Sätzen sprangen, wie die Maschinen wendeten, um endlich brummend auf die Asphaltbahn zuzurollen.

Der Flugleiter lief nervös herum, hetzte seine Assistenten und die Platzmonteure. Hörte kaum, was ihm der Luftpolizist von dem Verkehrsturm aus zurief.

»MacKenney ist von seinem Morgenflug über die Burgen am Rhein soeben gelandet.«

Die Monteure schwitzten.

Die Telephonistin steckte den blonden Schopf zum Fenster heraus. »Der Präsident des Luftfahrtvereins fragt an, ob die ›D 1075‹ schon in Sicht ist?«

»Fragen Sie bei F.T. an.«

»Hab' ich schon, die wissen auch nichts.«

»Ich habe sie nicht am Bindfaden.«

Dann, nach zwei Minuten: »Vom Domhotel aus spricht jemand so ein komisches Englisch, ich verstehe die Dame nicht.«

»Sie sind für Französisch und Englisch engagiert.«

»Für Cambridger, aber nicht für Moskauer.«

»Liebes Fräulein, das ist die einflußreichste Dame auf dem ganzen Kongreß – so verstehen Sie doch.«

Er lief in das Telegraphenzimmer. »Nachricht von der ›D 1075‹?«

Der Apparat tickte. »Da ist sie.« Und zu seinem Gehilfen. »Betriebswelle der Luftunion genauer einstellen, ›D 1075‹ will sprechen, Halloh – hier Köln.«

Eine blecherne Stimme im Lautsprecher: »Wir überfliegen soeben Elberfeld in 1000 Meter Höhe. Wind von Steuerbord. Wir landen in 25 Minuten. Bleiben Sie am Telephon, Geheimrat von Gordon« verlangt die Flugleitung.«

Dann nach einer Pause. »Hier Gordon. Benachrichtigen Sie Herrn Truckbrott, daß ich ihn vor der Konferenz sprechen möchte.«

Der Flugleiter verbeugte sich in den Schalltrichter. »Jawohl, Herr Geheimrat.«

Wieder die Telephonistin. »Unser Auto hat Panne – am Ring.«

»Pannen am Ring gibt's nicht – höchstens Reifenpannen oder Motorpannen.«

»An der Ringstraße. Strehle fragt, was er machen soll.«

»Sagen Sie das doch gleich. Einen andern Wagen also, rasch, rasch.«

Die Menschen säumten die Anfahrtsstraße. Rheinisch und Bergisch durcheinander. »Nachher gehen wir am Gürzenich, da gibt's was zu sehen.«

»Engländer hab' ich genug gesehen und Franzosen auch.«

»Jeck, dann glotz' dir die Russen an.«

»Huch.«

»Ja, Fräulein, der mit dem Sowjetstern an der Mütze, das ist der Lenin selber, mit dem können Sie heute abend, wenn's schummrig wird, an der Rheinpromenade in Deutz spazierengehen. Der freut sich.«

»Sie, der ist ja tot.«

»Dann gehen Sie mit mir, ich bin noch lebendig.«

Inzwischen saßen sich MacKenney und Truckbrott im Rauchzimmer des Domhotels gegenüber. Der Schotte nagte an seiner Pfeife.

»Sie haben viel konstruiert, Truckbrott.«

»Sie auch.«

» Yes, wir bauen den ›Leviathan‹. Eine große Kiste, wir werden damit über den Atlantik fliegen.«

»Also doch über den Atlantik.«

» Yes, for representation.«

»Und dann?«

»Sie sagen mir auch nicht, Truckbrott, wohin Sie mit Ihrer ›T 1000‹ fliegen werden.«

»Deshalb sitzen wir ja heute zusammen, MacKenney, zu offener Aussprache.«

Der Schotte sah gleichgültig vor sich hin. »Kongresse sind sehr gut, manchmal.«

»Wenn man den guten Willen hat, wirklich offen zu sein.«!

»Sie können im Sommer nach London fliegen zu einem Fest, Mrs. Surewski wird Lady Macmorris werden.«

»Was hat das mit dem Kongreß zu tun?«

»Viel«, kaute der Schotte.

»Wollen Sie damit sagen, daß die englische Luftpolitik von einer Frau beeinflußt werden könnte?«

»Frauen sollten nichts von Geschäften verstehen.« Wenn MacKenney deutsch sprach, tat er es stets langsam und schwerfällig. »Ich bin heute morgen noch einmal auf Koblenz gestartet, man muß Luft in sich tanken, wenn man lange im Sitzungssaal beraten muß. Ich denke, es wird sehr lange dauern. Und wenn Frauen in Geschäften stehen, wollen sie immer mitreden.«

»Früher haben Sie kühler über das Projekt gedacht, MacKenney.«

» Yes, aber das ist anders geworden.«

»Also bestimmt jetzt Frau Surewski mit?«

»Sie wird ein Diner geben in der Bastei. Ich denke, Sie werden auch eine Invitation erhalten. Sie und Mister von Gordon.«

Truckbrott sah auf die Uhr. »Es ist schon spät. Sagen Sie, MacKenney, wie stehen die Imperial Airways zu einer Verständigung?«

»Sie müssen den Viscount Macmorris fragen.«

»Und wie stehen Sie?«

»Verständigung ist eine gute Sache, besonders in der Fliegerei.«

An der Vorfahrt des Gürzenich warteten die Wagen in langer Reihe. Gordon gab soeben drinnen Hut und Mantel ab und sah sich nach Truckbrott um.

»Nun, haben Sie bei MacKenney gebohrt?«

Der überzeugte sich, ob sie unbelauscht waren. »Unser großer Gegner bei den Engländern ist Frau Olga Surewski.«

»Wir haben ihr nichts getan«, der Geheimrat zuckte die Achseln.

»Doch, ich.«

»Was denn? Ach, Sie meinen die alte Ablehnung? Das ist doch verjährt, seit die Engländer bauen.«

»So denkt Frau Surewski nicht.«

»??«

»Sie ist mir gestern begegnet. Sie hatte es so eingerichtet, daß eine Vorbesprechung mit dem Viscount und MacKenney für mich unmöglich war, denn sie hat ihre Herren ins Siebengebirge geschickt. Mit den für sie ungefährlichen Franzosen. Sie selbst aber hat damit gerechnet, mich zu treffen, und das ist ihr gelungen.«

Der Geheimrat blieb ungerührt. »Mein alter Freund Macmorris wird nicht so unverständig sein, geschäftliche Entschließungen von den Launen einer exzentrischen Frau abhängig zu machen.«

»Auch nicht, wenn es die zukünftige Lady Macmorris ist?«

»Auch dann nicht.«

Es entstand eine Bewegung unter den Herren, langsam begannen sich die Vorräume zu leeren, gruppenweise stiegen die Kongreßteilnehmer die Treppen hinauf und verteilten sich in dem mit den Landesfahnen der beteiligten Staaten geschmückten Saal.

Der Geheimrat sah sich um. »Es ist also bei der europäischen Konferenz geblieben, Amerika fehlt.«

»Und Japan.«

»Mit Tokio beabsichtige ich einen Sondervertrag.«

Die Glocke des Vorsitzenden machte eine weitere Unterhaltung unmöglich, die Herren nahmen rasch ihre Plätze ein und hörten ohne besondere Aufmerksamkeit die einleitenden Begrüßungsworte des Präsidenten der Rheinischen Luftfahrt, als des Gastgeberverbandes, an.

Gordon benutzte die Zeit, um sich rasch zu orientieren. Da drüben sah er Farmans weißen, mächtigen Kopf neben dem des belgischen Zivilgouverneurs der Luftfahrt. Der Viscount Macmorris stand allein an eine Säule gelehnt, eben trafen seine Augen die Gordons. Er nickte ihm zu. Diplomaten und Militärattachés in bunten Uniformen, Herren im schwarzen Rock, wahrscheinlich die Staatssekretäre des Luftressorts oder ihre Bevollmächtigten, ein paar hervorragende Flieger in dunklen Jacken, und hinten in einer Art Loge die wenigen Damen, die Zutritt zu der Konferenz erhalten hatten.

Unter ihnen Olga Surewski.

Gordon schätzte fast achtzig Menschen. Viel zuviel, um wirklich erfolgreiche Arbeit zu leisten. Die blieb den Kommissionen und den engeren Beratungen Vorbehalten. Und trotzdem hatte er gerade den Kreis so weit gezogen, über die industriellen Vertreter die staatlichen Vertreter mit angefordert, um allen Einwendungen und Rückhalten von Anfang an begegnen zu können.

Vom Vortragspult her tönte sein Name. »… und somit erteile ich dem Präsidenten der deutschen Luftunion, Herrn Geheimrat von Gordon, das Wort.«

Ruhig erhob er sich und schritt auf das Podium, hinter dem eine riesige Weltkarte aufgespannt war. Mit einleitenden Worten hielt er sich nicht lange auf, fast mit brüsker Wendung kam er zur Sache.

»Wir stehen im Anbeginn einer neuen Ära, die Dienstbarmachung des Luftozeans, dem Ausbau des jüngsten Verkehrsmittels, das als einziges in der Lage ist, den Erdball in seinem Element nach allen Richtungen zu durchstreifen. Und uns allen schwebt das Riesenflugzeug als nächsterreichbares Ziel unsrer Wünsche vor.«

Er faßte Macmorris scharf ins Auge und sprang auf Farman über. »Wir bauen, wir bauen um die Wette, wir schädigen uns, wo wir uns einigen müssen.«

Der Vertreter der Sowjets war an Olga Surewski herangetreten und sprach leise auf sie ein. »Sie hätten Ihrem Vaterland Rußland das Projekt anbieten müssen.«

Die beachtete ihn kaum. »Rußland hat uns verbannt.«

»Kriegszeiten.«

»Und hat sich mit den Deutschen für seine Luftlinien verbündet.«

Er konnte ruhig sprechen, denn Russisch verstand wohl kein Mensch hier im Saal. »Rußland sucht Fühlung mit allen Staaten, die industriell und wirtschaftlich vorwärtsstreben. Rußland braucht seine Intelligenz, seine Erfinder, Olga Surewski.«

»Rußland hat keinen Rubel für Sascha Surewski übrig gehabt, als er bauen wollte.«

»Der Rubel ist tot.«

»Und Sascha auch. Sie kommen zu spät. Aber lassen Sie das aus nachher, ich will hören.«

Gordon hatte seine Stimme erhoben. »Wir wollen bauen, jeder für sich, vernünftige Konkurrenz treibt in die Höhe. Aber wir wollen nicht nur bauen, wir wollen unsere Linien auch einrichten, wir wollen keinen Rekord, wir verlangen Sicherheit. Sicherheit, die allein das Vertrauen in das neue Verkehrsmittel begründen wird.«

»Rekord ist auch gut«, kaute MacKenney vor sich hin, dann drängte er sich zu Truckbrott. »Mister von Gordon spricht sehr viel von deutschen Interessen.«

»Sie werden ihn auch im Weltinteresse reden hören.«

» All right.«

»Schiffahrt braucht Seehafen, Luftfahrt Lufthäfen. Die müssen wir bauen, ausrüsten, sichern, unterhalten. Die Lufthäfen sind die Zukunft des neuen Weltverkehrs. Die Erforschung der Strecken, die es auch mittleren Maschinen möglich macht, Fernflüge zu unternehmen, die das wirkliche Ziel der Luftfahrt sind.«

Wieder eine Pause, um die Hörer zu fangen, dann betont.

»Wir alle denken an einen Riesen unter den Flugzeugen, dessen Geschwindigkeit den Erdball zusammenschrumpfen lassen wird. Möglich ist der nur in Verbindung mit den Kleinen, den Zubringern. Und mit einem Netz von Bodenorganisation.«

Die Hand fuhr über die Weltkarte.

»Die britischen Interessen zeigen über Indien nach Australien mit einer Abschweifung über Ägypten nach Kapstadt. Sie weisen auf einen Ozeanflug bis Kanada und werden den amerikanischen Kontinent überbrücken. Frankreich wird Afrika erforschen, seine Gebiete in Algerien, am Kongo und auf Madagaskar mit dem Mittelland verbinden wollen. Die Deutsch-Russische Union strebt die Verbindung mit dem fernen Osten an, die Deutsch-Spanische die mit dem südlichen Amerika. Alle großen Staaten werden einen Dienst mit Neuyork aufnehmen müssen.«

»Der ›Leviathan‹«, flüsterte Olga Surewski.

Und Günter Truckbrott sah einen silbergrauen Vogel mit mächtigen Schwingen aufsteigen und im Fluge davonschießen.

Auch Farman träumte.

Gordon streckte die Hand aus, als wolle er alle im Saal schwingenden Gedanken fassen und einen.

»Wir stehen auf historischen Boden,« sagte er, »auf doppelt historischem Boden. Der alte Gürzenich zu Köln hat die Tagungen der hanseatischen Kaufleute gesehen, die das Band des Handels über die damalige Welt spannten und in festen Händen hielten. Jahrhunderte später, im kritischsten Augenblick, wurde in Köln der erste Pool der transatlantischen Schiffahrt gegründet, die erste internationale Gemeinschaft, die den Konkurrenzkampf auf ein erträgliches Maß zurückschraubte.«

Er sah alle die Menschen an, deren Augen an seinem Munde hingen, die Kaufleute, die Staatsmänner, die Konstrukteure.

»Lassen Sie uns beides neu gründen, eine neue Hansa und den Luftpool. Konkurrenzkampf, soweit er uns hebt, Arbeitsgemeinschaft, wo wir einander stützen müssen.«

»Pool ist eine gute Sache«, knurrte MacKenney Truckbrott zu. »Ihr Deutschen seid nicht nur Kaufleute, ihr seid auch Phantasten und Dichter. Mister von Gordon hat schöne Bilder gemalt, die zuerst bestechen, aber die Fachleute und Diplomaten werden sie ihm zerpflücken.«

Der Schwede hatte den Niederländer am Rockknopf gefaßt. »Wenn der Pool zustande kommt, wird ein Rekordflug des ›Leviathan‹ nur ideellen Zweck haben. Die Deutschen werden vielleicht später kommen, aber sie werden mehr Passagiere mitnehmen – und schließlich ist das auch ein Rekord.«

Olga Surewski redete mit flammenden Augen auf Macmorris ein. Der nickte, küßte ihr die Hand und schritt zum Podium.

»Der Poolgedanke ist gut, aber die Union gibt uns Dinge, die wir schon haben, und eröffnet Perspektiven für Deutschland, die die Union noch nicht hat.«

»Heute.«

Der Engländer lächelte. »Wir werden sehen.«

Reden folgten einander, Juristen, die über Luftrecht sprachen, Diplomaten, der Pool wurde gedreht und gewendet.

Truckbrott hörte nervös zu. »So trägt man eine Weltunion zu Grabe.«

Aber der Geheimrat ließ sich nicht beirren. »Das ist das Chaos, es ist immer da und brodelt und zischt, wenn ein Neues werden will. Je mehr Feuer springt, desto besser ist es. Warten Sie ab.«

»Und was wird das nächste sein?«

»Die Kommission.«

»In der alles versandet.«

»Oder wird.«

Jetzt trat Olga Surewski zu den beiden. Sie begrüßte Truckbrott, als sei gestern nichts gewesen. »Man wird bald fertig sein mit Ihrem Gedanken, Monsieur de Gordon«, sie sprach immer noch lieber französisch, wenn sie nicht mit Engländern zusammen war. »Man wird ihn zwischen Rheinsalm und Poularden en petit comité wieder aufnehmen, wenn es Ihnen beliebt, mein Gast zu sein.«

Gordon lächelnd. »Wir werden Ihrer Hilfe gewiß sein.«

Und sie. »Sie sind sehr sicher, Monsieur de Gordon – sehr sicher.«


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